Anosmia

Anosmia

Rezensionen
Filtern & sortieren
1 - 5 von 14
Anosmia vor 4 Jahren 22 13
Pubertäre Rebellion wider das Bildungsbürgertum
Das Parfum hatte mich schon mit dem Namen. Vor allem in diesem Layout. Wie ein T-Shirt mit blödsinnigen Selbstbezeichnungen oder kilometerlangen politischen Ansagen. Das Parfum selbst wurde von meiner Mitbewohnerin für "ganz typisch du" befunden, süß-fruchtig (und deutlich mehr süß als Frucht) und quietschig an der Grenze zum Kitsch, aber mit einer - strangen? - Note, die das ganze unterwandert und davor bewahrt, in Poison Girl-Gefilde abzudriften - die das Parfum aber dennoch ansteuert. Die strange Note ist scheinbar schwer einzuordnen, würzig war immer mal wieder ein Vorschlag.
Generell scheint das Parfüm schwer einzuordnen. Es ist - wie hier ja schon häufig gesagt wurde - eigentlich viel zu platt und süß für Nische aber eben doch auch kein klassischer Mainstreamer für junge Mädchen. "Interessant", "merkwürdig" und "süß" waren jedenfalls die Begriffe, die am häufigsten fielen.
Ich schenkte das Parfum meinem 13jährigen Ich, nachträglich. Das hätte ich damals haben müssen, das hätte meine ganze Attitüde in Geruchsform und Flakongestaltung festgenagelt: Ein Mädchen aus einem dieser nervigen linksliberalen Bildungsbürgerhaushalte mit meterweise Büchern und Platten, ökologisch bewussten Holzspielzeug und stapelweise Zeitungen über deren Inhalt schon zum Frühstück diskutiert werden musste, damit alle ihre rhetorischen Fähigkeiten für den demokratischen Diskurs entwickeln. Mütter in solchen Elternhäusern tragen übrigens weite Leinenröcke und ziehen lange Schwaden Opium hinter sich her.
Mädchen aus solchen Elternhäusern brennen in Büchern und Filmen (die ich liebte!) gern mal durch und werden Sängerin oder verlieben sich in irgendeinen Bad Boy. Sie sollen eigentlich schon mal ihre Karriere als Anwältin für Amnesty planen, dabei wollen sie sich vielleicht nur die Finger pink-schwarz lackieren, Risse in ihre Jeans reißen, ein T-Shirt mit der ironischen Aufschrift "Superlady" versehen und auf der nächsten Party ein bisschen rumknutschen. Sie träumen vor allem davon, dass etwas einfach nur mal banal sein und Spaß machen darf, auch wenn der Nahost-Konflikt immer noch nicht gelöst ist.
Und dazu passt dieser Duft ganz wunderbar, weil er Spaß macht und seine Herkunft trotz plakativer Süße und mangelnder Tiefe doch nicht ganz verleugnen kann. Den Flakon mit dem Namen kriegt man auch den Bildungsbürger-Eltern untergejubelt, die checken vermutlich vor lauter Begeisterung darüber, dass die Tochter sich ein "individuelles Nischenparfum" ausgesucht hat die Ironie erst gar nicht.
Danke für diesen olfaktorischen Seitenhieb, Pierre Guillaume.
13 Antworten
Anosmia vor 4 Jahren 26 9
Summer BlingBling
Amouage hat eins richtig gut drauf: Völlig unterschiedliche Parfums auf den Markt hauen die sehr unterschiedliche Fans haben. Jeder Amouage in meiner Sammlung hat einen eigenen Fan - manchmal sind es auch mehrere - der vollkommen von dem Duft überzeugt ist, während die Person andere Düfte von Amouage völlig kalt lassen. Meine Mutter liebt Memoir, eine Exaffäre kommentierte Lyric mit "so müssen schöne Frauen riechen" und Sunshine - nunja - erhielt das etwas fragwürdige Kompliment: "Du riechst krass gut nach Hippie-Festival und Kiffen!"
In dem Parfum ist auf jeden Fall Bewegung. Am Anfang riecht er nämlich wohl vor allem süß, blumig, fruchtig, geht zwischendurch mal ins (Sonnen?)cremige, den Abgang Richtung Rauch und Kraut macht er später und dann verschwinden die anderen Noten auch nicht komplett. Da andere Menschen ja selten den ganzen Duftverlauf miterleben fallen die Reaktionen sehr unterschiedlich aus. Meine Mutter z.B. assoziiert Amouage vor allem mit Memoir, Epic und Fate und war von Sunshine auf den ersten Riecher ziemlich entsetzt - der sei ziemlich gut, aber total flach und langweilig, eben so ein süßlicher Blumen-Frucht-Mix... Um irgendwann Monate später mal zu fragen, was da so gut riecht. Der späte Duftverlauf, das cremig-rauchige, scheint schon besonders hinreißend für manche...
Mein 100ml Flakon ist bereits zur Hälfte geleert, ich ertappe mich trotz diverser anderer schöner Sommerdüfte bei panisch aufgeladenen Bunkerkauf-Impulsen. Für mich ist er neben Soleil Blanc der tollste Sommerduft. Aber während Soleil Blanc eher Affogato in einem Café in Ascona ist, ist Sunshine das ganze sommerliche Panoptikum: Sonnenuntergänge überm Stadtpark, Kippen und Vanille-Eis, selbstgepanschter Schnaps am Ostseestrand, rumkleckernde Sonnencreme bei 40° C im Schatten auf dem Sinai, Hippie-Parties in Tel Aviv, Fahrradfahren und Obstkuchen in der Mecklenburger Seenlandschaft, überfüllte Freibäder.
In diesem Corona-Sommer, den ersten Sommer seit Jahren, den ich fast ausschließlich an (ost!)deutschen Urlaubsorten verbrachte, bildete ich mir außerdem ein, dass Sunshine ein bisschen internationales Flair in den Heimurlaub bringt.

