Yatagan
Im Dschungel mit Yatagan
vor 10 Jahren - 25.10.2014
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Ein Spaziergang durch die Hinterhöfe der Parfumherstellung

Ich bin immer wieder erstaunt, wie viele uninspirierte Düfte - gerade auch im Nischensektor - auf den Markt geworfen werden, offenbar nach geringer Entwicklungszeit, mehr oder weniger fehlender selbstkritischer Reflexion über das eigene Können, das dann mit Legenden von Talent, angeblicher Familienhistorie, Firmenhistorie oder nachdrücklichem Interesse an Düften (also ob wir nicht alle hier dieses Interesse hätten, trotzdem wird nicht jeder von uns Parfümeur) wundersam farbig umschrieben wird.

Die Werbetexte dieser Nischenhäuser ließen sich nicht selten beliebig gegeneinander austauschen. Hier ein Beispiel, das euch bekannt vorkommen sollte:

XY sei schon vom Urgroßvater / von der Urgroßmutter / der Großtante (bitte ankreuzen) in die Liebe zu Düften eingeführt worden, habe überall auf dem heimischen Gut / der Heimatstadt / dem heimischen Garten (bitte ankreuzen) an Blüten / Früchten / Parfums der Eltern / ländlichen Düften (bitte ankreuzen) schnuppern können und sei mit gottgegebenem Talent / größtem Engagement / unsagbarem Fleiß (bitte ankreuzen) gesegnet und habe schließlich in sich eine unstillbare Lust / einen unglaublichen Drang / eine ungeheure Liebe zu Düften (bitte ankreuzen) entdeckt und nicht anders gekonnt als Parfümeur / Parfümeurin (bitte aufs Geschlecht achten und ankreuzen) zu werden.

Sollte jemand von euch Interesse haben, auch einen Duft auf den Markt zu schmeißen: Nur zu, wir haben ja erst gut 50.000 in der Datenbank, davon sicherlich nur 5.000 wirklich gute, so dass der eine oder andere zusätzlich kaum stören dürfte und mit o.a. Hilfe zur Formulierung einer persönlichen „Legende“ sollte der erste Schritt zum Werbetext und zur Internetseite nicht schwer fallen. Das Zusammenmixen des Duftes kann ja dann anschließend erfolgen. Ist wirklich nicht so wichtig; ihr werdet sehen, das verkauft sich auch so. Nur teuer muss es sein, denn Gutes ist teuer, das ist doch selbstverständlich.

Entschuldigung für diese Entgleisung! Nach dem Test von fast 3000 Düften ist man gelegentlich ernüchtert, oft enttäuscht, selten überrascht, aber von Zeit zu Zeit auch erfreut über Neues, Innovatives, Originelles. Zu den herausragenden Entdeckungen der letzten Jahre gehören für mich die Düfte der Monocle-Serie (zuvor auch der Guerrilla-Serie) von Comme des Garcons, der eine oder andere Duft der Kerosene-Manufaktur, diverse Düfte aus der mutigen, abseitigen und am Rande von „Parfüm“ i.e.S. stehenden, eher mit Duft im Allgemeinen zu assoziierenden Marken CB I Hate Perfume, LUSH, Sweet Anthem, Roxana, aber auch Aesop, einige wenige Soivohle-Düfte (die meisten sind schwierig), Aftelier, Anat Fritz, Maria Candida Gentile und andere, die hier nicht alle genannt werden können.

Nun aber mal wieder ein Durchgang, eher ein Spaziergang über die Hinterhöfe eines Herstellers, Rania J., der hier nun häufiger in Kommentaren auftaucht, dem ich aber keinen einzigen Einzelkommentar widmen werde, denn - um es vorweg zu nehmen - einer genaueren Betrachtung sind sie mir nicht wert, auch wenn sie nicht wirklich schlecht komponiert sind (was das allerdings ist, „schlecht komponiert“ als negativer Maßstab, müsst ihr schon alle selbst entscheiden, das ist hier meine subjektive Position).

Hier die Düfte von Rania J. im Einzelnen:

Lavande 44: Beginnen wir beim recht hoch gelobten Lavande 44, einem fast schon klassischen Lavendelduft, der überdies eine ebenso klassische Kopfnote besitzt (Bergamotte und Petitgrain, wie so oft), ein starkes Lavendelherz und eine relativ warme Basis (mit Moschus und Patchouli sowie angeblich Oud); - auch das nicht so besonders, wie man meinen könnte, man denke nur an den berühmtesten aller Herrenduftklassiker, Caron pour un Homme von 1934 (sic!), der Lavendel mit Vanille, Moschus und Tonkabohne kombiniert und zu ganz ähnlichen, aber deutlich besseren Ergebnissen kam und kommt. Überdies entwickelt sich der Lavendel von Rania J. bei mir nicht schön, bekommt eine schmutzige, ölige Note, vielleicht wegen des Labdanums oder der Kombination mit Vetiver, die ich als nicht so glücklich empfinde. 70% wären noch drin, je nach Laune aber auch weniger.

