Foxear

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Foxear vor 3 Jahren 79 56
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8.5
Duft
Der Leise hat die stärkste Stimme
Pour Monsieur – zu Deutsch „für den Herrn“. 1955 als erstes Herrenparfüm unter Leitung der Nase Henri Robert im Hause Chanel erschienen. Kann der französische Greis weiterhin überzeugen?

Unscheinbar kommt er als rechteckiger, schlanker Wolkenkratzer daher. Klar und hell der Körper, das Haupt grau. Grünes, lichtdurchflutetes Wasser im Innern. Grün: die Farbe der Hoffnung, Gelassenheit und Heilung. Schlichte Ästhetik, die fasziniert.

Bereits im Auftakt schnappt er sich meine Seele und schmeißt sie zur Sonne – ein hesperidisches Heer, das ein lebensbejahendes Frischegefühl überbringt. Im Verlauf lässt die anfängliche Frische nach und es wird krautig-würzig; Kardamom und Ingwer schweben über die holzig warme Basis aus Eichenmoos und Zedernholz, die im gesamten Verlauf omnipräsent ist – im Ergebnis eine besondere frisch-herbe Harmonie.

Das vermeintliche Manko an diesem Herrn ist, dass er nicht viel sagt und sich vor der ersten Tasse Tee wieder verabschiedet. Die britische Bezeichnung „A Gentleman’s Cologne“ ist somit die treffendste. In der Regel (Ausnahme: die Kreationen von Germaine Cellier) waren die Wässer der Nachkriegszeit auf leisen Füßen unterwegs. Parfum war etwas Intimes, das man nur bei körperlicher Nähe (Umarmung, Liebkosung) riechen sollte – nicht vier Häuserblöcke entfernt. Ein tragbarer Duft muss in erster Linie eines: ausgezeichnet riechen – das tut Pour Monsieur, wie nur wenige aus seiner Zunft der Frische-Chypres.

Pour Monsieur entführt mich nicht an einen zauberhaften Ort, er verändert meine Wahrnehmung. Wehend zitrische Windzüge vertreiben schwülstige Smogwolken; blasse Betonbauten werden moosüberwucherte Mammutbäume; grauer Asphalt wird grüner Chypreteppich. Allerorts sprießt Leben, die Luft ist klar und frisch, die Seele lacht: Euphorie.

Persönliche Anekdote: Pour Monsieur trug ich zum ersten Mal an einem warmen Frühlingstag. Ich war mit meiner Nichte auf dem Spielplatz– meine Nichte, die ohne Ausnahme zu Parfüm bis dahin „Bäh!“ sagte. Nach dem Tollen trug ich sie nach Hause, da sie total erschöpft war. Fast 15 Minuten lang schlang sie sich ganz eng um meinen (parfümierten) Hals. Als wir ankamen, sagte sie: „Mama, Micha riecht gut.“. Ein heranwachsendes Chypre liebendes Chanelinchen? Ihre Aussage hat einzig den bitteren Beigeschmack, dass ich ansonsten wie ein Stinktier riechen muss.

Pour Monsieur ist ein Relikt vergangener Zeiten, das inzwischen seinen 66. Geburtstag feiert. Er riecht kein bisschen alt – er hat Charakter und riecht zeitlos. Es gäbe daher keinen passenderen Zeitpunkt für einen Ausflug mit dem betagten Chypre Herrn als jetzt – schließlich fängt das Leben mit 66 Jahren erst richtig an.

… Elegant, stillschweigend und verschmitzt lächelnd saß er auf seinem Stuhl. Um ihn herum nur Palaver. Worte, Worte – nichts als Worte. Sobald die Luft aus seinen Lungen im Zusammenspiel mit seiner Zunge Silben formte, verstummten alle. Leise Laute, fast flüsternd – und doch: jeder lauschte ihm. Laute Worte gehen ins Ohr, leise Worte ins Herz.

