Klopfnote

Bässe wummern im Bauch. Bunte Lichter rasen durch die Schwärze, fallen auf schöne, verschwitzte Gesichter. Unterm Schwarzlicht leuchten Augen und Zähne in einer Wolke aus Energydrink. Drei Uhr nachts im Club, das ist für mich Sensual Jil.

Denn eigentlich ist Sensual Jil im Vergleich zum entspannten Jil gar nicht so sensual, sondern eher die aufgeregte, fröhliche und deutlich jüngere Schwester. Die beerige, leicht herbe Süße ist das Erste, was mir bei Sensual Jil auffällt. Johannisbeeren, Kirschen, Brombeeren, Himbeeren, sprich ein leuchtend roter Korb voller saisonreifer Sommerfrüchte. Dazu bringt eine gewisse Schärfe ordentlich Schwung rein, der lange durchhält und ordentlich wach macht dank kühlem Menthol. Orangenblüte und Vanille sorgen für den nötigen Schub Sexyness, und ein mysteriöses Patchouli weckt ein Gefühl der Erwartung.

Sensual Jil ist nicht zurückhaltend, sie ist der Typ, der ruft: "Juhu! Hier bin ich! Lass uns die Sau raus lassen!" Für mich der perfekte Duft, um in Stimmung für eine lange Freitagnacht zu kommen. Die Sillage ist nicht zu stark, was bei diesem schrillen Duft vielleicht ganz gut ist, besonders wenn man auf engem Raum tanzt. Trotzdem ist der Duft ziemlich haltbar. Sagen wir mal, um elf geht's los, und um halb fünf spielen sie dann die ersten Rausschmeißer-Tracks, das Licht geht an. Dann hält sich Sensual Jil noch fit genug um auf einen Absacker mitzukommen.

Nein, für's Theater ist Sensual Jil nicht so geeignet und auch nicht so recht fürs elegante Abendessen, dafür ist der Duft zu jugendlich und unernst. Für Sport und Arbeit wiederum ist er zu süß und zu laut. Es ist schon, meiner Ansicht nach, ganz klar ein Freizeit- und Partyduft.

Als ich ungefähr 16 war, bekam ich die Miniatur von meiner Mutter zum Geburtstag geschenkt. "Mamaaa! Das ist ein Herrenduft! Halloooo?" Ja, meine Mutter liebt herbe Düfte und ist sehr kurzsichtig. Sie hatte ihn spontan gekauft, weil er ihr gefiel.

Nein, ein Duft für mich, ein junges Mädchen, war das nicht, denn er war zu maskulin. Aber er war unbestreitbar gut! Um genau zu sein: Ziemlich geheimnisvoll und aufregend...um nicht zu sagen: sexy! Kein normaler Herrenduft, der einfach nur nach Herrenduft riecht.
Nein, das waren sehr spezifische Duftnoten: Hölzer dufteten frisch nach einem sehr dunklen, verregneten Nadelwald, was ich einfach toll fand, als naturentfremdetes Stadtkind. Aber da war noch etwas anderes, Sakral-Balsamisches dabei, das den Duft einfach in überirdische Sphären trieb - Labdanum? Möglich. Vielleicht wirkte auch nur der Muskat halluzinogen. Wie dem auch sei, wenn ich an der Flasche schnupperte, hatte ich das Gefühl: Ja, irgendwo da draußen gibt es Magie! Einen Mann mit diesem Duft hätte ich mir vermutlich sofort versucht zu angeln, aber das gab es damals nicht. Alle Jungs benutzten das stinklangweilige Axe. (Wieso eigentlich?)
Ich benutzte den Duft nicht im eigentlichen Sinne, nie hätte ich mich mit einem Herrenduft in die Schule getraut. Aber wenn ich Zuhause war, reichte es, einen Tropfen auf die Fingerspitze zu nehmen, um mich daran zu berauschen.
Und so war der hübsche petrolblaue Flakon dann doch plötzlich leer. Ich habe ihn immer noch, ich hänge einfach dran!

Seitdem versuche ich ihn immer wieder verzweifelt meinem Freund anzudrehen und ihn endlich in meinen Wunderwaldduft einzuhüllen. Bisher vergeblich, aber ich gebe nicht auf!

