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loewenherz’ Blog
vor 7 Jahren - 10.09.2017
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Let it go

Häufig ist hier zu lesen - voll Wehmut oder Nostalgie, mitunter gar mit einem Unterton von Verzweiflung - wie schmerzlich manch eingestellte Parfums vermisst werden. "Le Feu d'Issey" und "Nuit d'été (Eau de Toilette)" werden beweint, auch die Erinnerung an "Heaven", oder "Napoli (Eau de Toilette)" treibt manchem Parfum-Aficionado das Wasser in die Augen. Selbst ehemalige Drogeriedüfte wie "Sumatra Rain" erzielen stattliche Erlöse - wie fraglich auch sein mag, ob die online gehandelten Exemplare sich heute noch uneingeschränkt verwenden lassen.

Ich gehöre der vielleicht ersten Generation an, die sich die alltagskulturellen Konsuminsignien ihrer Kindheit und Jugend dank Internet im Erwachsenenalter nachkaufen kann. Der Trans-Europa-Express von Lego (der coole gelb-rote mit dem 12V-Transformator), das Playmobil Piratenschiff, das in der Badewanne schwimmen konnte, und später die roten Chucks, die T-Shirts von Windsurfing Chiemsee, das PC-Spiel 'Age of Empires' oder eben "Heaven" oder "Sumatra Rain": heute - mit etwas Geduld und für Geldberge - alle zu haben, wenn man will.

Ich kann das ein gutes Stück weit nachvollziehen. Vielleicht - wahrscheinlich sogar - ist das ein Zeichen für die glückliche Kindheit, die wir wohl hatten - und dafür müssen wir dankbar sein. Und doch frage ich mich manchmal, ob die Sehnsucht nach etwas, das ich hatte, als ich glücklich war, wirklich die Sehnsucht nach dem Gegenstand selber ist - dem Playmobil Piratenschiff, den Chiemsee-T-Shirts oder "Heaven" von Chopard - oder nicht vielleicht doch nur die Sehnsucht nach demjenigen, der ich war, als ich den Gegenstand zuletzt besaß.

Die Erinnerung adelt vieles und macht vieles schöner, als es damals tatsächlich war. Das verstopfte Klo in der Jugendherberge in jenem grauen Vorort von Paris vergessen wir, den Rotwein und das Gespräch auf den Stufen vor Sacré-Cœur, das aus unserem Freund unseren besten Freund gemacht hat - daran erinnern wir uns. Es ist ein Geschenk, dass unsere Erinnerung so selektiv funktioniert. Ich glaube - nein, ich weiß: "Le Feu d'Issey" und "Heaven", Chucks und 'Age of Empires' sind in unserer Erinnerung viel schöner als sie es eigentlich jemals waren.

Lassen wir los. Behalten wir die Düfte unserer Vergangenheit voll Zärtlichkeit im Herzen und genießen wir, was sie in unserer Erinnerung für uns sind. Sie mit Gewalt zurückzuholen - meist reformuliert oder gekippt und selbst wenn weder noch, dann doch trotzdem oftmals enttäuschend - wird uns nicht wieder zu dem jüngeren und möglicherweise glücklicheren Ich machen, nach dem wir uns sehnen. Beklagen wir nicht, dass sie gegangen sind. Seien wir dankbar, dass es sie gab. Und geben wir dem Neuen die Chance auf seine eigene Geschichte.

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