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vor 3 Jahren - 13.08.2021
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Urlaub daheim

Jetzt ist es endlich so weit, wir können wieder relativ einfach in Urlaub fahren. Zwar gibt es noch ein paar Hürden, die wir so vor dem großen C nicht kannten, doch mit Impfnachweis und aktuellen Tests bekommen wir auch die ganz gut bewältigt. Und da rollt sie nun seit einigen Wochen, die große Urlauberwelle. Ich kann sie gut beobachten und muss mich manchmal selbst zähneknirschend durch ihre Staus kämpfen. Wohne ich doch nahe einer Autobahn, die sommers regelmäßig Massen von Sonnenhungrigen gen Österreich und Adria schleust. Momentan mischt sich eine leichte Sehnsucht in die Ungeduld, wenn ich wieder zwischen niederländischen Kleinfamilien und schwäbischen Frührentnern auf der Straße feststecke, denn: Diesen Sommer bleibe ich daheim. Zuhause. A casa. Dahoam. Warum? Weil ich dieses Jahr schon im Urlaub war. Vor Ostern hatten mein Freund und ich ein kurzes Fenster im Covid-Chaos genutzt und Zuflucht in der kroatischen Niedriginzidenz gesucht. Als alle zuhause feststeckten, chillten wir an der Lagune. Und jetzt, wo alle wegfahren, sind wir eben zuhause. Das ist natürlich kein Weltuntergang: Die Gegend hier ist ganz schön, es gibt hohe Berge, blaue Seen, teure Seilbahnen und jede Menge Touristen. Dennoch, ein wenig Fernweh zwickt mich jedes Mal, wenn wieder ein Sharan mit tobenden Kindern zum Kiosk mit den Autobahn-Vignetten steuert.

Was tut man in dieser Situation? Trotzdem Urlaub machen, würde ich vorschlagen. Daheim, mit ein wenig Fantasie und viel Liebe zum Detail. Mein Ziel ist kein geringeres, als die Illusion einer Reise zu erschaffen. So viel kann ich schon verraten: Ich weiß immer noch, dass ich zuhause bin. Doch ein bisschen nach Urlaub fühlt sich der Alltag schon an und die Wochenenden versprühen tatsächlich den Esprit der Erholung unter südlichen Sonnenstrahlen. Was sind also die wichtigsten Zutaten für einen Urlaub auf Balkonien? Für mich sind es Mut zur Inszenierung und eine Prise Selbstbeschiss. Um wirklich die Illusion zu erschaffen, die eigenen vier Wände stünden unter karibischen Palmen und nicht im Dunstkreis des städtischen Schlachthofs, sollte man genug von beidem mitbringen.

Der erste Schritt in diese Richtung ist die Entscheidung, wohin der Fake-Urlaub führen soll. Dazu kann man die eigene Umgebung analysieren: Könnten die Hochhäuser vor dem Küchenfenster nicht auch Hotelblocks auf Fuerteventura sein? Könnte man den Weinberg hinter der Siedlung nicht genauso in Südafrika finden? Erinnern die Bäume vor dem Balkon nicht an die Wälder Schwedens? Im besten Fall lassen sich mit ein wenig Selbstbetrug Ähnlichkeiten in der eigenen Umgebung zu einer Wunschdestination finden. Wenn man sowieso schon in einer attraktiven Region lebt, kann man natürlich gleich die Heimat zum Reiseziel erklären.
In meinem Fall habe ich es mir leicht gemacht und Südtirol zu meinem illusorischen Urlaubsziel erkoren. Ich liebe die Gegend sehr und mit etwas Fantasie könnten die bayerischen Alpen vor dem Balkon auch irgendwo dort zu finden sein. Im Südtiroler Unterland haben die Berge eine recht ähnliche Form und das eine Nachbarhaus aus den 70ern könnte man durchaus auch dort finden - nur eben umgeben von Weingärten anstatt von Mehrfamilienhäusern im Lederhosenstil.

