Schrippe

Schrippe

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6 - 10 von 10
Schrippe vor 3 Jahren 93 28
10
Flakon
7
Sillage
8
Haltbarkeit
10
Duft
Von der Wiege bis zur ewigen Stille
Es ist kein Wunder, dass wir, die als Säuglinge schon auf Vanille (-aroma) in der Säuglingsmilch aus der Fabrik konditioniert wurden, eine große Affinität zu vanillehaltigen Produkten aufgebaut haben.
Es mag auch das krasse Gegenteil geben; Menschen, denen aus diesem Grund alles mit Vanille zutiefst zuwider ist. Ich liebe Vanille.
Ich liebe Vanille, wenn sie nicht klebrig, melasseartig auf mir lastet.
Hier bekam ich einige Proben, die aus oben genannten Gründen gleich weiter ziehen durften.
Dachte, das war es mit dem Extrakt von Teilen der orchideenartigen Pflanze in Düften.

Shalimar war in meinen Augen immer ein Angstgegner.
Im Besonderen bei der als Guerlinade beschriebenen, gewürzlastigen Grundessenz wurde mir immer angst und bange. Ich selbst konnte sie nie tragen, roch sie aber sehr gerne an Damen.
Erstaunlich, dass es Träger/-innen gibt, an denen dieser Duft elegant und stark sein kann, während er an anderen völlig deplatziert und störrisch wirkt.
Als Planefolia hier auf dieser Seite angekündigt wurde, war ich schon getriggert, irgendetwas ließ Großes erwarten.
Zu dieser Zeit befand ich mich auf mehreren kurzen Reisen durch Europas südliche Gefilde und kam auf dem Rückweg auch durch Belgien. Also zwei Flakons mitgenommen.
Im Hinterzimmer des Parfumsalons und in meinem Großhirn immer wieder das Wort „limitiert“. Zieht bei mir. Fast immer.
Was ich beim Tragen empfinde, kann und will ich gar nicht in Worte kleiden, es berührt mich tief.
Diese dunkle, fast schon schwarze, leicht angekokelte Vanille wirkt sofort auf meine Synapsen.
Zum leichten Rauch gesellt sich die Würze der Guerlinade, unverkennbar und sehr gut in dieses Duftkreation eingewoben.
Es ist ein wahre Wonne, am Sprüher zu riechen, sensationell hingegen, so von warmer Haut zu duften.
Da war sie also: die als Guerlain-DNA bezeichnete olfaktorische Bereicherung.
Der vom Handgelenk oder dem Nacken emporsteigende Duftschleier ergreift nicht nur mich, sondern auch alle Menschen in meinem Umfeld. Manche nehmen auch ein dunkles, vollmundiges Aroma einer im Mund schmelzenden, lange conchierten Schokolade wahr.
Ausnahmslos alle mit dem Duft konfrontierten Menschen sind von diesem Duft begeistert und niemand weist diesem Duft die eindeutige Klassifikation weiblich zu.
Nicht, dass mir das wichtig wäre.
Dieses Glücklichmacherwässerchen wird wahrscheinlich bei Temperaturen um den Gefrierpunkt erst richtig zur Geltung kommen. Mich beschleichen schon jetzt Verlustängste und ich werde wohl einen Vorrat anlegen müssen. Ich schrieb ja schon: limitiert.

