Siebenkäs

Siebenkäs

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Siebenkäs vor 2 Jahren 25 20
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9.5
Duft
Dichtung und Wahrheit.
Das weiße Papier grinste ihn so unverschämt an,
wie nur ein leeres Blatt es kann.
Er hatte schon über so vieles geschrieben – Bohrmaschinen,
Zahncremes, Ferienclubs, Suppenwürze, Elektroautos und
Olivenöle.
Für kleine Firmen und für namhafte Konzerne.
Und vor allem - für Geld.
Aber noch nie über ein Parfum.
Und jetzt das hier.
Er schnupperte noch einmal an seinem Unterarm.
Eine weiche, seltsam frische und zugleich leicht altmodisch-
medizinische Note stieg in seine Nase, sie erinnerte ihn
an das Rauchzimmer seines Großvaters, ohne das direkt
Rauch wahrnehmbar war. Eher altes Holz, auch mittelaltes Holz,
und junges Holz. Und Holzpolitur, eine ganz gute, angenehme,
eine mit Zitronenkräutern oder was ähnlichem.
Es roch altmodisch und modern zugleich, alt und frisch,
vielleicht sogar stark und schwach zugleich.
Schräg irgendwie. Und das sollte man der Zielgruppe
klarmachen oder gar „ausloben“.
Grauenhaftes Wort.
Mit viel Impact den USP rauskitzeln, aufmerksamkeitsstark
und so.
Wie bescheuert diese Werbersprache doch war, hohl und leer.
Wenn nur das Geld nicht wäre.
Ein Freund hatte mal gesagt – was wäre die Werbung so schön,
wenn’s keine Kunden gäbe.
Stimmte irgendwie.
Aber jetzt musste ihm was einfallen.
Er beschloss, sich auf Bewährtes zu verlassen – seine Phantasie.
Er würde allein ein kleines Brainstorming starten.
Aber nicht hier, in seiner Wohnung, wo alles viel zu festgelegt
und durchgestylt war.
Er musste raus.

Kurz darauf saß er auf einer seiner Lieblingsgrübelbänke
im Park, mit Blick über eine blühende Wiese, dahinter eine
anmutige Baumgruppe, nur von wenigen Gebäuden überragt,
die ihn sanft daran erinnerten, in einer Großstadt zu sein.
Den Flakon hatte er mitgenommen.
Er sprühte sich noch einmal etwas auf Arm und Hals.
Es roch einfach…sehr gut.
Toll. Das half ihm echt weiter.
„Leute, das müsst ihr euch holen. Riecht prima!“
Das wär’s doch mal.
Würd‘ ihm natürlich keiner abkaufen.
Also, ran an die Nuss, muss doch zu knacken sein.
Vielleicht mal mit dem Namen anfangen?
Oud Wood. Von Tom Ford. Private Blend Serie.
Was fiel ihm dazu ein?
Das Brainstorming musste jetzt mal losgehen.
„Der Name – der hilft dir nicht wirklich weiter, weil das Oud
da drin ist nicht gerade typisch, so wahr ich aus gutem
Buchenholz geschnitzt bin…“, sagte die Bank.
„O.k., also vergessen wir den erst mal…“
„Aber du kannst dich bei diesem Duft doch astrein und lang und
breit auf dem Wichtigsten ausruhen, das es überhaupt gibt –
und das ist Holz!“, erwiderte die Bank.
„Da is‘ was dran… Holz als archaisches Urmaterial in all seinen
Spielarten… Grundstoff für jede wichtige Erfindung… also das
Parfum quasi neu erfunden… vielleicht sowas wie eine Duft-
Revolution, eine neue, wegweisende Essenz…für alle,
die Innovation leben, jeden Tag…?“, murmelte er vor sich hin.

„Find‘ ich allerdings gar nicht…“, sagte eine feine hohe Stimme.
Es war der Buchfink, der auf einem Zweig nicht weit über seinem
Kopf saß. „Das ist nun wirklich mal ein Duft, der jedem Vogel
gefallen dürfte, sogar den fetten Nilgänsen!“
„Ja, da geb‘ ich ihm recht…“, mischte sich jetzt die Schnecke ein,
die unter der Bank im Gras saß. „Das ist wirklich ein richtiger
Krautpleaser, so weich und geschmeidig-gleitend, wie geölt,
ohne scharfe Kanten, den muss doch einfach jeder mögen…“
„Ja, aber was für die Masse ist, lässt sich so schwer verkaufen.“,
gab er zu bedenken.
„Das ist eben ein Duft für die Masse, der aber gar nicht wie ein
Massenduft riecht, sondern viel raffinierter“, hauchte der Wind,
der gerade als leichte Brise über die Wiese strich.
„Was hat er gesagt?“, fragte die Schnecke.
„Ein Duft für alle, der nicht riecht wie für alle!“, sagte der
Buchfink. „Das find‘ ich gar nicht schlecht gezwitschert...“
„Na, was weißt du schon, du flatterhaftes Wesen…“, erwiderte
die Bank und knarrte ein bisschen im Sitzgebälk.