Jetzt geht es daran, das eigene Reich möglichst so zu verändern, dass es einem das Gefühl gibt, man wäre in einem Hotelzimmer oder einem Ferienhaus in der ersehnten Destination. Was unterscheidet eine Ferienwohnung von einer dauerhaft bewohnten? Sie ist spartanisch ausgestattet und beherbergt nur das Nötigste. Das ist nicht ganz einfach nachzuahmen, aber schon der Versuch, vor dem Fake-Urlaub ein wenig auszumisten und Oberflächen und Balkon freizuräumen, kann einen Unterschied machen und zu einer ruhigeren Atmosphäre beitragen. Das, und eine To-Do-Liste mit störenden Pflichten anzulegen und diese zuvor systematisch abzuarbeiten. Was zeichnet eine Ferienunterkunft sonst noch aus? Dekoration und besonders Kunst. In den allermeisten Fällen werden in Hotelzimmern Fotos oder Zeichnungen hängen, die die Destination oder kulturelle Motive daraus zeigen. Das ist ganz einfach zu bewerkstelligen und macht einen großen Unterschied. In meinem Fall habe ich in einen alten Bilderrahmen von meiner Oma eine Fotografie des Künstlers Slim Aarons gesteckt, die elegante Menschen beim Skifahren in Cortina d’Ampezzo in den Dolomiten zeigt. Zwei andere Motive sind strenggenommen im falschen Land angesiedelt, vermitteln mir aber dennoch das Gefühl von Südtirolurlaub, da mir der Stil dort zum ersten Mal begegnet ist: Eine Ortsansicht von Kitzbühel des Malers Alfons Walde und ein Reiseplakat für Tirol von Franz Lenhart. Letzteres stammt aus einem Museumsshop und der (auch als Druck sehr teure) Walde war praktischerweise in hoher Auflösung in der Google-Suche erschienen, sodass Poster-XXL ihn günstig auf eine Leinwand drucken konnte.

Auf dieselbe Art ist ein Leinwanddruck von Oskar Mulley im Wohnzimmer gelandet: Er zeigt einen geographisch nicht näher beschriebenen Bergbauernhof und schroffe Gipfel. Die Szenerie dürfte so fast überall in inneralpinen Gebieten zu finden sein und versprüht Bergurlaubsgefühle pur. Generell empfiehlt es sich, sich eine Geschichte zu seiner Behausung zu überlegen: Warum sieht meine Unterkunft im Urlaub so aus? Aus welcher Zeit stammt sie, in was für einem Gebäude befindet sie sich, was waren die Überlegungen der Gastgeber? Meine Wohnung ist großteils mit Möbeln aus den 30er bis 60er Jahren eingerichtet. In meiner Urlaubsfantasie ist sie deshalb die ehemalige Wohnung der Altbäuerin in einem historischen Bauernhof, die nach ihrem Tod von den Kindern und Enkeln leicht modernisiert an Gäste vermietet wird. Wenn es an die weitere Inszenierung der Wohnung geht, ist es wichtig, diese Geschichte im Blick zu behalten und eigene Assoziationen mit dem Thema hervorzukramen. Jeder dürfte Gegenstände besitzen oder kennen, die für einen mit Urlaubserinnerungen verbunden sind. Das können z.B. Souvenirs und Fundstücke sein, aber auch regionaltypische Objekte und Einrichtungsstile an sich.

In meinem Fall möchte ich den historischen Bauernhof irgendwie aufgreifen. Im Kellerabteil bzw. der schambehafteten Kammer des Chaos, finden sich einige brauchbare Stücke. Die verbeulte Milchkanne, mit der meine Mama als Kind in den 60ern die Milch vom Bauern geholt hatte, wandert ins Bad und wird zum Mini-Mülleimer. Dazu ein länglicher Stein auf der Ablage über dem Waschbecken, den ich wahrscheinlich am Ufer des Reschensees aufgeklaubt habe. Eine Waschgarnitur vom Flohmarkt mit blauem Art-Deco-Muster steht nun auf der Arbeitsplatte. In der Waschschüssel reifen jetzt die Tomaten nach (ein Geschenk aus dem Gemüsegarten der Gastgeber, wie aufmerksam!).

