FvSpee

FvSpee

Rezensionen
Filtern & sortieren
11 - 15 von 323
FvSpee vor 2 Jahren 53 30
7
Flakon
6
Sillage
5
Haltbarkeit
8
Duft
Im Colognisten-Café: Vang Vieng
Jeder auch nur oberflächliche Beobachter der Duft-Szene weiß, dass die Marke 4711 schon lange nicht mehr auf das gehasste und geliebte Oma-Evergreen 'Original Kölnisch Wasser' beschränkt ist. Damit meine ich nicht die deutlich weniger weniger bekannten, aber ebenfalls schon sehr traditionsreichen Solitäre wie 'Portugal' (Riesen-Nummer auf dem japanischen Markt und wirklich gut orangig) oder'Ice' (so mentholig, dass es die Haut wegfrisst).

Was wirklich neu ist, und was aus 4711 zunehmend eine wirklich ausdifferenzierte und auch international ernstzunehmende Weltmarke für (preisewerte Alltags-) Düfte macht, sind die drei sehr erfolgreichen Serien. Die kleinste davon ist die Remix-Serie, in der jährlich eine Neuinterpretation des klassischen 4711 vorgestellt wird. Die beiden anderen, die großen, sind eine Aqua-Colonia-Serie, deren Titel typischerweise aus zwei Zutaten bestehen (z.B. 'Blood Orange & Basil') und eine Aqua-Colonia-Intense-Reihe, bei der die Namen der Düfte immer eine geografisches Stimmungsbild zeichnen wie 'Wakening Woods of Scandinavia' oder 'Pure Breeze of Himalaya'.

An sich ist mit diese Emissionspolitik bereits zu inflationär (analog zu Guerlains Aqua-Allegoria-Endlosserie), aber ich behalte sie doch immer mindestens mit einem Auge grob im Blick: da ich hier irgendwie der Cologne-Onkel bin, ist das eine Art Ehrenpflicht. Als ich letztes Jahr mitbekam, dass in der Länder-Serie allen Ernstes ein Laos-Duft lanciert werden würde, war ich natürlich sofort elektrisiert und merkte mir den für alsbaldiges Kauf- und Testvergnügen vor. Denn ich gehöre zur weltweit kleinen Spezies der Fans des sehr kleinen, sehr armen und geografisch extrem ungünstig geschnittenen asiatischen Binnenstaates Laos*. Mehrere Jahre hatte ich daher in meinem Parfumo-Profil auch stolz die Laos-Fahne gesetzt, bis ich sie gestern durch die der Ukraine ersetzt habe.

Der Duft heißt "Erfrischende Lagunen von Laos", und nicht nur wer so alt ist, dass er noch den Teenager-Softissimo-Erotikfilm "Die Blaue Lagune" mit Brooke Shields von 1980 kennt, lässt jetzt ein großes "Häh?" entstehen, denn es wurde ja gerade gesagt, dass Laos ein Binnenstaat ist und daher von Rechts wegen über genauso viele blaue Lagunen verfügt wie Luxemburg, nämlich gar keine.

Gemeint sind denn auch keine flachen Sandstrände, sondern die (moderat) berühmten blauen Süßwasserlagunen bzw. Grotten an verschiedenen Flussläufen in Laos. Fast immer sind die in Vang Vieng gemeint, einem kleinen Flecken am Nam-Song-Fluss auf halber Strecke zwischen den "beiden Hauptstädten" Vientiane und Lang Prabang. Glücklicherweise kennen die meisten Käufer des Dufts die Hintergründe nicht, denn Vang Vieng ist so etwas wie der Ballermann von Laos.

Europäische, amerikanische und australische Backpacker-Teenager mit Sonnebrand haben sich hier die letzten ein bis zwei Jahrzehnte gewohnheitsmäßig bei "Beach"-Partys im Gesellschaft von lauter Musik, Beer Lao, Lao Lao (dem örtlichen Schnaps) und diversen Pilzen zugedröhnt, um dann beim Fummeln oder Sich-Übergeben komatös in die Lagune zu kippen und so die letzte Erfrischung ihres Lebens zu erfahren. Die Marketing-Abteilung von 4711 hat diese Motive in der Werbe-Fotoserie zu diesem Duft klugerweise nicht aufgegriffen. Ich finde die Bilder ziemlich schön. Ob sie wirklich aus Laos sind, weiß ich nicht.

