Marieposa

Marieposa

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11 - 15 von 70
Marieposa vor 4 Monaten 45 41
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Duft
Stille Nacht
Kannst du sehen, wie schwer der Schnee auf den Zweigen der Tannen lastet? Sie biegen sich unter seinem glitzernden Gewicht und die Nachtluft duftet nach dem harschen Frost, der noch kommen wird. Selbst das Glöckchen an deinem Schlitten erklingt in einem fremden Ton auf deinem Weg durch das Wäldchen vor dem Ort, wo selbst der Fluss ganz träge fließt, sich Eiskrusten bilden an den Ufern der Salzach.
Tannenduft folgt dir von den verschneiten Bergen bis vor die Stufen der Dorfkirche. Du weißt, wenn du die Pforte öffnest, wird die Gemeinde bereits versammelt sein. Stoße die Tür nur auf und sieh, wie der eisige Wind die Kerzen am Eingang löscht. Folge ihren zarten Rauchschleiern hinein ins Kirchenschiff, das so kalt ist, dass der Atem der Menschen zu Wolken kondensiert. Das flackernde Licht der Kerzen spiegelt sich im abblätternden Gold der Ornamente, weißes Wachs tropft am Christbaum auf die Strohsterne, welche die Kinder gebastelt haben, die nun mit streng gezogenen Scheiteln und geflochtenen Zöpfen in den am wenigsten löchrigen Schuhen auf den kargen Holzbänken sitzen. Du riechst, dass da mehr Kohle als Weihrauch ist im goldenen Schwenker, den der älteste Ministrant wie in jedem Jahr für sich beansprucht, doch der Duft unzähliger Messen ist längst ins Gebälk gekrochen, in die steinernen Mauern und die spärlichen Behänge der Kanzel.
Gerade als du den Mantel enger um die Schultern legen willst, treten zwei Männer mit Gitarren nach vorn. Die Orgel haben längst die Mäuse zerfressen, aber der junge Pfarrer hat versprochen, dass es zu dieser Christmette tatsächlich Musik geben wird in der ärmlichen Schifferkirche. Andächtig tauschen Pfarrer Mohr und Lehrer Gruber einen Blick, bevor sie die Finger über die Saiten ihrer Instrumente gleiten lassen. Wie goldenes Licht schwebt ihre Melodie durch die friedvolle Stille, sinkt glitzernd herab auf zerfurchte Gesichter und müde Augen, legt sich balsamweich um zu dünne Schultern und mit einem Mal wird der Weihrauch süßer und die Luft ganz warm, trotz der Atemwolken und fröstelnden Finger.
Etwas ist in den Raum getreten, sitzt besinnlich schweigend in den Holzbänken und lächelt aus bewegt blickenden Augen. Bald werden sie einstimmen in das Lied, ihre Stimmen vereinen und für einen Augenblick Teil eines Ganzen sein.

Stille Nacht, heilige Nacht …

**

Ungefähr so stelle ich mir Heiligabend 1818 in Oberndorf vor und ich bin mir sicher, dass es nach Encens Flamboyant geduftet haben muss, als Joseph Mohr und Franz Xaver Gruber zum ersten Mal „Stille Nacht, heilige Nacht“ sangen.
Encens Flamboyant ist ein kühler, leichter und transparenter Weihrauchduft mit einer schneeartigen metallischen Note, die von schwarzem Pfeffer und Kardamom stammen könnte, obwohl ich beides nicht gesondert herausriechen kann. Durch die feine Textur ist das filigrane Duftgespinst zwar präsent, verteilt sein silbriges Schimmern aber so diffus im Raum, dass seine Quelle nur schwer auszumachen ist. Sakrale Anklänge lassen hier weniger an die schwer-warmen ambrierten Weihrauchschwaden des Hochamts denken, als vielmehr an einen in kühlen Kirchenmauern verbliebenen Hauch, der sich mit dem Rauch erloschener Kerzen vermischt. Außerdem wird hier die leichte Baumnadelnote, die Weihrauch von Natur aus hat, durch Tannenbalsam und sich von bitter nach süß bewegendem Mastixharz unterstützt, sodass der Eindruck entsteht, die Kirchentür hätte sich geöffnet und würde eine Brise Waldluft hereinlassen.
Eine prägnante Veränderung oder gar eine Pyramidenstruktur lässt sich in Encens Flamboyant zwar nicht ausmachen, aber im Verlauf erwärmt sich der Duft, entspannt gereizte Nerven, lenkt den Blick nach innen und schenkt zumindest mir einen Moment der Ruhe und ein warmes Lächeln.
41 Antworten
Marieposa vor 5 Monaten 46 36
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Duft
Eine Woche voller Winternarzissen
Träume,
braunhaariges Mädchen,
träume tief.
Und wenn du erwachst,
gib dein Geheimnis nicht preis.