Manchen mag Puma Red zu süß sein, zu mir passt er einfach. Das heißt, passte, im Präteritum.
Denn vor Kurzem ging mir der Flakon kaputt, fiel einfach runter. Gestern zog ich mit einer Freundin durch die Stadt um ihn nachzukaufen. Doch was muss ich feststellen? Die gesamte Puma-Duftlinie ist vom Markt verschwunden. Es gibt NICHTS mehr. Die Douglas-Dame zeigt mir im System, dass nicht mal mehr die Marke registriert ist.

Schock! Ich verlasse wortlos den Laden und bin orientierungslos. Wie jetzt? Was ist da los?

Verleugnung! Ich laufe vergeblich durch andere Läden und glaube es nicht. Die Internetrecherche bringt Gewissheit.

Wut! Eine ignorante Marketingabteilung haben sie da bei Puma. Ja, Pumas große Zeiten sind vorbei. Ich vermisse die Kleidung auch nicht. Aber muss man deshalb all die guten Düfte einstampfen? So viele Duft-Dinosaurier aus den 80ern und 90ern stehen noch in den Regalen, warum also beraubt man mich meiner Jugendliebe aus den 00er Jahren? Was sind das für kurze Modezyklen? Blöder Kapitalismus!

Depression! All die schönen Zeiten mit dem Duft! Wie ich meine erste Flasche von meinem Freund geschenkt bekam. Wie ich ihn sofort liebte. Wie er in jeden Urlaub mitkam, aufgrund des praktischen Formats. Warum ist er mir nur zerbrochen?
Ein wunderbar fruchtiger Duft, natürlich, weiblich, aber vor allen Dingen erfrischend! In einem schönen, griffigen Flakon, der einer Wasserflasche ähnelt und auch handlich ist, im Vergleich zu all den schönen aber eher unpraktischen Kugel- und Hochhausformaten, die man so im Duftregal antrifft (Kenzo, DKNY und Co, ich schaue euch an!). Zur Flaschenoptik passten die spritzigen Früchte einer sehr haltbaren Kopfnote und die leichten Blumen.
Ich bin einfach mit den Puma-Düften groß geworden. Sportlich-frisch, nie billig, nie aufdringlich, aber immer bezahlbar. Kleine Flaschen gab's für wenig Geld überall. Auch mein Liebster hatte seine Puma Phase. Ich beschließe, sparsam mit meinem Rest Puma Flowing umzugehen.

Jetzt bekommt man Puma-Düfte nämlich nur noch, indem man windigen Internet-Händlern vertraut. Und so habe ich auf Ebay 20€ für einen 50ml Flakon Puma Red Woman geboten, von privat. Etwas, das ich eigentlich nie tun würde. Aber ich will meinen Immer-Passend-Duft wieder haben. Ich warte nun ab, ob ich aufhören kann zu trauern, oder mich schon mal auf die nächste Phasen vorbereiten darf: Depression und Akzeptanz.
Und ich höre Joni singen: Don't it always seem to go...

Als ich ungefähr 13 war, machte bei uns ein Body Shop auf. Wir Mädels kamen ständig vorbei, damals mit wenig Taschengeld, aber die schrägen Blicke hielten uns nicht davon ab, sämtliche Testtiegel zu öffnen und uns einzunebeln.
Ich hatte früh einen Liebling: White Musk! Das damals silber-transparente Fläschchen passte super in die Jahrtausendwende, in der Futurismus und clean-sportliche Stile Konjunktur hatten. Ich sage nur: Adidas Superstars, mit silbernen Streifen, natürlich.

Sein dezent-sauberer Duft sprach mich an. Ich war sehr schüchtern und wollte nicht auffallen, nur nach frischer Wäsche riechen. Endlich cool sein, endlich nach Weichspüler riechen, endlich so gesehen werden wie ich gesehen werden wollte!
Allein, das Geld fehlte. Mit 10€ Taschengeld im Monat war White Musk nicht drin. So kam ich jede Woche mit meiner Clique hereingerauscht, nebelte mich mit meinem Weichspüler-Traum ein und machte mich davon.

Dann, zum 15. Geburtstag bekam ich von meiner Mutter das Duftöl geschenkt, im Badezusatz. Ich hütete es wie einen Schatz! Denn jedes Bad damit war ein Erlebnis. Beim Öl kam die Moschuskomponente viel stärker heraus. Ich wusste damals nicht, was Moschus ist, aber ich fand es aufregend! Ich duftete tagelang noch danach, trotz Duschens. Ich fühlte mich damit extrem attraktiv und sexy!