Refreshing Lagoons of Laos ist schon ziemlich weit von einem traditionellen Cologne entfernt, aber die Verwandtschaft ist noch erkennbar. Es startet unverkennbar herb-bitter-zitrisch, aber auf eine sanfte, milde, etwas weichgezeichnete Weise. Das mutet aber nicht moschusfluffig an, sondern irgendwie fruchtig (ich muss an Mango denken) und vor allem tatsächlich richtig, richtig kühl und erfrischend. Pomelo mit klirrend geeistem, allenfalls minimal süßen Mangosorbet sozusagen. Darüber weht eine steife aquatische Brise. Das mag überladen, zu fruchtig, kitschig klingen. Aber ich muss sagen, mir gefällt es wirklich. Und ich kann da schon vom 'Laos' im Titel abstrahieren!

Die in der Kopfnote angegebene Gurke (mit der man mich ja immer reizen kann) nehme ich erst später war, zusammen mit intensiven, aber dennoch angemessen diskret bleibenden tropisch-floralen Noten und einer hochinteressanten salzigen Anmutung, bei der ich ganz kurz an meinen 10-Punkte-Liebling Azemour les Orangers denken muss, auch wenn die beiden Düfte natürlich nichts miteinander zu tun haben. Noch später, nach etwa vier bis sechs Stunden im Abgang (Cologne Intense!) nehme ich dann tatsächlich auch eine leichte, holzige Basis war.

Der Duft ist in der Gesamtanmutung füllig und weich, hat eine leichte Tendez ins Feminine, gefällt aber sowohl Frau von Spee als auch mir selbst auch an mir gut. Er vereint klassische Zitrik in wirklich gelungener Weise mit aquatischen, salzigen und gekonnt tropische Assoziationen schaffenden zurückhaltenden Blumen- und Fruchtmotiven. Dies ist sicher kein "großer" Duft, aber ich halte ihn für ziemlich gelungen und innovativ, werde ihn sicher öfter tragen und ziehe (wenn auch knapp) die Acht dafür.

Nachzutragen bleibt, dass 4711 seine Politik fortsetzt, für seine drei "Serien" interessante, oft junge und oft französische Parfumeurinnen von außerhalb zu engagieren. Hier kam Elise Bénat zum Zuge, die, wie die fantastische Parfumo-Datenbank enthüllt, nicht nur eine ganze Reihe von Düften für Trash-Marken geschaffen hat, sondern, hört, hört, immerhin auch mehrere Amouages. Und sie hat schon mit der großen Fabrice Pellegrin zusammengearbeitet, die u.a. Wanted, Bracken Man und eine ganze Reihe von Diptyque-Parfums kreiert hat.

Voilà, ich werde mal schauen, ob dies der einzige Duft aller Zeiten bleibt, der je nach Laos benannt wurde, werde die doch nicht selten 4711-er weiter beobachten und so Buddha will werde ich auch irgendwann mal wieder Laos sehen.

Achter Besuch im Café. Blog wurde aktualisiert.

* Derzeit ist es fast unmöglich, Laos zu besuchen, da das Land wegen der Corona-Pandemie (oder vielleicht auch unter dem Vorwand der Pandemie) für Ausländer praktisch geschlossen ist. Wer sich für Laos interessiert: vor 1 oder 2 Jahren habe ich in meinem Parfumo-Blog eine kleine Laos-Reihe verfasst.
30 Antworten
FvSpee vor 2 Jahren 69 44
6
Flakon
8
Sillage
7
Haltbarkeit
8.5
Duft
Go West!
Mit den Inhaltsstoffen und den Produktnamen geht es bei Harry Lehmann gleichermaßen geheimnisvoll zu. Duftpyramiden gibt es nicht, die Düfte werden nur mit elliptischen Attributen wie "blumig-frisch" oder "geheimnivoll würzig" belegt. Nachfragen im Laden werden in aller Regel sehr höflich ausweichend beantwortet. Nur bei denjenigen EdPs von Lehmann, die, und zwar unter gleichem Namen, aber zum vielfachen Preis, auch bei "Frau Toni's Parfums" unter Linzenz verkauft werden, kann man ein bisschen hinter die Kulissen sehen, denn bei Frau Toni's gibt es klassische Pyramiden.

