24.09.2020 - 18:10 Uhr

FvSpee
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FvSpee
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42
Colonialwaren XII: Kiesel. Ein Männerköln.
Ja, cool oder: "Kiesel. Ein Männerköln". Was für ein geiler Name für ein Parfüm! Und mit echten Kieseln drin, früher vom Parfumeur persönlich selber im Staate New York aus dem Flussbett des Hudson River geklaubt und in Handarbeit in die Flaschen reingestopft. Nee, heute nicht mehr, da werden die Flaschen wahrscheinlich aus Indien mit Steinen fertig drin angeliefert und das Köln wird drübergegossen. Sieht aus wie "On the Rocks", und ist auch - exakt das.
Kiesel ist kein Duft, der zu mir passt. Ich werde ihn mir nicht zulegen. Warum auch immer, es funkt nicht richtig. Aber es ist ein toller, absolut origineller Duft, wie auch schon der vorige, den ich in dieser Serie behandelt habe. Und Kiesel ist fast arche- oder prototypisch das, woran ich gedacht habe, als ich diese Serie eröffnete: Ein "braunes Cologne".
Denn es ist einerseits sehr stark der klassischen Cologne-Tradition verhaftet: Nicht allzu lange haltbar, dezente Sillage, starker Akzent auf zitrischer Frische. Andererseits hat er aber diesen zarten, hellbraunen Einschlag, der das Colognige aber nicht erschlägt, sondern ihm seinen Platz lässt und es nur ergänzt. Dieses hellbraun ist hier weniger gewürzig (Nelke usw.) oder holzig, sondern erdig, ja fast lehmig. Von der olfaktorischen Tonalität her erinnert mich Kiesel damit an Eau de Memo, obwohl das Memowasser ganz anders riecht (der hellbraune Dialogpartner der Orange ist dort weiches Leder) und obwohl ich mich in Memo verliebt habe und in dieses hier nicht.
Kiesel eröffnet mit einer leicht cremigen und würzigen, sehr speziellen hellen Zitrik, sich dann relativ schnell (ich greife hier vor) ins mildorangige verschiebt. Das ist nie sauer und nie vordergründig fruchtig, sondern immer schon vornehm sanft. Zu diesem zitrischen Pol gehört von Anfang an eine gewisse Süße. Sprüht man sich normal ein, riecht man sie nicht; drückt man die Nase an den Arm, dringt sie stark durch (da riecht es am Anfang dann eher wie "A Boy's Cologne", aber in freier Wildbahn rennt man ja auch nicht unmittelbar nach dem Sprühen mit der Nase auf dem Arm durch die Gegend). Mit der Zeit setzt sich das Ganze und der zitrische Pol ist, bis zum Ende dann, am ehesten als mildorangig und sehr zart honigsüß anzusprechen.
Nun zum hellbraunen Gegenpol. Hier ist schon in der prä-orangigen, ganz hellen Eröffnung etwas Mineralisches präsent (ich hatte ein Tetspröbchen, keinen Flakon, wurde also nicht durch Steine optisch beeinflusst, aber die Einbildung kann natürlich viel erreichen). Das sortiert sich bald in in eine sehr spannende erdig-lehmige Richtung, für die ich Patschuli, die Kieselsteine und die Anfänge von Weihrauch und Vetiver verantwortlich machen würde. Dieser lehmige Ton bleibt immer angenehm warm, schmeichelnd balsamisch und ein klein bisschen würzig.
Interessanterweise wird es dann im Abgang nicht etwa süßlich, wie sehr oft in Herrendüften. Michael B. Knudsen, der Erfinder, hat es tatsächlich irgendwie geschafft, die Tonkabohne eher zu Beginn und in der Mitte festzunageln. Das (nach etwas drei Stunden nahende) Ende imponiert dann eher herb-trocken, hier dürfte der Weihrauch dann voll durchschlagen.
Obwohl Kiesel ein Köln für sanfte Männer ist (und es dem Träger und der Umwelt nicht voll auf die Fresse gibt), nehme ich es zum Glück nicht als fluffig und weichgezeichnet wahr. Dies zur Entwarnung, weil Moschus hier großgeschrieben wird in der Pyramide.
* * *
Zur Firma hat Apicius in seinem Kommentar ganz unten schon vieles gesagt. Für die, die nicht runterscrollen wollen: Olle Knudsen wandert aus Europa in die USA aus, bewegt sich dort im Dunstkreis des Broadway und seiner Stars und gründet 1957 ein Dufthaus mit genau einem Duft im Angebot. Diesem. Und da stopft er die Steine aus dem Hudson River rein. Dann geht die Firma ein, Knudsen stirbt und der Duft wird discontinued.
Die Fortsetzung, die nicht bei Apicius steht, kann man auf gravelcologne.com nachlesen. Wenn es denn stimmt, was da steht, lieben ein Vater und sein Sohn (Georg und Christian Blessing) beide den Duft, sind traurig, dass es ihn nicht mehr gibt und machen sich auf die Suche nach den Namensrechten, den Duftrezepten und dem Zeug und gründen die Firma schließlich neu. Der Duft feiert Wiederauferstehung. Und weil man heutzutage von einem Duft nicht leben kann, werden noch vier andere Düfte auf den Markt geworfen, im selben Design (zwei im Jahr 2019, zwei weitere heuer).
Wo die neue Firma ihren Sitz hat, wird nicht gesagt, die Namen der neuen Inhaber klingen deutsch und der Preis wird in Euro angegeben, auch auf der englischen Version der Seite.
Was Knudsen seinerzeit verlangte, weiß ich nicht, Blessing sen. und jun. wollen 149 Euro für die Pulle haben, sowohl im firmeneigenen Onlineshop, als auch, identisch, bei ALZD, Bräuninger und parfumdreams, was für eine straffe Vertriebsorganisation spricht.