Er beschloss, das erst mal aufzuschreiben, sicherheitshalber.
Es herrschte sowieso gerade Stille.
Angestrengt überlegte er weiter.
„Jetzt muss ich aber auch mal was sagen“, sagte die Stille,
„obwohl ich ja weiß, dass mir das gar nicht zusteht. Also -
warum lässt du den Duft nicht mal selbst sprechen?“

Er hatte den Flakon eh gerade wieder hervorgeholt und
beschloss auf die Stille zu hören.
„Also gut, Oud Wood, was sagst du denn zu alledem?“
Stille.
(Nein, nicht diese Stille, ich meine Schweigen.)
„Oud Wood! Sag bitte mal was!
„Ich sag‘ nix! Ich rieche nur. Und das mach ich gut!“
„O.k., aber warum? Oder wie?“
„Mehr kriegst du aus mir nicht raus. Außer wenn du auf
meine Sprühknopf drückst…“
Und das tat er. Einatmend, schnuppernd, an sich selbst
riechend, macht er sich eilig ein paar weitere Notizen.
Kardamom-Würze, die immer auch an Kaffee-Aromatik erinnert,
eine Spur cremiges Sandelholz, Rosenholz, was ja schon luxuriös
klang und auch so roch… Oud gerade so raffiniert eingesetzt,
dass es unproblematisch bleibt, aber vor allzu banaler Gefälligkeit
schützt. Kunstvoll und sehr elegant gemacht…
Dunkel und freundlich. Verhalten würzig und mit einer speziellen,
irgendwie märchenhaften Süße…
Ein Duft, der ein Gefühl von Harmonie weckt…
Erinnerung an eine Art Ideal-Wald…ein Märchenwald, der an einer
Seite ans Schlaraffenland, an der anderen ans Morgenland grenzt…

„Jetzt werd‘ ich aber mal n’paar knallharte Fakten bei-
steuern“, sagte der graue Stein, der vor ihm auf dem Weg
lag. „Als ich noch im Vorgarten von so ‘nem Hipster wohnte,
hab‘ ich manches aufgeschnappt über den Duft… is‘ so was
wie das Aventus unter den TF-Parfums. Schwer angesagt
bei Rappern und womöglich sogar bei’n Stones…“
„Gut, gut, danke. Aber kein Alleinstellungsmerkmal.“
Er schnupperte erneut an sich.
Dieser Mix aus Holz, Würze, Süße und zarter Erdigkeit,
irgendwie unergründlich, geheimnisvoll. Mittlerweile kam es
ihm mehr wie sein eigener Geruch vor, kaum noch wie Parfum.
War das Teil des Geheimnisses? Der Duft wird zu einem Teil
deiner Aura. Das heißt natürlich, dass er von vielen auch nicht
mehr als Parfum wahrgenommen wird.
Wirft man ihm deshalb eine gewisse Schwäche vor?
Aber er ist da, eindeutig, halt mit dir verbunden.
Nur – so was eignete sich nicht für knackige Kommunikation.

Einfach locker machen.
„Richtig“ und „Falsch“ vergessen.
Wie wär‘s, wenn jetzt Udo Lindenberg vorbeikäme
und sagen würde – ich schenk dir ‘ne Line:
“Udo would Oud Wood.”
Nein, das war’s nicht.
Aber es klang gut.
Er sprach jetzt leise vor sich hin, den Klang testend.
„Oud Wood tut gut.“
„Im U-Boot nur mit Oud Wood“
„Nur Mut – und Oud Wood!“
„Was Ute gut tut: Oud Wood“
„Oud Wood-Flut für Ruth und Knut“

„Jetzt is‘ aber gut!“, sagte der Papierkorb neben der Bank,
„hast dich genug ausgemüllt. Schreib‘ doch was Einfaches,
das die Leute vielleicht klein bisschen glücklicher macht.“
„Aber ich muss doch beim Thema bleiben.“
„Unsinn! Die Leute müssen jeden Tag so viel Müll schlucken,
da kannst du’s ruhig mal versuchen. Wär‘ auch gut für dich.“
„Ehrlich gesagt bezweifel‘ ich das…“
„Du weißt doch – Glück ist ein Parfum, dass du nicht auf andere
sprühen kannst, ohne ein paar Tropfen abzubekommen…“
„Is‘ das von dir?“
„Stand in einem Buch, das mal einer in mich geworfen hat.“
„Cool!“
„Tust du mir n‘ Gefallen?“
„Klar doch!“
„Sprühst du ein wenig Oud Wood auf mich?“
„Echt?“
„Ja, bitte!“

Er spendierte jeder blechernen Seite zwei Sprüher.
„Jetzt bist du der best-riechenste Papierkorb der Welt!“
„Und du der beste Parkbesucher der Welt.“
„Danke!“

