23.10.2021 - 13:47 Uhr
MonsieurTest
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45
Der weiche Duft der Diktaturen
1933 war ein gutes Jahr. Einen so irrsinnigen Satz kann nur ein Parfumo denken, schreiben und publizieren. Und er kann dies, so er moralisch zurechnungsfähig ist, nur aus parfumhistorischer Sicht meinen. 1933 erschien nicht nur dieser wunderbar weiche, mild würzige Lederduft. In dem Jahr, in dessen Januar die Nazis in Deutschland die Macht ergriffen, erblickten in Paris Guerlains ‚Sous le Vent‘ und ‚Vol de Nuit‘, Carons ‚Fleur de Rocaille‘, Houbigants ‚Présence‘, Lanvins ‚Scandal‘ zudem 'Divine Folie' von Patou und ‚Secret de Venus‘ von Weil das düstere Licht oder näherhin: die Nasen der Welt; in Spanien zudem Myrurgias ‚Embrujo de Sevilla‘ und das immer noch erhältliche, herrlich erfrischende, sanfte Billig-Cologne ‚Gotas de Ora‘.
In Deutschland erschienen im Jahr, in dem die Weimarer Republik starb und der Nazi-Terror die Macht übernahm, ‚Mousons Lavendel‘ und Sir Cologne von 4711. Und in allen genannten Ländern darüber hinaus noch einige weniger bekannte, früher ausgestorbene Düfte, wie unsere vortreffliche Parfumo-Datenbank der geschichtsbewussten Parfuma auf einige Klicks hin offenbart. Das Geschichtsjahr des Schreckens war also die Geburtsstunde zahlreicher Duft-Klassiker, von denen mittlerweile ein großer Teil – von Guerlains ‚Sous le Vent‘ bis zum hier zu würdigenden Borsari Leder-Feinduft – leider ausgestorben ist.
Was damals sonst noch geschah, und was weit wichtiger war als das Erscheinen dieser außergewöhnlichen Vielzahl großartiger Düfte, die sich lange halten konnten, zeichnet Uwe Wittstocks jüngst erschienenes Buch ‚Februar 1933‘ nach vor allem an den Lebensläufen bedeutender Schriftsteller in jenen Wochen des massiven Umbruchs und des politischen Schreckens.
In Italien freilich waren Mussolinis Faschisten schon seit 1922 erst als Teil einer Mitte-Rechts Koalition, dann ab 1925 mittels immer weiterer Aufhebung parlamentarischer Spielregeln mit diktatorischen Vollmachten am Ruder. Das Leben für viele Menschen, insbesondere für die jüdische Bevölkerung Italiens wurde jedoch erst im Laufe der 1930er Jahre auch befördert durch die faschistischen Machtergreifungen in Deutschland, später auch noch im Franco-Spanien immer schlimmer und unerträglicher.
Inmitten dieser hässlichen und für viele Betroffene grässlichen Zeiten gedieh gleichwohl auch manches Luxusgut. Wie erwähnt, entstanden damals europaweit einige der schönsten klassisch modernen Düfte. Und zu denen darf man ‚Cuio‘ von Borsari durchaus zählen. Es ist wirklich beeindruckend, wie hier auf Basis von Vetiver und Sandelholz ein Akkord von weichem, ganz leicht menschlich müffelndem Leder nachgebildet wird, welches ein Herz aus Sandelholz warm umhüllt. Eine Verwandtschaft zum 8 Jahre älteren Knize Ten ist nicht von der Hand zu weisen; wobei das Borsari-Leder weicher und feiner daher kommt.
Vermutlich wird hier auch Birkenteeraroma als klassische Ledernote verarbeitet sein. Und das Ganze wird mit den traditionell männlichen Noten von Tabak, Patchouli und minimal animalischem Moschus abgerundet. Trotz der üblichen Wucht so ziemlich aller beteiligten Duftkomponenten wirkt das Konzert dieser Schwergewichte hier eher leicht und schwebend, eher buttrig als aggressiv ausstrahlend.
Ja, doch, dieses Parfum riecht ein wenig altmodisch; aber im besten Sinne, das heißt: elegant, edel, natürlich. Sowie: ganz und gar rundgeschliffen. Man möchte sich lieber nicht vorstellen, wie es zu braunen oder schwarzen Uniformen und Lederstiefeln im Einsatz höherer Kader bei den verbrecherischen Attacken und Staatsaktionen 1933 und in den folgenden Jahren getragen wurde.
Heute ist dieses vorzügliche ‚Cuio‘ offenbar nicht mehr erhältlich. Was für Freunde wohl komponierter Düfte aus gänzlich klassischen Zutaten allemal einen Verlust bedeutet. ‚Cuio‘ von Borsari erlaubt einem, durch die Zeit zu schweifen. Es evoziert Gedankensprünge und Gedenkreisen in die Vergangenheit.