Passende Musik: Erobique & Jacques Palminger – Wann strahlst du?
Danke an Cappellusman für die Vintage-Bekanntschaft!
56 Antworten
Foxear vor 3 Jahren 56 41
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9.5
Duft
Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen – aber zum!
Dali pour Homme – 1987 wurde dieses Gebräu vom avantgardistischen Surrealismus-Künstler Salvador Dali auf den Markt geschwemmt. Ein verruchter und überaus potenter Mooscocktail für kalte Tage, einzuordnen unter würziger Fougere mit animalischen Tendenzen. „Oh Schreck! Schon wieder ein animalischer Duft- fängt der jetzt wieder mit Primaten beim Liebesspiel an?“. Nein – dieses Mal wird es sogar wilder!

Der Auftakt ist geprägt von einer dunklen erdig-krautigen Aura, resultierend aus einem Zusammenspiel von Patchouli, Estragon und Lavendel – Zitrusfrüchte? Fehlanzeige! Im Verlauf steigt der finstere aber anmutige Mooskönig aus seinem Erdreich hervor und herrscht konsequent warm-würzig auf seinem Patchoulithron - nur wenige undefinierbare Blüten erheben ihre Stimmen gegen ihn. Sobald sich der Mooskönig verabschiedet hat, räumen Amber- und Moschusmännchen den Thronsaal auf. Im Ergebnis: geheimnisvoll, facettenreich, verführerisch, opulent!

Verantwortlich für die Duftkomposition – kein geringerer als ... Moment Mal, habe ich mich da auf der Seite verlesen? Sicherheitshalber erstmal die Brille geputzt. Tatsächlich: Parfümeur – Thierry Wasser. Der heute hochgelobte Parfumrockstar aus dem Hause Guerlain war die Wundernase hinter diesem himmlischen Hexentrank. Noch erstaunlicher: es war sein erstes kommerzielles (Männer-) Parfum.

Schon als Kind hegte er großes Interesse für Düfte sowie Aromen und bildete sich autodidaktisch mit Hilfe von Fachbüchern weiter – später machte er eine Ausbildung in dem Bereich, versprach sich aber keine Zukunft davon. Als junger Erwachsener erfuhr er von der Givaudan Parfumschule, eine Genfer Eliteschule für Personen, die bereits Erfahrung in den Bereichen Chemie oder Botanik hatten. Diese konnte er nicht vorweisen, trotzdem nahm er Kontakt mit Givaudan auf und wurde wider Erwarten nach Absolvieren zahlreicher Tests angenommen (den olfaktorischen Göttern sei an dieser Stelle gedankt). Dort konnte er sein angeborenes Talent weiter verfeinern und übte sich anfangs beim Herstellen von Waschmitteln und Toiletten-Gele. Später führte es ihn nach Paris, um im Auftrag von Givaudan für Salvador Dali sein erstes Parfum herzustellen: Dali pour Homme. Sein Erstlingswerk war sogleich ein kolossaler Kracher! Wenig verwunderlich, dass er zu einem Star der Branche emporstieg. Oder hatte er womöglich Starthilfe von einem mysteriösen Freund?

… Von einer Lavendel-Wendeltreppe die ins Unendliche führte, stieg ich hinab in einen dunklen Wald, der zunächst kilometerweit entfernt schien. Nach nur einen Augenblick und zwei Treppenstufen später, stand ich plötzlich sanft auf weichem Estragon. Flugs wurde ich von einem alten Mann bemerkt: „¡Hola, zorro!“. Ich sah zwei Spießgesellen, die unter einem Kessel standen. Angefacht von lodernden Feuerholz hing dieser verkehrt herum in der Luft und brodelte vor sich hin. Ich trat näher zu den Herren heran und setzte mich auf einen Baumstumpf aus Patchouli.

Neugierig beobachtete ich die beiden bei ihrem Tun. Einer mit komischen Bart, der andere ein junger Erwachsener mit glatt rasierten Wangen und mehr Fläschchen in seinen Händen, als er gemäß physikalischer Gesetze hätte halten können. „Was treibt ihr hier?“ fragte ich. „!skrewsgniltsrE seniem nereierK mieb rim tflih ,ilaD rreH ,dnuerF nieM“ – antwortete der bartlose. Interessant – das würde ich mir gespannt ansehen.

