28.10.2012 - 19:11 Uhr

Siebter
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Siebter
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Die Bernsteinblume
Diptyque gehört zu den tradionsreichen Nischenhäusern, 1961 wurde das erste Ladengeschäft am Boulevard Saint Germain eröffnet, wo zunächst verschiedene Stoffe, dekoratives Handwerk und aus England importierte Eaux de Toilette verkauft wurden. Später kamen Duftkerzen hinzu, seit 1968 stellt Diptyque eigene Parfums und Seifen her. Schon früh wurde Neuland beackert: alle Düfte von Diptyque sind und waren unisexoid, nicht selten werden starke Kontraste heraufbeschworen und mit Vinaigre de Toilette warf Diptyque bereits 1975 einen Duft auf den Markt, den man auch als beherztes "Fuck you!" in Richtung herkömmliche Duftkonzepte interpretieren kann.
Diesem Duft liegt ein klares Konzept zugrunde: es handelt sich um den Versuch, den olfaktorischen Eindruck des bereits genannten Ladengeschäfts in Flaschen zu bannen. Diese Herangehensweise wurde von Olivier Pescheux umgesetzt, der seit etwa fünf Jahren regelmäßig für Diptyque arbeitet, aber auch schon Düfte für Dior und Lanvin einerseits sowie Heidi Klum und Paco Rabannes 1 Million andererseits erschaffen hat. Viel Liebe scheint in diesen Duft geflossen zu sein, dies suggeriert zumindest der anspielungsreiche Flakon mit Kerzendocht-Sprühschlauch, einer siegelartigen Magnetkappe aus Bakelit und dem niedlichem Stoffsäckchen, in dem der Flakon steckt. Es entsteht der angenehme Eindruck, ein persönliches Kleinod in der Hand zu halten.
34BSG wartet mit ganzen Lastwagenladungen unterschiedlicher Noten auf, Diptyque gibt an, über 40 Rohmaterialien für diesen Duft verwendet zu haben: zitrisches ist dabei, holziges ebenfalls, das Feigenblatt wird herangezogen sowie Patschouli, Rose, Tuberose, Veilchen, Eukalyptus, Benzoe, Kardamom, Zimt, Gewürznelke und überhaupt: Gewürze! Man muss aufpassen, wenn man keinen Baustein auslassen möchte. Als ich diesen Duft das erste mal testete, kannte ich die Duftpyramide nicht und das erste Wort, welches mir in den Sinn kam war: Chaos. Würzig und mit kräftiger Melisse sprang mich der Duft zunächst an, das Holz war bereits zu erahnen, ebenso das Feigenblatt und recht kräftige florale Noten, mit denen ich nicht selten auf Kriegsfuß stehe - obwohl dieser Duft eigentlich rein gar nichts mit dieser Art von Düften gemein hat, erinnerte mich das Ganze zunächst an Männerdüfte der 70er und 80er Jahre; kakophonisch, überladen, irgendwie würzig und ziemlich old fashioned. Nicht mein Stil.
Trotzdem kehrte ich immer wieder zu diesem sich mir zunächst so biestig präsentierenden Duft zurück. Irgendwann wurde mir bewusst, dass diesem Duft eine Komponente fehlte, die mir klassische Herrendüfte fast immer verleidet: er ist nicht grob, sondern bis zur Perfektion ausbalanciert. Olivier Pescheux schafft es, eine unüberschaubare Vielfalt an Dufteindrücken zu bündeln, sie in harmonischen Einklang zu bringen und sie dennoch für sich scheinen zu lassen. Es ist schwierig, diesen Duft zu beschreiben und dabei allen Facetten gerecht zu werden; wenn ich dies hier versuche, bitte ich die geneigten Leser, immer im Hinterkopf zu behalten, dass dieser Duft im gesamten Verlauf ausgewogen und sanft ist, auch wenn es sich hier zum Teil liest, als würden olfaktorische Feuerwerke abgebrannt werden. 34BSG drängelt nicht, seine eigenwillige Präsenz belebt das Gemüt, ohne zu nerven.