Hat man es geschafft, seine 4 Wände optisch in Richtung Hotelzimmer oder Ferienwohnung zu bewegen, kommt nun ein anderer Sinn ins Spiel. Die Geräuschkulisse muss stimmen. Dieses Werkzeug ist sehr simpel und enorm effektiv. Man kann Musik aus der Urlaubsregion streamen oder noch besser, einen Radiosender von dort übers Internet abspielen. Mein Radio empfängt glücklicherweise Internetradio und sendet während des Balkonienurlaubs Südtirol 1, Radio Dolomiti und Rete NBC. Sobald im Verkehrsservice nicht von den üblichen deutschen Autobahnen, sondern von Sperrungen an Sellajoch und Furkelpass gesprochen wird, ist man innerlich vor Ort. Ein weiteres angenehmes Urlaubsgeräusch kann Wasserplätschern sein, das man z.B. über einen Balkonteich mit Pumpe oder einen Brunnen erzeugen kann. Praktischerweise kann dieses Gurgeln auch lästige Straßengeräusche ausblenden, die ansonsten den wertvollen Urlaub stören. Natürlich empfiehlt sich das nur, wenn das imaginäre Hotel nicht sowieso an einer vielbefahrenen Küstenstraße stehen soll.

Um die Illusion, man wäre an einem anderen Ort, noch weiterzutreiben, gibt es einen simplen Trick: Produkte nutzen, die man dort kaufen kann. Mit ein wenig Planung kann man Schritt für Schritt z.B. Kosmetika oder Putzmittel aufbrauchen und mit Produkten ersetzen, die es im Sehnsuchtsland gibt. Für meinen Südtirolurlaub (zur Erinnerung: Südtirol gehört zu Italien) habe ich das auch in Deutschland erhältliche Felce-Azzurra-Duschgel im Bad stehen, genauso ein Deo der Firma, sowie Gesichtsöl von i Provenzali und Olivenöl-Shampoo, die beide noch von einem früheren Urlaub in der Kosmetikkiste lagen. Alle anderen (nicht-italienischen) Produkte sind im Badezimmerschrank versteckt, um die Italianità nicht zu stören. Italienisches Spülmittel, das ich mangels Spülmaschine jeden Tag in der Hand habe, stammt vom Italien-Supermarkt in einer Nachbarstadt.
Selbstverständlich braucht man sich in dieser Hinsicht nicht auf Kosmetika zu beschränken. So richtig Spaß macht es, seine Lebensmittel ebenfalls nach diesen Kriterien auszuwählen. Das Sortiment in unseren Supermärkten ist riesig und mit etwas Zeit kann man enorm viele Lebensmittel aus anderen Teilen der Welt finden. Der Aspekt der Umweltfreundlichkeit durch kurze Wege sei hier ausnahmsweise hintangestellt. Für meine Südtirol-Erfahrung gibt es deshalb in nächster Zeit Loacker-Waffeln statt Ritter Sport, ab und zu Südtiroler Speck und ausschließlich italienischen Käse wie Provolone. Perfekt dazu passt der Gutschein für einen Südtirol-Onlineshop, den mir meine Eltern zum Geburtstag geschenkt haben: Jetzt kann ich Schüttelbrot aus Barbian mit Butter von der Sennerei Algund und Erdbeermarmelade aus dem Martelltal frühstücken und dazu Apfelsaft aus Feldthurns schlürfen.

