Fabistinkt
Fabistinkts Blog
Von Parfumo empfohlener Artikel
vor 4 Jahren - 30.09.2020
32 62

Gloria Vanderbilt im House of Revlon

Es ist wieder einmal an der Zeit für einen kleinen Blogbeitrag, der uns ins Jahr 1961 führt. Aber nicht einfach irgendwohin, sondern direkt in die 5th Avenue in New York City. Und weil 1961 ist, können wir auch problemlos und unmaskiert unser Ziel erreichen: das „House of Revlon“. Drinnen herrscht rege Betriebsamkeit: Im Salon sitzen zwei Kundinnen im rosa Frisiermantel, eine mit Lockenwicklern unter der Trockenhaube, eine andere wird halb von einem Friseur im Maßanzug verdeckt. Er schwingt blitzschnell den Toupierkamm, als würde er schon für die Helmfrisuren der kommenden Jahre üben. Über der ganzen Szene hängt eine Duftwolke teuren Haarsprays. Aus dem Nachbarzimmer kommt eine junge Frau gelaufen, etwas außer Atem. „He’s ready! Are you gonna take a lot longer?“ Sie sagt dabei nicht „are“ und “longer”, sondern eher etwas wie „oa” und “loanga”. Ethel stammt aus Queens und das darf ruhig jeder hören.
Voller Missbilligung bleibt der Kamm mitten in der Luft stehen.
„Gimme five minutes, alright? It’s gotta be perfect, ya know!” Er sagt “poifect”. Auch Gilberto ist New Yorker.
Ethel seufzt leise und verdreht kaum merklich die Augen. Der berühmte Fotograf im Nagelsalon schraubt noch am Scheinwerfer, eine Kamera steht auf einem Stativ seitlich des Tischchens, eine kleinere liegt auf einem Stuhl. Sie ist sich nicht sicher, was sie von ihm halten soll. Er scheint nett zu sein, aber auch ein bisschen merkwürdig. Künstler eben. Mr. Horst murmelt vor sich hin. Ethel meint „Wo bleibt die Alte“ auf Deutsch verstanden zu haben. Ihre Nana hatte mit ihr manchmal Jiddisch gesprochen, doch das weiß der Fotograf natürlich nicht. Sie blickt zum Manikürstuhl. Darauf sitzt Mildred, schon seit einer halben Stunde. Nervös wippt sie mit den Füßen und rutscht hin und her, als würde sie im Sitzen tanzen. Ethel weiß, dass sie Posieren für die Fotos übt. Dabei sind sie beide wahrscheinlich nur in einer einzigen Einstellung zu sehen und alle Aufmerksamkeit wird auf der berühmten Kundin liegen. Mildred hatte ihr gestern in der Mittagspause erzählt, dass Mr. Horst sonst Fotos für Chanel machte. Auch die Davis soll er schon fotografiert haben und vor Kurzem erst die neue First Lady. Und jetzt kam er zu ihnen, um Fotos für eine teure Zeitschrift zu machen. Sie würden darauf so tun, als würden sie arbeiten, und eine reiche, schöne Frau würde die Kundin spielen. Wie schade, dass sie ihre langweilige Arbeitskleidung anbehalten müssen! Erst gestern hatte ihr Ma geholfen, das blaue Kleid fertig zu nähen. So schick sah sie darin aus mit ihrem kurzen blonden Lockenkopf! Aber der Chef hatte darauf bestanden, dass sie in ihren Uniformen abgelichtet würden. Gilberto hat Glück. Er wird auch fotografiert werden und darf seinen Anzug natürlich anbehalten. Weil er immer im Anzug arbeitet. Aber egal, wenigstens würde sie besser aussehen als Mildred auf den Fotos. Und der Chef hatte ihr erlaubt, ihre winzige Ausgeh-Uhr zu tragen. Immerhin das.
Jetzt hört sie Gilberto „Done!“ rufen. In einem Ton, als hätte er ein Mittel gegen Diphtherie gefunden. Er klatscht in die Hände. Es raschelt kurz und seine Kundin kommt zu den dreien in den Raum. Ethel kennt sie, es ist Mrs. Lumet. Mrs. Lumet ist eine ihrer Lieblingskundinnen, weil sie immer freundlich ist, obwohl sie so viel Geld hat. Dass sie reich ist, weiß sie von Mildred. Die hatte erzählt, dass sie sie aus der Zeitung kannte, von früher. Als Mildred noch ein Schulmädchen gewesen war, war Mrs. Lumet oft in den Schlagzeilen. Natürlich war sie da noch ein kleines Kind und hieß auch noch nicht Lumet, sondern Vanderbilt. Gloria Vanderbilt. Sie war als „poor, little rich girl“ bekannt, da sie aus einer unfassbar reichen Familie stammte. Und „poor“ deswegen, weil sie irgendwie doch keine Familie hatte. Der Vater hatte sich tot gesoffen und die Tante schaffte es, die kleine Gloria in einem Gerichtsverfahren der Mutter wegzunehmen. Um an das Erbe zu kommen. Mittlerweile ist Gloria kein kleines Mädchen mehr, sondern eine bildschöne Frau. Als sie das erste Mal zur Pediküre gekommen war, hatte Ethel gedacht, sie wäre arrogant. Später hatte sie dann gemerkt, dass das gar nicht stimmte. Die Lumet war bloß schüchtern. Und ziemlich verträumt. Mildred hatte erzählt, dass sie mit 16 einen aus Hollywood geheiratet haben soll, der sie zu Hause geschlagen hatte. Und nach dem Krieg hatte sie dann einen Dirigenten geheiratet, der viel älter als sie selbst gewesen war. Sogar zwei Kinder hatten die beiden. Und jetzt ist sie schon wieder verheiratet, mit einem Regisseur vom Broadway, dem Sidney Lumet.
