Duftsucht
Duftsuchts Blog
vor 6 Jahren - 09.09.2019
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Rieche ich, was wirklich da ist? Oder das, von dem ich weiß, dass es da sein soll? Ein (kurzes!) philosophisches Traktat.

Letzthin stand ich in der Dusche, luxuriös eingeschäumt in das wirklich schöne Duschbad Vrai von Fragonard, das recht ähnlich riecht wie der gleichnamige Duft und sinnierte so vor mich hin, wie toll diese metallisch-grün-herbe Note von Eisenkraut ist. Da stutzte ich plötzlich und fing an, mich selbst zu befragen: Wenn ich nicht (aus der Duftpyramide des Parfums) wüsste, dass da Eisenkraut drinnen ist, würde ich den Geruch dann auch als metallisch beschreiben? Oder ist es nur die Konnotation mit dem Wort „Eisen“-Kraut, die mich Metall riechen lässt? Oder heißt vielleicht Eisenkraut deshalb Eisenkraut, weil es wirklich nach Metall riecht? Fragen über Fragen – und da es meiner Meinung nach fast keinen besseren Ort für Meditation gibt als die Dusche oder Badewanne, fing ich gleich an, an anderen Duschbädern zu schnuppern. Bei „Delice de Bain“ von Guerlain ist die Sache einfach. Das riecht überschwellig nach Orangenblüte und Moschus, Honeysuckle and Rose von Molton Brown wunderbar nach Geißblatt (die Rose rieche ich nicht). Orange and Bergamot für mich vorwiegend nach Bergamotte.

Duschbäder sind da ja noch einfache Kandidaten, aber bei Parfum muss ich feststellen: Ohne Duftpyramide, um mich zu vergewissern, kann ich nur wenige Komponenten zweifelsfrei identifizieren. Am besten gelingt es eigenartiger Weise mit den Dingen, die ich nicht mag: Überdosis Saubermoschus ist eindeutig, Pfingstrose und Rose (beides für mich Problemkandidaten) meist ebenso, Zibet und Konsorten (fast immer *schüttel*) oder Oud (bekennender Oud-Banause). An zweiter Stelle kommen erst die Duftrichtungen, die ich richtig gerne mag, Bergamotte, Vetiver, Sandelholz, Geißblatt – und auch das nicht mit 100-prozentiger Trefferquote.

Meist ist es eher umgekehrt. Ich teste einen Duft und irgend etwas stört mich: Ein Nachblättern auf der Parfumseite bringt es zu Tage: „Ach ja, natürlich, das ist (vermutlich) die Rosengeranie“ oder ein ähnliches Aha-Erlebnis. Auch umgekehrt funktioniert das: Ein besonders schöner Duft – gestern und vorgestern Abend war es, angeregt durch den wunderschönen Kommentar von Can777 „Vol de Nuit“ von Guerlain. Über ganze Strecken hätte ich einfach nur beschrieben „überwältigend, komplex, würzig, geerdet und zum Weinen schön“ und das einzige, was ich zweifelsfrei und mit gutem Gewissen sagen kann, ist am nächsten Tag in der Früh, dass eindeutig Vanille auf der Haut verbleibt. Beim Nachschauen sagt dann mein Hirn „Na klar, Aldehyde!“ oder „selbstverständlich Galbanum“ – wie wenn ich es wirklich immer schon gerochen hätte.

Es gibt für mich wirklich nur ganz, ganz wenige Düfte, bei denen ich einen Verlauf erriechen kann, meist sind es solche, die einen ähnlichen Aufbau haben, wie Düfte, die ich bereits gut kenne oder eher simple zitrisch-krautige Colognes, die weniger komplex sind und mit nur einigen Hauptzutaten auskommen.

Wie ist das bei euch? Seid ihr Supernasen? Oder Otto Normalverbraucher? Oder teilt ihr die Welt ganz pragmatisch in „stinkt“ und „duftet“ ein, denn bei Licht besehen, wäre das ja auch vollkommen ausreichend!

