07.01.2022 - 10:00 Uhr
Siebenkäs
63 Rezensionen
Siebenkäs
Top Rezension
55
Spät.
Und dann schlug es vom Dom her acht, die letzten Kunden
bezahlten, die anderen rissen sich von den Regalen los und
schlenderten Richtung Ausgang. Allmählich leerte sich das
Geschäft. Schließlich gingen auch die Verkäufer, die Glastür
wurde verschlossen und das Gitter herabgelassen.
Langsam verebbten die Stimmen und Geräusche des Tages
in der Ferne und mit einem Mal lag die Parfumerie verlassen
und still im Dämmerlicht.
Aber es dauerte nicht lange, da regte sich Leben in den Räumen
und es begann zu flüstern und raunen und knispern.
„Viel hätt‘ nicht gefehlt und das Blondchen hätt‘ mich mit-
genommen…“, sagte eine weiche Stimme. Sie kam gerade aus
dem Diptyque-Regal und gehörte der stolzen Madame
Eau Duelle. „Na, morgen kauft sie mich, da bin ich mir
vanillesicher“, fuhr sie fort - und das war durchaus recht ein-
gebildet, auch wenn es vielleicht stimmen mochte.
„Ach, ich weiß gar nicht ob ich überhaupt in so ein Heim
möchte… womöglich ins Badezimmer, wo primitives,
unsensibles Deo-Volk das Sagen hat…“, bemerkte ein etwas
zu leise, fast feige klingender Herr namens Philosykos.
Dann schwiegen alle kurz, denn ein leises, unterdrücktes
Schluchzen war zu hören.
„Was hast du denn nur? Schon wieder Fernweh?“, fragte
der kecke Dandy Habit Rouge aus dem Regal schräg gegenüber.
Natürlich wussten alle, wer da schluchzte – natürlich wieder
der kleine Vetyverio.
„Ach weh, mich kauft wohl keiner mehr! Niemals komm‘
ich in ein Parfumheim, werde niemals verehrt und zum
Ausgehen mitgenommen, nie geliebt und bewundert…“
„Ach, du kleines Dummchen! Du hast doch die besten
Anlagen“, erwiderte der Nachbar von Habit Rouge,
das rüstige, muntere und ebenfalls adlige Vetiver von Guerlain.
„Bist ja fast verwandt mit mir, nur ein bisschen
verweichlichter…“
Mit einem Male mischte sich der Feudel, der gleich daneben
in seinem Putzeimer stand, ins Gespräch. Er hatte einiges zu
sagen, denn er war schon viel herumgekommen und dazu
ein bodenständiger Typ, den alle schätzten.
„Mein lieber Vetyverio, ich will dir mal was sagen. Du bist
ein spezieller Charakter, das weißt du doch! Du hast den Zauber
der Vetiverwurzel genauso wie den der Rose im Leib,
bist ein kleiner Querkopf mit herbem Schrubber-Charme
und auch ein samtig-lappenweicher Schmeichler. Das gibt’s
nicht oft! Freu dich deines Lebens und deiner Besonderheit!“
„Ich will aber versprüht werden! Ganz viel! Und…
„Das sind nur deine unreifen Grapefruit-Flausen! Genieß‘
was du hast, hier bei deinesgleichen, so lange du’s noch
kannst…“
„Hört euch diese Normalos an, was für ein einfaches Fußvolk,
ohne jede Eleganz und gesundem Hochmut, wie ordinär,
n’est ce pas?…“
Das kam hinten aus dem Tom Ford-Privat-Blend Altar, es war
wohl wieder das etwas eingebildete Oud Wood, das zu gern
mooserte. Dabei kannte es echtes Moos nur vom Hörensagen.
Und dann kam der große Tag. Ein junger Mann im nachtblauen
Duffle Coat griff sich unser Vetyverio und ging flugs mit ihm
zur Kasse. Er kannte es wohl schon – und darüber freute
sich Vetyverio mindestens ebenso, wie über den feinen,
sicher sehr reichen Jüngling, dessen dunkler Mantel so gut zum
schwarzen Vetyverio Eau de Parfum-Outfit passte.
Er wurde in eine dunkle Tasche gesteckt und in schrecklich
holprigem Auf und Ab ging es auf und davon,
weg von seinen lang vertrauten Brüdern und Schwestern.
Aber dann wurde es ganz hell und er wurde ausgepackt und
auf einen Tisch gestellt. Der junge Mann kam ganz nah, erhob
ihn und sprühte sich etliche mal über seinen Hals und den
schneeweißen Hemdkragen.
„Aaah…“ sagte er, „hmmm…“ und auch „herrlich…“.
Vetyverio wollte schier vergehen vor Freude.