Mildred springt aufgeregt vom Stuhl und führt Mrs. Lumet zur Chaiselongue. Bevor sie sich hinsetzt, legt sie ihr einen neuen Frisierumhang um. Den alten konnte sie wahrscheinlich nicht anbehalten, weil Gilberto ihr die Spitzen geschnitten hatte. Ethel mag die rosa Umhänge nicht. Der Chef bläut ihnen jeden Tag ein, dass sie vorsichtig damit umgehen müssen. Offenbar waren die Dinger sehr teuer. Ein Franzose hatte die wohl gemacht. Ballman hieß der, oder so ähnlich.
Jetzt gibt der Fotograf Befehle. Mildred soll sich auf den Stuhl an der Wand setzen und der Lumet die Fingernägel lackieren. Ethel soll sich daneben setzen und sich um die Füße kümmern. Sie seufzt. Es ist August, Füße machen im Sommer keinen Spaß. Wenn sie einmal so lange da ist wie Mildred, will sie auch nur noch Hände machen. Der Mann von der Zeitschrift, der die ganze Zeit draußen am Telefon gewesen war, kommt in den Raum. Er gibt Mrs. Lumet ein paar Schmuckstücke, einen Ring, zwei dicke Armbänder und eine Anstecknadel. „Van Cleef and Arpels“ sagt er. Dann ruft er Gilberto, er soll nochmal nachpudern. Joan von der Rezeption kommt herein und stellt ein Frühstücksservice auf den goldenen Tabletttisch. Die Lumet soll so tun, als würde sie bei der Maniküre Kaffee trinken.
So langsam wird Ethel doch nervös, fast so wie Mildred. Sie sieht aus dem Augenwinkel, wie ihre Hände zittern. Ohje, jetzt hat sie der Lumet sogar die Fingerspitze angemalt. Die bleibt ruhig und tut so, als wäre nichts. Ethel verkneift sich ein Grinsen. Der Deutsche macht ein Foto. Und noch eins. Ethel soll sich aufrechter hinsetzen. Blitz. Mildred soll nicht so wackeln. Blitz. Blitz. Gilberto soll ein Haar aus dem Gesicht frisieren. Sprüh, sprüh. Blitz. Blitz. Done.
Schade, jetzt hat sich Ethel so langsam an die Rolle als Model gewöhnt. Aber sie glaubt, dass sie ihre Sache gut gemacht hat. Der Fotograf lächelt ihr zu. Dann sind sie wohl fertig. Der Fotograf, Mrs. Lumet, Gilberto und der Mann von der Zeitschrift gehen nach draußen, um noch mehr Fotos zu schießen. Ein paar mit der Trockenhaube und ein paar, auf denen Gilberto so tut, als würde er sie frisieren. Joan schnappt sich den Kaffee und schickt die nächste Kundin herein. Die ist echt und will sich wirklich die Nägel machen lassen. Bald erinnert nichts mehr an den Fototermin.
Nur noch ein Hauch von einem Parfum liegt in der Luft. Ethel kennt den Geruch schon, so riecht die Lumet. Der Chef behauptet zwar immer, es wäre „Intimate (Parfum)“, ein Duft aus dem Salon. Aber Ethel weiß, dass das nicht stimmt. Es ist ein französisches Parfüm, das hatte ihr die Lumet erzählt, als sie sie danach gefragt hatte.
Die Lumet hatte als junges Mädchen einmal in Paris gewohnt. Dort hatte sie sich oft allein gefühlt ohne ihre Mutter und ihre Lieblingsnanny. Als sie mit der Gouvernante einmal in der Stadt unterwegs gewesen war, hatte sie sie angebettelt, dass sie sich ein Parfüm kaufen durfte. Die hatte zuerst gemeint, sie wäre zu jung dafür. Aber Gloria hatte es sich in den Kopf gesetzt und so waren sie in eine Parfümerie gegangen. Dort hatte ein älterer Mann mit einem gesunden und einem kaputten Auge gearbeitet. Er hatte ihr von einem Parfüm erzählt, dass wie die Stunde zwischen dem Sonnenuntergang und der Nacht riechen würde. Die Geschichte hatte ihr sehr gefallen. Sie hatte zu ihr gepasst, einsam und traurig wie sie sich fühlte. Und so hatte sie das Parfüm gekauft.
Ethel war damals sehr gerührt von der Geschichte. Sie selbst kann sich nur „Blue Waltz“ leisten, doch irgendwann wird sie auch wie die Lumet riechen.


Gloria Vanderbilt ist letztes Jahr am 17. Juni im Alter von 95 Jahren gestorben. Sie war sehr aktiv bis ins hohe Alter als Malerin und Buchautorin. Sie hatte noch zwei weitere Söhne mit ihrem Mann Wyatt Cooper. Einer davon nahm sich 1988 das Leben, sein Bruder Anderson ist CNN-Sprecher. In den 70ern und 80ern war sie bekannt für ihr Jeanslabel und sie lancierte ein eigenes Parfüm, Vanderbilt. In seiner Pudrigkeit lässt es mich an eine kühle, grüne Variante von L’heure bleue denken.

Am 15. August 1961 fand im "House of Revlon" in der 5th Avenue ein Fotoshooting für die amerikanische VOGUE statt, für das der deutschstämmige Fotograf Horst P. Horst engagiert wurde. Das Shooting wurde ausgestattet mit Schmuck von Van Cleef & Arpels, die Umhänge stammten von Balmain. Das Model war Gloria Vanderbilt, die damals noch mit Sidney Lumet verheiratet war. Über die Angestellten bei Revlon war leider absolut nichts zu finden, nichteinmal die Namen.

32 Antworten

Weitere Artikel von Fabistinkt