„Valerie, gib acht“, flüsterte die Nacht über ihren schlaftrunkenen Atem, doch der Dieb war schon entschwunden wie der Schein der mandarinengoldenen Abendsonne. Nun fiel grünliches Licht durch die gläsernen Dachfenster und die Erinnerung an die Anwesenheit des Fremden schwebet im Raum, ein leicht bittere Hauch nur von Neroli. Fröstelnd legte sich Valerie ihr feines Tuch mit den aufgestickten Jasminsternchen um die schlafwarmen Schultern. Ihre Ruhe war hin genau wie die weißgoldenen Ohrringe mit den Narzissenblüten und sie folgte den Spuren des Diebes im Mondschein.
Wohin nur war der Orangenbaum im Garten verschwunden, dessen Äste sich gleichermaßen unter der Last reifer Früchte und süßer Blüten bog, und was versetzte die Hühner in dem kleinen hölzernen Verschlag am Ende des Hofes in solchen Aufruhr?
Valeries Welt hatte sich ein kleines Stück aus ihrer Verankerung gelöst. Spann sie ein in einen ambrettezarten Traumschleier und noch während sie die Augen über der flackernden Petroleumlampe in ihren Händen schloss, um zu sehen, ob die Nachtfalter mit den blütenweißen Flügeln auch im Blinzeln noch taumelnd um die Flamme tanzten, glitzerten die Geschmeide wieder an ihren Ohrläppchen, als könne sie Mondlicht aus den Blütenkelchen trinken, bis der goldene Tag erwachte. Denn nun fielen die Farben so hell und freundlich auf eine Welt aus verblüffenden Bildern, ein wenig übernatürlich vom Gegenlicht ausgewaschen, kaum merklich überzeichnet.
So kam es, dass das granatrote Honigfunkeln auf den betörend weißen Narzissen in den Beeten, aber auch die tonkasüße Fratze des Iltis sie schlafwandelnd staunen und nicht erschrecken ließ, am Beginn dieser Woche voller Wunder.

**

Dichternarzissen sind Blumen, die nur bis zu einem gewissen Grad blumig duften. Mit etwas Abstand riechen die Blüten zwar genau so frühlingsrein und aprilregenzart, wie man es beim Anblick der seidigen weißen Blütenblätter erwartet, doch wenn man sich näher mit der Nase heranwagt, offenbaren sie schnell eine unerwartete dunkle Tiefe von erstaunlicher Komplexität, die im selten in Parfum verwendeten Narzisse Absolue natürlich noch konzentrierter und deutlicher auftritt. Da sind Ledernoten, Facetten von hellem Tabak und heuartige Akzente von einer betörenden feuchten Wärme, deren weltlichen Aspekt die Indole, ähnlich wie bei Tuberose, noch zusätzlich unterstützen. So entsteht ein Eindruck von warmer Haut, ohne dass man seine Fantasie überanstrengen müsste. Da ist ein Pulsschlag, ein paar zerwühlte Laken, ein sanftes Atmen – und genau diese Intimität der Dichternarzisse ist es, die Annette Neuffer hier ganz leichtfüßig mit anderen Ingredienzien verbindet und so eine surreal-kaleidoskopische Abfolge von sich immer neu zusammenfügenden Traumbildern erschafft.
Zu Beginn tauchen Galbanum und Neroli die Welt in Grün, um langsam von einer reifen Mandarine versüßt zu werden. Schon hier blitzen die Narzissen immer wieder auf, werden mal von Orangenblüten, mal von Jasmin begleitet, ohne dass das vibrierende Grün aus der Kopfnote ganz verschwindet. Was genau ich in dieser Phase des Duftes wahrnehme, wann und in welcher Intensität, variiert sehr stark und lässt mich jedes Mal aufs Neue Staunen, wenn ich den Duft trage. Dabei ist alles hell und zart und leicht, ein Reigen zwischen Schlaf und Wachzustand von fast schon schmerzhafter Schönheit, der es schier unmöglich macht, das eine vom anderen zu unterscheiden. Aber vielleicht spielt der Unterschied auch gar keine so große Rolle.
Dann kommt der Punkt, an dem ich fasziniert beobachte, wie die Narzisse die anderen Blüten überstrahlt – an manchen Tagen stärker als an anderen von Tonkabohne unterstützt – und all die wundervollen Facetten, die ich eingangs beschrieben habe, glänzen lässt. Ein Duft wie ein poetisches Märchen, in dem potenziell verstörende Elemente (in meinem Fall die Tonkabohne) eher verblüffen und faszinieren als erschrecken, und der mich unwillkürlich an „Valerie – Eine Woche voller Wunder“ denken lässt, ein poetisch-surreales Schauermärchen, vom tschechischen Regisseur Jaromil Jireš feinsinnig in eine betörende Bilderflut übersetzt.
Zur Basis hin wird der Duft immer wärmer, ein winziger Tropfen Honig unterstützt die süßen Facetten, hintergründig schlängeln sich feinste Rauchfäden wie von vanilligen Sandelholzräucherstäbchen durch die Blüten und ein kaum wahrnehmbarer Hauch von Patchouli erdet. Diese Entwicklung sorgt dafür, dass ich Narcissus Poeticus, das ohne Weiteres ganzjährig, täglich, zu jedem Anlass und überhaupt immer wunderbar tragbar ist, tatsächlich im Winter bevorzuge, wenn es dunkel ist und ich mich gleichzeitig nach grünen Trieben in den Blumenbeeten, nach kühlen Frühlingssonnenstrahlen, aber eben auch nach ein wenig süßer Wärme sehne.