Dann schrieb der junge Mann etwas in ein Heft, dabei
murmelte er vor sich hin, aber Parfums hören alles und
deutlich vernahm Vetyverio:
…erstaunliche Etude in Grün… das helle Grün des oberirdischen
Vetivers wird hier mehr konterkariert von den rauchig-dunklen Erdwurzelklängen des tiefen Vetivers, viel deutlicher als im Edt.
Bevor aber unangenehme Assoziationen wie Gummi oder
Schmutzigkeit aufkommen können, gesellt sich zunächst eine
blattgrüne Blumen-Zartheit dazu, hell und sonnig, dann schließlich
die ganze dazugehörige Rose. Weich und schmeichlerisch, fast
etwas süß, jedenfalls elegant wirkt das. Und es passt auch ganz
gut zur zweiten Melodie, die leiser im Hintergrund der Duft-
entwicklung mitklingt – die einer fein-fruchtigen Zitrik, eben-
falls eher grün, fast unreif. Sie changiert um die hellgrünen,
grasigen Vetivernoten herum und bildet natürlich einen
weiteren reizvollen Gegensatz zu den rauchigen Vetiver-
Aspekten…
Jetzt wurde der Stift auf Seite gelegt.
Dann griff die Hand des jungen Mannes erneut nach Vetyverio
und der freute sich – schon wieder sollte er versprüht werden.
War das nicht ganz außerordentlich?
Aber stattdessen wurde er ein Stück durch’s Zimmer getragen
und dann in einen Schrank gestellt, die Tür quietschte, Rumms
machte es, dann war sie zu und Vetyverio stand im Dunklen.
Langsam gewöhnten sich seine Moleküle an das spärliche
Restlicht und er merkte, dass er nicht allein war.
„Willkommen auf dem Friedhof der Dufttiere“,
sagte ein klotziger Herr ganz in schwarz gekleidet, der sich
als Encre Noir vorstellte.
„Ach, du alte Iso-E-Super-Schleuder, mach dem Neuen doch
nich‘ gleich Angst…“
Der das sagte, trug auch von Kopf bis Fuß Schwarz, war aber
schlanker und nannte sich Antaeus.
„Aber Onkel Noir, ist das denn Euer Ernst?“, fragte Vetyverio
kleinlaut.
„Ach gib‘ nichts auf den, der riecht sich selber gern und ist
gar nicht so grimmig wie er tut…“, sagte Antaeus. „Aber eins
stimmt schon, viele von uns kommen hier monatelang nicht
mehr raus… man gewöhnt sich dran!“
„Oh je…“, sagte Vetyverio.
„Ach was, wir sind hier fast 40 Mann! Bzw. Frau!“
Der gut aussehende, abenteuerlich-optimistische lächelnde
Devin rückte näher an Vetyverio heran.
Oder bildete es sich das nur ein?
„Wir sind hier eine ganz lustige Gesellschaft, du wirst schon
sehen…“ ergänzte Devin forsch.
„Ja, ja, vor allem ihr K.R.s, ihr seid ja eh ‘ne Sorte für sich,
aber ‘ne liebenswerte, find‘ ich“, sagte Frau Diorissimo.
„Was heißt denn K.R.?“, fragte Vetyverio.
„Na, das sind die Kaum Reformulierten, eine Kaste für sich,
aber zum Glück alle sehr lieb. Die Bernard-Chant-Kinder
zum Beispiel. Ich gehör‘ ja leider nicht dazu…“ Ein Seufzer des
Bedauerns löste sich von Diorissimos Sprühkopf.
„Aber man gewöhnt sich dran!“ rief von hinten Herr Fahrenheit.
„Heut‘ Abend laden übrigens die Hèrmes-Düfte zum Faubourg
St.Honorè-Schwänke-Lauschen ein…“
„Da musst du auch dabei sein, du cremiger Neuling!“, rief
der quirlige Lalique White, „du hast doch noch nichts vor?“
„Äh, nein, nicht direkt…“
„Gut, gut, ich würde mich freuen, wenn Sie… oder darf ich
„du“ sagen…?“
Vetyverio erschrak ein wenig. Aber nett war er ja, der White.
Oder war es die White?
Na ja, spielte das eine Rolle?
Jedenfalls war hier drin wenigstens bisschen was los.
Er würde das Beste draus machen müssen.
War das wohl diese „Lebenskunst“, von der Jaipur immer
gesprochen hatte? Damals im Laden?
Wie schön war es da doch gewesen, hell und freundlich,
voller Leben und neugieriger Menschen.
Wie lange das schon her zu sein schien.
Aber seine herbe Vetiver-Ader und seine souveräne Rosigkeit
würden schon helfen, mit der Situation fertig zu werden.
Und vielleicht, wer weiß, käme sein Besitzer ja irgendwann
auf die Idee, ihn mal wieder hervorzuholen.
