DerDefcon
Olfaktorische Streitereien
vor 5 Jahren - 06.08.2019
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"Pragmatische" Entscheidungsfindung

Es ist spät in der Nacht, den halben Tag schrieb ich an meiner Bachelorarbeit herum, durchstöberte meine Zitatdateien, die gefühlt kein Ende nahmen, erörterte die Anwendbarkeit des faktualen und fiktionalen Erzählens nach Genette, kümmerte mich "nebenbei" noch um unseren Wurf Welpen, die jetzt so richtig mobil werden und ... ach ... deswegen seid doch gar nicht hier. Mir fiel nur so ganz spontan, wie es halt mitten in der Nacht manchmal ist, ein, dass ich ja nun seit ein paar Tagen meinen neuen Duft habe. Es ist einer der Düfte, die sich in meinem letzten Blog-Artikel mit dem kreativen Titel "Der Dreikampf" darum bemühten, meine Gunst zu erlangen. Einer hat es nun geschafft und nach dem heutigen geisteswissenschaftlichen Gequäle (mein Studium macht mir trotzdem Spaß) kam mir in den Sinn, mal locker von der Hand zu schreiben, welcher Duft es nun wurde.

UND WEHE, hier wird erst in meiner Sammlung herumgestöbert und dann gelesen! :D

Wie ihr euch sicherlich alle denken könnt, fällt solch ein Entscheidungsprozess nie besonders leicht. Hier gab es gleich drei Kandidaten, die um den ersten Platz kämpften. Ihr merkt vielleicht, dass ich es mir gerne schwer mache, aber ich schätze mal, dass diese "Dreier-Konstellation" für Parfumo-Verhältnisse noch harmlos ist, oder etwa nicht?

Ich machte mir ausgiebig Gedanken, welcher mir am besten gefällt und kam zu dem Schluss, dass diese Frage irgendwie kaum beantwortbar ist, da mir alle drei Kandidaten auf ihre Weise zusagen.

Achso, es geht um "Baccarat Rouge 540 (Eau de Parfum)", "APOM pour homme" und "Lumière Noire pour homme". Hätte ich fast vergessen zu erwähnen.

Schaue ich also zu Beginn doch mal nach deren Haltbarkeit, denn hier lässt sich schon etwas besser eingrenzen. Der "Baccarat Rouge 540 (Eau de Parfum)" gewinnt hier haushoch. Gefühlt handelt es sich dabei um einen Signaturduft fürs Leben, bedenkt man, dass man ihn auch nach zwei Tagen und dazugehörigen Duschen noch auf der Haut wahrnimmt. Ich kann mich aber weder beim Rosenkandidaten "Lumière Noire pour homme" noch bei der ambrierten Orangenblüte ala "APOM pour homme" über eine schlechte Haltbarkeit beklagen. "APOM pour homme" ist zwar noch etwas potenter als die "Lumière Noire pour homme", strahlt auch deutlich stärker ab, was aber nicht bedeutet, dass die Rose in irgendeiner Weise schwach auf der Brust wäre. Weder Haltbarkeit noch Sillage boten, auch wenn Unterschiede zu verzeichnen waren, Anlass, einen der drei Düfte prinzipiell auszuschließen.

Gehen wir weiter zum nächsten Kriterium, nämlich der Einzigartigkeit. Hierzu sei gesagt, dass ich mich noch im Anfangsstadium befinde, was meine Duftkarriere betrifft. Ich kenne längst nicht so viel wie manche von euch, besitze vielleicht auch nicht so viele Abfüllungen und bin bezüglich mancher Duftrichtungen noch etwas unbedarft. Was die Einzigartigkeit angeht, strahlt "Baccarat Rouge 540 (Eau de Parfum)" mit seinem goldenen Antlitz jedoch so deutlich hervor, dass auch eine ungeübte Nase aus all ihren olfaktorischen Gewohnheiten herausgerissen wird. Diese dezent medizinische, synthetische Note, die stark gezuckert daherkommt, dabei aber immer luftig und transparent bleibt - ja - ein wenig nach gezuckertem Tomatengrün riecht, um mal aus einem fremden Duftkommentar zu schöpfen, ist auf jeden Fall etwas anderes als die bekanntere Rose oder die bekanntere Orangenblüte. Letztere sind dabei keinesfalls öde, stupide oder gewöhnlich. So wird die Rose im "Lumière Noire pour homme" würzig mit Zimt geschmückt und durch grün-erdigen Patchouli eingehüllt, während die erst minimal feminim auftretende Orangenblüte im "APOM pour homme" durch den Amber einen schönen Tiefgang erfährt und sich durch das Pudrig-staubige von anderen Orangenblütendüften abhebt.

