07.12.2023 - 11:20 Uhr
Marieposa
77 Rezensionen
Marieposa
Top Rezension
44
Die Zeit der gemurmelten Legenden
Lang ist die Nacht im ungnädigen mongolischen Winter. Wenn der Frost die Wüsten von Delüün mit zarten Mustern überzieht und die Bergpässe des Altai unüberquerbar in rauem Sturm und Schnee versinken. Dann bricht sie an, die Zeit der gemurmelten Legenden.
Komm, und setze dich auf Flechten und Moos. Schmiege dein müdes Haupt an den warmen Bauch des weißen Ren, lausche meiner Stimme und dem süßen Odem des Tieres. Folge dem Flug der zischenden Funken bis an die rauchgeschwärzten Lederbahnen der Jurte.
Das Heulen jenseits der Zelte weckt das gelbe Glühen in meinen Augen. Leise verberge ich das Antlitz unter der Mütze aus Fell. Ich werde sie brauchen, wenn der eisige Wind sich rot glühend in meine Wangen beißt, bis der Tag anbricht, und wandernde Wolken ihre Schatten wieder werfen auf die karge Steppe. Wo der Adler kreist.
Süße den bitteren Trank in deinem Becher mit Harzen und einem letzten Tropfen dunklen Honigs. Schärfer und immer schärfer werden sie die Kaffeebohnen rösten, damit ihr Rauch noch aufsteigt zwischen den Geschichten, wenn längst nur noch heißes Wasser in den Bechern dampft. Doch dann werde ich hinausgeschlichen sein auf den geteerten Sohlen meiner Stiefel. Wenn das Gestern mit dem Heute verschmilzt. Wenn die Wölfin in mir erwacht.
**
„I wish to create stories that narrate into your imagination when you smell them. Create olfactory experiences and interpret the main idea under your own imagination”, schreibt Prin Lomros auf seiner Homepage und ich kann nur sagen, dass sein Konzept ganz hervorragend aufgeht. Zumindest bei mir. Keiner seiner Düfte, die ich bisher riechen durfte, ließ mich kalt, jeder erzählte mir eine Geschichte in intensiven Bildern, und im Fall von Varuek (= das Thai-Wort für „Wolf“) bin ich vollkommen verblüfft, wie nah meine Assoziationen an das herankommen, was Lomros tatsächlich mit dem Duft ausdrücken möchte: Er speist seine Idee, das Nomadenleben in der Mongolei olfaktorisch abzubilden, mit Fotografien aus dem 2016 erschienenen Bildband „Dark Heavens. Die Schamanen und Jäger der Mongolei“ des Fotografen und Dokumentarfilmers Hamid Sardar, der zwanzig Jahre lang mit Nomadenstämmen in der mongolischen Steppe lebte. Dabei entstanden beeindruckende Portraitaufnahmen, bei denen der Mensch immer im Zusammenhang mit Tier und Natur gedacht und natürlich auch dargestellt wird. Viele der Bilder, die die eher gedämpften Farben mongolischer Landschaften widerspiegeln, entfalten eine ganz eigene Dynamik, spielen gezielt mit Unschärfen und kontrastieren den begrenzten Blickwinkel der Kamera mit der fast schon beängstigenden Weite des Landes.
Der Duft beginnt mit einer für meine Nase haarsträubenden Raubtierkäfignote, die sich nach ungefähr fünf Minuten setzt. Dann wandelt sich Varuek und entführt in eine gemütliche Lederjurte, in der ein Oudfeuer prasselt, zimtwürziger Kaffee ein wenig überröstet wurde und Menschen und Tiere auf weichem Moos träumen. In der weiteren Entwicklung gewinnt der Duft durch ledriges Labdanum und die Süße von Myrrhe und dunklem Honig noch weiter an warm-weicher Dunkelheit, während draußen Wölfe heulen und Kiefernteer ein sanftes Knurren in der Nacht erklingen lässt.