Davon würde Vetyverio von jetzt an träumen.
bezahlten, die anderen rissen sich von den Regalen los und
schlenderten Richtung Ausgang. Allmählich leerte sich das
Geschäft. Schließlich gingen auch die Verkäufer, die Glastür
wurde verschlossen und das Gitter herabgelassen.
Langsam verebbten die Stimmen und Geräusche des Tages
in der Ferne und mit einem Mal lag die Parfumerie verlassen
und still im Dämmerlicht.
Aber es dauerte nicht lange, da regte sich Leben in den Räumen
und es begann zu flüstern und raunen und knispern.
„Viel hätt‘ nicht gefehlt und das Blondchen hätt‘ mich mit-
genommen…“, sagte eine weiche Stimme. Sie kam gerade aus
dem Diptyque-Regal und gehörte der stolzen Madame
Eau Duelle. „Na, morgen kauft sie mich, da bin ich mir
vanillesicher“, fuhr sie fort - und das war durchaus recht ein-
gebildet, auch wenn es vielleicht stimmen mochte.
„Ach, ich weiß gar nicht ob ich überhaupt in so ein Heim
möchte… womöglich ins Badezimmer, wo primitives,
unsensibles Deo-Volk das Sagen hat…“, bemerkte ein etwas
zu leise, fast feige klingender Herr namens Philosykos.
Dann schwiegen alle kurz, denn ein leises, unterdrücktes
Schluchzen war zu hören.
„Was hast du denn nur? Schon wieder Fernweh?“, fragte
der kecke Dandy Habit Rouge aus dem Regal schräg gegenüber.
Natürlich wussten alle, wer da schluchzte – natürlich wieder
der kleine Vetyverio.
„Ach weh, mich kauft wohl keiner mehr! Niemals komm‘
ich in ein Parfumheim, werde niemals verehrt und zum
Ausgehen mitgenommen, nie geliebt und bewundert…“
„Ach, du kleines Dummchen! Du hast doch die besten
Anlagen“, erwiderte der Nachbar von Habit Rouge,
das rüstige, muntere und ebenfalls adlige Vetiver von Guerlain.
„Bist ja fast verwandt mit mir, nur ein bisschen
verweichlichter…“
Mit einem Male mischte sich der Feudel, der gleich daneben
in seinem Putzeimer stand, ins Gespräch. Er hatte einiges zu
sagen, denn er war schon viel herumgekommen und dazu
ein bodenständiger Typ, den alle schätzten.
„Mein lieber Vetyverio, ich will dir mal was sagen. Du bist
ein spezieller Charakter, das weißt du doch! Du hast den Zauber
der Vetiverwurzel genauso wie den der Rose im Leib,
bist ein kleiner Querkopf mit herbem Schrubber-Charme
und auch ein samtig-lappenweicher Schmeichler. Das gibt’s
nicht oft! Freu dich deines Lebens und deiner Besonderheit!“
„Ich will aber versprüht werden! Ganz viel! Und…
„Das sind nur deine unreifen Grapefruit-Flausen! Genieß‘
was du hast, hier bei deinesgleichen, so lange du’s noch
kannst…“
„Hört euch diese Normalos an, was für ein einfaches Fußvolk,
ohne jede Eleganz und gesundem Hochmut, wie ordinär,
n’est ce pas?…“
Das kam hinten aus dem Tom Ford-Privat-Blend Altar, es war
wohl wieder das etwas eingebildete Oud Wood, das zu gern
mooserte. Dabei kannte es echtes Moos nur vom Hörensagen.
Und dann kam der große Tag. Ein junger Mann im nachtblauen
Duffle Coat griff sich unser Vetyverio und ging flugs mit ihm
zur Kasse. Er kannte es wohl schon – und darüber freute
sich Vetyverio mindestens ebenso, wie über den feinen,
sicher sehr reichen Jüngling, dessen dunkler Mantel so gut zum
schwarzen Vetyverio Eau de Parfum-Outfit passte.
Er wurde in eine dunkle Tasche gesteckt und in schrecklich
holprigem Auf und Ab ging es auf und davon,
weg von seinen lang vertrauten Brüdern und Schwestern.
Aber dann wurde es ganz hell und er wurde ausgepackt und
auf einen Tisch gestellt. Der junge Mann kam ganz nah, erhob
ihn und sprühte sich etliche mal über seinen Hals und den
schneeweißen Hemdkragen.
„Aaah…“ sagte er, „hmmm…“ und auch „herrlich…“.
Vetyverio wollte schier vergehen vor Freude.
