Unterlaender

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1 - 5 von 6
Unterlaender vor 3 Jahren 17 5
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Flakon
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Sillage
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Haltbarkeit
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Duft
Ein zeitloser Charakterkopf
Manches Mal hat es auch was für sich, wenn man schon die 30, die 40, und, äh...ja, auch die 50 überschritten hat. Denn wir KInder der 80er Jahre, dieser bekloppten wie wegweisenden und einzigartigen Dekade, hatten auch das Glück, Düfte kennenzulernen, die es heute in dieser Vielschichtigkeit und Komplexität nicht mehr gibt.

Einer davon ist der allererste Duft aus dem Hause Adidas, und der erschien gerade zur rechten Zeit, um mir als mein erster "richtiger" Duft (nach olfaktorischer Warmlaufphase mit Hattric, Pitralon, Sir Irisch Moos und Champaca) den Weg in den Olymp der Düfte zu ebnen. Ich hatte mir gerade eine fabrikneue Vespa zusammengespart gehabt, und zu diesem puddinggelben Flitzer musste auch das passende modische Outfit her!

Turnschuhe zum Roller? How disgusting! Also fand ich in einem Heilbronner Schuhladen die passenden Slipper von Adidas, und als ich noch munter vor mich hinpubertierendes Pickelgesicht zahlte, meinte die nette Verkäuferin noch "Wellet se au a Pröble, Adidas macht jetzt au Duftwasser!" (also, auf Deutsch: "Wären Sie einer Duftprobe des neuen Odeurs aus dem Hause Adi Dassler gegenüber nicht abhold?") Ich nahm die Phiole gerne an und testete anderntags den Duft. Was soll ich sagen? Er verzauberte mich vom ersten Augenblick an -- und tut es, mit einigen langen, ja - sehr langen, viel zu langen -- Durststrecken ohne ihn immer noch.

Das Zusammenspiel zwischen der zitrischen Komponente und den grünen Elementen gleich zu Beginn, dazu eine Prise Orientalisches, eine Schippe Lavendel und alles schön pudrig wiewohl süßlich, aber niemals auch nur in etwa dem olfaktorischen Zuckerschock-Overkill nahe breitet der klassische Adidas eine weitgefächerte Opulenz aus, die nie nervig wird. Die Herznote lässt dann alles etwas sacken, der Duft mäandert in ruhigerem Fahrwasser in Richtung florale Anleihen, verstärkt durch Moos und Tonkabohne. Zum Schluss bildet vor allem noch und wieder die zitrische Komponente einen Ausklang nach Maß, und die Zeder fächelt zum Happy End noch einige nadelhölzern-warm-sinnliche Abschiedsgrüße zu. Dies aber erst Stunden später. Viele, viele Stunden später!

Adidas Classic (der seinerzeit nie so genannt wurde, wie auch beim VW Käfer dies nie offiziell so auf dem Motordeckel stand!) war ein Kind seiner Zeit, günstig im Preis und doch nie billig im Sinne von heutigen Drogerie-Düften, die entweder wie Duschgel oder Deo riechen oder nur nach Alkohol plus irgendeiner x-beliebigen Wochenschau der gerade habhaften Synthetik-Kopfschmerzverursacher, die die Putzfee vom Boden zusammengefegt hat, sondern Adidas war eine Blaupause für einen sauberen, klar strukturierten und doch ein bisschen von der Leine gelassenen Biedermann, der sich auch durchaus mal auf die Brust trommeln kann. Eine Perle der Parfümeurkunst, ein Duft, der viel zu früh von uns ging, um seiner schrecklichen Mischpoke mit gleichem Nachnamen unverdienterweise die Bühne zu überlassen!
5 Antworten
Unterlaender vor 3 Jahren 15 7
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Flakon
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Sillage
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Duft
Ein Gigant -- für immer geheimnisvoll
Für diese Exkursion nehmt bitte alle eine Taschenlampe mit, denn wir gehen in den Wald. Nicht in den typisch deutschen Mischwald, sondern in den, sagen wir mal, Schwarzwald. Und zwar dorthin, wo nur die Nadelbaumriesen wachsen, kommt mit ins dunkle, nachtschwarze Unterholz, wo Farne und Moose gedeihen und es auch an heißen Sommertagen angenehm kühl ist, weil auch der kräftigste Sonnenstrahl nicht so weit reicht.

