Apicius
Top Rezension
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Wer kopiert wen?
Ist es wirklich wahr, dass Gianni Campagnas Parfum Bespoke aus dem Jahr 2000 stammt? Zumindest Fragrantica gibt dieses Erscheinungsjahr an, und von denen haben wir es übernommen. Einen Eintrag bei PTIntelligence.co.uk gibt es nicht. Weiß jemand mehr?
Ohne Kenntnis dieses Erscheinungsdatums hätte ich Bespoke ohne weiteres als Terre d‘Hermes Klon bezeichnet. Denn es hat alles, was auch TdH hat, plus ein gewisses Extra.
Da gibt es die herbe Grapefruitnote im Kopf, deutlicher als bei TdH, dann kommen florale Untertöne, und zwar ebenfalls das rosenartige Geranium, zusammen mit den pfeffrigen Noten, hier wie dort. Schließlich macht sich die so typische Vetiver-Zedernholz-Kombination breit. Dieser Duftverlauf geschieht recht schnell; nach spätestens einer Stunde ist man am Ziel.
Hier wurde auf übelste Weise abgekupfert - fragt sich nur wer von wem. Sollte der wegen TdH so gepriesene Jean-Claude Ellena sich als Guttenberg der Parfumbranche herausstellen? Ist er vielleicht gar identisch mit dem uns unbekannt gebliebenen Parfümeur des Duftes Bespoke? Oder ist Bespoke in Wirklichkeit doch nach TH (2006) erschienen. Dafür würde sprechen, dass es erst jetzt bei Ausliebezumduft auftaucht. Um die Verwirrung komplett zu machen: es gibt ein Parfum gleichen Namens auch von der Marke Ozwald Boateng!
Sollte Bespoke das Plagiat sein, dann hat man wenigstens mit dem Namen Sinn für Ironie bewiesen, denn Bespoke heißt auf deutsch - maßgeschneidert! „Mache mir ein Parfum ebenso gut und erfolgreich wie dieses da von Hermès, aber subito!“ - man mag sich bildlich vorstellen, wie der korpulente Padrone dieser Schneiderfirma das persönlich beauftragte - Familienfoto siehe Gianni Campagna Webseite.
Für ein Plagiat spricht vor allem, dass Bespoke in einem wesentlichen Aspekt über TdH hinausgeht: In die Vetiver-Zedernholzbasis ist eine deutliche Patchoulinote eingearbeitet. Erst neulich ist mir beim Testen von Hindu Grass bewusst geworden, dass Patchouli keineswegs für schwere, süßliche Hippie-Düfte vergangener Zeiten stehen muss. Tatsächlich hat Patchouli auch einen frischen Aspekt, der entsprechend herausgearbeitet und zur Geltung gebracht werden kann. Er zeigt dann eine leichte Reminiszenz an frisch gewaschene - und gestärkte - Bettwäsche.
Genau das ist hier der Fall. Wie bei Hindu Grass habe ich das Patchouli erst nicht erkannt - ich spürte neben der Grapefruit und der Holzigkeit eine Art milchige oder cremige Note. Mir kam das Bild eines blühenden Löwenzahns in den Sinn - wenn man den pflückt, läuft ein milchiger Pflanzensaft aus dem Stengel.
Die deutlichere Grapefruitnote und der helle Patchouliton sind es, die aus Bespoke ein leichteres und in meinen Augen besseres TdH machen. Man hat nicht diese Schwere, die ja auch den Namen Terre d‘Hermès rechtfertigt. Ich finde Bespoke daher zugänglicher und leichter zu tragen, gleichzeitig aber auch irgendwie vornehmer, edler - ein Terre d‘Hermès für Kenner.
Sollte mein Flakon Terre d‘Hermès jemals leer werden, würde ich sicher eher zu Bespoke greifen. Doch das wird kaum geschehen, da ich längst innerhalb dieser Duftrichtung auf das schöne Eau de Pampelmousse rose umgeschwenkt bin.
Tja, und falls sich Bespoke doch als der ältere Duft herausstellen sollte, dann hätten wir ein weiteres Beispiel dafür, dass Genie und Können für einen epochalen Duft längst nicht ausreichen; es gehört auch Marktmacht dazu.