Bei den Namen wiederum hat Lehmann eine Vorliebe für geografische Bezeichnungen, Städte vor allem, aber deren Auswahl ist bisweilen enigmatisch. Ein Kirschduft namens Kyoto, das ist noch konventionell, aber Äpfel aus Naples (warum eigentlich nicht Napoli oder Neapel?) und Orangen aus Boston? Hier also Key West. Key West ist eine Stadt auf einem Inselchen vor der Küste Floridas, weil diese aber via Brücke mit dem Festland verbunden ist, gilt sie als "südlichste Stadt der Festlands-USA". Vielleicht ist entweder das, oder der Umstand, dass Hemingway hier eine Weile lebte, der Grund dafür, dass der Ort wenigstens dem Namen nach weltweit ziemlich bekannt ist, obwohl er nur ca. 25.000 Einwohner hat, also so viele wie Butzbach in Hessen, Lauf an der Pegnitz in Bayern oder Werder (Havel) in Brandenburg.

Nach einer gewissen Pause brachte Harry Lehmann im Jahr 2021 etwa ein halbes Dutzend neue Düfte heraus, von denen Merano und dieser hier mir am besten gefallen. Den nur mittelguten habe ich vor einigen Monaten Statements gewidmet.

Key West erfreut mit einer klassischen, wuchtigen zitrisch-grünen Eröffnung mit einer schon fast adstringierenden Orangenwürze ganz im Stil von Springfield (und ein ganz klein bisschen auch von Esterel). Das ist ein maximales Lob von mir, den Springfield (auch bei den Damen meines Umfeldes Seufzer und schmachtende Blicke hervorrufend) ist neben Russisch Juchten, Lindenblüte, New York Cologne und dem nicht mehr hergestellten (Ur-) Fougère mein Lieblingsduft aus dem an guten Düften reichen Lehmann-Sortiment. Sowohl auf der Haut als auch in der Nase eigent dem Duft hier eine etwas duftölhafte Konsistenz, sodass man sich etwas Sorgen um die Sprühdüse des Flakons zu machen beginnt. Das unterstreicht den hesperidisch-grünen Wumms von Key West: von einem Cologne sind wir hier weit entfernt.

Im weiteren Verlauf entwickelt sich Key West (bei insgesamt ganz leicht reduzierter Projektion und Ausdauer) vielfältiger und differenzierter als Springfield. Während der winzige, kaum auszumachende, aber vielleicht letztlich seinen Clou ausmachende animalische Sidekick seines älteren Bruders fehlt, konstatiert meine Duft-Imagination hier: ein in sehr weiter Entfernung stehender Busch mit stark duftenden Blüten; geerdet-irdene, bald ein wenig tönerne, bald ein wenig würzige Brauntöne und eine leicht basische Note.

In der Spätphase (es handelt sich also um einen lehmann-atypisch eher entwicklungsstarken Duft) tritt eine sehr schöne, ziemlich klassische Herrenbasis hervor, die fast schon an den exquisiten Antaeus-Fonds mit viel Eichenmoos und Patschuli erinnert, dazu tritt eine feinherb-süßliche Ahnung von Lavendel, wie auch immer diese es in die Basisnote geschafft haben mag.

Soweit hier behauptet worden ist, dass Key West an Terre d'Hermès angelehnt sei, kann ich das nicht wirklich beurteilen, da ich diesen populären Duft nur einmal vor mehreren Jahren getestet habe und er mir damals nicht gefallen hat. Ich meine, dass Key West anders ist, aber meine Erinnerung mag trügen.

