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vor 2 Jahren - 30.12.2021
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Von Minimalismus, Marie Kondo und Duftsammlungen

Ein Thema, das mich seit einigen Jahren beschäftigt, ist das Reduzieren von materiellem Besitz und die Vereinfachung des Alltags, die damit hoffentlich einhergeht. Zu Beginn möchte ich ganz altmodisch die Begrifflichkeiten klären, mit denen ich um mich werfen werde. Fangen wir mit Minimalismus an. Laut Wikipedia bezeichnet er verschiedene Dinge und ich möchte ihn im Sinne von einem einfachen Leben durch Reduzierung von Besitztümern verwenden. Minimalismus meint aber auch eine Stilrichtung in Architektur und Kunst, die auf Verzierung verzichtet und alles aufs Allernötigste herunterbricht. Wenn man von Minimalismus spricht, setzten wir oft die asketische Stilrichtung mit der vereinfachenden Lebensphilosophie gleich. Beides kann gleichzeitig vorkommen, muss es aber nicht. Wenn von Minimalismus in Bezug auf die Wohnung gesprochen wird, fällt auch schnell der Name Marie Kondo. Bei ihr handelt es sich um eine japanische Ordnungsexpertin, die durch mehrere Bestseller und mittlerweile zwei eigene Netflix-Serien bekannt wurde. Ihre selbstentwickelte KonMari-Methode widmet sich dem häuslichen Chaos und dessen langfristiger Verbannung. Ihre Philosophie („Ich besitze nur Dinge, die mich glücklich machen“) ist keinesfalls gleichzusetzen mit Minimalismus („Ich besitze so wenig wie möglich“), kann ihn aber unterstützen und hat mit ihm gemein, dass man bewusst seinen Besitz und im Endeffekt sein Leben gestaltet. Ihre Herangehensweise basiert auf zwei Schritten: Rigoroses Ausmisten und anschließendes Ordnunghalten. Das Ausmisten gelingt dadurch, dass man seine Gegenstände nach Kategorien zusammensammelt und Stück für Stück durchgeht. Man nimmt sich beispielsweise Kleidung als erste Kategorie vor und häuft wirklich jedes Kleidungsstück, das sich im ganzen Haus findet, an einem Ort wie dem Bett auf. Dies löst bei den meisten Menschen einen Schock aus, da sich kaum jemand über die tatsächlichen Ausmaße seiner Garderobe bewusst ist. Dieser Schockfaktor durch das Sammeln nach Kategorien ist essenziell für den langfristigen Erfolg und unterscheidet ihre Methode vom instinktiven Ausmisten nach Zimmern oder Schränken. Hat man alles aufgetürmt, nimmt man jedes einzelne Stück in die Hand und horcht in sich hinein. Gefällt mir dieses Ding tatsächlich? Macht es mich glücklich? Brauche ich es? Möchte ich es in meiner Zukunft haben und macht es mich zu der Person, die ich gerne sein möchte? Habe ich es, weil es mich glücklich macht, oder behalte ich es aus Schuldgefühlen, z.B., weil es ein Geschenk war? Sind vielleicht sogar schlechte Erinnerungen damit verbunden wie an einen schlimmen Streit? Wenn man jedes einzelne Teil bewusst betrachtet, entwickelt man schnell ein Gespür dafür, was einen auf lange Sicht zufrieden macht und was besser gespendet, entsorgt und verkauft werden sollte. Erst, wenn die Kategorien (z.B. Papierkram, Bücher, Medizin, Deko, Büroartikel, Parfüm, Kosmetik, Küchenutensilien etc.) durchgeackert und drastisch verringert sind, macht man sich ans Ordnungschaffen. Das Grundprinzip dabei ist, dass jedes Teil sein Zuhause haben muss. Nur, wenn bestimmt ist, wo etwas hingehört, lässt sich verhindern, dass sich nicht künftig wieder Häufen von Krimskrams auf dem Küchentisch ansammeln. Man entscheidet also, wo alle Gegenstände einer Kategorie hingehören sollen und ordnet sie dann möglichst einfach und praktikabel dort an. Dabei helfen beispielsweise Schuhkartons ohne Deckel, um Gegenstände gut sichtbar auf simple Art voneinander zu trennen und künftiges Chaos zu verhindern. Im Ergebnis hat man ein aufgeräumtes Zuhause, das nur Dinge enthält, die einen mental unterstützen (oder die unverzichtbar sind, wie Klobürsten und Druckerpatronen) und das einfach ordentlich zu halten ist. Natürlich beschränkt sich das Ganze nicht auf die eigenen vier Wände – das bewusste Auseinandersetzen mit seinem Besitz hat auch Auswirkungen auf Entscheidungen bezüglich Arbeit, Privatleben und eigene Werte. Schließlich ist die eigene Behausung etwas wie der Spiegel des Inneren und wenn die Bude aufgeräumt wird, geschieht das selbe auch im Geiste.
