De profundis Serge Lutens 2011
36
Top Rezension
Das Weinen in der Schönheit
“With a satirical nod to Death”, heißt es auf der Lutens-Homepage. Ich glaub denen kein Wort. Von wegen satirisch. (Ist vermutlich fürs Marketing wichtig, wer kauft schon einen Todesduft?) Hier wird es nicht satirisch, sondern ernst. Aber es ist gerade kein Todesduft, sondern ein sehr melancholischer und darin für mich unendlich tröstlicher, hoffnungsvoller.
Psalm 130, Oscar Wilde, Trakl, Baudelaire … Vorherige Rezensionen haben schon so viele hilfreiche Referenzen benannt… Was lässt sich überhaupt noch Sinnvolles zu diesem Duft schreiben?
Der Tod ist groß.
Wir sind die Seinen
lachenden Munds.
Wenn wir uns
mitten im Leben meinen,
wagt er zu weinen
mitten in uns.
(Rilke)
Dieses Weinen ist in die Schönheit des Duftes eingebaut. Chrysanthemen, ihre Blüten und ihre grünen Blätter sind robust und stabil, aber ihr Duft ist kühl, fragil, herzzerreißend schön und durchsichtig. Mitten im Leben, mitten im Lachen, mitten im Schönsten meldet sich die Fragilität, die Endlichkeit. Es ist zum Heulen. Die Aussicht darauf, dass alles endet, verdrängen wir im Alltag meistens, sonst wäre es unerträglich. Aber die Gewissheit ist zeit- und kulturübergreifend: „Mitten wir im Leben sind vom Tod umfangen“ lautet der Text eines gregorianischen Chorals, „Flames to dust, lovers to friends, all good things come to an end” singt Nelly Furtado. Und es gibt Momente, wo wir den Tod sogar herbeisehnen, wenn alles unerträglich wird, alles uns zu zerreißen droht. Oder einfach alles genug ist.
Das Leben ist fürchterlich. Und wundervoll! Am Ende wird nichts Physisches von mir übrigbleiben, alles zerfällt zu Staub. Wie komme ich aus den Tiefen (de profundis) der Niedergeschlagenheit jemals wieder raus? Ich bin mir ziemlich sicher, das Einzige, was bleibt, ist die Liebe, die wir in die Welt gebracht haben und noch bringen. Und das ist in aller Hilflosigkeit - vielleicht - der einzige Trost.
Süß wie zarte verletzliche Frühlingsblumen.
------
Der Duft ist recht ruhig, nimmt jedenfalls keinen dramatischen Entwicklungsverlauf. Es duftet intensiv nach Chrysanthemen, kühlblumig, aber nicht oder fast nicht süß. Für mich riecht das genau so, wie der Tee schmeckt, der in China und Vietnam viel getrunken wird. Dazu kommt ein irgendwie durchscheinendes Dunkelgrün, und ich assoziiere noch Veilchen – auch sie einerseits sehr ausdauernde Pflanzen, deren Blüten zugleich so fragil sind. Zusammen ergibt das eine Art abstrakte durchsichtige Blumigkeit. Heller Weihrauch kommt dazu und füllt den Raum zwischen den Blütenblättern. Ich sehe durchscheinende Blüten vor mir, umweht von dem von unten aufsteigenden zarten und auch schützenden Rauch. Es scheint auch noch ein wenig ganz weiches Patchouli dabei zu sein, jedenfalls ist das mein Eindruck. Alles sehr beständig und zart und fragil zugleich.
Hellmelancholisch – gibt es sowas? Sprachlich wäre es jedenfalls ein Widerspruch. Aber hier ist es keiner! Und so tröstlich.
https://www.youtube.com/watch?v=koFTQvGmNfU
Danke an @Marieposa !
Psalm 130, Oscar Wilde, Trakl, Baudelaire … Vorherige Rezensionen haben schon so viele hilfreiche Referenzen benannt… Was lässt sich überhaupt noch Sinnvolles zu diesem Duft schreiben?
Der Tod ist groß.
Wir sind die Seinen
lachenden Munds.
Wenn wir uns
mitten im Leben meinen,
wagt er zu weinen
mitten in uns.
(Rilke)
Dieses Weinen ist in die Schönheit des Duftes eingebaut. Chrysanthemen, ihre Blüten und ihre grünen Blätter sind robust und stabil, aber ihr Duft ist kühl, fragil, herzzerreißend schön und durchsichtig. Mitten im Leben, mitten im Lachen, mitten im Schönsten meldet sich die Fragilität, die Endlichkeit. Es ist zum Heulen. Die Aussicht darauf, dass alles endet, verdrängen wir im Alltag meistens, sonst wäre es unerträglich. Aber die Gewissheit ist zeit- und kulturübergreifend: „Mitten wir im Leben sind vom Tod umfangen“ lautet der Text eines gregorianischen Chorals, „Flames to dust, lovers to friends, all good things come to an end” singt Nelly Furtado. Und es gibt Momente, wo wir den Tod sogar herbeisehnen, wenn alles unerträglich wird, alles uns zu zerreißen droht. Oder einfach alles genug ist.
Das Leben ist fürchterlich. Und wundervoll! Am Ende wird nichts Physisches von mir übrigbleiben, alles zerfällt zu Staub. Wie komme ich aus den Tiefen (de profundis) der Niedergeschlagenheit jemals wieder raus? Ich bin mir ziemlich sicher, das Einzige, was bleibt, ist die Liebe, die wir in die Welt gebracht haben und noch bringen. Und das ist in aller Hilflosigkeit - vielleicht - der einzige Trost.
Süß wie zarte verletzliche Frühlingsblumen.
------
Der Duft ist recht ruhig, nimmt jedenfalls keinen dramatischen Entwicklungsverlauf. Es duftet intensiv nach Chrysanthemen, kühlblumig, aber nicht oder fast nicht süß. Für mich riecht das genau so, wie der Tee schmeckt, der in China und Vietnam viel getrunken wird. Dazu kommt ein irgendwie durchscheinendes Dunkelgrün, und ich assoziiere noch Veilchen – auch sie einerseits sehr ausdauernde Pflanzen, deren Blüten zugleich so fragil sind. Zusammen ergibt das eine Art abstrakte durchsichtige Blumigkeit. Heller Weihrauch kommt dazu und füllt den Raum zwischen den Blütenblättern. Ich sehe durchscheinende Blüten vor mir, umweht von dem von unten aufsteigenden zarten und auch schützenden Rauch. Es scheint auch noch ein wenig ganz weiches Patchouli dabei zu sein, jedenfalls ist das mein Eindruck. Alles sehr beständig und zart und fragil zugleich.
Hellmelancholisch – gibt es sowas? Sprachlich wäre es jedenfalls ein Widerspruch. Aber hier ist es keiner! Und so tröstlich.
https://www.youtube.com/watch?v=koFTQvGmNfU
Danke an @Marieposa !
37 Antworten


Rilke reicht vollkommen!
Für mich ein sehr fragiler Duft, den ich manchmal brauche.
Gut, wenn wir in Duft, Text, Musik Halt finden in der Konfrontation mit dieser unendlichen Macht …
Gerne gelesen !
Wie tiefsinnig Du diesen wundervollen Duft beschrieben hast. Wunderschön und hellmelancholisch..!