Yatagan
Im Dschungel mit Yatagan
vor 9 Jahren - 30.12.2014
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Gute Beratung: Fehlanzeige?

Was macht gute Beratung in einer Parfümerie aus? Das Gegenbeispiel ist leider allzu oft die Form von Werbegespräch, die wir in den Dufttempeln großer Ketten oder gelegentlich (wenn auch seltener) in Parfümerieabteilungen einiger Kaufhäuser erleben. Wie mir scheint, besteht deren neueste Strategie darin, neben den oftmals ohnehin schon eher mäßig informierten Verkäufer/innen ein Heer von Empfangsdamen und -herren einzustellen, die nichts anderes zu tun haben, als den ebenso mäßig informierten Kunden zu bestimmten Düften zu lotsen, die ins dringlich-aktuelle Verkaufsportfolio gehören. Wagt man eine vorsichtige, eher allgemeine Nachfrage, wird man sofort auf die eigentlichen Verkäufer/innen verwiesen, die dann aber entweder bereits mit anderen Kunden beschäftigt sind - oder aber kaum mehr wissen als ihre überforderten Kollegen und Kolleginnen im Empfangsbereich. Sicherlich lassen sich auf diese Weise die immer gleichen Düfte aus einem durchorganisierten Mainstreammarkt verkaufen, zu dem es auch gehört, das Geschäft mit bestimmten, neu auf den Markt geworfenen Düften anzukurbeln, während die ehemals aktuellen Parfums des Vorjahrs in den Ramsch wandern oder bereits nach einem Jahr (wie übrigens die Mehrzahl aller neu erscheinenden Düfte) wieder vom Markt genommen werden.

Eines muss jedoch klar sein. Diese Beobachtung ist keine Schelte für schlecht beratende Verkäuferinnen und Verkäufer, die zum Heer leider (unter-)durchschnittlich bezahlter Dienstleister gehören, die unser aus den Fugen geratener neoliberaler Markt als Manövriermasse zum Stoßgeschäft an Weihnachten, an Valentinstagen oder sonstigen zu Konsumfeiertagen verkommenen (ehemals christlichen oder wie auch immer legitimierten) Feiertagen benötigt. Diese sich meist sogar rührend mühenden Damen und Herren sind selbst nur Opfer eines Duftkonsums um jeden Preis, der vor allem Flakon, Verpackung und Marketing in den Mittelpunkt stellt, echte Beratung aber als überflüssig, überbezahlt und überschätzt wertet.

Nischenmarken und ihre dazu gehörigen Boutiquen sind keineswegs besser. Wie mir vor kurzem ein Kenner der Szene bestätigte, betätigen sich inzwischen Scharen unterdurchschnittlich begabter, aber mit cleveren Marketingideen ausgestatteter „Parfümeure“, die uns weißmachen wollen, dass ihre Leidenschaft für Duft (und für das damit schnell zu verdienende Geld) ausreiche, um massenhaft neue Parfums auf den Markt zu rollen. Während früher Häuser wie Guerlain oder Caron, aber auch die klassischen Nischenmarken wie L’Artisan, Maitre Parfumeur et Gantier, Annick Goutal, Diptyque oder Serge Lutens Jahre brauchten, um ein überschaubares Duftportfolio zu entwickeln, manchmal nur alle paar Jahre einen neuen Duft lancierten, starten heute selbsternannte „Nasen“ von Beginn an mit einem ausgefalteten Sortiment von manchmal zehn und mehr Düften auf einen Schlag. Das lasse ich mir allenfalls gefallen, wenn hinter dieser Produktlinie eine Reihe namhafter Parfümeure aus der engeren Szene (so wie z.B. beim Konzept von F. Malle) stecken. Andernfalls ist das m.E. unseriös.

Wie aber kann man in diesem Dschungel die Übersicht behalten, wenn man nicht wie viele Leser/innen und Blogger/innen auf dieser Seite durch Tausch, gegenseitige Auskunft und intensive Lektüre bereits von vorneherein das nötige Wissen mitbringt, um den Urwald zu durchpflügen?

Die einzige Möglichkeit, die bleibt, ist eine Beratung, die diesen Namen verdient – und die erlebe ich immer noch und regelmäßig in inhabergeführten Parfümerien mit gut ausgebildetem Personal, die man ohne Zögern auch Duftneulingen für einen Überblick empfehlen kann.

Mein heutiges Erlebnis ist ein solches oben genanntes, das in den Kontext von Kenntnis, Freundlichkeit und angenehmer Beratung gehört, auch wenn nicht eindeutig klar ist, ob der Kunde etwas kaufen möchte oder nicht. Im Zeitalter von Internet und der damit verbundenen Möglichkeit, vor Ort zu probieren und anschließend im Netz zehn Euro billiger als im Ladengeschäft zu kaufen, keineswegs selbstverständlich - und in diesem Sinne von mir auch ein Plädoyer für den Kauf in der Parfümerie vor Ort, auch wenn gelegentlich ein geringfügiger Aufschlag hinzunehmen ist.

Als ich heute den Laden meiner Wahl in einer Stadt, die nicht meine Heimatstadt ist, betrat, wurde ich wohl eher zufällig vom Inhaber selbst empfangen. Neben der guten Kenntnis über die Düfte, die er mir vorstellte (in diesem Falle die Linie von Zeromolecole, nach der ich fragte), war auch Freundlichkeit und das Bemühen um eine durch und durch seriöse Beratung zu spüren. Zunächst konnte ich die vier von mir gewählten Düfte auf einem Duftstreifen in aller Ruhe testen; anschließend prüfte ich zwei davon noch einmal ausgiebiger auf der Haut. Darüber hinaus entspann sich ein Gespräch über Nischendüfte, deren Qualität und Beschaffenheit, Inhaltsstoffe und die Angebotspalette im Laden. Schließlich verließ ich den Laden, und zwar ohne einen der Düfte zu kaufen, freundlich und liebenswürdig verabschiedet. Erwähnen sollte ich noch, dass ich auch während des hektischen Weihnachtsgeschäfts in dieser Parfümerie von einer Angestellten kompetent und freundlich bedient wurde. Ein nicht vorhandener Duft wurde mir selbstverständlich über eine andere Parfümerie bestellt.

Für Neugierige: Die Parfümerie, von der ich spreche, ist die Parfümerie Hussong in Mainz (mit ihrer Filiale, der Parfümerie am Marktplatz); - gleich gute Erfahrungen habe ich auch bereits bei Albrecht in Frankfurt sowie bei Parfümerie Jeanette und der Parfümerie am Markt in Wiesbaden gemacht. Viele andere könnte ich aufzählen, die ich auf Dienstreisen, im Urlaub oder an freien Wochenenden besucht habe; die oben genannten stehen nur stellvertretend für viele, die sich mühen, gegen Ketten, Kaufhäuser und überbordenden Onlinehandel anzukommen. Wenn wir weiterhin eine Vielfalt von schönen Düfte direkt vor unserer Nase wollen, dann sollten wir ihnen auch die nötige Chance geben und bei unserer gut sortierten und gut beratenden Parfümerie vor Ort einkaufen. Alles andere führt zu Verarmung und oberflächlichem Konsum. Die eingangs geschilderten Eindrücke sprechen eine deutliche Sprache.

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