Varuek weckt ein ähnliches Fremd-Vertraut-Gefühl in mir wie Ambilux, ist aber noch deutlich tiefer und dunkler – und ein kleines bisschen frage ich mich ja schon, ob bei regelmäßigem Gebrauch die namensgebende Wölfin in mir erwachen würde.
Komm, und setze dich auf Flechten und Moos. Schmiege dein müdes Haupt an den warmen Bauch des weißen Ren, lausche meiner Stimme und dem süßen Odem des Tieres. Folge dem Flug der zischenden Funken bis an die rauchgeschwärzten Lederbahnen der Jurte.
Das Heulen jenseits der Zelte weckt das gelbe Glühen in meinen Augen. Leise verberge ich das Antlitz unter der Mütze aus Fell. Ich werde sie brauchen, wenn der eisige Wind sich rot glühend in meine Wangen beißt, bis der Tag anbricht, und wandernde Wolken ihre Schatten wieder werfen auf die karge Steppe. Wo der Adler kreist.
Süße den bitteren Trank in deinem Becher mit Harzen und einem letzten Tropfen dunklen Honigs. Schärfer und immer schärfer werden sie die Kaffeebohnen rösten, damit ihr Rauch noch aufsteigt zwischen den Geschichten, wenn längst nur noch heißes Wasser in den Bechern dampft. Doch dann werde ich hinausgeschlichen sein auf den geteerten Sohlen meiner Stiefel. Wenn das Gestern mit dem Heute verschmilzt. Wenn die Wölfin in mir erwacht.
**
„I wish to create stories that narrate into your imagination when you smell them. Create olfactory experiences and interpret the main idea under your own imagination”, schreibt Prin Lomros auf seiner Homepage und ich kann nur sagen, dass sein Konzept ganz hervorragend aufgeht. Zumindest bei mir. Keiner seiner Düfte, die ich bisher riechen durfte, ließ mich kalt, jeder erzählte mir eine Geschichte in intensiven Bildern, und im Fall von Varuek (= das Thai-Wort für „Wolf“) bin ich vollkommen verblüfft, wie nah meine Assoziationen an das herankommen, was Lomros tatsächlich mit dem Duft ausdrücken möchte: Er speist seine Idee, das Nomadenleben in der Mongolei olfaktorisch abzubilden, mit Fotografien aus dem 2016 erschienenen Bildband „Dark Heavens. Die Schamanen und Jäger der Mongolei“ des Fotografen und Dokumentarfilmers Hamid Sardar, der zwanzig Jahre lang mit Nomadenstämmen in der mongolischen Steppe lebte. Dabei entstanden beeindruckende Portraitaufnahmen, bei denen der Mensch immer im Zusammenhang mit Tier und Natur gedacht und natürlich auch dargestellt wird. Viele der Bilder, die die eher gedämpften Farben mongolischer Landschaften widerspiegeln, entfalten eine ganz eigene Dynamik, spielen gezielt mit Unschärfen und kontrastieren den begrenzten Blickwinkel der Kamera mit der fast schon beängstigenden Weite des Landes.
Der Duft beginnt mit einer für meine Nase haarsträubenden Raubtierkäfignote, die sich nach ungefähr fünf Minuten setzt. Dann wandelt sich Varuek und entführt in eine gemütliche Lederjurte, in der ein Oudfeuer prasselt, zimtwürziger Kaffee ein wenig überröstet wurde und Menschen und Tiere auf weichem Moos träumen. In der weiteren Entwicklung gewinnt der Duft durch ledriges Labdanum und die Süße von Myrrhe und dunklem Honig noch weiter an warm-weicher Dunkelheit, während draußen Wölfe heulen und Kiefernteer ein sanftes Knurren in der Nacht erklingen lässt.
Varuek weckt ein ähnliches Fremd-Vertraut-Gefühl in mir wie Ambilux, ist aber noch deutlich tiefer und dunkler – und ein kleines bisschen frage ich mich ja schon, ob bei regelmäßigem Gebrauch die namensgebende Wölfin in mir erwachen würde.
38 Antworten