Eure Duftsucht

25 Antworten
EyrisEyris vor 6 Jahren
Hallöchen,
dein Artikel hat mich sehr nachdenklich gemacht und habe in meinem Blog eine Antwort darauf geschrieben inklusive eines kleinen Experimentes, inspiriert durch deinen Text :)
Dankeschön für die Anregung!
https://www.parfumo.de/Benutzer/Eyris/Blog/Eintrag/blindfluge-ein-experiment
TtfortwoTtfortwo vor 6 Jahren
Zunächst mal: Vrai gehört zu den schönen Sachen, mit denen Fragonard uns mal beglücken konnte. Ich hatte das Duschbad, vom Duft noch einen Rest. Feiner Kram.

Mir geht es wie Dir, ich brauche die Pyramiden auch. Allerdings kann ich einige Bestandteile inzwischen auch ohne Hilfestellung - nicht immer zweifelsfrei, aber es wird besser - identifizieren. Nach dem 10. Duft, der Bergamotte in der Kopfnote hat, entsteht eben doch eine Vorstellung im Kopf, wie Bergamotte in etwa duften könnte.
TtfortwoTtfortwo vor 6 Jahren
Beim 11. Duft passiert es dann, daß mein Duftgedächtnis anspringt: Könnte B. sein.

Darüber hinaus hilft mir, daß ich mein Duftempfinden inzwischen konkret abfrage, wenn ich keine Pyramide vorliegen habe. Ich frage mich, was ich da rieche. Zitrisch? Fruchtig? Usw.
TtfortwoTtfortwo vor 6 Jahren
Und danach frage ich mich, was für eine Zitrusfrucht z.B. das sein könnte. Und nenne die Namen von Kandidaten, also „rieche ich eine Mandarine?“. Und wenn, mehr die ätherischen Schalenöle oder die Frucht mit Fuchtfleisch. Naja, und dann kann es schon sein, daß ich feststelle, ja, ich hab ne Mandarine gerochen und zwar die Schalen mehr als das saftige Fruchtfleisch und wenn ich dann in die Pyramide kucke, dann passiert mir doch immer öfter, daß ich richtig liege.
GoldGold vor 6 Jahren
... ich hangele mich auch manchmal daran entlang, empfinde aber genau diese Texte oft als weniger gelungen.
Was zählt ist doch das, was das Parfum an Wirkungen und Emotionen evoziert. Dies tut es ja stets als Ganzes.
Es ist - wenn es eine richtig gute Komposition ist- immer ein Gesamtkunstwerk, das ich gar nicht in einzelne Bestandteile zerlegen will, geschweige denn kann.
GoldGold vor 6 Jahren
Du duschst mit VRAI... ich auch. Die Duftpyramiden... oft wirklich nur von den Firmen herausgehauene Werbebotschaften. Ich teste alles blind und erkenne nach vielen Jahren schon manche der sehr markanten Komponenten, aber gerade das Zusammenspiel der einzelnen Noten ergibt die Gesamtwirkung und macht den Charakter eines Parfums aus. Viele Texte bzw. Kommentare hier würden anders lauten, wenn sie ohne das vorherige Lesen der Pyramide verfasst worden wären, wobei ich mich da auch nicht ausschließe
MantusMantus vor 6 Jahren
Ein sehr schöner Blog! Ich beschreibe die Düfte mit den Duftnoten, die auch tatsächlich erkannt habe, wenn ich sie nicht erkannt habe, schreibe ich dies auch in meinen Kommentar dementsprechend so rein, ganz explizit kann ich da A.E.O.M von Bijon nennen, bei dem ich von den Basisnoten so gut wie keine erkannt habe. Das ist auch überhaupt nicht schlimm, letztendlich geht's doch nur darum: Gefällt der Duft, oder nicht? :-) Und ich finde, dass ist das, was zählt :-)
EinfachichEinfachich vor 6 Jahren
einzelnen Nuancen mir den Tag verschönern sollen, sondern die Gesamtkomposition ist dann ausschlaggebend.
EinfachichEinfachich vor 6 Jahren