* * *
Wie eingangs bemerkt: Kein Duft für mich, aber für diejenigen, die 150 Euro für ein Cologne ausgeben möchten, die Steine und die Firmengeschichte witzig finden und sich ins Design der Flasche verlieben, mindestens ein sicherer Testkandidat.
Kiesel ist kein Duft, der zu mir passt. Ich werde ihn mir nicht zulegen. Warum auch immer, es funkt nicht richtig. Aber es ist ein toller, absolut origineller Duft, wie auch schon der vorige, den ich in dieser Serie behandelt habe. Und Kiesel ist fast arche- oder prototypisch das, woran ich gedacht habe, als ich diese Serie eröffnete: Ein "braunes Cologne".
Denn es ist einerseits sehr stark der klassischen Cologne-Tradition verhaftet: Nicht allzu lange haltbar, dezente Sillage, starker Akzent auf zitrischer Frische. Andererseits hat er aber diesen zarten, hellbraunen Einschlag, der das Colognige aber nicht erschlägt, sondern ihm seinen Platz lässt und es nur ergänzt. Dieses hellbraun ist hier weniger gewürzig (Nelke usw.) oder holzig, sondern erdig, ja fast lehmig. Von der olfaktorischen Tonalität her erinnert mich Kiesel damit an Eau de Memo, obwohl das Memowasser ganz anders riecht (der hellbraune Dialogpartner der Orange ist dort weiches Leder) und obwohl ich mich in Memo verliebt habe und in dieses hier nicht.
Kiesel eröffnet mit einer leicht cremigen und würzigen, sehr speziellen hellen Zitrik, sich dann relativ schnell (ich greife hier vor) ins mildorangige verschiebt. Das ist nie sauer und nie vordergründig fruchtig, sondern immer schon vornehm sanft. Zu diesem zitrischen Pol gehört von Anfang an eine gewisse Süße. Sprüht man sich normal ein, riecht man sie nicht; drückt man die Nase an den Arm, dringt sie stark durch (da riecht es am Anfang dann eher wie "A Boy's Cologne", aber in freier Wildbahn rennt man ja auch nicht unmittelbar nach dem Sprühen mit der Nase auf dem Arm durch die Gegend). Mit der Zeit setzt sich das Ganze und der zitrische Pol ist, bis zum Ende dann, am ehesten als mildorangig und sehr zart honigsüß anzusprechen.
Nun zum hellbraunen Gegenpol. Hier ist schon in der prä-orangigen, ganz hellen Eröffnung etwas Mineralisches präsent (ich hatte ein Tetspröbchen, keinen Flakon, wurde also nicht durch Steine optisch beeinflusst, aber die Einbildung kann natürlich viel erreichen). Das sortiert sich bald in in eine sehr spannende erdig-lehmige Richtung, für die ich Patschuli, die Kieselsteine und die Anfänge von Weihrauch und Vetiver verantwortlich machen würde. Dieser lehmige Ton bleibt immer angenehm warm, schmeichelnd balsamisch und ein klein bisschen würzig.
Interessanterweise wird es dann im Abgang nicht etwa süßlich, wie sehr oft in Herrendüften. Michael B. Knudsen, der Erfinder, hat es tatsächlich irgendwie geschafft, die Tonkabohne eher zu Beginn und in der Mitte festzunageln. Das (nach etwas drei Stunden nahende) Ende imponiert dann eher herb-trocken, hier dürfte der Weihrauch dann voll durchschlagen.
Obwohl Kiesel ein Köln für sanfte Männer ist (und es dem Träger und der Umwelt nicht voll auf die Fresse gibt), nehme ich es zum Glück nicht als fluffig und weichgezeichnet wahr. Dies zur Entwarnung, weil Moschus hier großgeschrieben wird in der Pyramide.
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Zur Firma hat Apicius in seinem Kommentar ganz unten schon vieles gesagt. Für die, die nicht runterscrollen wollen: Olle Knudsen wandert aus Europa in die USA aus, bewegt sich dort im Dunstkreis des Broadway und seiner Stars und gründet 1957 ein Dufthaus mit genau einem Duft im Angebot. Diesem. Und da stopft er die Steine aus dem Hudson River rein. Dann geht die Firma ein, Knudsen stirbt und der Duft wird discontinued.
Die Fortsetzung, die nicht bei Apicius steht, kann man auf gravelcologne.com nachlesen. Wenn es denn stimmt, was da steht, lieben ein Vater und sein Sohn (Georg und Christian Blessing) beide den Duft, sind traurig, dass es ihn nicht mehr gibt und machen sich auf die Suche nach den Namensrechten, den Duftrezepten und dem Zeug und gründen die Firma schließlich neu. Der Duft feiert Wiederauferstehung. Und weil man heutzutage von einem Duft nicht leben kann, werden noch vier andere Düfte auf den Markt geworfen, im selben Design (zwei im Jahr 2019, zwei weitere heuer).
Wo die neue Firma ihren Sitz hat, wird nicht gesagt, die Namen der neuen Inhaber klingen deutsch und der Preis wird in Euro angegeben, auch auf der englischen Version der Seite.
Was Knudsen seinerzeit verlangte, weiß ich nicht, Blessing sen. und jun. wollen 149 Euro für die Pulle haben, sowohl im firmeneigenen Onlineshop, als auch, identisch, bei ALZD, Bräuninger und parfumdreams, was für eine straffe Vertriebsorganisation spricht.
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Wie eingangs bemerkt: Kein Duft für mich, aber für diejenigen, die 150 Euro für ein Cologne ausgeben möchten, die Steine und die Firmengeschichte witzig finden und sich ins Design der Flasche verlieben, mindestens ein sicherer Testkandidat.
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