Die Zeit schmolz dahin, während die beiden geheimniskrämerisch tuschelten sowie ab und an die Kesselflüssigkeit abschmeckten. Ich beobachtete eine Nymphe zwischen den dichten Bäumen an uns vorbeihuschen. Eine atemberaubende Naturgöttin mit aschfahler Haut, feurig roten Haaren – die tatsächlich glühten! – und völlig entblößt, wäre da nicht das üppige Moos, welches die intimsten Stellen gekonnt bedeckte. Ob ihrer märchenhaften Schönheit war ich wie hypnotisiert- gut, dass sie keine Griechin war.

Indes hörte ich den Bartträger im Hintergrund wie wild brüllen: „Mehr Moos! !s0oM rh€M. M e H r M O_O $!“. Dass er spontan in Sonderzeichen und Großbuchstaben schrie, wunderte mich in diesem Szenario nicht sonderlich. Der bartlose kam seinem Geheiß nach und hantierte wie im Rausch mit seinen unzähligen Fläschchen in den Händen und goss diese gegen die Schwerkraft hinein in den brodelnden Kessel. Der Dirigent schien entzückt- auf seinem Gesicht lag ein breites, diabolisches Grinsen, welches sich von einem Ohr bis zum anderen zog – schräg!

Im tiefen Wald sah ich einen Baum, der sich verselbständigte und gen Horizont wanderte. An anderer Stelle schien der hell leuchtende Mond auf die Erde zu stürzen- ich sollte das mit den Pilzen in Zukunft sein lassen. Überraschend kamen Kobolde aus einem Erdloch direkt vor meinen Pfoten hervorgekrochen- jeder von ihnen trug einen Topf voll glänzender heller Flüssigkeit – gemeinsam tönten sie:

Wir bringen Töpfe voll Moschusgold,
aus Bernsteinhöhlen sind wir gekommen,
die Gaben wir euch bringen in Kolonnen,
wie uns befahl, unser Groß-Kobold!

Fröhlich singend und dazu rhythmisch tanzend, bewegten sich die Burschen zum siedenden Kessel. Als ein jeder in Reichweite war, verabschiedete er sich mit einem kräftigen „Jucheee“ und sprang in das kochende Kesselwasser hinein. Der Bartträger fing stumm laut zu lachen an, aus seinem Mund kamen Sprechblasen in den Lettern „HA HA HA HA HA HA HA HA“.

Der bartlose schien völlig erschöpft- seine Fläschchen ließ er kraftlos zu Boden stürzen, während sein Körper regungslos zum Himmel hoch fiel. Der andere schnappte sich flink eine leere Phiole und füllte mit einer Kelle das dunkelgrüne Gebräu ab. Er küsste die Phiole und warf sie mir zu – wie eine Rakete schoss sie durch die Luft und landete unbeschadet in meiner Pfote. Seine Lippen hingen noch an der Flasche, die plötzlich zu sprechen begannen: „¡Salvador Dali es mi nombre!“

Passende Musik: Jethro Tull – Velvet Green
Vielen Dank an Cappellusman – ein surrealer Vintage-Trip!
41 Antworten
Foxear vor 3 Jahren 62 41
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8.5
Duft
Sinfonie der Vergangenheit
Tabu – „the forbidden perfume“, erschienen 1932. Bitte einmal auf der Zunge zergehen lassen – neunzehnhundertzweiunddreißig – danke! Eine „verbotene Orientale“ mit enormer Wucht.

Gerüchten zu Folge war die Arbeitsanweisung des Herstellers Dana für den Parfumeur Jean Carles in etwa folgendermaßen: „Erschaffe ein Parfum, das auch Dirnen problemlos tragen können.“. Steile These- gleich zu Beginn. Keine Angst, das hier ist kein Verriss, sondern eine Laudatio- jedoch kommt berechtigterweise die Frage auf, ob das Gerücht tatsächlich stimmt, oder sich erst nach Erscheinen des Dufts aufgetan hat- eben, weil „Tabu“ so anrüchig, verführerisch, leidenschaftlich und sinnlich ist.

Beworben seinerzeit mit Slogans wie „Depend on it for ANYTHING!“ und „Tonight CAN become very special“. Nüchtern betrachtet unspektakulär, allerdings sind der Fantasie beim Interpretieren der Worte keine Grenzen gesetzt, was „anything (alles)“ oder „special (besonders)“ heißen kann- im Klartext: vermutlich enden nicht wenige davon in der Horizontalen –schließlich heißt das Parfum „Tabu“ und nicht „Bureau pour femme“.