Von der Wiege bis zur ewigen Stille: Vanille.
So möchte ich duften, wenn meine Familie, Freunde und alle die mir wichtig waren, in hoffentlich noch ferner Zukunft von mir Abschied nehmen.
Immer den tröstenden Duft dieser wunderbaren Planefoliavanille im Gedächtnis.
Das wäre toll!
28 Antworten
Schrippe vor 3 Jahren 49 18
10
Flakon
10
Sillage
10
Haltbarkeit
10
Duft
Ein Freund fürs Leben
2021,
mitten in der Stadt, Pippilotta, meine Rüd*in , verspürt den Drang, laufen zu lassen. Ein Rinnsal Richtung Bordsteinkante, wo die zur Abholung bereitgestellten Mülltonnen aus Zink vor sich hin dampfen.
Die Luft zwischen den Häuserfluchten flirrt. Die Hitze, diese unerträgliche Hitze, die einem auf dem Land oder am Meer nichts anhaben kann.
Mein Hund, der von seiner Herkunftsfamilie auf Grund seines Geschlechts mit dem Namen Dieter bedacht wurde, tökelt immer weiter in Richtung Stammpinkelecken anderer Vierbeiner*innen.
Halt, da war doch was….Eine Fata Morgana? Soll bei über 35 Grad im Schatten vorkommen. Ein Mann, wie in Zeitlupe, schwebt an uns vorbei. Dieser von ihm ausgehende Geruch, den kenne ich doch.

Katapultiert in die späten 80er Jahre.
Die Umkleidekabinen des BSG Traktor Groß Lindow.
Dort spielten die großen Jungs.
Manchmal nahmen Brüder die Kleinen mit dort hin. Etwas zeitversetzt zum Training der Junioren, fand die Ballspielstunde der Windelk-i-cker an. Nicht mit a, wobei das bei dem einen oder anderen auch zutraf. Boah, was hat da mancher gestunken.
Lukas nicht.
Er war drei Monate, zwei Wochen und fünf Tage älter als ich. Unsere Brüder waren die Starkicker des Ortes. Wenn unsere Spielstunde zu Ende war, stromerten wir, stolz wie Oskar, über das Sportplatzgelände. Hin zu den Kabinen der Erwachsenen, die auch von den Halbstarken genutzt werden durften.
Wir schmulten um die Ecke der Duschen und lachten uns schlapp über die feiernden Spieler und deren Rituale. Es roch nach billiger Seife aus dem Konsum. Kein Schaum, nur ein Schäumchen. Von den, nur durch einen Vorhang aus Sackleinen getrennten Pissoirs, waberte ein Gemisch aus Kalkstein und Urinalkugeln herüber. Dazu der Mief von Sportlerschweiß getränkten Spielerhemden, Hersteller Kristall, VEB Trikotagen. Nach Fuß roch es auch.

Erinnerungen an diverse Kritzeleien kommen hoch. Schreibweisen von Ferkeleien, die sich uns erst sehr viel später erschlossen haben. Der Mann und ich grinsen uns an.
Hallo Lukas, bist Du das? Was habe ich Dich vermisst. Der Junge, der mein Sparringspartner beim Sport war…lange ist es her.
Er erzählt, dass er das piefige Nest unserer Kindheit verlassen musste. Auch, um seine Interessen für das gleiche Geschlecht, ohne Spione hinter der Gardine, ausleben zu können. Er berichtet von seinem Schmerz, den er wegen seiner Neigung in dem kleinen Ort und in der Familie erleiden musste und er darum auch beschloß, nach dem Studium in der Stadt zu bleiben.
Jetzt erst verstehe ich, warum meine Mutter mit der von Lukas gebrochen hat….

Woran ich Dich erkannt habe, schließlich hättest Du Dich optisch stark verändert?
An Deinem Geruch Lukas. Wie könnte ich Dich nicht erkennen? Der Du meine Schulter zum Anlehnen, Ausheulen warst, als ich glaubte, nach Vatis Tod auch zu den Engeln in den Himmel reisen zu müssen. Du, der mich im Arm gehalten hat, als wir aus Angst vor Entdeckung , zitternd im Baumhaus saßen, weil wir den ABV Schwabbelbacke gerufen haben. Was haben unsere Muttis gelacht; eigentlich nur meine, wenn ich das richtig in Erinnerung habe.
Lukas, ich vergesse Dich nie und erkenne Dich unter Millionen immer wieder.
An Deinem Geruch, der Duft der unbeschwerten Zeit, wo wir beide noch nicht viel von der Welt der Erwachsenen wußten oder gar in der Lage gewesen wären, all die Versprechen, die uns das Leben gab, einzufordern.
Kouros, der Duft unserer großen Brüder, der so viel versprochen und auch gehalten hat.

