24.09.2014 - 04:32 Uhr
KleineHexe
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KleineHexe
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14
Die Weiße Frau
Eine wirklich kleine Kleinstadt in Sachsen-Anhalt. Die Uhr vom nahen Kirchturm schlägt Zwölf Uhr. Es ist Mitternacht.
Ich liege im Bett und kann nicht schlafen. Plötzlich riecht es in dem Zimmer des kleinen Hotels so eigenartig muffig, gammelig, so in der Art ranzig gewordenes Rosenduft-Lampenöl. Verwundert öffne ich meine Augen. Da sehe ich sie, eine weiße, durchscheinende Gestalt, ca. 20cm über dem Fußboden schwebend. Als kleine Hexe ist mir sofort klar, dass ich es hier mit einem Gespenst zu tun habe. Das Gespenst trägt ein Kleid wie aus dem Mittelalter. Aha, ein weibliches Gespenst also. Allerdings sieht es auch etwas ungewöhnlich aus. Um dieses lange Kleid hat es nämlich einen Montagegürtel geschlungen und an dem hängen Grubenlampe, Hammer, Meißel, Buchstaben aus Bei, Lötkolben und ein Taschenrechner. Seltsam, seltsam.
Ich sage „Hallo“. Die Dame in Weiß antwortet freundlich strahlend ebenfalls mit einem „Hallo“. Davon ermutigt frage ich sie, was denn hier so eigenartig riechen würde.
„Oh“ antwortete das Gespenst „ich glaube das ist mein neues Parföng“ und hält mir stolz einen Flakon entgegen. Dann lädt sie mich auf ein warmes Getränk ins Hotelrestaurant ein.
Es scheint eine Art Kakao-Getränk zu sein. Jedenfalls schmeckt es so ähnlich. Riechen kann ich das nicht. Später werde ich von der Weißen Dame in entschuldigendem Tonfall erfahren, dass es sich hierbei um Kakao-Pulver aus dem ehemaligen Konsum-Laden handelte. Dieses war unter Kennern berüchtigt für seine schlechte Qualität. Naja, immerhin mildert der Geruch des Getränkes etwas diesen ekligen Gestank ab. Das Gespenst erzählt mir seine Geschichte.
Sie hieße Dorothea und habe einst als adelige Dame im städtischen Schloss gewohnt. Eines Nachts sei sie dann als Gespenst aufgewacht. Das müsse so um etwa 1300 gewesen sein. Seit dieser Zeit spukt sie in dieser Gegend und habe auch sehr viel erlebt.
Da war im 17. Jahrhundert so ein Knabe namens Paul G., dem habe sie seine ersten Flötentöne beigebracht, woraufhin er ein bekannter deutscher Dichter von Kirchenlieder geworden sei.
1637 seien die Schweden gekommen, meinten hier wäre jetzt der 30jährige Krieg und haben die ganze Stadt in Schutt und Asche gelegt. Von ihrem ehemals schönen Spukschloss stehen seit dem nur noch die Reste einer Ruine.
Ab 1859 sei Leben in das verschlafene Städtchen gekommen: Buchdruckereien, Bergbau, zwei Kohle-Kraftwerke in Nachbarorten und ein großer Industriebetrieb, welcher die ganzen Bergbaugeräte instand gehalten hat. Tausende Menschen seien in die Gegend gezogen. Dorothea wurde das Betriebsgespenst in der großen Zentralwerkstadt. Das sei für sie eine aufregende Zeit gewesen: Nachts die Arbeiter in den Nachtschichten am Einschlafen zu hindern, mit ihnen zu plaudern, Karten zu spielen und ihnen über die Wirren zweier Weltkriege hinweg zu helfen.
Dann kam eine weitere Wende. Deutschland legte seine beiden Teile wieder zu einem Land zusammen. Plötzlich hieß es, die Wirtschaft im Osten des Landes sei rückständig und unproduktiv. Dieses wurde zum Anlass genommen, so gut wie alle Betriebe zu schließen. Dorothea äußert den Verdacht, dass man besonders im Bereich der Druckereien nur die Konkurrenz „abwickeln“ wollte. Tausende Menschen verließen die Gegend. Sie hätte auch eine Zeit lang überlegt von hier zu verschwinden, doch wer solle dann in ihrer kleinen Heimatstadt für die Menschen spuken, die wegen familiärer Verpflichtungen oder aus Altergründen am Ort bleiben müssen?