Als Liebhaber komplexer Düfte, bei denen man schon Schnappatmung beim Ansehen der Duftpyramide bekommt, tut sich mir immer wieder ein Problem auf: Duftnoten dezidiert zu bestimmen und in Folge zu beschreiben. Hier scheint man einen kompletten Gewürzschrank ausgeräumt, anschließend einen Blumenladen überfallen und dann alles Zusammen mit Süßem in einen Mixer geworfen zu haben. Alles Erdenkliche ist drin – Gewürze, Orange, Nelke, Ylang-Ylang, Rose, Amber, Patch, Moschus, Moos…Hört sich schräg an, das Ergebnis freilich ist eine bis ins letzte Detail ausgefeilte harmonische Sinfonie der Sinnlichkeit. Anfangs flüchtig fruchtig mit luftig schwebender Süße, im Verlauf stark würzig und hinten raus lieblich ambriert – so die Kurzfassung. Natürlich ist der Duftverlauf weitaus facettenreicher, als meine stümperhafte Beschreibung vermuten lässt. Wer folglich eine perfekte Aufschlüsselung des Duftverlaufs lesen möchte, wird fündig beim Kommentar von Mantus – definitiv eine Referenz!

„Tabu“ küsst meine Haut und tanzt darauf magisch zur Musik der Leidenschaft. Wirbelnd wie ein weiblicher Derwisch erhöht sie fortwährend das Tempo; zu weilen fast rasend, dass sie meinen Augen zu entgleiten droht – ehe sie sich abrupt besänftigt und einen gemächlicheren Takt folgt. Die fein nuancierte Duftnotenkomposition funktioniert, ich lasse mich davon verzaubern- ohne hinter den Vorhang zu blicken. Indianerehrenwort (und zwei Pfötchen drauf!) – „Tabu“ riecht einfach geil.. äh - umwerfend! Die Bezeichnung Cologne indes muss ein grober Marketingfehler sein- denn „Tabu“ hält problemlos von Karfreitag bis Ostersonntag und hat eine lächerlich opulente Strahlkraft von Golgota bis Galiläa - da rümpfen sogar die zwölf Apostel die Nase.

Für mich ist „Tabu“ ein Novum (Shalimar [in jeglicher Form] durfte ich noch nicht kennenlernen) – wenn man bedenkt, dass ein solch subversives Gebräu – nochmal: neunzehnhundertzweiunddreißig – auf den Markt geschwemmt wurde. Der Duft, der Name, die Werbekampagne - im Zusammenspiel für die damalige Zeit sicherlich ein Risiko – gar ein „Tabu“ (hö hö). Jean Carles schien seiner Zeit weit voraus gewesen zu sein – vielleicht war er mit Emmett Brown befreundet?

Mein Fazit vorweg: Man möge sich nur einmal vorstellen, dass eine selbst geschaffene Kreation noch weit über den eigenen Tod hinaus Menschen begeistert und in den Bann zieht –sogar rührselig macht. Ist das die von vielen erhoffte Unsterblichkeit? Vielleicht. Vor dem Visionär Jean Carles verneige ich mich ob dieser wundervollen Kreation - denn er schuf eine bezaubernde Sinfonie, die ewig Anklang findet.

… Vorstellen tut sie sich als „Tabu“ – fast neun Dekaden alt, und doch glänzt sie wie in ihren besten Jahren mit zarten 20. Sie lässt meine Augen vor Freude strahlen und mein Herz höherschlagen. Ohnmächtig ob ihrer Anmut, verschlägt es mir die Sprache. Unverblümt greift sie meine Hand, befreit mich aus meiner Starre und zeigt mir die schönen Dinge des Lebens. Vögel, die singend im Wind tanzen – den goldenen Schimmer des Mondes, der die Nacht erhellt – Wellen, die Felsen küssen – Berge, die zu den Sternen greifen –die Wärme der Sonne, die ich lange vermisste. (Inspiriert durch den Kultfilm „Harold und Maude“).