Ich werde den Duft, von dem ich mir einen 15-ml-Flakon zugelegt habe, sicher noch ein paar Mal bewusst kritisch testen und vielleicht die Bewertung noch ein wenig feinjustieren. Auf jeden Fall ist Key West ein Starker unter den jungen Lehmännern. Und da meine Schwäche für diese Marke bekannt ist: Es lohnt sich ihretwegen ohnehin, sich im Berlin: 'Go West!' zuzurufen und dem kultigen Laden in der Kantstraße einen Besuch abzustatten.
44 Antworten
FvSpee vor 2 Jahren 32 23
7
Sillage
7
Haltbarkeit
8.5
Duft
Balearische Brauntöne
D:SOL MMXVI ist eine (Überraschung!) 2016 gegründete Beauty-Luxusmarke des Unternehmers und Impresarios Dennis Werner (gerne auch mit einem neckischen "K." zwischen Vor- und Nachname), dessen Leben, jedenfalls nach seiner Selbststilisierung im sehr selbststilisierten öffentlichen Auftritt, sich zwischen Berlin und Mallorca abspielt.

Um drei Düfte für seine Marke zu lancieren, traf Herr W. die hochlöbliche Entscheidung, eine andere Teilzeitberlinerin, nämlich die von mir über die Maßen geschätzte Parfumeurin Marie Le Fèbvre, zu engagieren, die mit ihrem Ehemann Alexander Urban ansonsten ihr eigenes Label, nämlich Urban Scents, betreibt. Da die Meisterin, was die Entwicklung angeht, für Slow Scent steht, dauerte es bis zum September 2020, dass die Parfüms tatsächlich das Licht der Welt erblickten.

'Herbes' bedeutet nicht nur im Französischen, sondern auch im Katalanischen 'Kräuter' und steht für einen speziellen, auf das späte Mittelalter zurückgehenden, mallorquinischen Kräuterschnaps (von der EU geschützte Bezeichnung: 'Herbes de Mallorca'), der heute noch von acht unterschiedlichen Herstellerfirmen (und natürlich von Kleinstproduzenten für den Eigenbedarf) hergestellt wird. Aromatisiert wird der Likör in der Regel mit Orange und anderen Zitrusfrüchten, mit Kamille und mit verschiedenen Kräutern und Gewürzen; er hat typischerweise eine Anisnote.

Der Duft 'Herbes' ist ausdrücklich von diesem Kräuterlikör inspiriert. Inwieweit das Porträt gelungen ist, kann ich leider nicht beurteilen, da ich das Stöffchen bisher nicht verkosten durfte, in keiner seiner acht plus x Variationen. Ich kann den Duft daher nur ohne Referenzen an den Likör würdigen.

'Herbes' ist, entgegen der Gedanken, die bei 'Likör' entstehen mögen, nicht süß (allenfalls als zartes Gegengewicht zu den bitteren Noten), und die Pfefferminznote ist, entgegen der Angaben in der Duftpyramide und in den Statements zahlreicher Vorverkoster, äußerst dezent und sehr fest verbaut. Wüsste ich nicht, dass Pfefferminz enthalten ist, hätte ich es definitiv nicht erraten.

Die nach Herstellerangaben 45 Inhaltsstoffe des nicht - wie bei Marie Le Fèbvre sonst üblich - leichtfüßigen, sondern durchaus körpervollen und etwas vorlauten Duftes lassen ihn unberechenbar changieren. Es ist weder ein linearer Duft, noch einer mit einer traditionellen Entwicklung von leichten Kopf- zu stabilen Residualnoten, sondern er gehört zum Kaleidoskoptyp.

An grünen Noten nehme ich weniger frische Minze als zwischen den Händen zerriebenes Laub und Gras wahr. Die Orangennoten, die sich eher in der Spätphase des Duftes denn im Auftakt manifestieren, sind von einer herbwürzigen Süße, eher getrocknete oder dezent kandierte Pomeranzen denn fleischig-frische Saftorangen. Die Gewürze sind von einer leichten, matten Bitterkeit, die wie eine Bassbegleitung den Duft hintergründig, aber markant soürbar unterlegt. Die Mischung zweifellos Anis und Kreuzkümmel (Kumin), womit ich anders als andere keine Probleme habe (im Gegenteil).