„Könnt ihr jetzt vielleicht mal wieder n‘ bisschen ruhig sein?“
sagte die Stille.
20 Antworten
Siebenkäs vor 2 Jahren 32 23
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Duft
Richie goes Meta.
Gestern hatt‘ ich seit langem mal wieder eine Begegnung
der 3. Art.
Ich steh vorm Schaufenster der „Filiale“ und schau mir
Buxen und Jacken von Dries van Noten an, da tippt mir
von hinten einer auf die Schulter.
„Die sind nix für dich… sähst aus wie der Top-Act auf
‘ner Kinderbelustigung…“
Ich dreh mich um – und wer isses?
Der gute alte Richie.
Manche von euch kennen ihn vielleicht noch, wenn nicht,
auch nicht schlimm. Jedenfalls ist er schon sehr speziell,
Ich mein, schon der Name sagt was. Aber ich will überhaupt
nicht lästern – ist letzten Endes doch n‘ guter Freund.
„Mensch, Richie, lang nich‘ mehr gesehen!“
„Gut, dass du nich‘ „long time no see” gesagt hast…”
Er grinst und umarmt mich dann kurz. Sehr kurz.
„Junge, du riechst gut!
Zack, sind wir beim Thema. Ich mein, einem unserer großen
Themen.
„Ja, danke, sag‘ ich, „bloß das L’Homme vom alten Versace.“
„Weiß ich doch. Ich mein‘, hab‘ ich doch sofort gemerkt.“
„Is‘ mir klar, Richie…“
„Was denkst du denn? Glaubst mir etwa nich‘? Unverkennbar
grelle Zitrik mit würziger Macho-Kante und gleichzeitig so
‘ne selbstironische halb-Macho-halb-Dandy-Attitude…
Richtiger Meta-Duft, wennsde mich fragst. Spielt mit dem
Männerduft-Klischee seiner Zeit wie keiner anderer,
und zwar via Überhöhung und ‘ner Art Collage aus
Oldschool-Zitaten... Bedient sich klassischer Duftelemente
und ist gleichzeitig modern im 80er Jahre-Sinn des Wortes.“
„Du meinst quasi wie Zitat-Pop?“
„Ja, schon, is‘ doch auch genau die Zeit. ABC, Dexys und so…
Außerdem - eine der Aufgaben eines intelligenten Parfumeurs
ist doch die Kontrolle von Klischees, oder?
„Jau. Aber sag‘ mal, wo hast du eigentlich so lange gesteckt?“
„Hab bei ‘nem Independent Frauen-Theater gearbeitet…
Die machen so postmodernen Neo-Struktualismus mit spät-
kapitalistisch adaptierten Commedia-dell arte-Zitaten auf ‘ner
Meta-Ebene. Ich war so ne Art Pierrot und musste lediglich
einmal nackt mit ‘ner Geige von rechts nach links über die
Bühne und 10 Minuten später wieder zurück…“
„Das war alles?“
„Nö. Hab‘ auch noch den Damen hinter der Bühne beim
Umziehen geholfen.“
„Für wieviel, wenn ich fragen darf?“
„40 Euro am Tag. Mehr konnt‘ ich mir auch nicht leisten…“
Ich stutze kurz.
„Nein, sorry, der letzte Teil stimmt natürlich nich‘. Hab‘ ich
irgendwo geklaut, wahrscheinlich von Woody Allen…“
„Genau! Das is‘ aus… äh… „Was gibt’s Neues, Pussy?“
„Übrigens wo wir grad dabei sind – ich werd‘ vielleicht zum
Film gehen!“
„Wie belieben?“
„Na ja, jetzt mit meiner Theatererfahrung. Is‘ doch nur logisch…
Aber egal. Du solltest jedenfalls was über diesen Versace-Duft
schreiben. Der is‘ total unterschätzt!“
„Keine Lust… den kann man so schwer beschreiben…“
„Wieso? Knallig seifiger Zitroneneinstieg. Dann Blumen-
kräuter-Mix, der mit Fougère-artiger Macho-Würze
schäkert, aber leicht ironisch irgendwie. Zimt is‘ drinne,
Ingwer, florale Elemente, sogar bisschen Zibet. Und dann
Leder, eher dandyhafter Machart, dazu trockene Vanille…“
„Nicht zu vergessen Eichenmoos!“
„Kannste laut sagen. Is‘ alles auch heute noch fast so drin.“
„Also eine Art Spicy-Zitrus mit Bad Boy Sex-Appeal…“
„Na bitte - schreib das doch!“
„Ich weiß nich‘…find‘ da nicht die passenden Sätze...“
„Mensch, lern aus dem Medium schlechthin – dem Film.
Verwend‘ so starke, kommunikative Sätze wie sie nur der Film
hervorgebracht hat - z.B.: „Ihren Revolvergurt weg, Mister,
schön langsam!“
„Verstehe! Oder so was wie: „Ma‘m, die Männer sind hungrig
und müde.“ Meinste sowas?
„Genau! Gut is auch: „Lasst mich hier liegen.“
„Stimmt. Oder: „Ich weiß nicht was es ist, aber es kommt direkt
auf uns zu.“
„Oder: „Wir machen jetzt einen kleinen Ausflug.“
„Ein Klassiker auch: „Es ist nicht so wie es aussieht.“
„Oder: „Ich kann das alles erklären.“
„Ja! Gut is‘ auch: „Trink das, das wird dir gut tun.“
„Genau wie: „Er hat einen meiner Männer getötet.“
„Oder: „Das ist eine Sache zwischen ihm und mir.“
„Und natürlich: „Augenblick mal. Der Junge hat recht!“
„Nicht zu vergessen: „Nein ehrlich, ich mag Sie.“
„Der is‘ auch prima. Aber was anderes – der Versace hat
doch irgendwie auch den L’Homme von Yves Saint Laurent
im Hinterkopf zitiert oder? Da gibt’s doch ähnliche
Schwingungen…“
„Gibt‘s wirklich. Aber der Versace ist halt knalliger,
poppiger, mehr Meta, wie seine Plünnen…“
Und klein bisschen so ‘ne Aramis-Attitude hat er auch…“
„Aber auch darin klischee-hafter.“
„Aber gut Klischee-haft, sehr gut sogar.“
„Er hat was vom Jovan Sex Appeal, also beinahe zitrisch-
orientalisch, aber auch, grad im Drydown, so nen Chypre-
Charakter wie eine Art Chanel Pour Monsieur auf Steroiden…“
„Klar, und überhaupt - Klischees konnten der Kunst doch
schon immer auf die Sprünge helfen. Jedenfalls gut gemachte.“
„Eben!“
„Wie im Film!“
„Mir fällt noch n‘ guter ein: „Lassen Sie uns ein paar Dinge
klarstellen.“
„Vergiss nich‘: „Sie tun mir weh, Mister.“
„Schön is‘ aber auch: „Ich will, dass die gesamte Stadt
durchkämmt wird, klar? Jedes Haus, jede Straße, jede
gottverdammte Damentoilette.“
„Ich mag ja auch: „Ach, es ist nur ein Kratzer.“
„Warum sagst du nichts?“
„Meinst du jetzt mich? Oder soll das so n‘ Satz sein?“
„Weißt du, Richie, ich habe nachgedacht.“
„Der is‘ auch gut! Oder wie…?
„Mach das nie, nie, nie wieder!“
“Ähm… wie meinste das jetzt? Irgendwie wird mir das grad
bisschen zu unwirklich… Weißte was? Wir beide geh‘n jetzt
erst ma‘ in‘ Parfumladen und sorgen dafür, dass die Tester
nich‘ schlecht werden, einverstanden?“
„Lieber nich‘. Vielleicht schreib‘ ich ja doch ne kleine
Rezension über den Versace L’Homme…“
„Na dann, gutes Gelingen!“