Später wurde das Taschengeld erhöht, das (viel weniger haltbare) EdT kam ins Haus, zusammen mit anderen Düften. Ich war weniger schüchtern, traf mich lieber mit Jungs statt zu shoppen. Wenn es drauf ankam, musste es White Musk sein, weil es mich selbstbewusst machte! Denn sollte das mit dem Jungen doch mal nicht gut gelaufen sein - egal, ich fand mich super! Ja, so eine befreiende Wirkung können Düfte haben...

Jahrelang glaubte ich daran, dass White Musk Erotik pur sei. Ist ja schließlich Moschus drin, oder? Falsch gedacht. Mein jetziger Freund sagte dazu nur: "IHHHH, MOSCHUS!" Da meine Sammlung zu dem Zeitpunkt modebedingt viel süßer geworden war, sah ich das denn genauso.
Seitdem stand White Musk im Regal herum, von gestern, wie ausgelatschte Adidas Superstars. Es passte nicht mehr zu mir, nicht in die Zeit: zu dezent, zu unisex, zu sehr Jahrtausendwende. Und irgendwann war er gekippt.


Hab ihn neulich noch mal getestet. Adidas Superstars sieht man ja auch wieder überall... Nein. Er riecht ganz anders! Beißend, nicht luftig. Kratzig, nicht clean. Kaum noch Moschus. Dann eben nicht!

Abiturzeit, ich hatte ein wichtiges Date vor mir. Mein Traummann: Groß und blond, lieb, perfekte zwei Jahre älter... und er wohnte in der aufregenden Großstadt! Dort wollte er mich am Bahnhof abholen. Ich kannte ihn schon eine Weile, aber so richtig zusammen waren wir noch nicht, obwohl es heftig knisterte. Dies war nun unser erstes "offizielles" Date und ich wollte so gerne, dass es mit uns beiden klappt! Darum hatte ich mich besonders sorgfältig zurecht gemacht und versucht, mit allen Tricks, die mir in dem Alter bekannt waren, verführerisch zu wirken: schick angezogen, aber nicht zu sehr, dazu unschuldiger rosa Lipgloss, dick getuschte Wimpern und - natürlich - der perfekte Duft. Lecker sollte er sein, nicht Oma-mäßig, herb oder aufdringlich, sondern süß und nach etwas riechen, das eigentlich jeder mag. Und was mag jeder? Vanille natürlich! So dachte ich mir das damals, nahm das leichte Plastikfläschchen kurzer Hand mit und nebelte mich noch im Bus zu ihm damit ein (die armen Mitreisenden...)
Es lief gut, wir kamen uns schnell näher. Es wurde spät und ich beschloss, bei ihm zu übernachten, denn der letzte Bus war weg. Im quietschig-süßen "Vanilla" eingehüllt verbrachten wir das Wochenende zu zweit, waren unzertrennlich und hörten Jamiroquai, die Musik unserer beider Kindheit: "We'll spend the night together, wake up and live forever!"

Da er aber nicht um die Ecke wohnte, konnten wir uns unter der Woche nicht sehen, vermissten einander sehr. "Vanilla" blieb bei ihm, weil es ihn an mich erinnerte. Ich nahm Tshirts von ihm mit, in die ich zuhause gern heiße Tränen weinte. Wie das in dem Alter eben so ist.
Waren wir zusammen, war "Vanilla" immer dabei. Umgab uns, während wir in der Stadt unterwegs waren, oder unsere Zeit nur im Bett verbrachten. Es war damals einfach der passende Kuschelduft, der mit seinen hellen Vanille-, Amber- und Kokosnoten Geborgenheit und Trost vermittelte und perfekt mit unserer Verliebtheit mitklang.

Lange hielten wir es aber so nicht aus, zogen schnell zusammen und sind es seitdem. "Vanilla" ist ein Duft, den ich mir heute vielleicht nicht mehr kaufen würde, weil er doch ziemlich künstlich riecht und einfach besser zu einem jungen Mädchen als zu einer Erwachsenen passt. Zur Verführung nutze ich heute andere Mittel, aber damals hat er seinen Job ja erfüllt! Er steht wohl verwahrt im Schrank, aber ist uns beiden immer noch lieb und teuer, der Erinnerung wegen. Hoffentlich kippt er nie!