Passende Musik: Daniel Deluxe – Purification
Vielen Dank an das in Stein gemeißelte Urgestein Ergoproxy, der mir diese Dame und den Film vorstellte!
41 Antworten
Foxear vor 3 Jahren 88 41
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9
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10
Duft
Sex s(m)ells - ein bizarrer Geniestreich
„Kouros“ – zu Deutsch etwa junger Mann oder Bursche. 1981 vom französischen Parfumhaus Yves Saint Laurent auf den Markt gebracht, von Pierre Bourdon erschaffen. Das Konzept für das Parfum kam Herrn Saint Laurent laut eigener Aussage während eines Griechenland Urlaubs. Er war „fasziniert vom kristallklaren Meer, dem blauen Himmel und der intensiven Lebhaftigkeit, welche dieses Universum ausstrahlt“. Die Statuen der jungen, männlichen „Kouroi“ (Singular Kouros) waren Namensgeber für die Kreation. Die von Herrn Saint Laurent gewählten Worte „Lebhaftigkeit“ und „Universum“ sind für mich von ausschlaggebender Bedeutung. Wieso? Ein Erklärungsversuch.

Zurück zu den Anfängen
Zum aktuellen Zeitpunkt als Endzwanziger mit nicht mehr als drei Monaten Parfumbegeisterung, kann ich zur Parfumzeit der 80er natürlich nichts sagen. Daher musste ich in verstaubten Geschichtsbüchern stöbern.

Opium, welches vier Jahre vorher im gleichen Haus erschien, war als würziger Orientale wegweisend und sorgte für große Aufmerksamkeit. Wegen des provokanten Namens wurde das Parfum zunächst in den USA, in China und in den Vereinigten Arabischen Emiraten verboten. Kouros stand dem in Sachen Kreativität in nichts nach. So provokant wie avantgardistisch. Ein Duft zwischen extravaganter Anmut und kantiger Eigenwilligkeit. Für die damalige Zeit ein enormes wirtschaftliches Wagnis- das reich belohnt wurde.

Kouros fand in seiner Anfangszeit großen Anspruch und war ein durchschlagender kommerzieller Erfolg- trotz (oder wegen) seiner abenteuerlichen Duftkomposition. Ein üppiger Gewürzkracher mit einem dominierenden Zibetakkord, vermischt mit einer Menge Moschus. Im Ergebnis verrucht animalisch, mit einer wundervollen Duftentwicklung. Ein Paukenschlag – damals wie heute polarisierend. Heutzutage könnte man meinen, es handele sich hierbei um einen hochpreisigen Nischenduft. Kouros ist einzigartig und störrisch, nicht für jede Nase sofort erschließbar.

Von Göttern und Katzenpisse
Wer eine kurzweilige Beschäftigung sucht, kann sich spaßeshalber die Statements zu Kouros auf Parfumo durchlesen. Ein breites Spektrum an persönlichen Dufteindrücken wird vermittelt. Nachfolgend ausgewählte Beispiele, die ich aus meiner Erinnerung niederschreibe.

Positiv: Ein Duft von Göttern gesandt / Hier trennen sich Männer von Bubis / Einzigartig / Ein wegweisender Monolith der Parfumhistorie / Animalische maskuline Erotik.
Negativ: Abartig penetrant – wer will so riechen / Riecht nach Kuhstall – verschwitzten Bauarbeiterdekoltee – Katzenpisse – ungewaschenen Unterhosen / Besser als jedes Zeckenspray / Kouros? Eher Kuh-Ross – Name ist Programm.

Wohingegen die wohlgesonnenen Statements pathostriefend daherkommen, wird bei den negativen natürlich versucht, so tief wie nur möglich unter die Gürtellinie zu gehen. Dem Einfallsreichtum sind keine Grenzen gesetzt. Spaß und Meinungsvielfalt muss sein- auch ich habe bei vielen geschmunzelt!

Nun eine verblüffende Tatsache: Bricht man den Kern aller Statements auf ein vernünftiges Mittelmaß herunter, so haben alle Recht. Der Duft ist ambivalent – sowohl verführerisch anziehend als auch ekelerregend abstoßend. Wie geht das?