(Kouros Vintage)

18 Antworten
Schrippe vor 3 Jahren 14 8
6
Flakon
5
Sillage
6
Haltbarkeit
8
Duft
Eher Kleiner Panda als Großer Bambusbär
Bambus ist aus dem Vintagekarton meiner Oma. Viele Flakons sind auf diesem Wege in meinen Besitz gekommen.
Es ist erstaunlich, wie opulent und strahlend diese Düfte früher waren und heute noch sind, obwohl sie, auch in Relation zu damaligen Lohnverhältnissen, sehr günstig zu kaufen waren.
Ich erinnere mich nur an Mouson Seife, für mich der Inbegriff von Luxus, die immer in einer Extraschachtel für besondere Tage gedacht war.
Für uns reichte die Kaloderma in der grün-weißen Kartonage, lt. Verpackung mit Glycerin, Reispuder und Honiggelee.
Bambus eröffnet nach dem Auftrag auf die Haut überhaupt nicht rasierwasserartig, sondern mit einer ambratischen Würze, die etwa zwei Stunden anhält. Danach dreht sich der Duft und eine dezente Süße steigt empor, welche niemals aufdringlich oder gar nervig wird.
Warum dieser Duft als männlich präferiert wird, ist mir nicht so ganz klar, könnte dem Erscheinungsjahr geschuldet sein, als die Zuweisung in männlich/weiblich noch Usus war.
Ich teile die Einschätzung von Ergoproxy, der in seiner Rezension anmerkt, dass eine gewisse Affinität zu Vintagedüften der Akzeptanz dieses Colognes förderlich ist.
Später gesellt sich zur Minimalsüße eine gewisse animalische Note, die sich wider Erwarten wunderbar in den Duftverlauf einfügt.
Auf Gund dieser unvorhersehbaren tierischen Nuance ist das Bambus Cologne eher ein kleiner, denn ein großer Pandabär. Der „echte“ Bambusbär ernährt sich zu 99% pflanzlich, der Kleine Panda hingegen lässt sich auch häufiger tierische Kost munden und dünstet dementsprechend aus.
In meinem engeren Umfeld gibt es Männer, die in arbeitstypisch verschmutzter Kleidung, Schweißperlen auf der Stirn und der Hackepeterschrippe mit ordentlich viel Zwiebel, einem Gürkchen als Garnitur in der Hand, Pause machen und dabei so riechen wie das Bambuscologne, dass ich hier getestet und beschrieben habe.
Wem sich die Gelegenheit bietet, dieses Cologne, mit dafür guter Haltbarkeit testen zu können: immer ran an die Bouletten!
8 Antworten
Schrippe vor 3 Jahren 23 15
6
Flakon
5
Sillage
6
Haltbarkeit
7.5
Duft
Kassopeia
Fräulein Kassandra gehört zur Familie, seit ich denken kann. Eigentlich heisst sie gar nicht Kassandra. Sie heisst Kassopeia und wurde im jungen Alter Opfer einer Straftat. Sie wurde entführt. Uhrenopa Egon hat sie einfach mitgenommen, als er vor mehr als 60 Jahren im Namen der DDR -Volksmarine zur See gefahren ist.
Was seinen Namen angeht, so entstand er, weil die Kinder der Familie immer dachten, als Uropa würde er unzählige Uhren besitzen. Egon brauchte keinen Zeitmesser.
Er wußte, in jeder Situation, was die Stunde geschlagen hatte. Ein Blick zum Himmel, und er war im Bilde.
