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Von Parfumo empfohlener Artikel
vor 2 Jahren - 24.01.2022
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Wie duftete die Erfinderin der Einbauküche?

Eine moderne Küche ist etwas Feines. Sie ist einfach sauber zu halten, alle Utensilien lassen sich bequem in den Tiefen ihrer Ober- und Unterschränke verstauen und Induktionsherd, Spülmaschine, Kühlschrank und Thermomix kümmern sich um den Rest. Aber war das schon immer so?
Meine Uroma genoss da weit weniger Luxus und musste zudem noch auf die Unterstützung der männlichen Familienmitglieder verzichten. Als sie in den 1920er Jahren in der Küche schaltete und waltete, war das düstere Kämmerchen gefüllt mit Einzelteilen: An einer Wand stand der Holzherd, woanders der Spülstein, einen Kühlschrank hatte sie nicht, gearbeitet wurde an einem Arbeitstisch und sämtliche Utensilien wie Pfannen und Schöpfkellen hingen entweder an der Wand oder waren zusammen mit einigen Lebensmitteln und Geschirr im Küchenbuffet verstaut. Wenn sie kochte, buk und danach sauber machte, musste sie zügig kreuz und quer durch die Küche gehen, sich bücken, recken und schwer heben und war danach geschafft. Doch damit nicht genug, denn vier Kinder, Mann, die eigenen Eltern, Federvieh und die Arbeit als Köchin im nahegelegenen Schloss forderten ebenfalls Aufmerksamkeit und Kraft.

Puppenküche aus dem frühen 20. Jahrhundert. Alle Einheiten sind verteilt im Raum.

Das war nicht nur bei meinen Urgroßeltern in der württembergischen Provinz so, sondern dürfte in den meisten Haushalten des westlichen Kulturkreises ähnlich ausgesehen haben.
Bei meiner Oma war das dann schon anders: Hier stand zwar ebenfalls der Elektroherd separat, doch in ihrer Einbauküche aus den 60ern waren alle anderen notwendigen Bestandteile in einer einzigen, u-förmigen Zeile untergebracht. Wie Möbelstücke aus einem Guss zeigten sich Unter- und Obschränke, die alle Funktionen von Spülstein, Küchenbuffet und Arbeitstisch in sich vereinten; bedeckt von einheitlichen Schrankfronten und einer einzigen, pflegeleichten Arbeitsplatte.

Puppenküche aus den 60ern, die schon der modernen Einbauküche entspricht.

Auch bei Oma tat sich die Arbeit freilich nicht von allein, doch die gleiche Schinderei wie meine Uroma musste sie dort sicher nicht betreiben. Was war also in der Zwischenzeit passiert?
Die umständliche Arbeit, welche die fragmentierten Küchen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts mit sich gebracht hatten, war in den 1920ern einer Wiener Architektin aufgefallen, Margarete Schütte-Lihotzky.Da die Industrialisierung seit gut hundert Jahren in vollem Gange war, platzten die Städte damals aus allen Nähten. Die Landbevölkerung zog in die Großstädte, um in Fabriken zu arbeiten und mangelnder Wohnraum in urbanen Gebieten war schon damals ein riesiges Problem. Der Druck veranlasste meist rot regierte Großstädte soziale Wohnbauprojekte zu realisieren. Dort sollten komfortable Wohnungen kostengünstig und architektonisch ansprechend geschaffen werden, was man Neues Bauen nannte. Die Gebäude entsprachen der Ästhetik der Neuen Sachlichkeit, waren also auf das Wesentliche reduziert, Form folgte der Funktion und Verzierungen waren ein Fremdwort. Wer einen kreativen Beruf gelernt hat, durfte sich in der Ausbildung bestimmt schon mit ein paar Exemplaren beschäftigen. Diese Entwicklung gab es selbstverständlich auch in Österreich und Margarete Schütte-Lihotzky mischte nach dem Architekturstudium kräftig darin mit. Von ihr stammten beispielsweise einige Häuschen in Wiener Schrebergartensiedlugen, die nichts anderes waren als heutige Tiny Houses und auf winziger Fläche alles Lebensnotwendige vereinten, und einige große Siedlungshäuser. Sie war also schon relativ bekannt und wurde Mitte der 20er in Frankfurt am Main engagiert, um dort einen neuen Küchentyp zu entwerfen, da sie schon Fachartikel über effiziente Küchenplanung veröffentlicht hatte. Das Stadtplanungsprojekt Neues Frankfurt sah den Neubau von vielen Mehrfamilienhäusern vor, die alle die gleiche Küche enthalten sollten, um Kosten zu sparen. Die Architektin analysierte also akribisch sämtliche Arbeitsabläufe in der Küche über eine längere Zeit, besichtigte die winzigen Küchen von Speisewaggons und plante mit den Resultaten die perfekte „Frankfurter Küche“: Eine Person sollte mit möglichst wenigen Handgriffen so effizient und zeitsparend wie möglich darin arbeiten können. Die Anordnung aller Küchenbestandteile nahe beieinander in quasi einem einzigen Möbelstück sollten die Haushaltsführung erleichtern. Keine umständlichen Wege, keine unnötigen Handgriffe – man konnte an einer Stelle arbeiten und alles Notwendige fand sich griffbereit in der Nähe, genau dort, wo man es brauchte.

