UntermWert

UntermWert

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11 - 15 von 56
UntermWert vor 2 Jahren 62 38
9
Flakon
10
Sillage
10
Haltbarkeit
9
Duft
Weihnachten im Urwald
Der Elefant hat beschlossen, im Dschungel Weihnachten zu feiern. Mit einem lauten, fruchtig-würzig-erdigen Jubelruf lädt er alle zur Party ein, und bald schon herrscht buntes Treiben. Die Stimmung ist wild und ausgelassen - Christbaumkugeln aus Kaugummi werden an den Bäumen aufgehängt, da wird mit Mangos jongliert und fröhliche Lakritzschneckchen flitzen durch einen kleinen Parcours aus Erde. Puder aus Zimtkanonen bestäubt die Menge, es wird gequietscht, gelacht und gesungen, die Kinder aller Gattungen tragen Blumen im Haar. Eine Zusammenkunft, in der jeder willkommen ist, in der die Welt vergessen werden darf, in der man bunt, einfarbig, laut, leise, lang oder kurz, pelzig, glatt oder alles zusammen sein darf - in der die Lebensfreude verbindet und man lacht, bis man sich mit Giggel-Bauchschmerzen am Boden kullert.
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Im Auftakt nehme ich zunächst insbesondere Kardamom, Mandarine und Nelke wahr, die häufig süß-schwere, gern gourmandige Winterdüfte ankündigen. Hier ist das aber neu und eigenwillig interpretiert (hier meine ich mit neu, dass ich die Zusammenstellung so noch nicht wahrgenommen habe und der Duft mir seit über 20 Jahren durchgegangen ist). Hier rieche ich keine Keksromantik oder Winterduftkerze - die für mich durchaus mal reizvoll sein können - sondern weihnachtliche, kindliche Aufregung und Neugier.
Der Duft entwickelt sich definitiv laut, ein wenig „wummsig“, fast schon ein bisschen manisch. Blüten, Früchte, Gewürze tanzen wild durcheinander, getragen von erdigem Patchouli, und ich könnte mir gut vorstellen, wenn man sich damit richtig einsprüht, dass er durchaus narkotische Qualitäten haben kann. Der latent animalische Überschwang und die besondere Inszenierung der Duftkomponenten bei Jungle lassen mich an Miguel Matos denken - so, als hätte er ein fröhlich buntes Parfüm für Kinder kreiert - oder für Menschen, die dann und wann mal mit ihrem inneren Kind in Kontakt treten möchten.

Getupft ist der Duft nicht erschlagend, sondern kann ganzjährig gute Laune verbreiten.
Er hat etwas sehr Lustvolles und ist gut geeignet als Stimmungsaufheller oder olfaktorische Begleitung an Tagen, an denen man ein bisschen drüber sein möchte.

Mit ganz liebem Dank an Seejungfrau.
38 Antworten
UntermWert vor 2 Jahren 43 30
10
Flakon
6
Sillage
7
Haltbarkeit
10
Duft
Traumgeborgenheit auf einem Hügel aus Lehm
Selbstverständnis.
Und oben in der Kugel aus Epoxidharz und Holz liegt ein kleiner Hügel aus Lehm.
Auf dem tanzt die Seele Frieden, Sicherheit und Entspannung - in Zeitlupe.
Ein flirrendes Molekül berührt uns immer fast... wie ein glänzendes Irrlicht... wie ein Flüstern ohne Worte.
Eingehüllt in unser Bettzeug treiben wir ein bisschen schlaftrunken durch die karge Landschaft aus warmem Holz und zartem Irisstaub,
ein Hauch von warmer Haut und Blütenerinnerungen bewohnt die Luft, zutiefst privat und so vertraut.
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Ergänzend zu Delightfuls zart bebilderter, an den Markengedanken angelehnter und informativer Rezension entsteht für mich beim Anblick des wunderschönen Flakons ein Eindruck von innerem Zuhausesein (Zitat Vinyldates "nicht immer sind Worte nötig, um zu verstehen"). Manchmal ist es nicht greifbar und doch absolut klar. In der Kombination von Holz und Epoxidharz entsteht eine einzigartige, kleine Landschaft, ein Zuhause, das es nur einmal gibt. Mir vermittelt der Duft ein ganz eigenes, sehr persönliches Wohlbefinden. Die Noten greifen sanft und perfekt ineinander, zwar leise, aber doch sehr präsent. Reis, Lehm und Iris lassen zu Beginn eine sanft-süße, cremige Note entstehen, nicht erdig, sondern eher wie warmer (Lehm-)Teig. Hier erinnert mich Naked Dance ganz kurz an Bois Farine, ist aber deutlich weniger "brotig" und geht dann bald - vermittelt über das flirrende Molekül - in weich-warme Holznoten über, die sich, umhüllt von weichem Moschus, zunehmend anschmiegen. Den mancherseits benannten Eindruck von Hotelbettwäsche oder Laken kann ich auch gut "hineinriechen" - dann duftet es im Verlauf wie gestärkte, heiß gemangelte Bettwäsche, in der schon jemand geschlafen hat, dessen Wärme und persönliches Echo noch da sind.