„Apocalypse Now “ oder „Es war einmal … das Leben“
Auch für mich war der Duft anfangs ein Rätsel. Gesandt vom lieben Cappellusman im Vintage Gewand, habe ich Kouros innerhalb eines Monats mehrmals getestet, bevor sich mir sein Duftkonzept erschloss. Erster Test: „Ekelig, schwülstig, sonderbar“ so meine Notizen – „Das Grauen (The Horror)“ wie Colonel Kurtz sagen würde. Ich war kurz davor, mich in die Riege der derben Statement-Verfasser einzureihen- aus Respekt vor diesem 40 Jahre alten Wässerchen und seiner geschichtlichen Relevanz, hielt ich mich allerdings zurück (zum Glück).

Schon beim nächsten Test, eineinhalb Wochen später, kam mir der Duft weitaus gezähmter vor. Hatte sich meine Nase auf das bevorstehende Grauen gewappnet? War ich innerhalb einer Woche vom Bubi endlich zum Bären geworden? Krallen und Brusthaare sind mir keine gewachsen, indes gefiel mir der Duft spontan viel besser- das Phänomen wiederholte sich bei den darauffolgenden Tests. Für mich schlägt er in eine ähnliche Kerbe wie „Dali pour Homme“, bei dem ich – sofort – an knisternde Erotik denken musste.

Kouros vermittelt mir den Geruch verschwitzter nackter Leiber, die ohne Hemmnisse mit Hand und Mund den Körper des jeweils anderen entdecken. Nicht selten kommt es vor, dass einer dabei in Gefilden landet, die er im unerregten Zustand tunlichst meiden würde. Wenn man den Geschlechtsakt des Menschen betrachtet, ist dieser in seiner Urform nicht sonderlich leidenschaftlich oder erotisch. Nüchtern betrachtet ist er roh und ergebnisorientiert – man will Nachwuchs zeugen und seinen Artbestand gewährleisten. Schon Mal Primaten beim Liebesspiel gesehen? Da ist abstoßend gar nicht Mal unpassend ausgedrückt. Exakt diese Gratwanderung zwischen verruchtem Rausch und faszinierendem Ekel vollführt Kouros in Perfektion.

Kouros als Idee
Nun zurück zu den eingangs erwähnten Wörtern „Lebhaftigkeit“ und „Universum“. Das Universum als Anfang aller Dinge- es folgte das Leben, ein Resultat aus Paarung. Meine These abschließend ist folgende: Kouros ist ein Konzeptduft, der den Geschlechtsakt olfaktorisch festhält. "Ein Duft für lebende Götter" – so der Werbetext. Götter sind in diesem Beispiel Frau und Mann, die beim Geschlechtsakt gemeinsam neues Leben schaffen. Das erklärt auch, weshalb Kouros in der Öffentlichkeit so aneckt – gepimpert wird schließlich Zuhause und nicht in der Kantine vor den Augen aller Arbeitskollegen.

Aus dem weißen Flakon, der Reinheit und Unschuld verspricht, sprießt beim Betätigen des Zerstäubers hellrote Ursuppe. Kouros wirkt ekstatisch und berauschend, ist gleichzeitig aber hintergründig abstoßend. Kouros ist eine Hommage an den Geschlechtsakt und der Geburtsstunde allen Lebens.

Passende Musik: Bloodhound Gang – The Bad Touch
Vielen Dank fürs Lesen und weiterhin viel Spaß beim Entdecken neuer Düfte!
Danke an Cappellusman für die Vintage Probe dieses skurrilen Gebräus!
41 Antworten
Foxear vor 3 Jahren 65 32
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Duft
Honigfalter
Zoologist Perfumes – 2013 durch Victor Wong mit Hauptsitz in Kanada gegründet, versucht die Faszination der Tierwelt in Flakons einzufangen. Es wird eine Geschichte passend zu einem Tier und dessen Lebensraum erzählt- diese können lustig, schön aber auch schockierend oder traurig sein. Auf Nachhaltigkeit zum Zwecke des Artenerhalts wird geachtet, indem tierische Duftstoffe durch synthetische Alternativen ersetzt werden – gemäß dem Firmenmotto: Keinem Tier soll Schaden zugefügt werden, damit wir (Menschen) gut duften. Da wurde ich, der sich im Internet als Fuchs ausgibt, sogleich hellhörig. Klingt verdammt interessant – ein gefundenes Fressen?