Frankfurter Küche, 1926

Die Küche entstand in drei verschiedenen Ausführungen, alle Teile konnten industriell vorgefertigt werden und wurden tausendfach verbaut. Die moderne Einbauküche war geboren. Selbstverständlich setzte sich dieses Prinzip nicht direkt nach der Erfindung sofort durch. Wie überall geschah auch dieser Prozess schrittweise über einen langen Zeitraum hinweg und es gab noch bis in die 60er Jahre neue Küchen, die aus einem einzelnen Herd, einem Spülstein, Arbeitstisch und Küchenbuffet bestanden. Auch meine Großeltern hatten sich in den 50ern noch eine solche Küche zugelegt. Erst, als meine Tante auf das Küchenbuffet gekraxelt war und alles umgerissen hatte, gönnten sie sich in den 60ern eine Einbauküche.
Und wer war nun diese Architektin, die unsere Haushalte revolutioniert hat? Und fast so wichtig, welches Parfum trug sie? Da ich leider keine Information zu ihren Duftvorlieben gefunden habe, müssen wir uns eigene Gedanken darüber machen, was eigentlich auch mehr Spaß macht. Margarete Lihotzky stammte aus einer wohlhabenden Familie aus Wien, die liberal, pazifistisch und gemeinwohlorientiert war. Die Familie unterstütze ihre für damalige Verhältnisse ungewöhnlichen Karrierepläne und ermöglichte ihr das Architekturstudium – sie war 1916 die erste Frau in Österreich, die Architektur studierte.

Eine andere, in vielfacher Hinsicht talentierte und technisch versierte Wienerin der Zeit war die Schauspielerin Hedy Lamarr. Von ihr ist etwas mehr bekannt, was die Parfumvorlieben betrifft – sie trug, wie auch ihre Großmutter, den ernsten Nelkenduft Bellodgia (Parfum)Bellodgia Parfum von Caron. Man konnte also in Wien offenbar Bellodgia bekommen und eine Schauspielerin, die in den 1940ern ein Patent für eine Funkfernsteuerung für Torpedos angemeldet hatte, hatte es getragen. Wieso sollte dann nicht auch Margarete Lihotzky einmal zu Bellodgia gegriffen haben. Ich könnte mir zudem vorstellen, dass sie sich zur asketischen Schönheit der Chanel-Flakons hingezogen gefühlt hat. Ihre schnörkellose, aufs Wesentliche reduzierte Ästhetik war schließlich der Inbegriff dessen, was die Architektur der Zeit ausgemacht hatte. So könnte sie z.B. N°22 (Parfum)N°22 Parfum getragen haben. Oder einen Duft eines Wiener Parfümeurs, z. B. Eau de LavandeEau de Lavande von J. B. Filz.
Neben der erwähnten Frankfurter Küche, Siedlungshäusern und Schrebergartensiedlungen plante sie auch Schulen und Kindergärten und dies nicht nur im deutschsprachigen Raum, sondern auch im heutigen Russland. Mit dem Aufstieg der Nazis in den 30ern und dem Anschluss Österreichs an Deutschland wuchsen ihre Sympathien mit der kommunistischen Widerstandsbewegung, sodass es ihr wahrscheinlich leichtfiel, der Arbeit wegen gen Osten zu ziehen. Dort schreit der Gedanke an Parfüm für mich förmlich nach dem roten Moskau, nach Krasnaya Moskva / Красная МоскваKrasnaya Moskva von Novaya Zarya.
Zu Beginn des zweiten Weltkriegs lebte sie sicher vor der Hölle des Dritten Reichs mit ihrem Mann Wilhelm Schütte in Istanbul. Dort kam sie garantiert mit den türkischen Kolonyas in Berührung und desinfizierte sich damit die Hände oder erfrischte sich in der brütenden Hitze. Kolonyas, die es zu der Zeit schon gegeben haben dürfte, sind Çeşme Limonu von Eyüp Sabri Tuncer und das weniger kolonya-ige LavandaLavanda von Atelier Rebul. Da sie als Kurierin für die kommunistische Partei Österreichs Widerstand gegen die Nazis leisten wollte, reiste sie Anfang der 40er nach Wien, wo sie leider prompt festgenommen wurde und bis Kriegsende im Gefängnis blieb. Danach wurde sie als Parteimitglied der KPÖ nicht mehr beschäftigt, während viele ihrer Kollegen, die für die Nazis gearbeitet hatten, weiterhin problemlos Aufträge bekamen.
Daher arbeitete sie hauptsächlich außerhalb von Österreich, z.B. in der DDR, in China und Kuba und wurde in ihrer Heimat erst in den 1980ern wiederentdeckt und gewürdigt. Sie starb im Jahr 2000 im Alter von 103 Jahren.

Welche Düfte denkt ihr würden zu Margarete Schütte-Lihotzky passen?

Falls ihr auch kleine Retro-Küchennerds seid, findet ihr dieses Video bestimmt sehr interessant:

A Step Saving Kitchen, 1949

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