23 Antworten
Siebenkäs vor 2 Jahren 45 25
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Duft
Just do it.
7. Feb., 8.30
Gähn!
Was für eine Uhrzeit! Nachtarbeit… nicht mein Ding.
Ich sitze in der Redaktionskonferenz des „Parfumboten“
und überlege, wie ich ein Paar Comme des Garcons-
Sneaker über die Redaktion abrechnen könnte –
da herrscht mich die raue Stimme des Chefredakteurs an:
„7-Cheese, das übernimmst du!“
„Ich, ähm, ja klar, mach‘ ich…“
Tanja, die Praktikantin, schiebt mit ein 10ml-Röhrchen zu.
„Und du hast genau eine Woche, denk dran!“ bellt der
Chefredakteur noch hinterher.
„Ja, klar, krieg‘ ich hin…“
Nach der Konferenz lass ich mir erzählen, was ich nicht
mitbekommen habe. Ab sofort soll es eine neue Rubrik
geben – „der Blindtest der Woche“. Ein Redakteur schreibt
über einen anonymisierten Duft – die Leser können raten,
welcher es ist und ein Auto gewinnen. Oder war’s ein Bade-
schaum? Jedenfalls effizientere Leserbindung und so.
Und ich hab‘ jetzt eine Woche, um etwas über den Duft
in diesem Röhrchen zu schreiben.

Pffft… und schon schnuppere ich an meiner Hand.
Erster Eindruck: dunkle Beeren, paniert mit Pfeffer und
etwas Zimt… vielleicht Nelkenpfeffer? Auch etwas Warmes,
Harziges spielt mit, strange… Eine Art Saft-Eindruck,
leicht zitrisch-gesund wirkend kommt dazu, die Gewürze
erinnern an eine Apotheke oder auch einen alten
Krämerladen… sehr schwer einzuordnen.
Aber mein Plan steht fest – ich werd‘ rausfinden, was es
ist und glänzen wie noch nie. Sie werden mich bewundern!
Und - befördern!
Genau das wird die Basis für die Umsetzung meines Traums:
mein eigenes Parfum-Magazin! „The Parfum-Observer“ wird
es heißen. Gobal. Independent. Unverzichtbar.
Ich seh‘ schon das Gebäude… 34 Etagen… auf dem Dach
der Schriftzug und mein Logo – eine Nase, aus Neonröhren.
Und der gute, alte Name 7-Cheese wird neu erstrahlen…
Und das ist nicht unrealistisch. Ich stand schon immer mit
beiden Beinen fest in den Wolken.

7. Feb., 12.20
Der Duft verwirrt mich. Mittlerweile geistern allerlei florale
Elemente drin rum… Und der Frucht-Würz-Harz-Mix
tönt immer noch dazu. Das erzeugt bei mir eine Art von
Geisterduft-Wahrnehmung… Dufteindrücke, die vermutlich
nur durch den wilden Mix in meinem Kopf entstehen.
Assoziationen, Erinnerungen… Tante Emma Laden…
Bürstengeschäft… Straßenhändler…
Ziemlich harte Nuss, fürchte ich.
So was kann ich unmöglich in Deutschland rausfinden,
dafür brauch ich Pariser Luft.
Zum Glück hat keiner gesagt, wie hoch mein Budget für den
Job ist.

8. Feb., 11.15
Ich sitze im Zug nach Paris, 1.Klasse, Wagen 7, Platz 34.
Und ich sprühe und schnuppere weiter.
Zu allem Überfluss ist jetzt noch ein seifiger Eindruck da.
Nah am Barbershop. Der Rest ist zarter geworden,
aber etwas Rosiges und Süßliches schleicht um den Bart-
schneider herum… leicht pudrig… Iris?
Hier spielen sich ja fast Kämpfe ab… Kontraste, die sich
gegenseitig fertig machen wollen. Oder spielen die nur?
Ich schreib‘ jetzt erst mal alle Eindrücke auf.
Immer schön locker bleiben.
In Paris finde ich ein preiswertes Hotel (Zweifel an der
Budgethöhe) auf dem Boulevard Saint Germain,
Ecke Rue des Bernadins. Gute Gegend.
Abends zu einem kleinen Chinesen um die Ecke.
Bestelle die Nr. 34, Hähnchen Süß-Sauer, und Burgunder.
Dann schnuppere ich weiter an meinem Arm.
Neben der Feige entdecke ich deutlich Sandelholz, Zeder,
auch etwas Patchouli. Eine solide, weiche Grundlage,
aber immer noch durchzogen von floralen und würzigen
Tönen. Mittlerweile kenn‘ ich alle Phasen, aber es ergibt
kein klares Gesamtbild. Zurück ins Hotel, erst mal schlafen.

9.Feb., 10.15
Karges Frühstück. Schlecht geschlafen, blöd geträumt:
ein kleiner Herr in weißem Habit kommt angeflogen, in der
Hand einen Weidenkorb. „Ich bin der Eiermann“, ruft er munter,
„bin gekommen, damit niemand umsonst auf mich wartet.
Und noch ein kleiner Tipp – denk mal an 31 Rue Cambon!“
Sprach’s und reicht mir kleine Eier mit Chanel-Logo.
Muss am chinesischen Essen liegen. Egal.
Träume sind Schäume.
Plan für heute: Düfte zum Vergleich ranziehen.
Bei Caron in der Rue de Caumartin fang‘ ich an.
Rechter Arm mein Testduft, links sprüh ich sparsam etwas
Yatagan auf. Nur so eine Assoziation, die ich gestern hatte.
Wer weiß?
Fehlanzeige.
Der Testduft ist viel, viel feiner, fast cremig-süß im Vergleich.
War ja klar. Egal.
Weiter geht’s im Marais. Hippstes Arrondissment der Stadt.
In der Rue des Archives bei Eldo… Vorsichtig links, etwas
höher, ein Sprüher Jasmin et Cigarette…
Schnuppern - Hahaha.
Mist. So komm ich nicht weiter.
Kurz darauf im Cafè Charlot. Zwei Tische weiter eine ältere,
weißhaarige Dame, exzentrisch gekleidet, ultra-pariserisch.
Blitzidee! Ich frage sie einfach mal…
„Pardon, Madame, j’ai une petite question. Savez-vous
peut-etre le nom de ce parfum?
Ich halte ihr meinen rechten Arm unter die Nase.
Unter dem Tisch erscheint plötzlich ein knurrender lila
Kampfpudel.
„Fuck off, you bloody german asshole!“ sagt sie. Es klingt
fast freundlich.
Ich ziehe mich zurück.
Beim Verlassen des Cafès höre ich einen Kellner an ihrem
Tisch „Mais oui, Madame Westwood“ sagen.
Schnell vergessen das Ganze!