Seinen Ursprung hatte es in den fatalsten und finstersten Zeiten dieses Landes – sowie seines Ursprungslandes Italien. Doch auch in solchen widrigen, üblen Zeiten konnte wundersamerweise Schönheit gedeihen.
Mein herzlicher Dank geht an den lieben Parfumo Kollegen Mörderbiene für seine Abfüllung von diesem und vielen weiteren klassischen Düften!
In Deutschland erschienen im Jahr, in dem die Weimarer Republik starb und der Nazi-Terror die Macht übernahm, ‚Mousons Lavendel‘ und Sir Cologne von 4711. Und in allen genannten Ländern darüber hinaus noch einige weniger bekannte, früher ausgestorbene Düfte, wie unsere vortreffliche Parfumo-Datenbank der geschichtsbewussten Parfuma auf einige Klicks hin offenbart. Das Geschichtsjahr des Schreckens war also die Geburtsstunde zahlreicher Duft-Klassiker, von denen mittlerweile ein großer Teil – von Guerlains ‚Sous le Vent‘ bis zum hier zu würdigenden Borsari Leder-Feinduft – leider ausgestorben ist.
Was damals sonst noch geschah, und was weit wichtiger war als das Erscheinen dieser außergewöhnlichen Vielzahl großartiger Düfte, die sich lange halten konnten, zeichnet Uwe Wittstocks jüngst erschienenes Buch ‚Februar 1933‘ nach vor allem an den Lebensläufen bedeutender Schriftsteller in jenen Wochen des massiven Umbruchs und des politischen Schreckens.
In Italien freilich waren Mussolinis Faschisten schon seit 1922 erst als Teil einer Mitte-Rechts Koalition, dann ab 1925 mittels immer weiterer Aufhebung parlamentarischer Spielregeln mit diktatorischen Vollmachten am Ruder. Das Leben für viele Menschen, insbesondere für die jüdische Bevölkerung Italiens wurde jedoch erst im Laufe der 1930er Jahre auch befördert durch die faschistischen Machtergreifungen in Deutschland, später auch noch im Franco-Spanien immer schlimmer und unerträglicher.
Inmitten dieser hässlichen und für viele Betroffene grässlichen Zeiten gedieh gleichwohl auch manches Luxusgut. Wie erwähnt, entstanden damals europaweit einige der schönsten klassisch modernen Düfte. Und zu denen darf man ‚Cuio‘ von Borsari durchaus zählen. Es ist wirklich beeindruckend, wie hier auf Basis von Vetiver und Sandelholz ein Akkord von weichem, ganz leicht menschlich müffelndem Leder nachgebildet wird, welches ein Herz aus Sandelholz warm umhüllt. Eine Verwandtschaft zum 8 Jahre älteren Knize Ten ist nicht von der Hand zu weisen; wobei das Borsari-Leder weicher und feiner daher kommt.
Vermutlich wird hier auch Birkenteeraroma als klassische Ledernote verarbeitet sein. Und das Ganze wird mit den traditionell männlichen Noten von Tabak, Patchouli und minimal animalischem Moschus abgerundet. Trotz der üblichen Wucht so ziemlich aller beteiligten Duftkomponenten wirkt das Konzert dieser Schwergewichte hier eher leicht und schwebend, eher buttrig als aggressiv ausstrahlend.
Ja, doch, dieses Parfum riecht ein wenig altmodisch; aber im besten Sinne, das heißt: elegant, edel, natürlich. Sowie: ganz und gar rundgeschliffen. Man möchte sich lieber nicht vorstellen, wie es zu braunen oder schwarzen Uniformen und Lederstiefeln im Einsatz höherer Kader bei den verbrecherischen Attacken und Staatsaktionen 1933 und in den folgenden Jahren getragen wurde.
Heute ist dieses vorzügliche ‚Cuio‘ offenbar nicht mehr erhältlich. Was für Freunde wohl komponierter Düfte aus gänzlich klassischen Zutaten allemal einen Verlust bedeutet. ‚Cuio‘ von Borsari erlaubt einem, durch die Zeit zu schweifen. Es evoziert Gedankensprünge und Gedenkreisen in die Vergangenheit.
Seinen Ursprung hatte es in den fatalsten und finstersten Zeiten dieses Landes – sowie seines Ursprungslandes Italien. Doch auch in solchen widrigen, üblen Zeiten konnte wundersamerweise Schönheit gedeihen.
Mein herzlicher Dank geht an den lieben Parfumo Kollegen Mörderbiene für seine Abfüllung von diesem und vielen weiteren klassischen Düften!
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