Die vorherrschende Farbe von 'Herbes' ist für mich braun in verschiedenen Tönen von heller Strohfarbe bis zu erdigem mittelbraun. Mal assoziiere ich des satte Gelb von feuchtem Stroh, dann eine papyroide Strenge trockener Blumen, bald erwachsene Köstlichkeiten wie Nelken und Orangeat in einer ländlichen Küche aus knrrig-dunklem Holz, am häufigsten jedoch wohl erdige und lehmige Naturbilder in verschiedenen Tönen.

Für Düfte in Brauntönen, die zwischen melancholischer Traurigkeit und weicher Süße flottieren, habe ich eine Schwäche, wie ich spätestens seit meiner Liebe für Pierre Guillaumes "25 Indochine" weiß. Diejenigen, denen es ähnlich geht, und natürlich den Fans von Marie Le Fèbvre, sei ein Test dieses Duftes unbedingt anempfohlen.

Die drei Pafums des Hauses sind im Dreierprobenset zu 15 Euro erhältlich. Kauft man danach den Flakon von einem der drei Düfte, wird der Preis des Probensets dekontiert, was ich eine gute Idee finde.

Vielen Dank an Knopfnase dafür, mich auf diese Marke aufmerksam gemacht zu haben.
23 Antworten
FvSpee vor 2 Jahren 36 33
4
Sillage
5
Haltbarkeit
9
Duft
Im Colognisten-Café: Russische Rêverie
In letzter Zeit bin ich hier etwas leise geworden. Vermisst oder nicht, zu meinem fünften Parfumo-Geburtstag, an dem ich mich noch immer als Greenhorn in der Duftwelt empfinde, melde ich mich zu Wort, um einen feiertagsmäßig traumschönen Duft vorzustellen, der natürlich ein Cologne und etwas verrückt sein muss.

Novaya Zarya ist die wahrscheinlich größte und traditionsreiche sowjetische und jetzt russische Duftmarke. Sie hat das zehntausendfach reformulierte legendäre "Rote Moskau" der Politbütogattinen und Sängerinnen der Moskauer Oper im Programm; ein gewisser Schwerpunkt des Portfolios liegt jedoch auf den preiswerten Gebrauchsdüften, namentlich den Colognes. Auf russisch heißt das Eau de Cologne seit Napoleons Zeiten "Odekolon" (Pendant zum türkischen "Kolonya") und die russische Literatur ist voll von Figuren, welche diese Wässerchen oral zweckentfremden, wenn gerade kein Wodka zur Hand ist.

Schaut man sich den russischen Text auf dem Etikett richtig an, liest man kyrillisch "O-de-Kolon Svetocnyi ot Brokar Novaya Zarya", darunter steht in lateinischen Buchstaben noch "Brocard 1864". Es handelt sich also um ein Odekolon von Novaya Zarya, dessen Name "Svetocnyi ot Brokar" ist. "Svetocnyi" heißt "Blumig", woraus die Parfumo-Registratur den Namen "Floral" gemacht hat, und "ot Brokar" heißt "von Brocard". Damit verweist Novaya Zarya darauf, dass der Duft älter ist als die Firma. Er wurde erstmals vom französisch-russischen Dufthaus Brocard lanciert (wohl 1882). Dieses Unternehmen mit Sitz in Sankt Petersburg war eine der größten, wichtigsten und modernsten Parfümerien ihrer Zeit; es wurde 1864 (daher diese Jahreszahl auf dem Etikett) gegründet und ging 1917 in den Wirren von Krieg und Revolution unter.