Diptyque weist auf ein Chypre-Gerüst hin, und wenn man nicht dogmatisch ist, kann man diesen Duft durchaus als floralen Chypre bezeichnen. 34BSG startet mit einer zitrisch-fruchtigen Eröffnung; Melisse und Johannisbeere dominieren mit spritziger Frische, zu der sich bald das Feigenblatt gesellt, welches mit seiner weichen und leicht süßen Cremigkeit einen sanften Kontrapunkt setzt. Dies wiederum kontrastiert mit den Gewürznoten, die sich nach rund fünf Minuten zeigen - Zimt und Kardamom empfindet meine Nase als vordergründig, aber auch sie bleiben nicht lang allein, die floralen Zutaten zeigen sich nach etwa einer viertel Stunde, Eukalyptus noch einen Tick früher. Ich möchte darauf hinweisen, dass ich hier keinen kompletten Duftverlauf beschreibe, sondern die ersten Minuten nach dem Aufsprühen und außerdem wiederholen, dass auch diese Phase bereits sehr harmonisch ist und nur denjenigen überfordern wird, der sich allzu verkopft diesem Duft widmet. Die verwendeten Noten erscheinen nicht mal entfernt synthetisch und sie sind fein aufeinander abgestimmt.
Als zitrische Komponente zieht sich die Melisse bis zur Basis, in der Herzphase assistiert sie dem nun auftretenden Strauß floraler Noten. Eine leichtfüßige Tuberose und die Rose erscheinen als frische Blüten, tief, anheimelnd und gleichsam aufhellend schmeicheln sie der Nase, aber da sind noch andere florale Mitspieler: eine abstrakte Anmutung getrockneter Blumen, welche die crispness der nun in den Hintergrund tretenden Gewürze weiterführen. Dieser Duft ist abwechslungsreich und widersprüchlich: immer wieder begeistert mich die Ausgewogenheit und Geschlossenheit dieses Dufts, und immer wieder erstaunt mich, wie einzelne Zutaten bisweilen hervortreten, um sich ein wenig länger im Nasenspotlight aufzuhalten. Stellt Euch ein transparentes Kartenspiel vor, welches laufend von neuem auffächert wird, um dann wieder eine farbliche Einheit zu bilden.
34BSG ist nicht avantgardistisch. Sein grundsätzlicher Charakter ist klassisch. Dies ist kein herausfordernder Duft, dazu sind die einzelnen Phasen zu schmeichelnd. 34BSG ist eine großartige Wahl für Ausstellungen oder einen Theaterbesuch. Von Altersfreigaben für Düfte halte ich wenig, tendenziell ist dies aber kein Parfum für ausgehfreudige Nachtküken, die hormonell aufgepeitscht über Tanzböden robben wollen, eher suggeriert er nonchalanten Luxus. Saisonal präsentiert sich 34BSG vielseitig, für mich ist dies aber vor allem ein herausragender Duft für den Herbst - warm, sanft würzig, balsamisch, im weiteren Verlauf holzig-floral, keinesfalls aber dunkel oder schwer, sondern uplifting. Kräftig genug für kühle Witterungen ist er, ich empfehle sogar eine achtsame Dosierung, auch wenn dieser Duft keine raumfüllende Sillage besitzt - aber er ist sehr präsent und dicht, für rund acht Stunden ist er ein verlässlicher Begleiter.
In der Basis werden die holzigen Anteile in den Vordergrund gestellt. Unverkennbar wurde viel Sandelholz verwendet, selten erlebe ich Holz derart butterig und balsamisch. Ich erahne auch Zeder und sehr feinen Patschouli, die crisp-floralen Noten halten sich lange und verändern sich nur wenig. Zuletzt möchte ich Benzoe nennen, der dem Duft eine leichte und elegante Süße verleiht. Sehr herbstlich, das alles, und zudem einfach wunderschön.
34BSG ist ein gelungener unisexoid. Mir erschien er zunächst eher maskulin, spätestens mit dem Auftreten der floralen Noten, die den Dreh- und Angelpunkt dieses Dufts ausmachen, gleicht sich das wieder aus. Dies ist ein Duft, der nicht zu einem Geschlecht, sondern zu einem Charakter passt, einem Charakter, der kultiviert, aufgeschlossen und entspannt ist. An Komplexität ist er kaum zu überbieten, zu keinem Zeitpunkt wirkt diese Komplexität aber gewollt oder bemüht, sondern bleibt stets elegant und dabei distinguiert. Keine seiner Phasen wird ein überraschtes "Wow!" erklingen lassen oder gar das Geräusch droppender panties, seine herausragende Qualität liegt in seiner unfassbaren Liebe zum Detail, in seinem interessanten Duftverlauf und den über jeden Zweifel erhabenen Zutaten.