Naked Dance läßt eine sehr private und persönliche Duftaura entstehen. Gleichzeitig verletzlich und absolut sicher. Im Verlauf entwickelt sich auch der Eindruck von warmer Haut und macht den Duft m.E. zu einem Geschwisterduft von L'Air de Rien, allerdings ein Mü weniger animalisch/erotisch, weil er sich mehr als Hauch auf dem Laken "abspielt". Das Ganze ist sehr subtil, heimelig. Das Thema ist hervorragend getroffen - Zuhausesein in seiner eigenen Haut, in seinem eigenen Haus und in seiner eigenen kleinen Welt in der Epoxidharzkugel.
Man kann den Duft sicherlich jederzeit tragen, weil er nicht laut abstrahlt und man damit definitiv einfach gut riecht. Für mich aber eher für die ruhige Stunde auf meinem kleinen Lehmhügel.

Von 9,5 auf 10. Sehr berührend.

Ich empfehle unbedingt Delightfuls Rezension und all die wunderbaren Statements und darin beschriebenen glücklichen Momente.
30 Antworten
UntermWert vor 2 Jahren 22 14
6
Flakon
7
Sillage
8
Haltbarkeit
8.5
Duft
Hingabe und Führung - „Teuflische Dämpfe“
VD eröffnet bitter-würzig und tatsächlich drängt sich ein Bild von qualmendem Gummi oder kokelnden Kabeln auf, wird zunehmend weicher, würziger, ein bisschen bisschen ledrig und süßer, später harzig-holzig. Insgesamt recht unkonventionell, und man könnte sich zu recht fragen, ob man denn eigentlich so riechen möchte - und wenn, warum.

Thema der Düfte von Sous Le Manteau (slm) sind geheime Rezepturen von Liebestränken, die im 19. Jahrhundert in Frankreich hergestellt worden sein sollen 1). Wenn man diesem Gedanken folgt, dann präsentiert sich Vapeurs Diablotines direkt weniger sperrig, als er vielleicht initial wirken könnte. Die herb-spritzig mit den Kräutern (Koriander, Lorbeer) und dem Vetiver korrespondierende Mandarine kann auch ein Bild einer geheimen Apotheke in irgendeinem Gässchen in Paris entstehen lassen. Heiltränke, Kräuter, Pülverchen und Tinkturen, umgeben von Büchern mit gesammeltem Wissen über Krankheiten, Aderlässe und Fieberwickel erfüllen den kleinen Raum mit medizinisch-krautigen Aromen. Und schon ist der verbrannte Gummireifen verschwunden - ersetzt durch etwas bitter-Natürliches und auch ein bisschen Okkultes.
Dieser Eindruck hält sich vielleicht eine Weile, um dann zunehmend heller und weicher zu werden, Weihrauch, Rosengeranie und Zistrose gesellen sich dazu - und im weiteren Verlauf auch würzige (Zimt, Lorbeer, Nelke) und animalische Noten (Zibet, Bibergeil). Dem eingangs dunkel-bitteren Liebestrank werden ein paar aphrodisierende Ingredienzen beigemischt. Hier allerdings nicht lieblich, sondern rauchig und lasziv, schmiegen sich langsam mit einem sanft-süßen, harzig-holzigen Nachhall (Tonka, Benzoe, Opoponax, Styrax) an. Der Apotheker pulverisiert geduldig Zutaten in seinem Mörser, blättert in seinem altehrwürdigen, ledergebundenen Folianten und zwinkert Dir über seine Halbmond-förmige Lesebrille hinweg zu.