Nun spukt sie ab und an im Hotel. Dabei seie sie vor ein paar Tagen von Besuchern aus dem „Westen“ beleidigt worden. Diese hätten sich sehr abfällig über sie geäußert und gemeint, dass im Osten immer noch das alte Gespenst des Sozialismus zu beobachten sei. Dabei hat sie mit dem Sozialismus nun wirklich nichts am Hut. Überhaupt gesellschaftliche Ideologien. Sie habe in mehreren Systemen ihre Erfahrungen machen können. In allen Systemen ist oft Otto Normalverbraucher der Dumme.
Die Beleidigung sitzt allerdings tief und deshalb hat sie sich nun auch ein modernes Weltklasse-Parföng namens FR! 01 / N° 02 zugelegt.
Behutsam versuche ich ihr zu erklären, dass nicht alles was meint Weltklasse zu sein, dieser auch gerecht werden würde. Ich empfehle ihr daher eine Anfrage zwecks Duftberatung auf www.parfumo.de.
Dorothea ist eine sehr charmante Gesprächspartnerin. Leider geht mir ihr „Parföng“ mit seiner einfallslosen Basis ziemlich auf die Nerven. Verstohlen schaue ich auf die Uhr. Die Geisterstunde ist schon längst vorüber. Ich spreche sie daher auf die Arbeitszeiten eines Gespenstes an.
„Ach“ erklärt sie mir „ das mit der Geisterstunde gilt nur im Westen“. Sie sei Tarifgebiet Ost und da habe die Geistergewerkschaft ab genickt, dass dort länger gespukt werden müsse wegen der geringeren Produktivität und so …
Na, ich mache das Beste daraus. Wir plaudern über Kindererziehung, Schulbildung, Kochrezepte, historische Bucheinbände, die optimale Konfiguration einer Firewall und sonstige Themen, die Frauen so bewegen.
Die Kirchturmuhr schlägt 5 Uhr und plötzlich ist der ganze duftende Spuk verschwunden.
Ich schwöre Euch, würde nicht hier vor mir ein Testflakon mit FR! 01 / N° 02 – La Dame Blanche stehen, würde ich glattweg glauben, dass diese ganze Geschichte nur ein (Alb-) Traum gewesen sei.
Ich liege im Bett und kann nicht schlafen. Plötzlich riecht es in dem Zimmer des kleinen Hotels so eigenartig muffig, gammelig, so in der Art ranzig gewordenes Rosenduft-Lampenöl. Verwundert öffne ich meine Augen. Da sehe ich sie, eine weiße, durchscheinende Gestalt, ca. 20cm über dem Fußboden schwebend. Als kleine Hexe ist mir sofort klar, dass ich es hier mit einem Gespenst zu tun habe. Das Gespenst trägt ein Kleid wie aus dem Mittelalter. Aha, ein weibliches Gespenst also. Allerdings sieht es auch etwas ungewöhnlich aus. Um dieses lange Kleid hat es nämlich einen Montagegürtel geschlungen und an dem hängen Grubenlampe, Hammer, Meißel, Buchstaben aus Bei, Lötkolben und ein Taschenrechner. Seltsam, seltsam.
Ich sage „Hallo“. Die Dame in Weiß antwortet freundlich strahlend ebenfalls mit einem „Hallo“. Davon ermutigt frage ich sie, was denn hier so eigenartig riechen würde.
„Oh“ antwortete das Gespenst „ich glaube das ist mein neues Parföng“ und hält mir stolz einen Flakon entgegen. Dann lädt sie mich auf ein warmes Getränk ins Hotelrestaurant ein.
Es scheint eine Art Kakao-Getränk zu sein. Jedenfalls schmeckt es so ähnlich. Riechen kann ich das nicht. Später werde ich von der Weißen Dame in entschuldigendem Tonfall erfahren, dass es sich hierbei um Kakao-Pulver aus dem ehemaligen Konsum-Laden handelte. Dieses war unter Kennern berüchtigt für seine schlechte Qualität. Naja, immerhin mildert der Geruch des Getränkes etwas diesen ekligen Gestank ab. Das Gespenst erzählt mir seine Geschichte.