Liebe Indolic, ich werde jeden Tropfen genießen und danke dir von ganzem Herzen.
36 Antworten
Marieposa vor 5 Monaten 44 38
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Duft
Die Zeit der gemurmelten Legenden
Lang ist die Nacht im ungnädigen mongolischen Winter. Wenn der Frost die Wüsten von Delüün mit zarten Mustern überzieht und die Bergpässe des Altai unüberquerbar in rauem Sturm und Schnee versinken. Dann bricht sie an, die Zeit der gemurmelten Legenden.
Komm, und setze dich auf Flechten und Moos. Schmiege dein müdes Haupt an den warmen Bauch des weißen Ren, lausche meiner Stimme und dem süßen Odem des Tieres. Folge dem Flug der zischenden Funken bis an die rauchgeschwärzten Lederbahnen der Jurte.
Das Heulen jenseits der Zelte weckt das gelbe Glühen in meinen Augen. Leise verberge ich das Antlitz unter der Mütze aus Fell. Ich werde sie brauchen, wenn der eisige Wind sich rot glühend in meine Wangen beißt, bis der Tag anbricht, und wandernde Wolken ihre Schatten wieder werfen auf die karge Steppe. Wo der Adler kreist.
Süße den bitteren Trank in deinem Becher mit Harzen und einem letzten Tropfen dunklen Honigs. Schärfer und immer schärfer werden sie die Kaffeebohnen rösten, damit ihr Rauch noch aufsteigt zwischen den Geschichten, wenn längst nur noch heißes Wasser in den Bechern dampft. Doch dann werde ich hinausgeschlichen sein auf den geteerten Sohlen meiner Stiefel. Wenn das Gestern mit dem Heute verschmilzt. Wenn die Wölfin in mir erwacht.

**

„I wish to create stories that narrate into your imagination when you smell them. Create olfactory experiences and interpret the main idea under your own imagination”, schreibt Prin Lomros auf seiner Homepage und ich kann nur sagen, dass sein Konzept ganz hervorragend aufgeht. Zumindest bei mir. Keiner seiner Düfte, die ich bisher riechen durfte, ließ mich kalt, jeder erzählte mir eine Geschichte in intensiven Bildern, und im Fall von Varuek (= das Thai-Wort für „Wolf“) bin ich vollkommen verblüfft, wie nah meine Assoziationen an das herankommen, was Lomros tatsächlich mit dem Duft ausdrücken möchte: Er speist seine Idee, das Nomadenleben in der Mongolei olfaktorisch abzubilden, mit Fotografien aus dem 2016 erschienenen Bildband „Dark Heavens. Die Schamanen und Jäger der Mongolei“ des Fotografen und Dokumentarfilmers Hamid Sardar, der zwanzig Jahre lang mit Nomadenstämmen in der mongolischen Steppe lebte. Dabei entstanden beeindruckende Portraitaufnahmen, bei denen der Mensch immer im Zusammenhang mit Tier und Natur gedacht und natürlich auch dargestellt wird. Viele der Bilder, die die eher gedämpften Farben mongolischer Landschaften widerspiegeln, entfalten eine ganz eigene Dynamik, spielen gezielt mit Unschärfen und kontrastieren den begrenzten Blickwinkel der Kamera mit der fast schon beängstigenden Weite des Landes.