9. Feb., 16.35
Nachdenklich schlendere ich den Boulevard Saint Germain
runter. Weitere Impressionen des Duftes hab‘ ich genau
notiert – neue Schauspieler sind Vanille und Tonka. Oder
Benzoe. Und dazu Kerzenwachs. Gibt’s etwas, was hier nicht
drin ist? Oder spielt mir meine Nase Komödie vor?
Wie im Ohnesorg-Theater, wo alle paar Sekunden Türen
aufgehen und jemand anders reinpoltert.
An der nächsten Ecke steh‘ ich mit einem Mal vor einem
Dyptique-Laden. Stimmt ja, die hatten ja hier irgendwo
ihren Stammladen.
Ob ich das Spielchen noch mal versuche?
Why not.
Schon bin ich drin, erkläre einer nett aussehenden Dame
mein Problem und halte ihr meinen linken Arm hin.
Bereitwillig schnuppert sie mal.
Und zieht das Näschen kraus.
„Pardon Monsieur, mais je ne peux pas vous aider…“
Immerhin bekomme ich noch ein Kärtchen.
Na, wenigstens war’s ein Versuch.
Überlege noch kurz, ob ich eine Kerze kaufe, finde dann
aber die simple Adresse „34 Boulevard Saint Germain“
als Namen uninspiriert und phantasielos. Bei dem Preis…

9. Feb., 21 Uhr
Wieder im Hotel.
Ich schnuppere erneut hochkonzentriert.
Ist das ein Chypre?
Oder ein grünes Floriental?
Irgendwie ist da auch was Balsamisch-Medizinisches.
Und dabei macht es auch noch Spaß.
Wirkt seltsamerweise natürlich. Natürliches Chaos?
Gibt’s das? Offensichtlich schon.
Vielleicht sollte ich die nette Verkäuferin einfach noch mal
anrufen – sie war doch ziemlich nett.
Hatte ich ihr auch den richtigen Arm hingehalten?
Ich schau noch mal das Kärtchen aus dem Dyptique-Laden an.
Feines hellblaues Bütten, oben steht „Celine“
darunter etwas fetter „Diyptque“ und die Adresse
„34 Boulevard Saint Germain“.
Ach was.
Ich glaube, ich gebe auf.
Vielleicht hätte ich einen anständigen Beruf ergreifen sollen,
wie’s meine Mutter schon immer gesagt hat.
Zum Beispiel Pianist in einem Bordell.
Oder noch besser – Privatdetektiv.
Ja, das wär’s – bei meinem Gespür für kleinste Hinweise.
Aber was soll‘s.
Ich werd‘ den Bericht im Zug fertig schreiben und in die
Redaktion mailen.
Mir fällt ein Satz ein, den ich mal an einer Klowand
gelesen habe: „Immer suchen wir etwas, das wir gar nicht
verloren haben und finden etwas, das wir gar nicht
gesucht haben.“
Als ich anfange zu packen, klingelt das Telefon.
Es ist Tanja, die Praktikantin.
„Hey 7-Cheese, ich weiß was in deiner Probe ist!“
„Echt?“
„Ja, ganz sicher!
„Lieb von dir, aber ich will’s gar nicht mehr wissen.“
Ich lege auf.
Haken dran.
Auf zu neuen Duft-Abenteuern.
25 Antworten
Siebenkäs vor 2 Jahren 25 16
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9
Duft
Klingeling!
Wir saßen gut, es regnete und stürmte immer noch
und zu trinken hatten wir auch noch.
„Also gut“, sagte ich, „dann erzähl ich auch noch eine.
Ist diesem Typ aus der Zürich-Story passiert und natürlich
ist es ‘ne wahre Geschichte, nur schon paar Jahre her.
Der Typ arbeitete damals in so einer Firma, Bank oder
Versicherung oder so was, egal – jedenfalls saß er in seinem
kleinen Eckbüro im 38. Stock.
Es mag so gegen fünf gewesen sein, da fiel ihm das Geschenk
ein, dass er am Abend zuvor von seiner Ex bekommen hatte.
Er kramte es aus seinem Mantel, den er über einen Sessel
geworfen hatte, und packte es hastig aus.
Oha, ein Parfum. Seltsames Geschenk, dachte er, wo sie doch
nur noch so was wie Freunde waren.
Ambre Sultan hieß es.
Na gut. Er nahm den Flakon in die Hand, zog die Kappe ab,
die wie ein schwarzes Mützchen aussah, und schnupperte
am Sprühkopf. Warme Würze stieg auf.
Ich weiß nicht, ob er dabei nur den Finger an den Drücker
legte oder versehentlich drauf drückte – jedenfalls geschah
etwas völlig Unerwartetes.
Er vernahm ein leises Klingeln im Innern des Fläschchens,
das daraufhin zu zittern und wackeln begann, Rauch erhob sich,
er trat erschrocken zurück, eine Nebelwolke hüllte alles ein,
die Konturen einer Gestalt zeichneten sich ab, wurden
deutlicher – und mit einem Mal stand ein kräftiger, untersetzter
Typ vor ihm. Er trug ein lachsfarbenes, T-Shirt, auf dem
„Who the Fuck is Luca?“ stand, dazu alte, sehr weite 501-Buxen,
die von einem Ledergurt gehalten wurden.
„Zu Diensten – was kann ich für dich tun?“, sagte er mit weicher,
eindrucksvoll tiefer Stimme.
„Ähm, wer… bin ich jetzt plemplem…?“
„Noch nie ‘nen Dschinn gesehen? Dann wird’s aber Zeit…“
Er versuchte angestrengt, irgendwie cool zu bleiben, zumal
sein Gegenüber sehr lässig wirkte.
„O.K., verstehe, Sie sind also echt…“
„Sag‘ ruhig „du“ zu mir, Meister!“
„Du bist also ein…“
„Genau, ein Flaschengeist, von mir aus auch Flakongeist,
wenn’s dir lieber ist.“
„Und ich – ich kann jetzt…?“
„Na was wohl? Du kannst dir jetzt was wünschen.“
„In Echt, richtig ernsthaft?“
„Alles, was du willst. Kein Problem.“
„Auch einen Ferrari?“
„Kleinigkeit für mich!“
„Aber nein, der passt nicht zu mir. Gäbe zu viele Fragen…
Lieber was Klügeres… wäre denn die totale Bewegungsfreiheit
machbar – ich wäre immer gleich da, wo ich hin will, sofort?
„Doch, das ginge durchaus.“
„Aber nein, das würde noch mehr Fragen aufwerfen…
Wie wäre es… mit dem perfekten Gefühl von Freiheit,
einer sehr angenehme, erfrischende, aktiv-lockeren Wohlfühl-
Freiheits-Illusion oder so ähnlich?“
„Auch machbar!“
„O.K. – genau das wünsch‘ ich mir!“
Ein Rauschen erklang, der Dschinn wurde transparent,
schrumpfte zusammen - und verduftete, einen
zarten Nebel hinterlassend, zurück in seine Flasche.