Sie hieße Dorothea und habe einst als adelige Dame im städtischen Schloss gewohnt. Eines Nachts sei sie dann als Gespenst aufgewacht. Das müsse so um etwa 1300 gewesen sein. Seit dieser Zeit spukt sie in dieser Gegend und habe auch sehr viel erlebt.
Da war im 17. Jahrhundert so ein Knabe namens Paul G., dem habe sie seine ersten Flötentöne beigebracht, woraufhin er ein bekannter deutscher Dichter von Kirchenlieder geworden sei.
1637 seien die Schweden gekommen, meinten hier wäre jetzt der 30jährige Krieg und haben die ganze Stadt in Schutt und Asche gelegt. Von ihrem ehemals schönen Spukschloss stehen seit dem nur noch die Reste einer Ruine.
Ab 1859 sei Leben in das verschlafene Städtchen gekommen: Buchdruckereien, Bergbau, zwei Kohle-Kraftwerke in Nachbarorten und ein großer Industriebetrieb, welcher die ganzen Bergbaugeräte instand gehalten hat. Tausende Menschen seien in die Gegend gezogen. Dorothea wurde das Betriebsgespenst in der großen Zentralwerkstadt. Das sei für sie eine aufregende Zeit gewesen: Nachts die Arbeiter in den Nachtschichten am Einschlafen zu hindern, mit ihnen zu plaudern, Karten zu spielen und ihnen über die Wirren zweier Weltkriege hinweg zu helfen.
Dann kam eine weitere Wende. Deutschland legte seine beiden Teile wieder zu einem Land zusammen. Plötzlich hieß es, die Wirtschaft im Osten des Landes sei rückständig und unproduktiv. Dieses wurde zum Anlass genommen, so gut wie alle Betriebe zu schließen. Dorothea äußert den Verdacht, dass man besonders im Bereich der Druckereien nur die Konkurrenz „abwickeln“ wollte. Tausende Menschen verließen die Gegend. Sie hätte auch eine Zeit lang überlegt von hier zu verschwinden, doch wer solle dann in ihrer kleinen Heimatstadt für die Menschen spuken, die wegen familiärer Verpflichtungen oder aus Altergründen am Ort bleiben müssen?
Nun spukt sie ab und an im Hotel. Dabei seie sie vor ein paar Tagen von Besuchern aus dem „Westen“ beleidigt worden. Diese hätten sich sehr abfällig über sie geäußert und gemeint, dass im Osten immer noch das alte Gespenst des Sozialismus zu beobachten sei. Dabei hat sie mit dem Sozialismus nun wirklich nichts am Hut. Überhaupt gesellschaftliche Ideologien. Sie habe in mehreren Systemen ihre Erfahrungen machen können. In allen Systemen ist oft Otto Normalverbraucher der Dumme.
Die Beleidigung sitzt allerdings tief und deshalb hat sie sich nun auch ein modernes Weltklasse-Parföng namens FR! 01 / N° 02 zugelegt.
Behutsam versuche ich ihr zu erklären, dass nicht alles was meint Weltklasse zu sein, dieser auch gerecht werden würde. Ich empfehle ihr daher eine Anfrage zwecks Duftberatung auf www.parfumo.de.
Dorothea ist eine sehr charmante Gesprächspartnerin. Leider geht mir ihr „Parföng“ mit seiner einfallslosen Basis ziemlich auf die Nerven. Verstohlen schaue ich auf die Uhr. Die Geisterstunde ist schon längst vorüber. Ich spreche sie daher auf die Arbeitszeiten eines Gespenstes an.
„Ach“ erklärt sie mir „ das mit der Geisterstunde gilt nur im Westen“. Sie sei Tarifgebiet Ost und da habe die Geistergewerkschaft ab genickt, dass dort länger gespukt werden müsse wegen der geringeren Produktivität und so …
Na, ich mache das Beste daraus. Wir plaudern über Kindererziehung, Schulbildung, Kochrezepte, historische Bucheinbände, die optimale Konfiguration einer Firewall und sonstige Themen, die Frauen so bewegen.
Die Kirchturmuhr schlägt 5 Uhr und plötzlich ist der ganze duftende Spuk verschwunden.
Ich schwöre Euch, würde nicht hier vor mir ein Testflakon mit FR! 01 / N° 02 – La Dame Blanche stehen, würde ich glattweg glauben, dass diese ganze Geschichte nur ein (Alb-) Traum gewesen sei.
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