Kassandras Alter stieg mit der Zahl der Ringe, die sie trug.
Ich erinnere mich, daß Kassandra, im Schatten der uralten Bäume im Garten, die Sommerabende verbrachte. Sie war genügsam, brauchte nicht viel, um glücklich zu sein. Hin und wieder tropfte eine Träne aus ihrem Auge, sie war in Gedanken bestimmt in ihrer russischen Heimat. Den Winter verbrachte sie auf Sparflamme in kühleren Gefilden.
Oma sagte immer, wenn ihr an den Kühlschrank geht, Kassandra sieht alles. Kassandra war eine Landschildkröte und überwinterte im Gemüsefach des alten VEB Kühlschranks.
Im Frühjahr kramte Oma ihre Vinyl-Spitzendecke aus irgendeinem Westpaket hervor und legte sie auf den Tisch in der Veranda.
Kassandra wurde von den Enkeln reichlich mit Futter versorgt, hin und wieder etwas Gemüse, aber im Großen und Ganzen bekam sie Heu. Darauf war ihr Verdauungssystem eingerichtet.
Dieser künstliche Geruch der Tischdecke stieg in unsere Nasen, als wir Kassandra „Erste Hilfe“ zuteil werden lassen mussten. Bei der Nahrungsaufnahme hat sich ein Halm in ihrer Nasenöffnung verklemmt und sie war sichtlich beeinträchtigt. Das Dilemma : sie zog den Kopf immer wieder in ihren Panzer, wenn wir mit allerlei Tricks versuchten, den Halm zu entfernen.
Also nahmen wir ihren warmen, runden Panzer, der unten schon Kratzer ihrer bisherigen Ausflüge durch ihr Leben zeigte, in die Hände und setzen sie auf den Tisch. Sie schob neugierig ihre runzligen, ledrigen Beine heraus, danach den glatzigen Kopf. Die kleinen Krallen an den Füßen kratzten am Vinyl.
Zum Hervorlocken legten wir etwas Salat und eine Salatgurkenscheibe auf die Decke, dazu krautiges, sehr trockenes, selbstgeerntetes und gut abgelagertes Heu. Immer, wenn die Hände zu dicht in ihr Blickfeld kamen, zog sie sie sich in ihr Häuschen zurück.
Schildkröten sondern einen kaum wahrnehmbaren Duft aus, insbesondere bei Stress.
Dieser dabei entstehende Geruch ist für mich Prada Iris. Etwas krautig, etwas ledrig, dazu aber immer künstlich. Wir werden sicher keine Freunde.
Kassandra hingegen ließ sich nicht austricksen.
Opa wusste mit Damen umzugehen. Er drehte sie ohne viel Federlesen auf den Rücken, sie steckte in ihrer Panik den Kopf raus und blitzschnell konnte der Halm entfernt werden. Spuk vorbei.
Kassandra wurde von einem Tierarzt anhand ihrer Ringe am Panzer auf über 70 Jahre geschätzt.
Kassandra ist immer noch ein Teil der Familie. Eine Uhrenomaschildkröte.
15 Antworten
Schrippe vor 3 Jahren 34 17
8
Flakon
7
Sillage
8
Haltbarkeit
9.5
Duft
Spiel nicht mit den Schmuddelkindern, sing nicht ihre Lieder
Wieder fuhr sie, trotz der seidenleichten Stola, fröstelnd aus dem Schlaf, der kein tiefer Schlaf war. Erneut wird sie von ihren Ängsten eingeholt, jemand könnte ihre Herkunft erahnen. 