Mir ist nicht bekannt, dass 'Floral' (um bei der Parfumo-Benennung zu bleiben) außerhalb Russlands erhältlich wäre. Die Internetseite von Novaya Zarya, die man über Google kaum findet, ist novzar.ru und ausschließlich in russischer Sprache abrufbar und soweit ich das verstehe, kann man im Onlineshop die Düfte auch nur innerhalb Russlands bestellen. Der 85-ml-Flakon 'Floral' kostet 92 Rubel, also 1,07 Euro. Die Duftpyramide wird dort wie folgt angegeben: Kopf: Weißdorn, Bergamotte, Pfirsisch. Herz: Veilchen, Jasmin, Rose. Basis: Sandelholz, Zedernholz, Moschus.

Blumencolognes finden an sich keinen Eingang in meine Cologne-Kommentare auf Parfumo, da ich sie als eigene Welt empfinde, die wenig bis nichts mit klassischen Könischwassern zu tun haben. Dieser Duft ist aber nicht nur herausragend schön, sondern hat (entgegen dem Anschein der Duftpyramide) sich einen herzlich frischen, leichten, zitrischen Charakter bewahrt, der ihm einen Stammplatz in Colognisten-Café garantiert.

'Floral' ist ein federleichter Duft, der, im Winter getragen, die Kälte sofort vertreibt und Tagträume an den Frühsommer auf einer weiten ukrainischen Blumenwiese evoziert. Trotz einer gewissen Entwicklung weist er eine enorme innere Einheit auf, er ist von der Quelle bis zum Verschweben frisch und fröhlich, heiter und leicht. Als Farbe betrachtet, kommt mir der Duft zitronengelb - frühlingsgrün - mittelviolett daher.

Die Eröffnung von 'Floral' ist eine schwer greifbare blütenhafte Zitrik, der sich bald ein lindgrüner Ton wie von frisch geschnittenem jungen Gras beigesellt. Es folgen pastellige (aber nicht süße oder mädchenhafte) Blumentupfer, die ich ohne Kenntnis der Pyramide am ehesten als Maiglöckchen angesprochen hätte. Veilchen und (ein Hauch von) Jasmin sind jedoch ebenfalls plausibel. Die Rose ist nur allenfalls ganz diskret angedeutet. Auch eine Ahnung von Früchten nahm ich wahr (und assoziierte ganz zarte Erdbeere mit einem Hauch Tonkabohne), die angegebene Pfirsischnote dürfte jedoch noch besser treffen. Im Ausgang, nach etwa vier bis fünf Stunden, sind tastend-kontrastierend tatsächlich würzig-holzige, fast schon rauchige Noten zu erahnen, jedoch auch dies nur wie Schemen einer nachmittäglichen Rêverie.

Insgesamt ein selten schöner, traumschön hingehauchter zitrisch-grüner Duft mit blütenhaften und sogar fruchtigen Anhauchungen, der mich (nicht von den Duftdetails, aber von der 'Seele' her) an meinen geliebten und 150 mal teureren Bal d'Afrique von Byredo erinnert. Wer sich in Russland aufhält (was wegen der apokalyptischen Reiter von Krieg und Seuche kaum wahrscheinlich ist) oder wie ich das Glück hat, ein Pröbchen des Dufts zu ertauschen, möge, ob Dame oder Herr, beherzt zugreifen.

Sechster Besuch im Café. Die Übersicht im Blog wurde ergänzt.
33 Antworten
FvSpee vor 3 Jahren 34 24
7
Flakon
5
Sillage
4
Haltbarkeit
8
Duft
Im Colognisten-Cafe: Friedrich Engels
Es wird oft geklagt, dass es heute kaum noch echte Gentlemen gäbe. Bei Givenchy ist das definitiv nicht der Fall. Da werden sie immer mehr. Es begann 1974 mit 'Givenchy Gentleman', dann kam 2013 der Flanker 'Gentlemen Only' dazu. Seither vermehren sich die Herren alter Schule wie die Karnickel.

Neben den Singular-Gentleman von 1974 ist inzwischen ein 'Gentleman Givenchy', also mit umgedrehten Wortbestandteilen getreten, und zwar als EdT (2017), EdP (2018) und hier, voilà, als EdC (2019). Da danach die gängigen Konzentrationen durch waren, folgten ein etwas hölzerner Herr (Gentleman Boisée, 2020) und ein intensiver Gentleman (Gentleman EdT intense, 2021), was mir etwas zweifelhaft erscheint, da ich stets dachte, dass Gentlemen sich durch vornehme Zurückhaltung auszeichnen.

