Shamis

In der Grundschule hatten wir an besonders heißen Tagen manchmal hitzefrei. Die unverhoffte Freizeit war toll und auch wenn es zu warm zum Lernen war - zu warm zum Spielen im Freien war es nie. Genau an den Geruch solcher sommerlichen Hitze erinnert mich "Nuit Marine". "Nuit Marine" riecht förmlich nach Hitze, nach glühendem Asphalt, flirrender Luft, trockenem Gras, einem brütend warmen Tag auf dem Land. Dabei hat er für mich einen ganz leicht synthetischen Beiklang. Das passt aber, denn erhitzter Asphalt riecht auch nicht unbedingt natürlich.

Etwas irreführend finde ich das "Marine" im Namen: hier würde ich erstmal etwas Aquatisches vermuten, was man jedoch in diesem Duft vergeblich sucht. In dieser Hinsicht war ich allerdings gewarnt oder besser gesagt gut informiert. Da ich "Nuit Marine" als Teil eines schönen Tauschpäckchens bekam und von dem Duft noch nie gehört hatte, nutzte ich die kurze Wartezeit um vorab schon einmal möglichst viel über ihn in Erfahrung zu bringen. Im Netz findet man so gut wie nichts; zum Glück gibt es hier auf Parfumo aber bereits ein paar Dufteindrücke. Beim Lesen der Kommis und Statements wurde mir rasch klar, dass kein Aquate auf dem Weg zu mir ist und meine Neugier stieg. Nach dem Eintreffen machte mich die Verpackung und der Flakon dann etwas stutzig. Irgendwie erinnert mich beides an die Art Parfüm, die man in Kaufhalle & Co so anbietet... Doch weit gefehlt! Weder stammt "Nuit Marine" daher, noch riecht er billig. Nicht spektakulär, nicht unbedingt ungewöhnlich. Aber sehr gut, wenn man Hitze mag. Nach dem Aufsprühen war mein erster Gedanke dann auch: "Der kommt mit in den Urlaub!" Ich habe mich aber schnell umentschieden, denn unter südlicher Sonne möchte ich eher einen Duft, der erfrischt und erfrischend ist "Nuit Marine" überhaupt nicht. An heißen Sommertagen in Norddeutschland trage ich ihn überraschenderweise dennoch gern; mehr noch an lauen Abenden.

Unter dem Strich ein gelungener Duft, der in aller Bescheidenheit mein Herz gewonnen hat. Der darf bleiben und wird seit Wochen eifrig und reichlich benutzt. Haltbarkeit und Sillage fallen nicht allzu üppig aus, doch wie bei den meisten Düften kann man sich damit behelfen, auch auf die Kleidung zu sprühen (riecht wunderbar). Ein wenig holzig und würzig mag der Duft wohl sein, doch heruntergedimmt statt intensiv. "Nuit Marine" ist ein eher zarter, warmer, unterschwellig auch sinnlicher Duft, den ich nicht mehr missen möchte.

Wenn die Tage kälter und die Nächte dunkler werden, wenn die Blätter von den Bäumen und der Schnee vom Himmel fällt, wenn ich der Leichtigkeit überdrüssig sein werde und die Geborgenheit und die Wärme suche - dann, ja dann werde ich Trost suchen in deiner Umarmung, werde ich mich auf dich einlassen können, werde dich erst mögen und dann lieben. Bis dahin aber - warte auf mich...



Und es wurde eine lange Zeit des Wartens. Im Frühling 2015 kaufte ich, angestachelt von den hier kusierenden Gerüchten seiner bevorstehenden Einstellung, ein Fläschchen Gaultier² . Gerochen hatte ich ihn nur einmal im Winter auf einem Teststreifen. Er hatte etwas Besonderes, keine Frage. Doch seine verführerische Süße, seine sinnliche Wärme gehörte für mich in die kalte Jahreszeit. Und so musste er warten. Nicht einen Winter, sondern drei. Ganz hinten in meinem Schrank. Immer unbeachtet, niemals unvergessen. Und doch: irgendetwas hielt mich stets von ihm fern. Jede behutsame Annäherung meinerseits endete in einem gefühlten "besser nicht". Dabei spürte ich stets, dass er schön ist.
Vor ein paar Tagen nun hatte das Warten ein Ende. Ich wollte ihn auf den Prüfstand stellen, wollte mich endgültig für oder gegen ihn entscheiden. So sprühte ich ihn eines Abends mutig direkt auf meinen Arm. Sieg oder Niederlage. Mein erster Gedanke: schön. Flüchtige Erinnerungen an das üppige alte "Sun" von Jil Sander. Eine Art Kaugumminote neben allerlei Süße. Doch fast unmittelbar nach dem Eindruck des ersten Aufsprühens ändert sich mein Eindruck. Gaultier² entwickelt eine irgendwie grobe Sinnlichkeit. Süß und würzig zwar, wie ich es mag. Ich kann erkennen, worauf der Entwurf hinauslaufen soll. Aber genau das ist es: ein grober Entwurf, unfertig, zusammengeflickt. Er erinnert mich in diesem Stadium an Frankensteins Monster. Oder an das Biest. Grob zusammengeschustert, unschön. Ein Klotz. Enttäuscht stelle ich ihn zurück in den Schrank.
Am nächsten Abend rieche ich zufällig noch einmal an dem Ärmel des Pullovers, den ich am Vorabend während des Tests getragen habe. Und bin hin und weg! All das Grobe, das Unfertige hat sich über Nacht zu etwas Wundervollem zusammengefügt. Es ist warm und würzig, dabei aber harmonisch, sanft und wunderbar sinnlich. So, ja so kann ich dich ieben...