Nun ist der Sommer vorbei und die wunderschön kitschige gelbe Flasche verschwindet in einer der hinteren Reihen des Parfum-Fachs. Aber, hach, schön war es wieder!
9 Antworten
Anosmia vor 6 Jahren 22 5
Solider Duft fürs erste Date
Irgendwer hat hier Hypnotic Poison mal als perfekten Duft für einen Affären-Auftakt beschrieben, ich würde sagen dieser Pokal sollte eigentlich an Oud Satin Mood gehen. Und nicht zwingend nur für Affären, so eindeutig ist die Message hier nicht
Die Vorredner haben es ja schon gesagt: Exzentrische Experimente oder inspirierende Entwicklungen sollten hier nicht erwartet werden, meine Mutter, die sich bei einem Duft-Einkauf wahrscheinlich prima und nahezu blind mit Terra verstehen würde fand den "zwar schön", aber auch ziemlich langweilig und nicht sehr kreativ, ich glaube "zu rund" waren ihre genauen Worte.

Dafür gefällt er aber bisher ausnahmslos allen, das erste Kriterium eines guten Date-Dufts, denn Gewagteres wirkt zwar zweifelsohne charismatischer, kann aber auch spontan komplett abschrecken.
Bisher konnte niemand groß Noten raus riechen, mit Ausnahme der Vanille, um die alles herum orchestriert ist bzw ihr eine Richtung gibt - tief, nicht quietschig, vermutlich durch das Oud, das hier aber niemals durchdrückt. Also maximal kam "lecker Vanille", ansonsten nur mmmmh und oooohh.

Ein schwüler Pantydropper oder das, was gemeinhin darunter verstanden wird, ist Oud Satin Mood aber nicht. Auch eher angenehm-schön-kuschelig als erotisch. Und wenn erotisch, dann nicht laut. Keinesfalls schrill.

Diese wohlig für sich hinriechende abgedunkelte Süße kommt auch bei leichter Überdosierung nicht mit Totschläger-Sillage daher. Jedenfalls auf meiner Haut hat das Parfum einen ziemlich hautnahen Radius, vor allem nach der ersten halben Stunde.
Bei allerdings extrem langer Haltbarkeit. So wie sich 3 Wetter Taft angeblich von Wind, Regen und Sonne nie aus der Ruhe bringen lässt hält Oud Satin Mood Kneipenrauch, Regen und lange Nächte unbeschadet durch.
Er riecht noch nach dem Aufwachen und bleibt auch in den Kissen hängen.

Hat sich mittlerweile etabliert: Wenn dieser Duft aus meinem Zimmer wabert ruft irgendeiner aus meiner WG: "Du hast ein Date!"
5 Antworten
Anosmia vor 6 Jahren 18 4
Der Lucas-Trick
Ich dauerteste jetzt diverse Lucas-Parfums. Und gerade die in den völlig spacigen Flakons verfolgen eine - den Rückmeldungen zufolge - erstaunlich ähnliche Strategie: In der Auftaktphase, so eine Stunde lang ca, werden sie als ungewöhnlich, interessant, strange, schwierig, befremdlich und ab und zu auch mal eklig wahr genommen um dann, in der Basis nahezu massentauglich zu werden.
Düfte für Berliner Spätpubertierende also: Auf den ersten Blick völlig exzentrisch und überdreht zeigt sich nach dem Kennenlernen, dass die auch nur mit Wasser kochen aka auch nur auf der Suche nach jemanden sind, mit dem sie sich kuschelnd durchs Netflix-Angebot gucken können.