Wirklich ein sehr feiner Duft.
Diesem Duft liegt ein klares Konzept zugrunde: es handelt sich um den Versuch, den olfaktorischen Eindruck des bereits genannten Ladengeschäfts in Flaschen zu bannen. Diese Herangehensweise wurde von Olivier Pescheux umgesetzt, der seit etwa fünf Jahren regelmäßig für Diptyque arbeitet, aber auch schon Düfte für Dior und Lanvin einerseits sowie Heidi Klum und Paco Rabannes 1 Million andererseits erschaffen hat. Viel Liebe scheint in diesen Duft geflossen zu sein, dies suggeriert zumindest der anspielungsreiche Flakon mit Kerzendocht-Sprühschlauch, einer siegelartigen Magnetkappe aus Bakelit und dem niedlichem Stoffsäckchen, in dem der Flakon steckt. Es entsteht der angenehme Eindruck, ein persönliches Kleinod in der Hand zu halten.
34BSG wartet mit ganzen Lastwagenladungen unterschiedlicher Noten auf, Diptyque gibt an, über 40 Rohmaterialien für diesen Duft verwendet zu haben: zitrisches ist dabei, holziges ebenfalls, das Feigenblatt wird herangezogen sowie Patschouli, Rose, Tuberose, Veilchen, Eukalyptus, Benzoe, Kardamom, Zimt, Gewürznelke und überhaupt: Gewürze! Man muss aufpassen, wenn man keinen Baustein auslassen möchte. Als ich diesen Duft das erste mal testete, kannte ich die Duftpyramide nicht und das erste Wort, welches mir in den Sinn kam war: Chaos. Würzig und mit kräftiger Melisse sprang mich der Duft zunächst an, das Holz war bereits zu erahnen, ebenso das Feigenblatt und recht kräftige florale Noten, mit denen ich nicht selten auf Kriegsfuß stehe - obwohl dieser Duft eigentlich rein gar nichts mit dieser Art von Düften gemein hat, erinnerte mich das Ganze zunächst an Männerdüfte der 70er und 80er Jahre; kakophonisch, überladen, irgendwie würzig und ziemlich old fashioned. Nicht mein Stil.
Trotzdem kehrte ich immer wieder zu diesem sich mir zunächst so biestig präsentierenden Duft zurück. Irgendwann wurde mir bewusst, dass diesem Duft eine Komponente fehlte, die mir klassische Herrendüfte fast immer verleidet: er ist nicht grob, sondern bis zur Perfektion ausbalanciert. Olivier Pescheux schafft es, eine unüberschaubare Vielfalt an Dufteindrücken zu bündeln, sie in harmonischen Einklang zu bringen und sie dennoch für sich scheinen zu lassen. Es ist schwierig, diesen Duft zu beschreiben und dabei allen Facetten gerecht zu werden; wenn ich dies hier versuche, bitte ich die geneigten Leser, immer im Hinterkopf zu behalten, dass dieser Duft im gesamten Verlauf ausgewogen und sanft ist, auch wenn es sich hier zum Teil liest, als würden olfaktorische Feuerwerke abgebrannt werden. 34BSG drängelt nicht, seine eigenwillige Präsenz belebt das Gemüt, ohne zu nerven.