Jetzt sind wir also auf dem gleichen Stand, was Minimalismus und KonMari betrifft. Warum interessiert mich das nun so brennend? Ganz einfach, ich habe es bitter nötig. Von Haus aus bin ich das Gegenteil eines Minimalisten. Schon als kleines Kind wollte ich alles haben. Alles. Schöne Dinge, weniger schöne Dinge, hübsche alte Sachen von der Oma, alte Uhren vom Flohmarkt. Hätte ich die Möglichkeiten gehabt, es wäre alles in meinem Kinderzimmer gelandet (und wahrscheinlich im Rest des Hauses). Bei uns ging es zwar relativ ordentlich zu, doch wie die meisten Menschen hatten auch meine Eltern kein richtiges Konzept, wie tatsächlich alles langfristig aufgeräumt zu halten ist. Es war immer blitzblank sauber, doch es sammelten sich gerne mal Papas Hosen auf den Esszimmerstühlen, das Spielzeug von meinem Bruder und mir überall auf dem Boden und alte Zeitungen und Papierkram auf dem Wohnzimmertisch. Und dort blieben diese Dinge auch – lange. Mein eigenes Zimmer war niemals ordentlich, da ich keinen richtigen Plan und keine Motivation hatte, alles aufgeräumt zu halten. Das hielt mich freilich nicht davon ab, das Chaos schick zu dekorieren. Mit zunehmendem Alter und unglücklichem Homo-Teenagerdasein wurde auch mein Zimmer schlimmer. Es sammelten sich neben Büchern und Klamotten auch mal leere Chipstüten und Schokoladenverpackungen aus nächtlichen Fressattacken unter dem Bett. Und leider wurden die Dinge tendenziell mehr statt weniger, da ich ungemein sentimental war und einfach alles behalten wollte, womit irgendeine Erinnerung verbunden war. Dazu kommt, dass viele wunderbare Möglichkeiten, Dinge weiterzugeben, entweder noch nicht existierten (Vinted, Geschenkemärkte) oder ich noch keinen Bezug dazu hatte (eBay, Kleinanzeigen). Dass ich viel Zeit mit meiner Oma verbracht habe, half in dieser Hinsicht auch nicht. Sie war 2 Jahre alt, als die Weltwirtschaftskrise begann, war ein Teenie während des Krieges und eine junge Erwachsene in der Nachkriegszeit. Ihre von Mangel geprägte Kindheit und Jugend hatten zur Folge, dass sie alles aufhob, „weil man es ja irgendwann wieder brauchen könnte“. Das dürfte wahrscheinlich vielen von euch bekannt vorkommen. Diese Philosophie färbte leider ein Stück weit auf mich ab. Mit 19 zog ich dann in meine erste Wohnung, die im Rückblick auch nicht ideal von mir bewohnt wurde. Doch langsam wurden der Konsum und vor allem das Aussortieren besser. Ich ging nach einem Jahr zurück zu meinen Eltern, arbeitete dort etwas mehr von meinen alten Habseligkeiten auf und zog dann nach Oberbayern. Es herrschte bei mir dort immer oberflächliche Ordnung, doch wehe, man machte eine Schranktür auf! Ein Aha-Erlebnis war schließlich eine verkorkste, kurze Beziehung zu einem Bilderbuchnarzissten mit Messie-Tendenzen. Das ganze Haus vollgestopft mit Antiquitäten, man musste sich mühsam seine Wege durch teures Gerümpel bahnen und alle Versuche, die Massen zu verringern, endeten in emotionalen Desastern. Mir war klar, so will ich niemals leben. Der Wunsch, nur wenig zu haben und vor allem eine tatsächliche Ordnung zu etablieren, wuchs. Ich sortierte mehr und mehr aus und entwickelte Routinen. Interessanterweise habe ich seither auch eine große Leidenschaft für Design aus den 50ern entwickelt und treibe mich gerne auf Flohmärkten rum. Doch da ich weiß, wohin solche Sammelausflüge führen können, ist ein noch größerer Gegenpol erwacht, der das mehr als ausgleicht: Ein Drang nach Platz, Freiheit, Einfachheit. Ausmisten was nur geht. Für alles, was reinkommt, müssen mindestens 3 Sachen gehen. Mit Marie Kondo auf Netflix und gewissen Minimalismus-YouTubern hatte der Drang dann auch einen Namen und nahm weitere Fahrt auf. Alle Besitztümer kommen regelmäßig auf den Prüfstand, ich besitze mittlerweile etwas, was in gewissen Kreisen wohl eine Kapselgarderobe genannt wird und in Küche und Bad wohnt nur noch das, was tatsächlich gebraucht wird. Seit unser Wertstoffhof außerdem einen Geschenkeflohmarkt