Und dann machte sich der Duft bemerkbar.
Zunächst war alles ein ziemliches Durcheinander, aber bald
begann es sich zu sortieren und zu einem wunderbaren Bild
zu ordnen - einer Art Wimmelbild.
Er nahm getrocknete Kräuter wahr, die noch spürbar die
Wärme der Sonne übertrugen, Oregano, Lorbeer, Koriander,
Myrrhre vielleicht…
Gleichzeitig entstand ein staubiges und doch frisches Aroma,
etwas grün-balsamisches schwang darin mit, dass ihm wirklich
eine Art Freiheitsgefühl gab.
Eine Ahnung von Wald bahnte sich an, mehr wie ein Auftauchen
und wieder Versinken – das Zepter übernahmen immer mehr
die Gewürze.
Und das gefiel ihm – sehr sogar.
Direkt übermütig wurde er, ein neuer Wunsch fiel ihm ein –
warum auch nicht? Wozu hatte man denn einen Dschinn?
Er rieb kurz am Flakonverschluss, ein zartes Klingeln ertönte
und schon erhob sich aus schwellenden Nebeln quellend
wieder der Flaschengeist.
„Was kann ich für dich tun?
„Nun – ich wünsche mir ein Konglomerat aller irdischen
Genüsse, mit Schwerpunkt auf den kulinarischen, aber
ohne Völlegefühl oder so. Und so raffiniert und verfeinert
wie nur möglich…“
„So gut wie erledigt!“
Sprach‘s und verduftete elegant in die Flasche zurück.

Jetzt änderte sich das Duft-Szenario – nicht abrupt, sondern
weich, mehr als ob alles nur anders fokussiert würde.
Getrocknete und frische Gewürze, wie aus einer provencalischen
Küche, tauchten auf, eine Art Bouquet Garni-Kräuter-Note,
raffiniert und nach Sternekoch-Manier ätherisch-duftend -
wobei aus dem offenen Küchenfenster noch frische Pinien
und Zedernnoten hinein wehten.
Er bemerkte ein Changieren zwischen südlichen Bergen und
einer Wüstenoase.
Sehr reizvoll… und mehr als er erwartet hatte.
Wieder löste sich ein Wunsch in ihm – vielleicht aufgrund
der weichen, ambrierten Aura, die jetzt aufkam.
Ein bisschen hippie-mäßig war das, dank etwas Patchouli,
aber auch abenteuerlustig, wie für einen Entdecker,
der offen für fremde Genüsse ist.
Und wieder rief er den Geist - der prompt erschien.

„Ich möchte eine Art virtuelle Luxusliege, eine total relaxte,
entspannte, geistige Hängematte, in die man sich jederzeit fallen
lassen kann, weich und geborgen, gut geschützt vor schnödem
Unbill irdischer Stänkereien, verstanden?“
„Aber ja, Meister! Bitte bedenke nur eins – das ist dein letzter
Wunsch!“

Unser Held erschrak gewaltig.
„O.K. - darf ich dann noch was kleines ergänzen?“
„Bitte!“
„Könnte es so sein, dass mich beim Genießen des dritten
Wunsches der Nachklang der beiden anderen noch weiter
begleitet, wie eine Kuscheldecke, die man sich einfach
überziehen kann?
„Krieg ich auch noch hin. Aber dann war‘s das.“
„Also gut – mein dritter Wunsch!“
„O.k. - mach’s gut!“ rief der Dschinn und verduftete.