Diptyque weist auf ein Chypre-Gerüst hin, und wenn man nicht dogmatisch ist, kann man diesen Duft durchaus als floralen Chypre bezeichnen. 34BSG startet mit einer zitrisch-fruchtigen Eröffnung; Melisse und Johannisbeere dominieren mit spritziger Frische, zu der sich bald das Feigenblatt gesellt, welches mit seiner weichen und leicht süßen Cremigkeit einen sanften Kontrapunkt setzt. Dies wiederum kontrastiert mit den Gewürznoten, die sich nach rund fünf Minuten zeigen - Zimt und Kardamom empfindet meine Nase als vordergründig, aber auch sie bleiben nicht lang allein, die floralen Zutaten zeigen sich nach etwa einer viertel Stunde, Eukalyptus noch einen Tick früher. Ich möchte darauf hinweisen, dass ich hier keinen kompletten Duftverlauf beschreibe, sondern die ersten Minuten nach dem Aufsprühen und außerdem wiederholen, dass auch diese Phase bereits sehr harmonisch ist und nur denjenigen überfordern wird, der sich allzu verkopft diesem Duft widmet. Die verwendeten Noten erscheinen nicht mal entfernt synthetisch und sie sind fein aufeinander abgestimmt.
Als zitrische Komponente zieht sich die Melisse bis zur Basis, in der Herzphase assistiert sie dem nun auftretenden Strauß floraler Noten. Eine leichtfüßige Tuberose und die Rose erscheinen als frische Blüten, tief, anheimelnd und gleichsam aufhellend schmeicheln sie der Nase, aber da sind noch andere florale Mitspieler: eine abstrakte Anmutung getrockneter Blumen, welche die crispness der nun in den Hintergrund tretenden Gewürze weiterführen. Dieser Duft ist abwechslungsreich und widersprüchlich: immer wieder begeistert mich die Ausgewogenheit und Geschlossenheit dieses Dufts, und immer wieder erstaunt mich, wie einzelne Zutaten bisweilen hervortreten, um sich ein wenig länger im Nasenspotlight aufzuhalten. Stellt Euch ein transparentes Kartenspiel vor, welches laufend von neuem auffächert wird, um dann wieder eine farbliche Einheit zu bilden.
34BSG ist nicht avantgardistisch. Sein grundsätzlicher Charakter ist klassisch. Dies ist kein herausfordernder Duft, dazu sind die einzelnen Phasen zu schmeichelnd. 34BSG ist eine großartige Wahl für Ausstellungen oder einen Theaterbesuch. Von Altersfreigaben für Düfte halte ich wenig, tendenziell ist dies aber kein Parfum für ausgehfreudige Nachtküken, die hormonell aufgepeitscht über Tanzböden robben wollen, eher suggeriert er nonchalanten Luxus. Saisonal präsentiert sich 34BSG vielseitig, für mich ist dies aber vor allem ein herausragender Duft für den Herbst - warm, sanft würzig, balsamisch, im weiteren Verlauf holzig-floral, keinesfalls aber dunkel oder schwer, sondern uplifting. Kräftig genug für kühle Witterungen ist er, ich empfehle sogar eine achtsame Dosierung, auch wenn dieser Duft keine raumfüllende Sillage besitzt - aber er ist sehr präsent und dicht, für rund acht Stunden ist er ein verlässlicher Begleiter.
In der Basis werden die holzigen Anteile in den Vordergrund gestellt. Unverkennbar wurde viel Sandelholz verwendet, selten erlebe ich Holz derart butterig und balsamisch. Ich erahne auch Zeder und sehr feinen Patschouli, die crisp-floralen Noten halten sich lange und verändern sich nur wenig. Zuletzt möchte ich Benzoe nennen, der dem Duft eine leichte und elegante Süße verleiht. Sehr herbstlich, das alles, und zudem einfach wunderschön.
34BSG ist ein gelungener unisexoid. Mir erschien er zunächst eher maskulin, spätestens mit dem Auftreten der floralen Noten, die den Dreh- und Angelpunkt dieses Dufts ausmachen, gleicht sich das wieder aus. Dies ist ein Duft, der nicht zu einem Geschlecht, sondern zu einem Charakter passt, einem Charakter, der kultiviert, aufgeschlossen und entspannt ist. An Komplexität ist er kaum zu überbieten, zu keinem Zeitpunkt wirkt diese Komplexität aber gewollt oder bemüht, sondern bleibt stets elegant und dabei distinguiert. Keine seiner Phasen wird ein überraschtes "Wow!" erklingen lassen oder gar das Geräusch droppender panties, seine herausragende Qualität liegt in seiner unfassbaren Liebe zum Detail, in seinem interessanten Duftverlauf und den über jeden Zweifel erhabenen Zutaten.
Wirklich ein sehr feiner Duft.
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