eröffnet hat (ein langer Tisch, wo man Ungeliebtes abgeben und anderes gratis mitnehmen kann), wandert mit dem Altglas auch jede Woche ein Kistchen mit Deko, unbenutzten Schreibmaterialien oder Geschirr dorthin. Und obwohl in allen Schubladen mittlerweile penible Ordnung und manchmal sogar Leere herrschen, ist es doch erstaunlich, dass immer noch in jeder Ecke etwas auftaucht, was gespendet werden kann. Nun soll keinesfalls der Eindruck entstehen, dass es bei mir minimalistisch kahl wäre – mit dem Turnhallen-Look kann ich mich nicht anfreunden, hier hängen nach wie vor Bilder an den Wänden und es ist ziemlich gemütlich. Marie Kondos Ansatz, nur Dinge zu haben, die Glück versprühen, versuche ich auch konsequent umzusetzen. Langsam aber sicher werden notwendige, aber qualitativ minderwertige Objekte (z.B. schrottige Küchenutensilien, die ich mir in der Ausbildung gekauft habe) durch hochwertige ersetzt, die tatsächlich Freude beim Gebrauch machen. Eine solche Neuanschaffung darf dann gerne einige Wochen dauern, bis wirklich das ideale Objekt ausgewählt ist. So musste beispielsweise ein billiger Plastikpfannenwender gehen und wurde nach 2 Monaten Suche durch einen hübschen, metallenen aus zweiter Hand von einer Allgäuer Marke ersetzt, mit dem es einfach großen Spaß macht, zu kochen. Das Ziel, sich zuhause wie in einer Ferienwohnung zu fühlen, frei von Pflichten, Lasten und Kram, rückt näher. Aber wo kommen jetzt die Parfümsammlungen ins Spiel? Die Grundlagen meiner Sammlung entstanden in der Übergangsphase vom chaotischen Sammler zum aktuellen Zustand. Sie umfasste zu Hochzeiten 100 Düfte, momentan sind es um die 60. Für Parfumoverhältnisse dürfte das recht durchschnittlich sein, da es welche mit 4 Düften gibt, aber auch einige mit über 1.000. In einer großen Ausmistphase während der letzten zwei Jahre sind sehr, sehr viele Parfüms in den Souk gewandert und die Zahl der Fehlkäufe/-tauschs ist etwas gesunken. Letzten Winter habe ich zudem nach KonMari wirklich alle Parfüms, Minis, Abfüllungen, Geschenksets etc. zusammengetragen und war etwas schockiert von der Masse. Daraufhin musste wieder einiges davon verschwinden, was einfach keine richtigen Glücksgefühle ausgelöst hat. Doch wie lässt sich eine umfangreiche Duftsammlung mit dem Wunsch nach weniger vereinen? Für mich ist der entscheidende Faktor dahinter die Einstellung und ein Bewusstsein über die eigenen Motive. Warum will ich diesen Duft? Macht er mir Freude? Will ich ihn, damit ich mit einem teuren Parfüm protzen kann? Will ich den Duft, weil ich andere Probleme habe, um die ich mich während des Kaufs nicht kümmern muss? Wenn man Parfüms nicht aus den falschen Gründen erwirbt, sondern wirklich, weil sie einem etwas geben, dann spricht sicher nichts gegen eine Sammlung. Mir geht es so, dass ich den Gedanken extrem reizvoll finde, nur 5 Düfte zu haben, die mich wohl beduftet und gut angezogen durchs Leben bringen. Doch für mich ist das leider nicht realistisch. Bei Kleidung kann ich mich auf das Nötigste beschränken, da mir einfach nicht übermäßig viel daran liegt. Doch bei Parfüm ist eine gewisse Leidenschaft mit im Spiel. Die Geschichte hinter einem Duft, seine Rolle im Stammbaum der Parfümfamilien, seine Seltenheit, all das macht für mich ein Parfüm besonders. Nicht zuletzt ist es auch die fehlende Abwechslung, die eine kleine Sammlung unrealistisch macht. Wenn ich mir fünf Flakons ins Bad stelle, wird mir das Ganze spätestens nach drei Wochen zu langweilig und ich hole fünf andere aus dem Fundus. Doch ein gewisser minimalistischer Drang schadet hier sicher nicht, damit nichts ausufert und wirklich nur das bleibt, was Freude macht. So wird sich irgendwann hoffentlich ein perfektes Abbild der eigenen Duftvorlieben herauskristallisieren.

Wie ist es bei euch? Habt ihr Erfahrungen mit Chaos und Minimalismus? Wie zufrieden seid ihr mit der Größe eurer Sammlung?

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