Ein weiterer Test hat mir endgültig gezeigt, dass Gaultier² für mich der Duft mit den zwei Gesichtern ist: der Schöne und das Biest. Fest steht außerdem, dass ich ihn behalten werde. Zwar steht nun die warme Jahreszeit vor der Tür, in der ich die Leichtigkeit und die schwirrenden, die tanzenden Sommerdüfte brauche. Doch der nächste Winter wird kommen und im Winter, im Winter werde ich deine wärmende Nähe lieben...

In der Grundschule wurden uns eines Tages lebendige Schlangen vorgeführt - harmlose Geschöpfe, die wir mit kindlicher Unvoreingenommenheit bestaunten. Ich fand sie ungeheuer spannend. Ihre Reglosigkeit und das totale Fehlen einer Mimik ließen sie kaum als atmende Wesen erscheinen, und doch war da diese subtile Lebendigkeit. Fortan wünschte ich mir, so eine Schlange auch einmal in freier Natur zu entdecken. Ohne jegliches naturwissenschaftliches Wissen, doch ausgestattet mit einer blühenden Phantasie zog mich auf meiner Suche eine ganz bestimmte Stelle besonders an: eine alte Gartenmauer, in deren Schatten reichlich Efeu wuchs. Im Frühling hielt ich dort auf dem Weg zur Schule ebenso häufig wie erfolglos nach einer Schlange Ausschau. Mit Sonne, mit Sommer, mit Hitze konnte ich Schlangen nicht in Verbindung bringen. Für mich gehörten sie ganz selbstverständlich in den feuchten Schatten, in das erdige Grün. Vor meinem inneren Auge konnte ich sie sehen, die dunkle Natter, die sich plötzlich durch das Gestrüpp aus Efeu beinahe unmerklich bewegte.

Dieses Bild einer dunklen Schlange, die durch das Efeu im Schatten einer alten Mauer schlängelt, hatte ich jahrelang völlig vergessen. Der Duft mit dem absolut treffenden Namen "Hedera" hat es wieder hervorgeholt. Er beginnt mit einer fast schon stechend zitrischen Note und entwickelt sich schnell zu einem ausgesprochen pflanzlichen Duft. Ein Duft, wie man ihn in der freien Natur finden könnte. Herbgrün, saftig, aber auch mit süßen Beiklängen (die hier von Ananas und Kokosnuss stammen). Ein Gemisch, das mich sehr an schattige, dichtbewachsene Grünflächen im Frühling erinnert. Ein paar frisch geknickte Blätter und Zweige, Gras, irgendwo blüht auch schon ein Baum oder Strauch... Und es riecht feucht, wie nach einem Regenschauer. Hier gibt es dunkelgrünes altes Efeu, es gibt Vögel und Insekten.

Hedera ist ein Duft, den ich als sehr intensiv empfinde. Er hält bei mir mehrere Stunden, hat aber keine allzu starke Sillage. Doch wenn ich an meiner Haut schnuppere, dann ist er sofort da - und hat etwas Eindringliches. Wirkt auf subtile Weise lebendig. Wie man mir im Geschäft sagte, wurde er leider eingestellt. Umso glücklicher schätze ich mich, noch einen kleinen Restflakon bekommen zu haben.

"Black Sugar" war ein gutscheinbedingter Blindkauf und bei Blindkäufen, wer kennt das nicht, liegen Lust und Frust nahe beieinander. Der Flakon hat für mich dann immer eine gewisse Ähnlichkeit mit Aladins Wunderlampe: man weiß nie genau, was für einen Dschinn man da aus dem Gefäß ins Freie holt. Es gibt laute und leise, elegante und plump vertrauliche; Frohnaturen, Blumenkinder, Naturburschen und leider auch manchmal olfaktorische Monster. "Black Sugar" ist nichts von alldem. Er ist sanft und lieb und hat mich sofort in die Arme genommen.