Kommt mit dorthin, wo euch wegen der feuchten Luft die Brille beschlägt -- hier ist er zu Hause, Davidoffs Meisterwerk "Relax". Ein geheimnisvoller Zauberer, ein betörender Magier, der nach Moos, nach Holz und auch ein gutes Stück nach Waldmeister duftet. Der ungeniert Vanille ins Spiel bringt, als wir uns gerade in Sicherheit lullen, alle Ingredienzien ausgemacht zu haben. "Relax" schlägt Haken, auch weiterhin, denn Geranium und Rosmarin hissen die Flagge, Tonkabohne, Sandelholz. Galbanum schaut vorbei. Jasmin gibt sich die Ehre, ziert sich aber etwas. Dafür haut Bergamotte in die Kerbe.

Der kleine Sartyr, der auch auf der Rückseite der Flakons abgebildet ist, hat mittlerweile, aus dem Nichts erschienen, den Monsterduft bestiegen und reitet dieses wilde Tier in Richtung Dunkelheit, tiefer und tiefer hinein in den Forst, wohin keine unserer Taschenlampen wird folgen können. Funken sprühen, dunkelgrün-schwarze Funken, die nach Fichtennadeln duften, nach Brombeeren, Heidelbeeren, nach Flechten und Tannenreisig. Nach Waldhonig und Morgenfrische. Nach ledrigem Herbstnachmittag und klirrendem Winterhauch.

Wir stehen geschockt ob der Performance soeben inmitten der unendlichen stillen Düsternis und blicken mit offenen Mündern hinterher, stammeln Assoziationen, hecheln die Inhaltsstoffe herunter, die wir meinten, vernommen zu haben. Doch egal, was wir denken, was wir sagen und meinen, was wir glauben und wünschen, uns herbeisehen -- wir alle haben ihn nicht verstanden, wieder mal nicht, wahrscheinlich haben wir ihn nie verstanden, kapiert -- und wenn dann doch, nur allerhöchstens ansatzweise.

Nun ist er weg. Schon sehr lange weg. Schmerzlich lange. Und es sieht nicht danach aus, als würde er nochmals wiederkehren. Schade, sehr schade. Obwohl -- wir würden ihn ja doch wieder nicht ermessen in seiner gigantischen Größe. Er bleibt ein Faszinosum. Und wird immer geheimnisvoll bleiben. Vielleicht aber gab es den "Relax" auch nie und wir haben alle nur gemeinsam von ihm geträumt???
7 Antworten
Unterlaender vor 3 Jahren 5 1
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Flakon
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Sillage
8
Haltbarkeit
9
Duft
Free Life -- letztes positives Aufbäumen im Hause Aigner
Leute, gäbe es ihn noch, "Free Life" wäre noch vor dem genialen No 2 mein Signature-Duft! Zwei Dinge gleich vorweg -- ja, Ähnlichkeiten mit dem Zino von Davidoff sind nicht von der Hand zu weisen, obwohl dieser, ein Jahr vor Free Life erschienen, etwas erdiger, krautiger ist. Und zweitens -- ich fand den Flakon, vor allem jenen der ersten Serie mit dem lilafärbig satinierten Glas, dem lichtgrauen Käppi und der giftgrünen Schrift so was von Achtziger, dass er mir auch heute noch gefällt.

