loewenherz
loewenherz’ Blog
vor 7 Jahren - 27.01.2017
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Haben Sie Pu, der Bär?

'Haben Sie auch Bücher von Dickens?'

'Nein - nein, ich bedauere - wir sind eine Fachbuchhandlung und führen nur Reiseliteratur.'

'Ah, verstehe. Und - haben Sie den neuen John Grisham-Thriller?'

'Nein - denn das ist auch ein Roman - oder nicht?'

'Ja, richtig. Und - haben Sie Pu, der Bär?'

Manch einer wird sich an diese wunderbare Szene am Anfang des Films 'Notting Hill' erinnern, in dem Hugh Grant (was macht der eigentlich?) mal wieder den liebenswert trotteligen Engländer spielt - dieses Mal in Gestalt des Betreibers eines kleinen Buchladens für Reiseliteratur im gleichnamigen Viertel, der sich in Julia Roberts verliebt. Ich habe als Schüler und als Student auch mal Sachen verkauft, und jede(r) die/der mal in einem Geschäft hinter der Theke gestanden hat, wird mir die Realitätsnähe dieser skurrilen Szene wohl lebhaft bestätigen.

Wir alle haben hier schon weitschweifig über diverse Unzulänglichkeiten von sogenanntem Parfümeriefachpersonal genörgelt, und ja - ich fand da schon auch mal Leute doof. Man wird gemaßregelt ('Eau de Parfum und Eau de Toilette sind grundsätzlich immer derselbe Duft.'), aus purer Bequemlichkeit beflunkert ('Nein, der ist leider gar nicht bestellbar.') oder bekommt "Sauvage (Eau de Toilette)" hingehalten, nachdem man zehn Sekunden vorher sagte, dass man jetzt nicht so auf der Suche nach dem letzten Schrei sei. Wir Armen.

Gehen wir doch gedanklich mal einen Moment lang hinter die Ladentheke. Da stehen dann Leute, die ohne Kassenbon Flakons in aufgerissenen Verpackungen umtauschen wollen. Da kommen Leute, bei denen es grundsätzlich ist, als würfen sie ihre Worte von einer Estrade herab. Da ist die ungeduldige Frau, die will 'den Duft, den ich neulich in der Cosmopolitan gesehen habe, neben den neunundneunzig besten Orgasmustipps - Sie müssen doch wissen, welchen ich meine!' Da ist der Mann, der nach Pu, dem Bären, und nach John Grisham fragt. Jeden verdammten Tag.

Wir selbsternannten Semiprofis sind ja keineswegs die einfachsten Kundinnen und Kunden, auch wenn wir uns mutmaßlich wohl dafür halten. Wir hoffen ja immer auf ein weitschweifiges Schwätzchen mit kundigem Fachpersonal nebst Verkostung von Raritäten - gerne noch mit anerkennender Kommentierung des eigenen AUSGEZEICHNETEN Geschmacks. Wir kommen auch gerne mal ohne konkrete Kaufabsicht vorbei - und sagen trotzdem nicht Nein zu kostenlosen Handabfüllungen von zweihundert Euro aufwärts-Düften.

Ein Perspektivwechsel dann und wann, der tut nicht weh. Bin selbst nicht immer gut darin, aber ich arbeite daran, versuche es zumindest. Ein 'Vielen Dank, Sie haben mich ganz toll beraten.' kommt auch gut an. Ich hab's probiert.

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