Letzten Endes gab ich nach wochenlanger Überlegung dem Drang nach und orderte mir das Zoologist Perfumes Complete Sample Set direkt vom Hersteller (es war sogar eine persönlich an mich gerichtete handschriftliche Danksagung des Firmenchefs beigefügt- sehr aufmerksam! [auch wenn es womöglich nur ein Serienbrief ist]).

Das zweite Tier war „Moth“ – die Motte oder der Nachtfalter. Ich fragte mich, wie riechen wohl Nachtfalter und welche Geschichte möchte man mir erzählen? Ich erzähle es euch!

Der Protagonist unserer Geschichte, Matthias Otte, beginnt seine Reise zur Abenddämmerung. Tagsüber campiert er an der Küchendecke einer alten Holzhütte, die mitten im Wald steht. Abends nutzt er die erstbeste Gelegenheit und stürzt sich von der Decke in die Tiefe und rauscht am Gewürzregal vorbei ins Freie, da die Hütte plötzlich Feuer fängt.

Die ersten Minuten sind wirklich äußerst sonderbar. Ein wirrer, medizinisch anmutender Gewürzmuff sondergleichen- abstoßend könnte man böse behaupten. Zunächst hatte ich mit dem Duft hier schon abgeschlossen- aber da war mir noch nicht klar, wohin der Nachtfalter mich noch führen würde.

Vor dem Küchenfenster der in Flammen stehenden Holzhütte, enthüllt sich vor M. Otte ein dichter Wald. Der Waldboden ist mit allerlei Blumen gesäumt. Dafür interessiert er sich nicht- er hat ein anderes Ziel im Auge. Tief im dunklen Wald sieht er ein helles, strahlendes Licht- da will er hin! Während er sich auf den Weg durch den dichten Wald macht, ziehen Rauchschwaden der verkohlten Holzhütte, aus der er kürzlich geflohen war, an ihm vorbei.

Sobald sich nach 10 Minuten der anfängliche Gewürzmuff verzogen hat, offenbaren sich dezent florale Noten und (anfangs Weih-) Rauch. Welche Blumen man für diesen Blumenstrauß gewählt hat, kann ich nicht bestimmen. Außerdem schwingt eine starke Holznote (Oud?) im Hintergrund stets mit. Insgesamt entwickelt sich der Duft fortan trocken harzig-rauchig, die Blumen verabschieden sich mit der Zeit und gelegentlich offenbart sich schüchterne Süße.

Nach Stunden anstrengenden Fluges erreicht M. Otte das verheißungsvolle Licht - eine strahlende Honigwabe! Er badet im Honig –unversehens gesellt sich eine Biene hinzu. Die beiden harmonieren sofort miteinander und nachdem M. Otte sein Honigbad beendet hat, überreicht Biene Maja ihm zum Abschied noch einen kleinen Honigtopf, von dem er immer naschen kann, wenn es ihm beliebt. Dankend schwirrt er zu seinem nächsten Ziel- hin zu seiner Liebsten, um ihr den süßen Nektar zu schenken.

Jap- so war’s! Anfänglich dachte ich, das wär’s gewesen mit dem Duft – Räucherkammer im Harzwald (nicht falsch verstehen- das ist positiv konnotiert!) Weit gefehlt- plötzlich steht ein Topf Honig vor mir. War der die ganze Zeit da? Vermutlich. Nach langanhaltender Süße verabschiedet der Duft sich in den wohlverdienten Feierabend.

Wie M. Otte in meiner Geschichte die ganze Nacht unterwegs war, so langlebig ist der Duft. Nach fast 10 Stunden nahm ich den, vor allem zum Ende hin dominierenden, süßen Honig noch immer wahr.

Zwar ist dies ein Konzeptduft, ich jedoch kann ihn mir zu bestimmen Anlässen an beiden Geschlechtern gut vorstellen. In erster Linie in der Freizeit und zur Balz –wenn man mutig ist auch gerne im Büro. Der hat ordentlich Power (Extrait), also mit Bedacht dosieren!

Abschließend eine Anmerkung zum Artwork des Flakons- wahnsinnig einfallsreich. Ein Nachtfalter, der seine Flügel als Mantel trägt – genial!

Passende Musik: Zeal & Ardor - Sacrilegium III

Vielen Dank fürs Lesen und euch wünsche ich weiterhin viel Spaß beim Entdecken neuer Düfte!
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