Gestern hatt‘ ich seit langem mal wieder eine Begegnung
der 3. Art.
Ich steh vorm Schaufenster der „Filiale“ und schau mir
Buxen und Jacken von Dries van Noten an, da tippt mir
von hinten einer auf die Schulter.
„Die sind nix für dich… sähst aus wie der Top-Act auf
‘ner Kinderbelustigung…“
Ich dreh mich um – und wer isses?
Der gute alte Richie.
Manche von euch kennen ihn vielleicht noch, wenn nicht,
auch nicht schlimm. Jedenfalls ist er schon sehr speziell,
Ich mein, schon der Name sagt was. Aber ich will überhaupt
nicht lästern – ist letzten Endes doch n‘ guter Freund.
„Mensch, Richie, lang nich‘ mehr gesehen!“
„Gut, dass du nich‘ „long time no see” gesagt hast…”
Er grinst und umarmt mich dann kurz. Sehr kurz.
„Junge, du riechst gut!
Zack, sind wir beim Thema. Ich mein, einem unserer großen
Themen.
„Ja, danke, sag‘ ich, „bloß das L’Homme vom alten Versace.“
„Weiß ich doch. Ich mein‘, hab‘ ich doch sofort gemerkt.“
„Is‘ mir klar, Richie…“
„Was denkst du denn? Glaubst mir etwa nich‘? Unverkennbar
grelle Zitrik mit würziger Macho-Kante und gleichzeitig so
‘ne selbstironische halb-Macho-halb-Dandy-Attitude…
Richtiger Meta-Duft, wennsde mich fragst. Spielt mit dem
Männerduft-Klischee seiner Zeit wie keiner anderer,
und zwar via Überhöhung und ‘ner Art Collage aus
Oldschool-Zitaten... Bedient sich klassischer Duftelemente
und ist gleichzeitig modern im 80er Jahre-Sinn des Wortes.“
„Du meinst quasi wie Zitat-Pop?“
„Ja, schon, is‘ doch auch genau die Zeit. ABC, Dexys und so…
Außerdem - eine der Aufgaben eines intelligenten Parfumeurs
ist doch die Kontrolle von Klischees, oder?
„Jau. Aber sag‘ mal, wo hast du eigentlich so lange gesteckt?“
„Hab bei ‘nem Independent Frauen-Theater gearbeitet…
Die machen so postmodernen Neo-Struktualismus mit spät-
kapitalistisch adaptierten Commedia-dell arte-Zitaten auf ‘ner
Meta-Ebene. Ich war so ne Art Pierrot und musste lediglich
einmal nackt mit ‘ner Geige von rechts nach links über die
Bühne und 10 Minuten später wieder zurück…“
„Das war alles?“
„Nö. Hab‘ auch noch den Damen hinter der Bühne beim
Umziehen geholfen.“
„Für wieviel, wenn ich fragen darf?“
„40 Euro am Tag. Mehr konnt‘ ich mir auch nicht leisten…“
Ich stutze kurz.
„Nein, sorry, der letzte Teil stimmt natürlich nich‘. Hab‘ ich
irgendwo geklaut, wahrscheinlich von Woody Allen…“
„Genau! Das is‘ aus… äh… „Was gibt’s Neues, Pussy?“
„Übrigens wo wir grad dabei sind – ich werd‘ vielleicht zum
Film gehen!“
„Wie belieben?“
„Na ja, jetzt mit meiner Theatererfahrung. Is‘ doch nur logisch…
Aber egal. Du solltest jedenfalls was über diesen Versace-Duft
schreiben. Der is‘ total unterschätzt!“
„Keine Lust… den kann man so schwer beschreiben…“
„Wieso? Knallig seifiger Zitroneneinstieg. Dann Blumen-
kräuter-Mix, der mit Fougère-artiger Macho-Würze
schäkert, aber leicht ironisch irgendwie. Zimt is‘ drinne,
Ingwer, florale Elemente, sogar bisschen Zibet. Und dann
Leder, eher dandyhafter Machart, dazu trockene Vanille…“
„Nicht zu vergessen Eichenmoos!“
„Kannste laut sagen. Is‘ alles auch heute noch fast so drin.“
„Also eine Art Spicy-Zitrus mit Bad Boy Sex-Appeal…“
„Na bitte - schreib das doch!“
„Ich weiß nich‘…find‘ da nicht die passenden Sätze...“
„Mensch, lern aus dem Medium schlechthin – dem Film.
Verwend‘ so starke, kommunikative Sätze wie sie nur der Film
hervorgebracht hat - z.B.: „Ihren Revolvergurt weg, Mister,
schön langsam!“
„Verstehe! Oder so was wie: „Ma‘m, die Männer sind hungrig
und müde.“ Meinste sowas?
„Genau! Gut is auch: „Lasst mich hier liegen.“
„Stimmt. Oder: „Ich weiß nicht was es ist, aber es kommt direkt
auf uns zu.“
„Oder: „Wir machen jetzt einen kleinen Ausflug.“
„Ein Klassiker auch: „Es ist nicht so wie es aussieht.“
„Oder: „Ich kann das alles erklären.“
„Ja! Gut is‘ auch: „Trink das, das wird dir gut tun.“
„Genau wie: „Er hat einen meiner Männer getötet.“
„Oder: „Das ist eine Sache zwischen ihm und mir.“
„Und natürlich: „Augenblick mal. Der Junge hat recht!“
„Nicht zu vergessen: „Nein ehrlich, ich mag Sie.“
„Der is‘ auch prima. Aber was anderes – der Versace hat
doch irgendwie auch den L’Homme von Yves Saint Laurent
im Hinterkopf zitiert oder? Da gibt’s doch ähnliche
Schwingungen…“
„Gibt‘s wirklich. Aber der Versace ist halt knalliger,
poppiger, mehr Meta, wie seine Plünnen…“
Und klein bisschen so ‘ne Aramis-Attitude hat er auch…“
„Aber auch darin klischee-hafter.“
„Aber gut Klischee-haft, sehr gut sogar.“
„Er hat was vom Jovan Sex Appeal, also beinahe zitrisch-
orientalisch, aber auch, grad im Drydown, so nen Chypre-
Charakter wie eine Art Chanel Pour Monsieur auf Steroiden…“
„Klar, und überhaupt - Klischees konnten der Kunst doch
schon immer auf die Sprünge helfen. Jedenfalls gut gemachte.“
„Eben!“
„Wie im Film!“
„Mir fällt noch n‘ guter ein: „Lassen Sie uns ein paar Dinge
klarstellen.“
„Vergiss nich‘: „Sie tun mir weh, Mister.“
„Schön is‘ aber auch: „Ich will, dass die gesamte Stadt
durchkämmt wird, klar? Jedes Haus, jede Straße, jede
gottverdammte Damentoilette.“
„Ich mag ja auch: „Ach, es ist nur ein Kratzer.“
„Warum sagst du nichts?“
„Meinst du jetzt mich? Oder soll das so n‘ Satz sein?“
„Weißt du, Richie, ich habe nachgedacht.“
„Der is‘ auch gut! Oder wie…?
„Mach das nie, nie, nie wieder!“
“Ähm… wie meinste das jetzt? Irgendwie wird mir das grad
bisschen zu unwirklich… Weißte was? Wir beide geh‘n jetzt
erst ma‘ in‘ Parfumladen und sorgen dafür, dass die Tester
nich‘ schlecht werden, einverstanden?“
„Lieber nich‘. Vielleicht schreib‘ ich ja doch ne kleine
Rezension über den Versace L’Homme…“
„Na dann, gutes Gelingen!“