Laut „Personality-Test“ auf der Homepage von slm ist Vapeurs Diablotines („teuflische Dämpfe“) jenen TrägerInnen gewidmet, die auch in der Unterwerfung die Oberhand behalten und sich der Liebe und den Menschlichsein mit tiefer Einsicht nähern. Der Duft spiegelt Intimität und Blöße ebenso wie das Innehalten und die Ungeduld in Begegnungen - Hingabe und Führung. Deshalb ist er bisweilen turbulent, dann wieder ruhig. 2)
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Zusammen fassend würde ich den Duft als zu Beginn medizinisch bitter und würzig, im Verlauf pudrig-rauchig, weich und angenehm süß mit verschmitzter Animalik beschreiben. Der Duft ist definitiv eine Herausforderung und möchte, dass man sich einlässt - dann wird man mit spannenden Duftbildern belohnt. Dabei bleibt Vapeurs Diablotines absolut tragbar und für die Umgebung trotz seiner Finesse eher unaufdringlich, weil er nicht fulminant „abstrahlt“. An Frau und Herrn UntermWert parallel getestet entwickelt er sich dann doch recht unterschiedlich, aber ich erlaube mir zu behaupten, dass er uns beiden gut steht. Und immer, wenn ich mich denken höre „das könnte mir jetzt vielleicht doch zu viel werden“, fängt er mich mit irgendeinem Zauber von tiefer Vertrautheit wieder ein.

Die Duftnoten sind in den Quellen etwas unterschiedlich gelistet - z.B nehme ich Zimt und Safran wahr, Patchouli eher nicht. Aber letztendlich… egal. Testempfehlung.

Und: die Flakons begeistern mich nicht sonderlich, aber toll finde ich, dass man sie in 3 unterschiedlichen Größen bekommen kann (14, 50 und 100 ml) - eine schöne Möglichkeit, die Düfte ausgiebig kennen zu lernen und nach persönlichen Gebrauchsgewohnheiten anzuschaffen.
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1) für umfassende und sehr interessante Hintergrundinformationen zur Marke und zur Parfumeurin erweise ich auf den Eintrag in „Wissenswertes“ von Rieke2021.
2) hier habe ich mich frei auf die Duftbeschreibung auf der Webseite von slm bezogen
14 Antworten
UntermWert vor 2 Jahren 60 27
8
Flakon
7
Sillage
8
Haltbarkeit
10
Duft
Ode an Patchouli mit Weichzeichner
Mühevoll schwarze Klamotten zusammen gesucht und ein Bisschen mehr Kajal als sonst. Das mit dem Haaretoupieren versucht sie erst gar nicht… schnell noch ein Tröpfchen Patchouliöl hinters Öhrchen. Quasi ein Tarnumhang in der Gothic-Disco. Sie würde nicht auffallen zwischen den geschäftig auf- und abschreitenden Gestalten mit dem ernsten Gesichtsausdruck, den Tellerfrisuren, den Lackhosen und dem schwarzen Nagellack. Sie würde fast unsichtbar im Trockeneisnebel zu ihren Lieblingsstücken tanzen oder im Verborgenen einer dunklen Ecke ein Zigarettchen rauchend und ein bisschen ehrfürchtig all den Nick Cave-, Robert Smith- und Carl McCoy-Doppelgängern dabei zuschauen, wie sie die Unsicherheiten der Adoleszenz in ihren Outfits verbargen, einander ernst zunickten und sich im monotonen 2vor-2-zurück der unkonventionellen Musik hingaben. Friedliche Sonderlinge, die am Samstagabend in ihre dunkle Welt hinab stiegen, um anders zu sein, unter sich, in amimischem Einverständnis. Und irgendwo an eine Säule gelehnt schwang sie unauffällig mit, während sie sich ein bisschen wie eine schwarz gekleidete Käthe Kruse Puppe fühlte.

30 Jahre später trägt sie Coromandel und denkt liebevoll an diese Zeit zurück. Arriviert und ein bisschen abgeklärt. Eins mit ihrem Kleidungsstil, die Käthe Kruse Puppe ins Erwachsensein begleitet. Die Gothic Disco gibt es nicht mehr.