Blumen hat er mir allerdings keine mitgebracht; zumindest rieche ich sie nicht. Süß ist er und muss er bei dem Namen auch sein. Alles andere wäre fast schon arglistige Täuschung. Aber es ist nicht die typische, in Düften derzeit recht beliebte Art von Süße, die schnell ein wenig erschlagend wirkt. Es ist keine würzige Süße, es ist keine Jahrmarktssüße. "Black Sugar" duftet anders, duftet zarter und authentischer. Ein bißchen so, als wenn gebacken oder Vanillepudding gekocht wurde und Stunden später nur noch ein ganz leichter Hauch davon in der Luft schwebt. Oder als wenn ein lieber Mensch Vanillekipferl gebacken hat und noch ein ganz klein wenig danach riecht. Auf der Haut entwickelt sich ein warmer und tröstlicher süßer Duft, der vermutlich nur aus der Nähe wahrgenommen wird. Ich mag es sehr, wenn Duftnoten mit üblicherweise starker Sillage so heruntergedimmt werden.

Allerdings ist "Black Sugar" für mich ein reiner Einschlafduft. Für den Tag - ich habe es mehrmals probiert - ist er zu lasch. Aus demselben Grund ist er für den entspannten Abend und zur Einstimmung auf das Zubettgehen perfekt. Er besänftigt und läßt mich runterkommen statt zu pushen. Und er hat eine schöne Haktbarkeit. Wache ich in der Nacht zwischendurch einmal auf und schnuppere an meinem Arm, ist er noch da und hält meine Hand - mein lieber Dschinn. Besonders nach nicht ganz so tollen Tagen vermittelt er mir ein Gefühl von Geborgenheit. Von Zuhause. Schnuppere ich am schlicht gehaltenen Flakon fällt mir immer das von Johannes Brahms unter dem Namen "Wiegenlied" vertonte Gedicht "Guten Abend, gut' Nacht..." ein. Und genauso ist "Black Sugar": ein Duft wie ein Wiegenlied.

Es sind diese heissen Tage. Tage, die das Lebensgefühl verändern und ihrem eigenen Rhythmus folgen. Wer es kann, verbringt die Tage dösend auf der Gartenliege und geniesst lange laue Sommerabende auf der Terrasse. Nur die Kinder sind erfüllt von sprudelnder Energie, rennen kreischend vor Glück durch den Rasensprenger, schäumen über vor Lebensfreude. Alle drei Minuten fragen sie nach einem Eis. Viel öfter als sonst dürfen sie es sich holen.

"Wackelwasser light" versetzt mich schnell in diese wunderbare Sommerlaune, für die die Mischung aus entspannter, geradezu wohliger Trägheit und pulsierender Energie kennzeichnend ist. Die Bezeichnung "sprudelnd" passt hier absolut: der Duft hat etwas Prickelndes, das mich in Zusammenhang mit dem Orange Fizz an Orangenlimonade denken läßt. Ingwer und Pfeffer geben etwas Schärfe dazu, so dass es prickelnd statt süß wird. Die prickelnde Note hält sich bei mir lange und macht für mich den Duft aus. Später kommt noch etwas hinzu, das ich mit "sauber" oder einfach "Wasser" assoziere. Es erinnert mich an all die Gelegenheiten, bei denen wir es im Sommer mit Wasser zu tun haben: das Freibad, den Badesee, den Gartensprenger, die unzähligen erfrischenden Duschen... Vielleicht ist auch etwas Holziges dabei, denn er kommt mir nach einiger Zeit etwas markanter vor als am Anfang, bleibt aber zu jeder Zeit für beide Geschlechter uneingeschränkt tragbar. Ansonsten kann ich keine einzelnen Duftnoten herausriechen - sowenig, wie ich den Duft des Sommers in seine einzelnen Bestandteile aufschlüsseln könnte.

Unbeschwert, von der Sonne geküßt und vom Leben gleich dazu - so duftet "Wackelwasser light" für mich. Einziges Manko: er bleibt bei mir äußerst hautnah. Die Haltbarkeit habe ich beim ersten Test auch als sehr kurz empfunden, aber das stimmt nicht. In einem zweiten Test habe ich den Duft auf den linken Arm gesprüht und den rechten Arm unparfümiert gelassen. Im Laufe des Tages habe ich dann immer mal wieder an beiden Armen geschnuppert und siehe da: am linken Arm konnte ich noch Stunden später das Wackelwasser riechen. Aber eben nur direkt auf der Haut. Nicht destotrotz ein rundum schöner Sommerduft, bei dem ich immer an den Namen eines Treaclemoon-Produktes denken muss: "Those lemonade days..." Limonadentage.