Mit einem Mal verstärkte sich die weiche Charakteristik des
Duftes - Harze, die wirkten wie von heißer Wüstensonne
zum Schmelzen gebracht wechselten mit zarten Schleiern,
die Walderinnerungen mit kindlichen Vanillegenüssen
verbanden, aber ohne viel Süße.
Weihrauchige und nadelholzige Elemente spielten mit,
mal lauter, mal leiser.
Ein Balanceakt zwischen herb, warm, würzig und süß,
ohne jede Mühe, spielerisch ineinander gleitend.
Vielgesichtig und doch von sehr individuellem Charakter.
Ein Duft-Füllhorn, so reich, dass man aus ihm immer wieder
schöpfen könnte.
Seltsamerweise konnte er sich den Duft ebenso im Winter
wie im Sommer vorstellen, weil er beides in sich trug -
wärmende Behaglichkeit und nachtfrische Wüstenwürze.

Dann bekam er eine E-Mail.
Es war die Rothaarige aus der Buchhaltung, die ihn mal wieder
zum Kochen einladen wollte.
Sie wäre schon zu Hause und hätte jede Menge eingekauft.
Er fand sie eigentlich ganz nett, aber irgendwie auch anstrengend.
Nur weil er ihr auf einer Firmenparty mal erzählt hatte, wie gern
er neuerdings kochen würde, lud sie ihn jetzt ständig ein.
„Sorry, kann heute leider nicht, vielleicht ein andermal“
schrieb er zurück.
Mit einem Mal bekam er Lust den Duft spazieren zu führen -
und brach einfach auf, es war ja schon fast acht.
Bald darauf schlenderte er ziellos durch’s Westend.
Der kühle Abendwind verband sich anmutig mit dem Parfum.
Keine Ahnung wieso – aber irgendwie stand er plötzlich vor
der Haustür in der Liebigstr., wo die Rothaarige wohnte,
und las ihren Namen auf dem Klingelschild.
Ob er vielleicht doch…? Quatsch, er kannte sie doch kaum.
Seine Hand zuckte in Richtung Klingel, er steckte sie schnell
wieder in die Manteltasche. Sie kam wieder heraus, er trat einen
Schritt zurück… wieder hin… und wieder zurück, Hand rein,
Hand raus…
Klingeling!“

Alle schwiegen.
Mittlerweile hatte es aufgehört zu regnen.
Unsere Runde löste sich dann ziemlich bald auf.
Ob sie mir die Geschichte geglaubt haben, weiß ich nicht.
16 Antworten
Siebenkäs vor 2 Jahren 55 36
9
Flakon
6
Sillage
7
Haltbarkeit
8.5
Duft
Spät.
Und dann schlug es vom Dom her acht, die letzten Kunden
bezahlten, die anderen rissen sich von den Regalen los und
schlenderten Richtung Ausgang. Allmählich leerte sich das
Geschäft. Schließlich gingen auch die Verkäufer, die Glastür
wurde verschlossen und das Gitter herabgelassen.
Langsam verebbten die Stimmen und Geräusche des Tages
in der Ferne und mit einem Mal lag die Parfumerie verlassen
und still im Dämmerlicht.
Aber es dauerte nicht lange, da regte sich Leben in den Räumen
und es begann zu flüstern und raunen und knispern.
„Viel hätt‘ nicht gefehlt und das Blondchen hätt‘ mich mit-
genommen…“, sagte eine weiche Stimme. Sie kam gerade aus
dem Diptyque-Regal und gehörte der stolzen Madame
Eau Duelle. „Na, morgen kauft sie mich, da bin ich mir
vanillesicher“, fuhr sie fort - und das war durchaus recht ein-
gebildet, auch wenn es vielleicht stimmen mochte.
„Ach, ich weiß gar nicht ob ich überhaupt in so ein Heim
möchte… womöglich ins Badezimmer, wo primitives,
unsensibles Deo-Volk das Sagen hat…“, bemerkte ein etwas
zu leise, fast feige klingender Herr namens Philosykos.
Dann schwiegen alle kurz, denn ein leises, unterdrücktes
Schluchzen war zu hören.
„Was hast du denn nur? Schon wieder Fernweh?“, fragte
der kecke Dandy Habit Rouge aus dem Regal schräg gegenüber.
Natürlich wussten alle, wer da schluchzte – natürlich wieder
der kleine Vetyverio.
„Ach weh, mich kauft wohl keiner mehr! Niemals komm‘
ich in ein Parfumheim, werde niemals verehrt und zum
Ausgehen mitgenommen, nie geliebt und bewundert…“
„Ach, du kleines Dummchen! Du hast doch die besten
Anlagen“, erwiderte der Nachbar von Habit Rouge,
das rüstige, muntere und ebenfalls adlige Vetiver von Guerlain.
„Bist ja fast verwandt mit mir, nur ein bisschen
verweichlichter…“
Mit einem Male mischte sich der Feudel, der gleich daneben
in seinem Putzeimer stand, ins Gespräch. Er hatte einiges zu
sagen, denn er war schon viel herumgekommen und dazu
ein bodenständiger Typ, den alle schätzten.
„Mein lieber Vetyverio, ich will dir mal was sagen. Du bist
ein spezieller Charakter, das weißt du doch! Du hast den Zauber
der Vetiverwurzel genauso wie den der Rose im Leib,
bist ein kleiner Querkopf mit herbem Schrubber-Charme
und auch ein samtig-lappenweicher Schmeichler. Das gibt’s
nicht oft! Freu dich deines Lebens und deiner Besonderheit!“
„Ich will aber versprüht werden! Ganz viel! Und…
„Das sind nur deine unreifen Grapefruit-Flausen! Genieß‘
was du hast, hier bei deinesgleichen, so lange du’s noch
kannst…“
„Hört euch diese Normalos an, was für ein einfaches Fußvolk,
ohne jede Eleganz und gesundem Hochmut, wie ordinär,
n’est ce pas?…“
Das kam hinten aus dem Tom Ford-Privat-Blend Altar, es war
wohl wieder das etwas eingebildete Oud Wood, das zu gern
mooserte. Dabei kannte es echtes Moos nur vom Hörensagen.