Die pluraren Gentlemen waren auch nicht faul. Hier gab es ebenfalls ein Intense (2014), dann ein Casual Chic (2015) und dann, im gleichen Jahr 2016, ein Fraiche und ein Absolute. Seit 5 Jahren herrscht im Mehrzahlzweig eine geradezu beängstigende Ruhe. Es ist zu hoffen, dass diese Gentlemen nicht von einer nachhaltigen Unpässlichkeit befallen sind.

Ich kenne diese Düfte nicht alle und will sie auch nicht alle kennenlernen. Ich besitze das Ur-Gentlemen-Only von 2013 und habe zwei oder drei andere gestestet. Auf dieser schmalen empirischen Grundlage wage ich die Aussage, dass die Herren alle wirklich miteinander verwandt sind, oder, wie man szientistisch sagen könnte: dieselbe DNA aufweisen. Wer also ein, zwei andere Vertreter dieser Sippschaft kennt, sollte von diesem Cologne nichts völlig anderes erwarten.

Und zwar sind diese Herren allesamt nicht der Typ exzentrische Edelleute, die vom Dach des schottischen Landsitzes im weiten Bogen um die Wette urinieren, beim Whisky im Herrenclub Pol Pot loben oder Damenunterwäsche unter dem Frack tragen. Es sind eher jüngere Herren der oberen Mittelschicht mit bürgerlichen Berufen, geschmeidig und freundlich, unaufdringlich, manchmal bis an die Grenze der Leisetreterei.

Auch dieser Duft ist mehr Givenchy Gentleman als Cologne, aber immerhin: Die zitrische Kopfnote ist da und auch das (hier eher bittere als frischgrüne) Rosmarin, das von 4711 bis Alvarez Gomez in fast jedem waschechten Cologne dabei ist, fehlt nicht. Allerdings muss man um dieses Kölnischwasserhafte schon fast vorher wissen, um es zu erkennen. Denn die spätestens seit Muglers Cologne moderne Tendenz, ein klassisches Cologne durch Moschus weichzuzeichnen (was ich an sich verabscheue), wird hier so über den Anschlag hinaus überdreht, dass es - dialektischer Umschlag von Quantität in Qualität! - schon wieder gut wird. Neben einen großzügigen Schuss Mosch tritt noch eine daran unmittelbar andockende herbcremige Iris, mit grober Kelle serviert, und, als ob es damit noch nicht genug wäre, ein angenehm faseriger Vetiver.

Damit bewegt dieser Duft sich eigentlich schon fast jenseits der Grenzen dessen, was ich in meinen Serien als Cologne behandle. Was aber wiederum colognetypisch ist, ist die geringe Haltbarkeit von etwa zwei bis drei Stunden. Dies empfinde ich nicht als Manko, es trägt im Gegenteil dazu bei, dass ich diesen Duft schätze und ihn statt des Ur-Plurals in meine Sammlung lasse. Diese herbcremige elegante Frische ist für kurze Zeit sehr schön und kann kongenial passend sein, etwa wenn man frisch geduscht in einen leichten grauen Anzug steigt, als Begleiter für den ganzen Tag wäre sie mir etwas zu wenig fesselnd.

Nachzutragen sei, dass ich auf die insgesamt gute Idee, es mal mit diesem Herren zu versuchen, durch die geschätzte Runa gekommen bin, die dieses Forum eine gute Weile lang durch ihre jugendlich-frische Schreibe bereichert hat. Schade, dass sie hier (einstweilen, wie ich zu hoffen nicht aufhöre) verstummt ist. Aber die Zahl der Gentlemen und Gentlewomen, die ich in diesem Forum vermisse, wächste ohnehin genauso schnell wie die der givenchistischen Flanker.

Fünfter Besuch im Colognisten-Cafe. Blog wurde aktualisiert.
24 Antworten
11 - 15 von 323