Einzigartig sind sie also alle drei, auch wenn das gezuckerte Tomatengrün (nochmals vielen Dank an den entsprechenden Kommentarverfasser für die Assoziation) auf einer Skala von eins bis zehn mit Sicherheit eine zwanzig erreicht.

Neben der Einzigartigkeit spielt für mich aber auch die Tragbarkeit eine wesentliche Rolle. Gerade bei "Baccarat Rouge 540 (Eau de Parfum)" dachte ich, dass dieser aufgrund seiner polarisierenden Art am alltagsuntauglichsten wäre.

Ich sollte mich täuschen.

Durch seine Luftigkeit, die dafür sorgt, dass der Duft nie klebt, drückt oder für jenen Zuckerschock sorgt, den so mancher Süßekracher von Prollo Rabane verursacht, kann er recht universal eingesetzt werden. Selbstverständlich sollte auf die Dosierung geachtet werden, aber ist das nicht irgendwie bei jedem Duft so? Nun ja, bei "Baccarat Rouge 540 (Eau de Parfum)" ist das nicht nur so eine Floskel, sondern mein voller Ernst, denn zwei Sprühstöße sind schon beinahe zu viel des Guten.

Zu den anderen Kandidaten und ihre Tragbarkeit:

"Lumière Noire pour homme" passt mit seiner dunklen, erwachsenen, unsüßen Rose eher zu abendlichen Veranstaltungen, an denen ein edler Kleidungsstil für gewöhnlich obligatorisch ist. Prinzipiell kann ich mir nicht vorstellen, diese Rose mit einem légeren Outfit zu kombinieren und in vielen Situationen würde ich mich mit ihr "overduftet" fühlen, wenn ihr versteht, was ich meine. All dies ändert nichts daran, dass sie wunderschön ist, doch die Gelegenheiten, sie zu tragen, sind in meinem Fall wohl zu selten vorhanden.

"APOM pour homme" ist schon eher casual tragbar. Ein helles Hemd, ein helles T-Shirt, eine schöne, bequeme Chino-Hose und rauf damit auf die Haut. Die Orangenblüte sorgt umgehend für gute Laune und hätte mich beinahe zum Kauf gedrängt, als ich eines morgens im Auto saß, natürlich im Stau stehend, doch schlechte Laune aufgrund des Zugegenseins von "APOM pour homme" einfach nicht aufkommen wollte. Am Ende schaffte er aber nicht, mich zu "überreden", sondern es wurde nach reichlicher Überlegung und Abwägen verschiedenster Faktoren "Baccarat Rouge 540 (Eau de Parfum)", denn die Kombination aus Einzigartigkeit und Tragbarkeit war ausschlaggebend, was keineswegs bedeutet, dass "APOM pour homme" abgeschrieben ist. Irgendwann werde auch ich wieder Geburtstag haben.


Hier habe ich euch, anders als in meinem vorigen Blog, mal keinen abstrusen Traum präsentiert, sondern versucht, meine Entscheidung mit einer gesunden Priese Pragmatismus zu begründen. Gut, inwiefern bei einer Kaufsumme von rund 160 Euro für 70ml noch von Pragmatismus gesprochen werden kann, darf gerne diskutiert werden. Rede ich es mir einfach schön und sage, dass ich dank einer 30-Prozent-Rabattaktion "gespart" habe. Hach ... hört sich schon besser an ;)



Nachtrag: Da von manchen gewünscht, gibt es hier mein persönliches Highlight-Bild.

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