Und dann kam der große Tag. Ein junger Mann im nachtblauen
Duffle Coat griff sich unser Vetyverio und ging flugs mit ihm
zur Kasse. Er kannte es wohl schon – und darüber freute
sich Vetyverio mindestens ebenso, wie über den feinen,
sicher sehr reichen Jüngling, dessen dunkler Mantel so gut zum
schwarzen Vetyverio Eau de Parfum-Outfit passte.
Er wurde in eine dunkle Tasche gesteckt und in schrecklich
holprigem Auf und Ab ging es auf und davon,
weg von seinen lang vertrauten Brüdern und Schwestern.

Aber dann wurde es ganz hell und er wurde ausgepackt und
auf einen Tisch gestellt. Der junge Mann kam ganz nah, erhob
ihn und sprühte sich etliche mal über seinen Hals und den
schneeweißen Hemdkragen.
„Aaah…“ sagte er, „hmmm…“ und auch „herrlich…“.
Vetyverio wollte schier vergehen vor Freude.
Dann schrieb der junge Mann etwas in ein Heft, dabei
murmelte er vor sich hin, aber Parfums hören alles und
deutlich vernahm Vetyverio:
…erstaunliche Etude in Grün… das helle Grün des oberirdischen
Vetivers wird hier mehr konterkariert von den rauchig-dunklen Erdwurzelklängen des tiefen Vetivers, viel deutlicher als im Edt.
Bevor aber unangenehme Assoziationen wie Gummi oder
Schmutzigkeit aufkommen können, gesellt sich zunächst eine
blattgrüne Blumen-Zartheit dazu, hell und sonnig, dann schließlich
die ganze dazugehörige Rose. Weich und schmeichlerisch, fast
etwas süß, jedenfalls elegant wirkt das. Und es passt auch ganz
gut zur zweiten Melodie, die leiser im Hintergrund der Duft-
entwicklung mitklingt – die einer fein-fruchtigen Zitrik, eben-
falls eher grün, fast unreif. Sie changiert um die hellgrünen,
grasigen Vetivernoten herum und bildet natürlich einen
weiteren reizvollen Gegensatz zu den rauchigen Vetiver-
Aspekten…
Jetzt wurde der Stift auf Seite gelegt.
Dann griff die Hand des jungen Mannes erneut nach Vetyverio
und der freute sich – schon wieder sollte er versprüht werden.
War das nicht ganz außerordentlich?
Aber stattdessen wurde er ein Stück durch’s Zimmer getragen
und dann in einen Schrank gestellt, die Tür quietschte, Rumms
machte es, dann war sie zu und Vetyverio stand im Dunklen.
Langsam gewöhnten sich seine Moleküle an das spärliche
Restlicht und er merkte, dass er nicht allein war.
„Willkommen auf dem Friedhof der Dufttiere“,
sagte ein klotziger Herr ganz in schwarz gekleidet, der sich
als Encre Noir vorstellte.
„Ach, du alte Iso-E-Super-Schleuder, mach dem Neuen doch
nich‘ gleich Angst…“
Der das sagte, trug auch von Kopf bis Fuß Schwarz, war aber
schlanker und nannte sich Antaeus.
„Aber Onkel Noir, ist das denn Euer Ernst?“, fragte Vetyverio
kleinlaut.
„Ach gib‘ nichts auf den, der riecht sich selber gern und ist
gar nicht so grimmig wie er tut…“, sagte Antaeus. „Aber eins
stimmt schon, viele von uns kommen hier monatelang nicht
mehr raus… man gewöhnt sich dran!“
„Oh je…“, sagte Vetyverio.
„Ach was, wir sind hier fast 40 Mann! Bzw. Frau!“
Der gut aussehende, abenteuerlich-optimistische lächelnde
Devin rückte näher an Vetyverio heran.
Oder bildete es sich das nur ein?
„Wir sind hier eine ganz lustige Gesellschaft, du wirst schon
sehen…“ ergänzte Devin forsch.
„Ja, ja, vor allem ihr K.R.s, ihr seid ja eh ‘ne Sorte für sich,
aber ‘ne liebenswerte, find‘ ich“, sagte Frau Diorissimo.
„Was heißt denn K.R.?“, fragte Vetyverio.
„Na, das sind die Kaum Reformulierten, eine Kaste für sich,
aber zum Glück alle sehr lieb. Die Bernard-Chant-Kinder
zum Beispiel. Ich gehör‘ ja leider nicht dazu…“ Ein Seufzer des
Bedauerns löste sich von Diorissimos Sprühkopf.
„Aber man gewöhnt sich dran!“ rief von hinten Herr Fahrenheit.
„Heut‘ Abend laden übrigens die Hèrmes-Düfte zum Faubourg
St.Honorè-Schwänke-Lauschen ein…“
„Da musst du auch dabei sein, du cremiger Neuling!“, rief
der quirlige Lalique White, „du hast doch noch nichts vor?“
„Äh, nein, nicht direkt…“
„Gut, gut, ich würde mich freuen, wenn Sie… oder darf ich
„du“ sagen…?“
Vetyverio erschrak ein wenig. Aber nett war er ja, der White.
Oder war es die White?
Na ja, spielte das eine Rolle?
Jedenfalls war hier drin wenigstens bisschen was los.
Er würde das Beste draus machen müssen.
War das wohl diese „Lebenskunst“, von der Jaipur immer
gesprochen hatte? Damals im Laden?
Wie schön war es da doch gewesen, hell und freundlich,
voller Leben und neugieriger Menschen.
Wie lange das schon her zu sein schien.

Aber seine herbe Vetiver-Ader und seine souveräne Rosigkeit
würden schon helfen, mit der Situation fertig zu werden.
Und vielleicht, wer weiß, käme sein Besitzer ja irgendwann
auf die Idee, ihn mal wieder hervorzuholen.
Davon würde Vetyverio von jetzt an träumen.
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