Ambre Loup: Ein wirklich penetranter Amber-Duft, der süß, holzig und nachdrücklich das Amberthema variiert, dies jedoch auch in keiner Weise originell, man denke nur an den wunderbaren und ähnlichen Ambre Sultan von Serge Lutens, der feiner, etwas heller und damit differenzierter ist. Das hier ist mir 60% wert. Berücksichtigt man die Tatsache, dass es dies hier schon oft in ähnlicher Form gab, wären eigentlich noch mal 10% abzuziehen.

Jasmin Kama: Jasmin Kama ist für mich eine kleine Überraschung, und zwar sogar eine positive. Nicht, dass ich nun zu einem Jasminliebhaber werden würde; eigentlich hasse ich diesen Weißblüher. - Zum Glück hat meine Frau keinen einzigen starken Jasminduft in ihrer Sammlung. - Überraschend ist jedoch, dass es Rania Jouaneh hier gelungen ist, dem Jasmin seine aasige Note zu nehmen, die er so oft entwickelt und das dummerweise ausgerechnet immer auf meiner Haut. Der Jasmin bleibt hier durchweg hell, weich und...leider langweilig. Darum könnte ich mich im Sinne einer versuchten (und zum Scheitern verurteilten) Objektivität auf 60% festlegen.

Oud Assam: Jetzt wird es schwierig. Ich will mich nicht mit ausgewiesenen Oud-Experten wie Apicius oder Terra anlegen, deren Urteil ich in dieser Sache schätze. Aber mir scheint, dass die Oud-Variation von Rania J. weder besonders radikal (wie einige arabische Varianten, die ich testen durfte) ausfällt, noch zu den betörenden, charmanten, eher europäisch weichgespülten Konzepten gehört. Auch die tausendfach totgeduftete Rose-Oud-Version ist es hier nicht, die immerhin einen bezwingenden Charme besäße, das muss sogar ich als Oud-Verächter zugeben. Hier ist es dagegen die Kombination aus einer Orangeat-artigen Orange und dem Oud, die Neues bieten soll, letztlich aber dunkel, düster und unbestimmt bleibt. Da zücke ich die 50%-Note.

T. Habanera: Dieser T. Habanera ist für mich so rätselhaft wie sein Name. Etwas rauchig, etwas nussig, etwas würzig (aber nur sanft, man könnte wieder behaupten, er sei langweilig) und letztlich ein Mischmasch aus warm-würzigen Akzenten, die sich kaum noch unterscheiden lassen. Immerhin ist es originell, also etwas, das man von den anderen Rania-Düften nur begrenzt behaupten kann: darum noch 60%.

Rose Ishtar: Die Rose zum guten Schluss: blass, ein wenig farblos, so als wäre sie noch nicht erblüht oder schon ver-blüht. Die angegebenen Inhaltsstoffe sind für mich nur zu erahnen. Schade um die schöne Blume, wenngleich das alles nicht so schlecht riecht, wie es sich anhört: also wieder 60%.

Sicherlich habe ich mir damit als Nischenduftverächter die Wut aller Liebhaber der Rania J.-Düfte zugezogen. Offen gestanden kommt es aber noch schlimmer: Ich muss zugeben, dass ich kaum einem der exorbitant teuren Nischendufthersteller etwas abgewinnen kann: nicht den Dutzenden bereits getesteten Xerjoffs, nicht den Rojas, nicht den Clive Christians (spricht eigentlich noch jemand von denen?), nicht den Amouages, nicht den Profumum Romas, nicht den Boadiceas etc. etc. und wie sie alle heißen, die ich getestet habe (man vergleiche mein „getestet“-Register hier auf Parfumo).

Alle sollen angeblich von exquisiter Qualität sein, edle Inhaltsstoffe enthalten, aufwendig komponierte, fabulös diffizile Kompositionen sein. Für mich sind die meisten kaum besser als viele preiswerte Vertreter o.g. Marken, eher schlechter, oft uninspiriert, dumpf, überladen, „überwürzt“, könnte man sagen. allemal überteuert, Sammlerobjekte; so als würde viel (Inhaltsstoff) viel helfen. Dass das nicht so sein muss, haben schon die schwächeren Vertreter der Powerhouse-Düfte aus den 80ern gezeigt, vollgestopft mit Duftkomponenten, die zu Recht zum Teil heute vergessen sind, auch wenn einige, vielleicht sogar viele noch heute Maßstäbe setzen.

Auffällig ist jedenfalls, wie schnell etliche (oder die meisten?) der hochgelobten Luxuswässer nach kurzer Zeit wieder aus unseren Lieblingslisten verschwinden.
Ich nehme mich da nicht aus: heute geliebt, morgen vergessen. Anlass zum Nachdenken und für einen Diskurs.

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