Der Duft der Veilchen auf dem Tisch wabert in dieser lauwarmen Nacht durch die Stube. 
Tagsüber ist sie beschäftigt, die Dämonen ihrer Vergangenheit, manchmal mit Getränken wie Pernod, in Schach zu halten.
Anis, so ihre Rede, sorgt gleichwohl für guten Atem.

Manchmal gondelt sie mit der Stadtbahn in die Hotspots der Stadt, in der Hoffnung, in den Colonnaden, zufällig, auf einen ihrer Verflossenen zu treffen und einen, wenn auch tränenverschleierten Blick auf ihn zu erhaschen. Dass sie für die Anschaffung der dafür notwendigen Markenkleidung am 6. des Monats ihr gesamtes Budget ausgegeben hat, negiert sie sich selbst gegenüber sehr erfolgreich. Tütensuppen machen schließlich auch satt.

Nachts, lange nach Einsetzen der Abenddämmerung, wenn im Haus der frühen achziger Jahre endlich wieder Ruhe einkehrt, schlummert sie in ihrer Zweiraumwohnung auf ihrem hölzernen Canapé ein. 

Das Haus, in dem sie seit Jahren wohnt, wo sie viele Nachbarn kommen und auch durch ihr Zutun hat gehen sehen. 
Ihr selbst ist der Auszug unmöglich, weil ihr dazu die monetären Mittel fehlen oder schlichtweg eine geeignete Wohnung, die bezahlbar wäre. In Hamburg, selbst für solvente Menschen, ein fast aussichtsloses Unterfangen. 

Das blaue, ständig flackernde Licht der defekten Leuchtstoffröhre des Fabrikgebäudes gegenüber stört das Vorhaben, sich erneut abzulegen. 
Sie nickt am Tisch wieder ein. Bloß schnell die kalten Augen, die viel und dabei so wenig Glück gesehen haben, schließen, damit man sich nicht mit dem Elend auseinandersetzen muss. 
Da ist er wieder. Der Traum. Eigentlich ist es ein Deja vu. 
Sie trägt, wie immer, einen Duft von Jacques. Heute, wie passend, die blaue Stunde. Sie bildet sich ein, diesen Jacques persönlich gekannt zu haben.


Blankenese, Elbchaussee. 

Eine noble Wohngegend, in der es aus zimmerhohen Terrassentüren gülden leuchtet. Ein Ort, an dem die Unternehmergattin frisch dem Badeschaum mit Mandelaroma entstiegen, die ihre wallend blonde Haarpracht mit Band zusammen hält, durch ihre großzügig angelegten Rabatten mit Veilchen und Schwertliliengewächsen wandelt. 
Das muss auch Jacques vor seinem geistigen Auge gehabt haben. Man kennt sich. 

Auf der anderen Seite des Flusses, das eher von Arbeit gezeichnete Wohngebiet.
Sie und ihre Mutter hatten Glück. Das Glück, als alleinstehende Mutter eine Anstellung als Zugehfrau bei einer gutsituierten Familie nahe der Elbe gefunden zu haben. Mutter schuftete jeden Tag in den Salons der Herrschaft, während das kleine Mädchen die Zeit mucksmäuschenstill in der Wohnung verbringen musste. Manchmal kam die Mutter, servierte dem Kind eine Mahlzeit von Resten aus der Gesindeküche. 

Man konnte sagen, man wohnte in Blankenese.

Als das Mädchen in die Schule kam, glaubte es, dass eine Zeit der Freiheit beginnen würde. Die Mutter schärfte ihr ein, etwas Besseres zu sein und sich immer auf die Wohnanschrift der Herrschaften zu berufen. In den abgelegten Kleidern der Villenkinder, weißen Spitzensöckchen und roten Lackschuhen machte sich das Kind am Tag der Einschulung auf den Weg. Allein, in Richtung Ostender Strasse, diese Schule war die sicherste, zu Fuß zu erreichende.
Allein, nicht mal an diesem Tag bekam die Mutter frei.
Ob sie die Herrschaften überhaupt gefragt hatte?

Man konnte sagen, man wohnte in Blankenese.

Sie hüpfte in ihrem irisblauen Faltenröckchen, die blonden Haare zu Affenschaukeln gebunden, die Stufen des Hinterhauses, in dem sich die Kammern der Bediensteten befanden, raus in den Hof. Sie war zierlich für ihre sechs Jahre. Sie sah sich um. Links der Kohlenkeller, es stank nach Küchenabfällen, vollen Windeln und nach ungewaschenen Menschen. 
Das konnte man ihrer Mutter nicht nachsagen, darauf wurde geachtet. Immer saubere Wäsche, wenn es auch die abgelegte/ geflickte Kleidung der Kinder der Arbeitgeber war.

Man wohnte ja in Blankenese.