Der Duft beginnt mit einer für meine Nase haarsträubenden Raubtierkäfignote, die sich nach ungefähr fünf Minuten setzt. Dann wandelt sich Varuek und entführt in eine gemütliche Lederjurte, in der ein Oudfeuer prasselt, zimtwürziger Kaffee ein wenig überröstet wurde und Menschen und Tiere auf weichem Moos träumen. In der weiteren Entwicklung gewinnt der Duft durch ledriges Labdanum und die Süße von Myrrhe und dunklem Honig noch weiter an warm-weicher Dunkelheit, während draußen Wölfe heulen und Kiefernteer ein sanftes Knurren in der Nacht erklingen lässt.
Varuek weckt ein ähnliches Fremd-Vertraut-Gefühl in mir wie "Ambilux / 50 ml d'Ambiguïté | Marlou", ist aber noch deutlich tiefer und dunkler – und ein kleines bisschen frage ich mich ja schon, ob bei regelmäßigem Gebrauch die namensgebende Wölfin in mir erwachen würde.
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Marieposa vor 6 Monaten 45 38
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Haltbarkeit
9
Duft
Ich wagte
Es ist der Moment, in dem es nicht mehr zählt, ob die Prämisse richtig oder falsch ist, wenn der Aldehydeschleier fällt und sich das korianderhelle Leuchten zwischen den Zitrusstrahlen auflöst. Der Moment, wenn du ein Band aus butterweichem Wildleder um mein Herz legst und ich begreife, dass in meiner Verletzlichkeit auch Stärke wohnt. Denn Ehrlichkeit ist der Schlüssel, wenn die Seele nackt ist und die Konturen eines verschwommenen Bildes langsam Wellen schlagen.
Hör nicht auf, mit pfirsichsanften Fingern Sterne um meine Narben zu malen. In Zeitlupe, bis Silberrauch sich um meine Gedanken wölkt, der Kopf sich unmerklich in den Bauch verlagert, Verstehen zu Fühlen wird, Intellekt zu Instinkt. Es gibt kein Richtig oder Falsch in diesem Bett aus Moos, wenn du es wagst, deinen Gelüsten zu folgen, den Schatten abstrakter Blütenblätter auf benzoeweicher Haut. Flüstere patchoulidunkle Geheimnisse in mein Ohr und stäube Gewürzpuder wie Opium auf Irisspuren. Mal rau und roh wie Vetiver, mal sanft und süß wie Sandelholz im Schwelen moschusweicher Amberglut.

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In der Vintage-Version ist J’ai Osé ein feiner weicher Lederchypre mit orientalischem Twist und einer zarten Rauchnote. Ich kenne den Duft erst seit Kurzem und dennoch ist er mir so merkwürdig vertraut, als würde ich ihn schon seit vielen Jahren regelmäßig tragen.
Sobald die aldehydische Kopfnote mit dezentem Zitrus und einem originellen, leicht seifigen Korianderakzent verklingt, schält sich ein warmer, weicher Pfirsich aus der kühl glitzernden Hülle. Akzentuiert von ein paar taufeuchten weißen Blüten, die ich für Orangenblüten gehalten hätte, wobei es sich laut Pyramide aber um Jasmin handelt. Und gerade, als sich meine Nase auf eine satte Ladung berauschender Blüten und ambrierter Hölzer einstellen will, lullen mich stattdessen zartestes Wildleder und Iris ein und ziehen mich mitsamt dem Pfirsich in ein silbriges Eichenmoosbett mit Patchoulilaken. Im Hintergrund lassen Vetiver und Weihrauch feine Rauchfäden aufsteigen und genau in dem Moment, in dem man denkt, der Duft hätte nun alle Facetten preisgegeben, betritt er einen neuen Schauplatz. An diesem Punkt überholen die orientalischen Aspekte des Duftes den Chypreanteil, stäuben Gewürzpuder auf hautwarme Benzoe und ambrierte Hölzer, während Moschus dem noch nicht vollständig verklungenen Eichenmoos zuzwinkert.
J’ai Osé strahlt für mich Geborgenheit aus, gibt mir das Gefühl, dass ich mich fallen lassen, den auf Hochtouren laufenden Kopf für eine Weile ruhen und mich auf mein Bauchgefühl verlassen kann. Die Harmonie der fein verblendeten Duftnoten und diese merkwürdige Vertrautheit erinnern mich daran, wie viel Kraft sich aus dem Vertrauen in die eigene Intuition schöpfen lässt. Und so wage ich es, mich für eine Weile an diesen prekären Punkt zwischen Kopf und Herz zu begeben, den der Duft in meiner Wahrnehmung auslotet.