Ich kann auch die noten am besten identifizieren, die ich am wenigsten mag. Die "Standardnoten" erkenne ich mittlerweile ganz gut (bilde ich mir zumindest ein), wobei eine grüne Mandarine schon mal eine Bergamotte sein kann usw. Natürlich finde ich es spannend wie ich mit jedem neuen Duft dazulernen kann, freue mich aber auch gerne einfach an einem schönen Duft, auch wenn ich ihn nicht in alle Einzelteile zerlegen kann. Und wenn ich morgens meine Duftwahl treffe, überlege ich auch nicht welche
PollitaPollita vor 6 Jahren
Ich kann viele Noten nicht herausriechen und bin witzigerweise immer wieder überrascht, wenn mir ein Duft gefällt, der eine Note enthält, die ich eigentlich gar nicht leiden kann. Maiglöckchen beispielsweise ist da so ein Kandidat. Ich erkenne Vanille, Patchouli, Muschus und andere markante Noten gewöhnlich, aber das wars dann auch. Oft rieche ich auch Noten, die laut Pyramide gar nicht enthalten sind. Tja...
ZoraZora vor 6 Jahren
Mir geht es da wie Dir. Meistens ist es umgekehrt, das mich irgend etwas stört und wenn ich nachschaue sind es meistens die gleichen Duftnoten die vorhanden sind. Ich kann es meistens mit anderen Assoziationen beschreiben wie z.B. Patchouli, es riecht bei mir fast immer nach modriger Keller. Ein Grund das ich nicht so oft Kommentare schreibe. Auch wurde ich oft irregeführt indem verschiedene Duftnoten zusammen eine neue ergeben die ich dann zwar kenne, die dann aber natürlich nicht stimmt.
SeeroseSeerose vor 6 Jahren
Was ist schlimm daran, wenn man Duftnoten beim Blindtesten "falsch" gerochen hat? Ich teste wenn möglich nur noch blind. Das kann man üben, man wird immer besser man irrt weniger. Was man ganz sicher entdeckt, dass man auf die Pyramiden oft überhaupt nichts geben kann und außer Vanille/Tonka, Zibet vielleicht, Holz. Ich "Ambroxan z. B Wenn man weiß, wie viele Riechstoffe in einen Parfüm wirklich sind, gibts wenige Treffer. Positiv, wenns einigermaßen stimmt, wie oft sind das Luft-Duft-Schlösser
PreciousPrecious vor 6 Jahren
solche detailreichen Informationen zu Düften gar nicht. Außer der Haarmann & Reimer Atlas, in dem man nachlesen konnte, in welche Duftfamilie ein Duft eingeordnet wurde. Da gab es auch Duftpyramiden zu bestaunen. Sehr faszinierend, wenn man mit seiner Einschätzung beinah richtig lag. Diese Genealogien von Haarmann & Reimer (jetzt Symrise) liebte ich sehr.
PreciousPrecious vor 6 Jahren
Toller Blog und so viel sympathische Ehrlichkeit. Weitestgehend "objektiv" kann ein Duft nur dann wahrgenommen werden, wenn man vorher gar nichts von ihm weiß. Die Pyramiden oder auch die Kommentare zu Düften beeinflussen uns bereits. Ich fand es gut, wenn Duftproben lediglich eine Nummer erhielten u. getestet wurden. Das hat die Userin "First" schon gemacht u. die Videos von "M3000" haben uns das anschaulich vorgeführt. Die Pyramide ist für mich lediglich Anhaltspunkt. Vor dem Internet gab es
DaisyDaisy vor 6 Jahren
Bei allem Interesse, Dingen auf den Grund zu gehen, werde ich doch in olfaktorischer Hinsicht immer Laie bleiben, denke ich. Am Anfang war das ätherische Öl - für ausgiebiges Nasentraining. Neue Düfte zu testen, nur um zu sagen 'Gefällt mir' oder 'gefällt mir nicht', ist mir zu banal, zu oberflächlich. Erkenntnis gewinne ich erst bei der Beantwortung der Frage nach dem 'warum'. Komplexschönheiten zu entdecken ist immer wieder spannend und macht beim Blindtesten sowieso am meisten Spaß.
SciaScia vor 6 Jahren
Ein kleiner O.T...
Hab mir eben ein paar Seiten Deiner Kommentare durchgelesen, finde alle ausgesproche schön und hilfreich geschrieben. :)
CentifoliaCentifolia vor 6 Jahren