Dann schrieb der junge Mann etwas in ein Heft, dabei
murmelte er vor sich hin, aber Parfums hören alles und
deutlich vernahm Vetyverio:
…erstaunliche Etude in Grün… das helle Grün des oberirdischen
Vetivers wird hier mehr konterkariert von den rauchig-dunklen Erdwurzelklängen des tiefen Vetivers, viel deutlicher als im Edt.
Bevor aber unangenehme Assoziationen wie Gummi oder
Schmutzigkeit aufkommen können, gesellt sich zunächst eine
blattgrüne Blumen-Zartheit dazu, hell und sonnig, dann schließlich
die ganze dazugehörige Rose. Weich und schmeichlerisch, fast
etwas süß, jedenfalls elegant wirkt das. Und es passt auch ganz
gut zur zweiten Melodie, die leiser im Hintergrund der Duft-
entwicklung mitklingt – die einer fein-fruchtigen Zitrik, eben-
falls eher grün, fast unreif. Sie changiert um die hellgrünen,
grasigen Vetivernoten herum und bildet natürlich einen
weiteren reizvollen Gegensatz zu den rauchigen Vetiver-
Aspekten…
Jetzt wurde der Stift auf Seite gelegt.
Dann griff die Hand des jungen Mannes erneut nach Vetyverio
und der freute sich – schon wieder sollte er versprüht werden.
War das nicht ganz außerordentlich?
Aber stattdessen wurde er ein Stück durch’s Zimmer getragen
und dann in einen Schrank gestellt, die Tür quietschte, Rumms
machte es, dann war sie zu und Vetyverio stand im Dunklen.
Langsam gewöhnten sich seine Moleküle an das spärliche
Restlicht und er merkte, dass er nicht allein war.
„Willkommen auf dem Friedhof der Dufttiere“,
sagte ein klotziger Herr ganz in schwarz gekleidet, der sich
als Encre Noir vorstellte.
„Ach, du alte Iso-E-Super-Schleuder, mach dem Neuen doch
nich‘ gleich Angst…“
Der das sagte, trug auch von Kopf bis Fuß Schwarz, war aber
schlanker und nannte sich Antaeus.
„Aber Onkel Noir, ist das denn Euer Ernst?“, fragte Vetyverio
kleinlaut.
„Ach gib‘ nichts auf den, der riecht sich selber gern und ist
gar nicht so grimmig wie er tut…“, sagte Antaeus. „Aber eins
stimmt schon, viele von uns kommen hier monatelang nicht
mehr raus… man gewöhnt sich dran!“
„Oh je…“, sagte Vetyverio.
„Ach was, wir sind hier fast 40 Mann! Bzw. Frau!“
Der gut aussehende, abenteuerlich-optimistische lächelnde
Devin rückte näher an Vetyverio heran.
Oder bildete es sich das nur ein?
„Wir sind hier eine ganz lustige Gesellschaft, du wirst schon
sehen…“ ergänzte Devin forsch.
„Ja, ja, vor allem ihr K.R.s, ihr seid ja eh ‘ne Sorte für sich,
aber ‘ne liebenswerte, find‘ ich“, sagte Frau Diorissimo.
„Was heißt denn K.R.?“, fragte Vetyverio.
„Na, das sind die Kaum Reformulierten, eine Kaste für sich,
aber zum Glück alle sehr lieb. Die Bernard-Chant-Kinder
zum Beispiel. Ich gehör‘ ja leider nicht dazu…“ Ein Seufzer des
Bedauerns löste sich von Diorissimos Sprühkopf.
„Aber man gewöhnt sich dran!“ rief von hinten Herr Fahrenheit.
„Heut‘ Abend laden übrigens die Hèrmes-Düfte zum Faubourg
St.Honorè-Schwänke-Lauschen ein…“
„Da musst du auch dabei sein, du cremiger Neuling!“, rief
der quirlige Lalique White, „du hast doch noch nichts vor?“
„Äh, nein, nicht direkt…“
„Gut, gut, ich würde mich freuen, wenn Sie… oder darf ich
„du“ sagen…?“
Vetyverio erschrak ein wenig. Aber nett war er ja, der White.
Oder war es die White?
Na ja, spielte das eine Rolle?
Jedenfalls war hier drin wenigstens bisschen was los.
Er würde das Beste draus machen müssen.
War das wohl diese „Lebenskunst“, von der Jaipur immer
gesprochen hatte? Damals im Laden?
Wie schön war es da doch gewesen, hell und freundlich,
voller Leben und neugieriger Menschen.
Wie lange das schon her zu sein schien.
Aber seine herbe Vetiver-Ader und seine souveräne Rosigkeit
würden schon helfen, mit der Situation fertig zu werden.
Und vielleicht, wer weiß, käme sein Besitzer ja irgendwann
auf die Idee, ihn mal wieder hervorzuholen.
Davon würde Vetyverio von jetzt an träumen.
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