Liebe Pomeranze, vielen Dank, dass du mich dazu verleitet hast, diesen Blindkauf zu wagen.
38 Antworten
Marieposa vor 6 Monaten 48 39
6
Sillage
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Haltbarkeit
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Duft
Der ungeschriebene Brief
Und du liest ja doch Romane! Beinahe hätte ich erleichtert aufgeseufzt beim Anblick der aufgetürmten Bücherstapel auf dem Boden. Aus den vanillig vergilbten Seiten lächelte mir der eine oder andere Bekannte entgegen.
Dabei wäre es dir fast gelungen, dass ich mich so jung und dumm gefühlt hätte, wie ich es damals wohl tatsächlich war. Literatur, hattest du früher an jenem Abend nur gemeint, sei ja ein Anfang, aber wer wahre Erkenntnis suche, müsse schon die Philosophen lesen. Hast Nietzsche zitiert und Adorno, bis sich eine spöttische Stimme in mir meldete und darauf beharren wollte, dass ich sehr wohl Erleuchtungen gehabt hatte, und zwar bei unzähligen Romanen. Doch ich verkniff mir lächelnd eine Erwiderung, weil es dir so wichtig war. So ließ ich nur den Kopf auf deine Schulter sinken, auf deinen Mantel, der leicht feucht war vom nebelfeinen Nieselregen und in dessen Taschen sich immer ein Päckchen Drehtabak verbarg. So atmete ich dich, den Mantel, deine Wärme im Widerstreit mit der Dezemberkälte und ließ mir nicht anmerken, dass die entsetzte Frage in meinem Kopf rumorte, ob Nietzsche der Irre mit der Peitsche war, und in was ich mich da hineinmanövrierte.
Fast hätte ich gekniffen. Wäre nicht mitgekommen, hätte mich nicht verlegen kichernd durch die schwere Tür geschoben. Doch dann gaben mir die alten Bücher auf dem Boden Zuversicht, sie, die Gitarre und der Plattenspieler dort in der Ecke, wo sich die kleinen Brandlöcher in diesem unsäglichen Teppichboden verdichteten.
Wer zum Teufel hört denn noch Schallplatten?, wollte ich gerade fragen. Aber auf der Suche nach deinem Blick bemerkte ich, dass das Blitzen von vorhin ihn verlassen hatte. Eine stille Frage war an seine Stelle getreten, machte deine Augen so ernst und braun, und auch von meinen Lippen wollte sich kein Wort mehr lösen. Für einen Wimpernschlag konnte ich deine Unsicherheit mit Händen greifen. Dann war da nur noch das Pulsieren vergangener Küsse und der Wunsch nach deiner bernsteingoldenen Wärme.
Wie leicht und flirrend war mein Kopf, und ich frage mich noch heute, warum du mein Herz nicht hören konntest, als es dir entgegenflog.
Später sagtest du, man müsse mir Gedichte widmen. Zu schade. Ein simpler Brief hätte es auch getan. Doch den bist du mir schuldig geblieben.

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Kurz gesprüht und ich fange an zu rechnen, ob das wirklich der Duft sein kann, den jemand trug, den ich einmal kannte. Der Duft, der so anders war, als alle nach Axe Alaska rochen. Aber da werde ich lange rechnen können, weil ich nur weiß, wann der Duft auf den Markt kam und nicht, wann er wieder verschwand … Aber letzten Endes ist das wohl auch gar nicht entscheidend.
Extase Moschus for Men hat für mein Empfinden so gar nichts Ekstatisches an sich, sondern ist ein eher heller, kuschelwarmer Amberduft mit cremigem, leicht menschelndem Moschus und einer trockenen, holzigen Vanillenote, die ich mit dem Geruch von hochwertigem, altem Papier verbinde. Es ist ein recht simpler, geradliniger Duft, ein leiser, unaufdringlicher, aber dennoch präsenter und sehr angenehmer Begleiter und ich würde behaupten, dass Frauen ihn genauso gut tragen können wie Männer – ich selbst allerdings nicht, weil er zu stark mit einer Erinnerung verbunden ist.

Lieber Cfr, ich danke dir für das Pröbchen, das mich auf diese zugegebenermaßen etwas verwirrende Gedankenreise geschickt hat.
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