Was das Urlaubs-Frühstückserlebnis komplettiert, ist wieder so ein ganz persönlicher Faktor: Als ich ein Kind in den 90ern und 2000ern war, haben wir im Urlaub meist in derselben Art von günstiger Ferienwohnung gewohnt: Älteres Gebäude, die Wohnung in den 60ern oder 70ern zuletzt renoviert mit der kompletten Ausstattung von damals. Deshalb sind olivgrüne Küchenfronten, braun geflieste, dunkle Badezimmer und grün-orange geblümtes Geschirr für mich auf ewig mit Urlaubsgefühlen verbunden. Von diesen Urlaubs-Triggern ist das Geschirr am einfachsten zu implementieren: Auf eBay habe ich vor kurzem ein braun gemustertes Kaffeeservice von Thomas-Porzellan für 4 Personen entdeckt, das zum einen das Flair seines Entstehungsjahrs 1968 verkörpert und zum anderen heute noch gut aussieht. Der Verkäufer wollte es wohl dringend loswerden, denn er ging ohne Zögern auf meinen Preisvorschlag von 50% des veranschlagten Preises ein. Der Effekt ist enorm: Ich fühle mich beim Frühstück tatsächlich wie in einer älteren, gemütlichen Pension. Es fehlt nur noch Resi Berghammer, die den Kaffee einschenkt und dabei Sohnemann Benno lautstark ans Aufstehen erinnert.

Essen beschränkt sich freilich nicht aufs Frühstück: Im Urlaub daheim ist ein Ausbruch aus dem Alltagstrott angesagt. Falls man nicht von Haus aus öfter Unterschiedliches kocht, ist nun der richtige Zeitpunkt, um Spezialitäten aus der Urlaubsregion zu fabrizieren. Oder eben auswärts zu essen, wenn einem die Muse dazu fehlt und das Budget es erlaubt. Bei mir gab es in letzter Zeit schon Völser Spinatspatzlen, Pusterer Schlutzkrapfen und die guten alten Hirtenmaccheroni, die in Südtirol fast überall angeboten werden.

Hand in Hand mit Essen und Geschmack geht der Geruch. Wie riecht Urlaub und wie erweckt man diese Gerüche zuhause? Einerseits wäre da natürlich Parfüm. Vielleicht gibt es einen Duft, den man schon öfters auf Reisen getragen hat und den man mit dem Gefühl des Unterwegsseins assoziiert. Oder man hat ein Parfüm, das man an einem besonderen Ort getragen oder gekauft hat, welches einen sofort wieder dorthin transportiert. Gerüche haben bekanntlich das Potenzial, Erinnerungen wachzurufen. In meinem Fall wären das Green Tea (Eau Parfumée)Green Tea Eau Parfumée von Elizabeth Arden, Dune (Eau de Toilette)Dune Eau de Toilette von Dior und Colonia Essenza (Eau de Cologne)Colonia Essenza Eau de Cologne von Acqua di Parma.

Wenn wir auf Parfumo auch das Gefühl haben sollten, dass Düfte hauptsächlich von Parfüm ausgehen, so gibt es doch noch eine Reihe anderer Quellen des Wohlgeruchs. Bestimmt gibt es Gerüche aus der Natur, die für einen direkt Gefühle von Urlaub und Reise transportieren. Für mich ist es der Geruch von Zirbenholz. Viele Gegenstände aus dem Material besitze ich leider nicht, doch mit dem Fake-Urlaub hat es eine Zirbenholzschüssel vom Flohmarkt aufs Buffet geschafft, in der nun Marillen (natürlich aus dem Bauerngarten der Gastgeber, nicht von Aldi) lagern. Auch ein kleiner Würfel mit Zirbenöl-getränkten Holzspänen steht jetzt auf dem Schreibtisch und beglückt mich im Homeoffice.

Zu guter Letzt nun das Wichtigste im Urlaub überhaupt: Aktivitäten! Jetzt ist die Zeit, um Dinge zu tun, die man im Alltag nicht schafft. Ein Buch auf dem Balkon lesen, jeden Nachmittag Gelato essen und es wieder bei ausgiebigen Radtouren und Wanderungen abtrainieren. Dinge tun, die sonst Besucher in der Region machen. Es gibt wohl überall dieses eine Museum oder den einen Freizeitpark, in die sonst nur Ausflügler gehen, in denen man als Einheimischer aber noch nie war.

Wie ist es bei euch, fahrt ihr diesen Sommer in Urlaub, wart ihr vielleicht sogar schon dort oder bleibt ihr auch auf Balkonien? Wie gestaltet ihr diese Zeit?

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