Eine sehr gute Frage! Es ist viel schwerer, "blind" zu riechen und ich bin der Meinung, daß man eindeutig nur das identifizieren kann, was man als Einzelsubstanz schon mal gerochen hat, alles andere ist sehr oft bloße Spekulation. Eisenkraut riecht übrigens nach Zitrone :o)
SciaScia vor 6 Jahren
Da hast Du vollkommen Recht, im Grunde zählt nur " riecht gut" "riecht schlecht". Wird nur beim Kommischreiben problematisch, denn da gäbe es dann eins auf den Deckel :D Aber Deine Gedanken unterstreichen, wie unzuverlässig auch sehr detaillierte Kommentare sein können...oft mit Pyramidelesen gerochen und geschrieben. Das soll jetzt überhaupt keine Kritik sein. Aber es ist tatsächlich so, dass man vorwiegend riecht, was man riechen soll oder will. (siehe Blindtest, da stimmt oft nix :))
BlauemausBlauemaus vor 6 Jahren
Ach ja, und Vetiver. Das habe ich noch vergessen....
BlauemausBlauemaus vor 6 Jahren
Orangenblüte, Ylang-Ylang oder Tuberose kann ich zwischenzeitlich meist rausriechen. Auch Bergamotte, Neroli und Grapefruit. Oder schwarze Johannisbeeren. Eichenmoos, das ist immer in so grünen Düften drin, die ich noch nie ausstehen konnte. Aldehyde, weil die seifig riechen. Und Iris, davon bekomme ich zu 90% fiese Kopfschmerzen. Aber bei so Fantasienamen oder -akkorden muss ich passen. :)
Helena1411Helena1411 vor 6 Jahren
Ich gehe da mit RobGordon, denn in der Tat stellt sich die Frage, woher man wissen soll, wie ein ozonischer Akkord riecht, wenn man ihn noch nie gerochen hat. Das ist vergleichbar mit dem philosophischen Gedankenexperiment von Cameron „Mary‘s Room“. Wir konstruieren uns unsere Wirklichkeit mit Hilfe von Erlesenem, Gehörtem, eigenen Erfahrungen..., aber ob das dann DIE Wirklichkeit ist, bleibt fraglich. Wichtig ist doch vorrangig die eigene Wahrnehmung: Mag ich den Duft oder nicht? Toller Blog :)
M3000M3000 vor 6 Jahren
Ich bemühe mich um beides: Die Schönheit des Dufts als Ganzes ist das Wichtigste! Dennoch macht mir auch die Analyse Spaß. Noten entdecken und nachvollziehen können ist mir wichtig, mir bringt das übertragbares Verständnis in der Breite. Und daher freue ich mich schon wie ein Honigkuchenpferd auf den nächsten Rohmaterial-Workshop heute Abend :-)
Edda32Edda32 vor 6 Jahren
.....also das Wahrnehmen des Duftverlaufes. Hier finde ich, zeigt sich die Qualität eines Duftes. Ist das ein gefälliges Drei-Minuten-Radiostück oder eine Sinfonie...
Zu deiner Eingangsüberlegung: Ich könnte mir vorstellen, dass Eisenkraut aufgrund seiner sehr harten, festen Stängel so heißt.
RobGordonRobGordon vor 6 Jahren
Im philosophischem Kontext muss die Frage erlaubt sein, ob wir überhaupt "riechen". Ich vermute es ist mehr eine intellektuelle Näherung. Wie beschreibt man etwas, das man noch nie zuvor gerochen hat? Erde, Rose, Vetiver, Patchouli sind nicht anderes als die das Ergebnis an Duftstellvertretern die dann als sozusagen funktionale Metapher bemüht werden, wenn wir das, was wir zu riechen glauben, zu interpretieren versuchen, beginnend mit der Suggestivkraft einerDuftpyramide. ;)
Edda32Edda32 vor 6 Jahren
Ja, das ist so ein Thema....danke fürs Ansprechen. Einige Duftnoten sind so markant oder so einprägsam, dass ich sie wirklich herausriechen kann. Bergamotte, Neroli, Tuberose/Hyazinthe, Rose, Mandel, Labdanum, Patchouli, Zibet und ein paar andere. Allerdings darf man nicht ausblenden, dass die Herstellerpyramiden ja auch Werbung und schöne Worte bzw Sinnbilder sind. 'Tautropfen' las ich neulich...naja. Je länger ich mich mit Parfum beschäftige, je mehr lerne ich. Dazu gehört auch der Duftverlauf

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