Im Fall von Qom Chillom heißt das: Auf einen Auftakt, den Leute wahlweise als aufregend zitrisch-holzig-würzig, Rote-Grütze-Kakophonie (vor allem, wenn man zuviel sprüht) oder (strange) rauchig-süßlich wahrnehmen folgt eine lange - wirklich lange, Haltbarkeit ist prima - Phase des dezent und angenehm vor sich hin Duftens.
Der Auftakt ist insofern speziell, als Leute in den Säure oder Süße reinlesen, je nach Nase, vielleicht auch je nachdem an welchen Zeitpunkt im Duftverlauf man sich befindet.
Der Rauch - wenn ihn Leute denn riechen - ist wohl auch kein knarzendes, trockenes Geräuchere, sondern eben eher dieser süßlich-fruchtig-würziger Rauch-Dampf, der aus einer Shisha quillt, woran der Duft einigen Werbetexten im Internet zufolge erinnern soll. Shisha ist ja auch nicht jedermans Geschmack, deshalb vielleicht bisweilen der Ekel.
Ich bin ein bisschen erstaunt, dass Latex hier als so prominente Duftnote gevotet wird, dass habe ich überhaupt noch nie gehört, dafür aber - vielleicht, weil das verlässlich fast jeder Mensch riechen kann - VANILLE, mal wieder.
Interessant ist , dass Qom Chilom sowohl Leuten gefällt, die hauptsächlich holzig-würzige Düfte ohne viel Süße mögen als auch Leuten, die sich vor allem für "essbare" Düfte begeistern.
Der Duft scheint von vorne bis hinten konsequent auf dem schmalen Grad zwischen süßlich-fruchtig und zitrisch-holzig-würzig zu balancieren.

Ich werde zu diesem Parfum das Bild nicht los, wie ein Pärchen aus dem KitKat wankt, irgendwann morgens um sieben - und nicht in Latexklamotten - die Nacht war aufregend, jetzt kuscheln sie in der U-Bahn und beschließen, noch schnell Brötchen vom Bäcker zu holen und dann endlich mal Game of Thrones weiter zu gucken.
4 Antworten
Anosmia vor 6 Jahren 19 3
Lufterfrischer?!
Geerbt habe ich den schon vor Jahren von meiner Mutter: Die mochte das Frucht-mit-Holz, stolperte aber regelmässig über eine Duftphase, die sie als "Apothekennote" beschrieb: bitter und störend. Nach dem 10. Gebrauch gab sie den Kampf auf und das Fläschchen wanderte noch randvoll zu mir. Jetzt ist es fast leer.

Und das kam so:
Das Konzept des Lufterfrischers, der schlechte Gerüche neutralisieren soll, ist ja nun eigentlich eher außerhalb des Parfum-Markts verbreitet.
Meine Oma pflegte zum Beispiel immer große Mengen "Glade" zu versprühen, wenn sie geraucht hatte - meistens abends, nachdem mein Opa nach 2 Tafeln Schokolade und getotterten Lamento über unfähige Politiker im Sesseln weggedöst und von ihr ins Bett geschickt worden war.
Meiner Mutter zufolge diente die Glade-Spüherei nur dazu, der Rauchnote noch ein aufdringliches Meeresbrisen- oder Blumen-Aroma hinzu zu fügen.
Auch sehr beliebt: Polster, Gardinen und Klamotten mit Febreeze bearbeiten.
Und, so hörte ich, das mit Abstand schauerlichste Produkt sind wohl diese Tannenbäumchen, die vor allem in den 90ern (den fiesen, absonderlichen, stilfeindlichen 90ern) in vielen Autos herumbaumelten - wohl einer dieser Fälle (so wurde mir berichtet), in denen es ganz fabelhaft ist, nicht riechen zu können.

Concentré d'Orange ist mein Sportduft. Und im Sommer auch Arbeitsduft. Nicht nur weil er herb-mackerig zitrisch-frisch riechen soll, sondern weil er immer(!) als Leuchtfackel des orangigen Wohlgeruchs in stinkenden Umgebungen gelobt wird.

Die besten Ergebnisse erzielt dieser Duft in Situationen, die mit Gestank einher gehen. Sport und Clubs morgens um sechs, zum Beispiel. Dann kann ich mir sicher sein, dass sich irgendwer erleichtert an meine Schulter hängt und einmal tief durchatmet. Beim Sport hat er mir einmal das Kompliment eingetragen: "Du bist die Einzige, die hier nicht stinkt, sondern duftet."
Bei mir hat sich deshalb das Bild durch gesetzt, dass das Orangenkonzentrat ein wirklich gut gemachter teurer Lufterfrischer ist. Ein Duft also, der mit Rauch, Schweiß und Biergeruch nicht ein widerliches Ganzes bildet, sondern tapfer kämpft, diese Gerüche zu vertreiben.

Und ich weiß immer noch nicht, wie er das eigentlich macht.

Über die "Apothekennote" habe ich übrigens nie wieder von jemanden Beschwerden gehört.
3 Antworten
1 - 5 von 14