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Lange bin ich drum herum geschlichen, dachte, den Patchouli-Düften sei ich entwachsen. Aber auf seine eigene Art hat der Duft etwas „von früher“, erinnert mich an die Zeiten, als wir mit Patchouliöl betupft in die Gruftidisco gegangen sind… dabei hatten wir auch etwas braves, unschuldiges damals… wie eben, wenn unter dem erdigen Patchouli ein Hauch Vanille verrät, dass man eigentlich ganz lieb ist…
Coromadel legt über solche Bilder einen eleganten Weichzeichner…

Die Noten sind ganz wunderbar miteinander verwoben. Bei mir dominiert ganz klar Patchouli mit einer zwischen kühl und warm chargierenden erdigen Note. Nach kurz frischem, hesperidischem Auftakt wird der Duft sukzessive weicher und auch süßer, aber niemals schwer. Er ist erwachsen, gleichermaßen elegant, distanziert und zugewandt, die Iris nehme ich nur bedingt wahr, insgesamt auch eher unpudrig. Die Basis ist wunderschön. Die Haltbarkeit bei mir gut, allerdings ein bisschen Wetter- und tagesformabhängig.
Absolut unisex, steht Herren gleichermaßen gut, wie Damen und veredelt jede Garderobe. Ein 10er mit Potential zum Signaturduft.
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Musiktipp für die Zeitreise mit Weichzeichner: The Cure - Pictures of you
27 Antworten
UntermWert vor 2 Jahren 30 27
Cremig-weiches Leder mit latent angriffslustiger Jasmin-Note
Dame alten Adels im Hier und Jetzt. Ein bisschen aus der Zeit gefallen, arrogant, reizbar, ungeduldig mit ihrem Personal. Kommt gerade von der Rennbahn zurück. Chanel-Kostüm, großer Hut und Sonnenbrille. Ihre butterweichen Lederhandschuhe, die sie eben noch etwas zu fest umklammert hat, läßt sie achtlos auf einen Tisch fallen. Man sollte sie heute besser nicht mehr ansprechen.
Leise entströmt den Handschuhen ein cremig-zarter Hauch von Leder, Handcreme und ein bisschen Schweiß.
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Cuir de Russie (EdT) eröffnet kurz spritzig mit Bergamotte und geht dann in eine traumhaft schöne, cremige und mandarinige Ledernote über. Da ich bisher noch nicht viel Erfahrung mit dieser Duftrichtung gesammelt habe - dem Irrglauben erliegend, Lederdüfte würden sich an mir grundsätzlich immer als eine Variationen von Maggi offenbaren - fällt mir nun erstmals auf, dass in jenen Düften, die mich ansprechen, häufig ein Wechselspiel von Mandarine, Birke bzw. Birkenholz und Ledernote stattfindet, was dann insgesamt eine wunderschöne, nicht zu cleane, würzige Cremigkeit entstehen lässt. So auch bei Cuir de Russie. Der Duft hat im Herzen aber auch eine sehr prominente, indolische Jasminnote, die mir ein Mü zu intensiv daher kommt, wenn ich an der Sprühstelle rieche, während er auf Armlänge gleichzeitig diese schöne ledrige Cremigkeit abstrahlt.
Bei Jasmin bin ich allerdings inzwischen vorsichtig geworden. Die Note ist hier bei mir recht lange sehr präsent. Ich könnte mir vorstellen, dass mich der Duft an einem Tragetag, an dem ich vielleicht gestresst oder genervt oder ärgerlich bin, ordentlich anrocken würde und ich mir u.U. damit eine Aversion konditionieren würde. Dass mir das schnell passieren kann, habe ich neulich erst mit einem Affektkauf, der direkt Retoure ging, erfahren.
Wunderschön, dieser Chanel... aber diese Jasmin-Phase flößt mir schon Respekt ein.
Der feine Leder-"Whiff" auf Armeslänge ist allerdings wirklich ein Traum.

Nach einer Stunde ist der Jasmin immer noch präsent, gibt sich latent angriffslustig.
Ein bisschen Chanel-aldehydig-seifig wirkt der Duft im Verlauf auch auf mich.

Fazit: ein sehr eleganter, "unschmutziger" Lederduft, der durch den Jasmin aber durchaus eine selbstsichere Blüten-Animalik aufweist. Aufgrund meiner bisherigen Erfahrungen, dass ausgerechnet diese Note bei mir aber auch als ungünstiger Verstärker negativer Stimmungen wirken kann, wäre mir die Anschaffung des Duftes letztendlich doch zu heikel. Hier spreche ich aber nur für mich. Wer Jasmin in Düften schätzt, bekommt hier definitiv ein sehr elegantes Parfum, welches eine wunderschöne Aura verleiht.

Da aber anscheinend das EdT deutlich weniger blumig sein soll, möchte ich dieses unbedingt auch noch testen, denn der Auftakt des Duftes hat mir sehr sehr gut gefallen.

(mit ganz liebem Dank an Susan)
27 Antworten
11 - 15 von 56