loewenherz
Sehr hilfreiche Rezension
8
Kühler Tee im kalten Wind
Im Frühjahr war ich für ein paar Tage in Hongkong. Die Stadt liegt auf einer Insel gleichen Namens und der dieser Insel gegenüber liegenden bergigen Halbinsel im feucht-subtropischen Südosten Chinas. Und selbst wenn man morgens um fünf schon auf die Straße geht, vergisst der Körper dort nach wenigen Stunden schon, wie es sich angefühlt hat, nicht zu schwitzen. Es ist überall warm. Nicht warm ist es nur in den Shopping Malls. In den Shopping Mails ist es eiskalt. Eines der elegantesten dieser Einkaufszentren ist die Pacific Place Mall, und im Erdgeschoss liegt der Store von Shanghai Tang, einer der größten von insgesamt sechs in Hongkong - auch der Flagship Store ist hier und nicht - wie man annehmen könnte - in Shanghai.
Die Geschäfte und auch das Sortiment von Shanghai Tang erinnern vage an 'Chinas Antwort auf Hermès' - mit spürbarem Blick auch auf nichtchinesische Kundschaft. Zwar liegt ihr Fokus nicht auf Lederwaren, aber die Mischung aus eleganter, schlichter (wenngleich zumeist eindeutig chinesisch inspirierter) Kleidung, hochwertigen Wohnaccessoires und eben auch Parfums ist ähnlich. Und ähnlich wie Hermès Pariser Sattlerkunst zu einer Weltmarke machte, versucht es Shanghai Tang nun mit der Schneidertradition Shanghais: ein Qipao-Kleid von Shanghai Tang ist künftig vielleicht die Birkin Bag des Ostens. (Auch wenn es in China wahrscheinlich inzwischen mehr Birkin Bags - unechte wie echte - gibt als irgendwo anders auf der Welt.)
Die Parfums von Shanghai Tang werden auf einem separaten Tisch sehr ansprechend und wertig präsentiert. Als Herrendüfte gelabelt sind nur drei von ihnen, und dieser hier - Jade Dragon, der 'Jadedrachen' - ist in meiner Erinnerung der schönste. Sicherlich mag es auch an den ständigen Temperaturwechseln zwischen tropfnassen dreißig Grad in der Stadt und gefühlten windigen siebzehn Grad in der Pacific Place Mall (und im Shanghai Tang-Store) liegen, aber seine zarte Frische hatte etwas wunderbar Ausgleichendes, Beruhigendes, Sanftes - wie der Flügelschlag einer Libelle oder eines Schmetterlings. Sein zitrischer Auftakt ist einer von denen, den man nicht als hesperidisch bezeichnen kann, weil etwas Zartbitteres, vielleicht gar Rauchiges - 'nur' Vetiver oder doch eine vage Ahnung von Lapsang Souchong? - der graugrünen Frische gleich ein Gegengewicht gibt. Seine Teenote ist erstaunlich kraftvoll, aber bleibt doch duftig - und trotz des klar wahrnehmbaren Jasmins ist Jade Dragon kein wirklich blumiger Duft. Im Gegenteil liegt in seiner Zartheit etwas Standfestes, fast Derbes - was erklären mag, wieso sie dieses Parfum bei Shanghai Tang als Herrenduft verkaufen. Obschon natürlich auch eine - chinesische oder nichtchinesische - Dame ihn tragen kann.
Fazit: es mag noch ein langer Weg zu gehen sein für Shanghai Tang, wollen sie denn wirklich das Hermès des Ostens werden. An den Parfums sollte es nicht liegen, scheiterten sie daran.