Wie gesagt, ich kannte ihn noch vor Zino, und ich liebe ihn noch heute. Das hat viel mit Sentimentalität zu tun, denn in den vergangenen gut 20 Jahren wurde er immer rarer und wird mittlerweile, wie so viele Old-School-Düfte, nachgerade mit Gold aufgewogen. Nochmals schnell zum Thema Sentimentalität -- ich hatte ihn an mir, als ich im April 1989 beim Abi-Ball meinen dann gewesenen Schulkamerad*innen tschüs sagen musste, hatte ihn an mir, als meine Schwester und Jahre später mein bester Freund heiratete und trug ihn, mittlerweile schon zur Rarität geadelt, am Tag der Geburt meines Töchterchens und wenige Monate später bei deren Taufe.

Was gefällt mir nach wie vor und das nach 33 Jahren an dieser olfaktorischen Dampframme aus dem Hause Aigner so gut? Es ist dieses unkomplizierte "Ich bin Free Life, dein Kumpel. Bin ein echter Bruder Leichtfuß, immer zu Späßen bereit und biete dir das tägliche Quantum an guter Laune inklusive". Yep. Das können wir so stehen lassen.

"FL" ist eine ausgewogene Mischung aus Bergamotte, Lavendel und zitrischen Noten, zu denen sich in der Herznote dann noch ordentlich Vanille und Tonkabohne hinzugesellt, auch Patschuli erhebt, wenn auch nur etwas schüchtern, sein Stimmchen. Zum Ende hin wird es ein letztes Mal pudrig, süßlich, aber nicht ZU süßlich. Ein letztes Mal deshalb, weil mit "FL" -- aus rein subjektiver Sichtweise -- die große Ära der Aigner-Düfte endete. Bald, wenige Jahre später, wurde "FL" und seine Powerhouse-Giganten wie Sport Fragrance, Silver, Super Fragrance und Urahn No 1 zu Grabe getragen. Was dann -- mit Ausnahme meines, siehe oben, all-time-favorite NO 2 -- unter der Flagge Aigner segelte, war ehrlich gesagt schade um den Alkohol, der dafür verwendet wurde und Rufschädigung für eine nach wie vor große Marke.

Ich schätze mich glücklich, neben zwei vollen Minis noch einen 30ml-Flakon der ersten Serie zu besitzen, und dennoch werde ich diesen Breitband-Verführer erst wieder zu einem ihm würdigen Anlass auftragen (Hochzeit, Taufe, Weltfrieden, mein 100. Geburtstag in 48 Jahren etc pp). Peace!
1 Antwort
Unterlaender vor 3 Jahren 6 2
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Flakon
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Haltbarkeit
10
Duft
Eine zu Unrecht vergessene Perle
Als "Frischling", was Parfumo-Kommentare betrifft, ist es mir ein Anliegen, den ersten Kommi zum John Player Special EdT zu schreiben. Kurioserweise scheint diesen Duft niemand (mehr) auf dem Radar zu haben, was unendlich schade ist. Ich begegnte ihm zum ersten Mal an meinem 19. Geburtstag, als ich in einer Parfümerie in der Nachbarstadt ihn prominent positioniert sah und somit annehme, dass er kurz vorher -- wir schreiben den 21. April 1988 -- erschienen sein muss.

Der Auftakt -- die Kopfnote -- ist zitrisch-würzig, Zitrone und Bergamotte stürmen nach vorn wie junge Konzertbesucherinnen bei einem "Backstreet Boys"- oder "Take That"-Konzert in den frühen 90ern in Richtung Bühne. Doch gleichzeitig holt das in Rückstand geratene Holz, das am Start noch nicht so recht aus dem Quark kam, sein Lasso aus dem Köcher und fängt die beiden ein, um nun gemeinsam zunehmend balsamisch-pudrig fortzschreiten.

Auf ihrem weiteren Weg nehmen sie noch etwas Minze und Salbei mit, und lassen es dann erst mal sacken. Viel tut sich im Mittelteil in der Herznote dann nicht (mehr), der Duft verweilt auf einem qualitativ hohen und guten Niveau und dies bis zum Ende, bleibt schön geradlinig ohne große Überraschungen, dafür aber immer auf dem Würzholz-Zitrone-Trampelpfad.