In der Aula der Schule begann die Zeremonie. Alle anderen Kinder in Begleitung der Eltern.
 Sie wurde an ihre Lehrerin verwiesen und auf Nachfragen wurde, wie eingebläut, geantwortet, dass man an der Elbchaussee wohnen würde….und die Eltern unabkömmlich beschäftigt seien. Stimmte auch-irgendwie. 
Dieses Konstrukt zog sich durch das Leben des Mädchens. Immer darauf bedacht, die hochgesteckten Erwartungen ihrer Mutter zu erfüllen. Diese, wohl auf Grund eigener Unzulänglichkeiten, baute ihre Tochter zur Grand Dame auf, schließlich sollte sie es einmal besser haben, sich einen gutsituierten Mann suchen, so würden sie beide gut versorgt sein.
Diesem Druck hielt das Mädchen stand. Lehnte Avancen netter junger Herren ab, stand es doch zu erwarten, dass noch der Prinz auf dem weißen Pferd angaloppiert käme.
Dieser Prinz kam nie. 
Doch, einige kamen….erkannten den Hunger nach Aufmerksamkeit und Liebe, brachten hochwertige Parfums wie "L'Heure Bleue (Eau de Parfum) | Guerlain" , scheinbare Preziosen aus Doublé, um die nun junge Frau zu umgarnen. Dass er längst an eine andere Frau gebunden war, diese sogar geehelicht und zur Mutter gemacht hatten, das verschwieg er. Sie gab sich hin…. Und die Galane entschwanden den Bettüchern in Richtung Familienfestung. Eine Familie, die sie niemals aufgeben und die sie nie haben würde. 
Sie wusste um ihre Situation.
 Zu laut, zu energisch die Mutter, die noch immer fußläufig entfernt wohnte und auch ungefragt und unangemeldet, mit dem Schlüssel in der Tür rührte….in diesen Momenten tröstete sie sich mit den teuren Geschenken des Ehebrechers.
Sie duftete so weltgewandt, bediente sich perfekt der Sprache derer, zu denen sie gehören wollte. Sie passte nicht in deren Welt.
 Zu angestrengt versuchte sie jemand zu sein, der sie nie sein konnte . Die Schatten der Herkunft wollten nicht verblassen . Egal, wie sehr sie sich auch abmühte. Das stimmt traurig.
Man wohnte in Blankenese.
Es gab viele dieser Kröten, die sie küsste, diese durchliefen nur nie die Metarmorphose zum Prinzen. Manch Angebeteter nahm sie auf Geschäftsreisen mit, staffierte sie aus und sie gab die wohlhabende Dame von Welt, wie sie es mit ihren wachen Kinderaugen so oft beobachtet hatte. In den Hotellobbies, die sie als den Laufsteg der Welt sah.

Frau konnte sagen, man stamme von der Elbchaussee.

Nach all diesen Enttäuschungen rekapituliert sie die Stationen ihres Lebens, immer einen anderen Duft von Guerlain auf der Haut und sinniert melancholisch über die verpassten Gelegenheiten. 
"L'Heure Bleue (Eau de Parfum) | Guerlain" , der einzige Duft, der ihr bis heute der liebste ist.

Intrigant und niederträchtig ist sie geworden, sie weiß, welche Knöpfe man drücken muss. Sie kämpft nie mit offenem Visier.

Sie wohnt in der Unterstadt.

Es ist eine Krux. Immer mehr Menschen merken, dass sie nicht diejenige ist, die sie vorgibt zu sein. 


Sie erfindet ihren Mitmenschen gegenüber eine Erbtante im Feine-Leute-Viertel und mit der sie Vernissagen und kulturelle Veranstaltungen besucht.
 Um das Erlebte für sich zu reklamieren, studiert und kopiert sie die Erlebnisberichte ehemaliger Kollegen und Freunde. 
Jetzt fliegt sie auf. Ihre Chiffrenummer, unter der sie im Namen der Tante annonciert, gleicht der ihren auf jede Ziffer.
 Sie steht auf, guckt aus dem Fenster.
Was, wenn sie im Spiegel der Erbtante gewahr wird?
Sie wohnt nicht in Blankenese.
17 Antworten
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