Erst zum Schluss tritt in der Basisnote nochmals etwas Verbene und Lavendel, vielleicht auch eine Ahnung Rose auf und begleitet die nun etwas müde gewordenen Ingedienzien helfend unterhakend in den Sonnenuntergang. Morgen ist ja auch noch ein Tag...

Die Firma Straub aus Wertheim stellt auch heute noch Düfte unter der JPS-Markenlizenz her, aber keiner von diesen kommt auch nur annähernd an diesen Kracher aus den 80ern heran. Wer ihn heute noch mit viel Glück ergattern kann, dem gratuliere ich und gönne ihm den JPS von Herzen. Der Flakon bekommt in all seiner Bauhaus-Nüchternheit volle 10 Punkte, da er einfach zu diesem gleichwohl edlen wie geradlinigen Duft passt!
2 Antworten
Unterlaender vor 3 Jahren 6 4
7
Flakon
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Sillage
10
Haltbarkeit
9.5
Duft
Ein komplexer Charakter
"Mein Name ist Silver. Aigner Silver" sagte er. Was heißt hier, sagte? Er redete nicht, er dröhnte, stand breitbeinig vor mir, großspurig wie ein Cowboy beim High Noon, bleckte sein Gebiss, grinste mir irgendwie unsympathisch ins Gesicht und nebelte den Raum in eine nicht enden wollende Wolke von Weihrauch ein.

"Darf ich reinkommen?", bellte dieser Silver. Nun gut, ich bin ja kein Unmensch, dachte ich, ich mag ihn irgendwie nicht, aber ich biete ihm dennoch etwas zu trinken an. Dann setzte er sich, schien plötzlich zu Ruhe zu kommen, er wirkte mit einem Mal milder, lächelte statt zu grinsen und sagte in ungewohnt ruhiger Manier: "Tut mir leid, sollte ich dich eben etwas aus dem Konzept gebracht haben. Aber wer sich mit mir arrangieren möchte, den prüfe ich zunächst!" Aha. Ich wusste nicht, worauf er hinauswollte, aber zu dem zunächst übermächtigen Weihrauchduft, der langsam mehr und mehr in den Hintergrund rückte, gesellte sich mit einem Mal Moschus hinzu, etwas Leder, eine Ahnung von afrikanischem Rotholz, Amber und, ja, ein Hauch Patschuli und etwas Galbanum.

Er wurde immer entspannter, dieser Silver, und schon bald plauderten wir angeregt miteinander, er entpuppte sich als Gentleman, als den ich ihn anfangs bestimmt nicht angesehen hätte, diesen großkotzigen Angeber, der er nun doch nicht war! Wir saßen und redeten und Silver wurde, im Gegensatz zu mir, nicht müde, sondern fuhr plötzlich etwas Vanille und Tonkabohne auf, ich meinte sogar Rose und ganz, ganz schwach, Jasmin zu vernehmen. Aber da waren mir wohl schon die Augen zugefallen.

Am anderen Morgen wachte ich auf. Silver hatte mir einen kleinen Zettel dagelassen mit einem Gruß, er hatte mich mit einer Decke zugedeckt und mir ein Kissen unter meinen Kopf geschoben. Und plötzlich roch ich immer noch eine kleine Ahnung Weihrauch. Er war schon lange gegangen und doch immer noch präsent!

Fazit -- in seiner unerreichten Komplexität ist dieser Powerhouse-Gigant aus dem Hause Aigner kein leichter Sparringspartner, sondern einer, mit dem man Geduld an den Tag legen sollte. Ein Duft, der aufregend ist und eher für Männer jenseits der 40 mit leicht ergrautem Haar. Ich finde es schade, dass es ihn schon so lange nicht mehr gibt, denn in diesem heutigen belanglos vor sich hinplätscherndem Meer der beliebigen Mainstream-Plörre ohne Ebbe und Flut könnte solch ein Riese als einzige Welle der Hoffnung punkten!
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