28.06.2023 - 09:38 Uhr
Marieposa
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Marieposa
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33
Gardenia carnivora predatorissima
Forschungsbericht der Nilmalee-Space-Labs 28.06.2123
08.00 am
Beleuchtungsmodul für Testpflanze aktiviert. Ein Ausrichten der Blätter nach der Lichtquelle ist erkennbar. Die Blüte entfaltet sich in leichtem Kampfernebel.
09.00 am
Bedampfung mit Jasmintee zeigt erste Erfolge. Testpflanze verströmt bei steigenden Temperaturen stärkeren Duft, was sich durch den Teedampf intensivieren und gezielt herbeiführen lässt. Sortenspezifischer Gardenienduft erweitert sich um Gewürze und lockt erste Insekten an.
Es wurde Zeit, die Fenster des Gewächshauses zu öffnen, bevor es zu stark vom einzigartig klaren Duft der Pflanze, vermischt mit schwerem Jasmin, fleischigen Tuberosen und Orangenblüten, durchflutet wurde. Doch vorher nahm er noch einen gedankenverlorenen Schluck aus der Teetasse und betrachtete die Pflanze konzentriert. Ihre Blätter waren so zart, dass das Licht der künstlichen Beleuchtung sie zu durchdringen schien. Die erstaunlich robuste Reißfähigkeit wie von Rohseide hätte man ihnen nicht zugetraut. Sie entsprossen einem ledrigen Stängel, der die üppige, alabasterweiß strahlende Blüte mit größter Anmut trug. Gardenia carnivora predatorissima war sein Meisterwerk! Es gelang ihm nur widerwillig, sich von ihrem Anblick zu lösen.
10.00 am
Testpflanze erbeutet erste Insekten, die nur kurz im Lederbeutel unter der Blüte zappeln. Dort könnte eine lähmende Flüssigkeit zum Einsatz kommen, was weiterer Untersuchung bedarf. Durch das Zufügen von O2 wird die Ausscheidung des Lockstoffs multipliziert. Beregnung mit H2O wird eingeleitet.
Was nun folgte, empfand er stets als den forderndsten, zugleich aber auch den faszinierndsten Teil des Experiments. Mit einem Ächzen ließ er den Hebel umklappen, der die Sprinkleranlage steuerte. Warmer Sprühregen erfüllte das Gewächshaus und das Wunder geschah: Hinter der Verglasung drangen die bleichen Wurzen tiefer in die Erde, die Blätter begannen, sich zu regen, und fächelten ihren kühlen grünen Dunst in alle Richtungen. Der Lederstängel der Pflanze schien zu tanzen und der Blüte entstieg hauchzarter Purpurnebel, der Insektenschwärme, aber auch kleine Pelztiere und Vögel tranceartig anzog.
Aber irgendetwas war heute anders. Was war das für eine rauchige Note, die sich unter die bekannten Düfte mischte?
Erbost durchschritt er den Raum. Seinen Laboranten, die vermutlich wieder in der Nähe des geöffneten Gewächshausfensters rauchten, würde er was erzählen!
Aber da war niemand.
11.00 am
Beregnung aktiv. Temperatur sukzessive um 5°C gesteigert.
Was war das nur?
Die Hitze seiner pulsierenden Adern staute sich unter seinem Laborkittel, den der warme Sprühregen längst durchnässt hatte. In seinem Kopf dreht es sich und er konnte kaum einen klaren Gedanken fassen. Wie war er vom Fenster zurück zum Versuchsaufbau gekommen? Dieser Duft! Er sah sich fiebrig im Raum um. Da musste noch jemand sein! Er spürte eine dunkle Aura, die Anwesenheit einer fremden körperlichen Präsenz, konnte aber niemanden entdecken. Er war allein mit der Pflanze im gleißenden Licht und konnte nicht mal einen Schatten erspähen.
Und warum ertappte er seine Finger plötzlich dabei, fast zärtlich über die Seidenblätter zu streichen? Ihm stiegen Schweißperlen auf die Stirn.
01.00 pm
Unbekannter Fehler aufgetreten. Abbruch wird eingeleitet.
Abbruch? Nein! Niemals. Das Blut stieg ihm in die Wangen und er verengte die Augen zu Schlitzen. Mit zitternden Händen und einem gequälten Kichern rieb er Seifenflocken mit dem Skalpell ab. Ja, er hätte es dazu benutzen müssen, den Lederbeutel der Pflanze zu sezieren und die geheimnisvolle Flüssigkeit in ihrem Inneren zu untersuchen. Ha, das würde er schon noch tun, aber vorher wollte er es noch einmal sehen. Nur noch einmal. Wirklich!
Mit klopfendem Herzen und größter Behutsamkeit legte er eine Seifenflocke auf das unterste, leicht vorgewölbte Blütenblatt der Pflanze und beobachtete mit Befriedigung, wie sie ihre zierliche rosa Zunge hervorschnellen ließ und es verschlang. Dann stieß sie erneut eine Purpurwolke aus und mit glühendem Herzen konnte er noch ihre spitzen weißen Zähne aufschimmern sehen, bevor ihm die Sinne schwanden.
**
Unterm Strich ist Nilmalee ein klassisch aufgebauter, durch und durch unsüßer Weißblüherduft mit ausgeprägten grünen Akzenten und präsenter Animalik. Das klingt schwülstig und schwer, ist es aber in keinster Weise, sondern ganz im Gegenteil erstaunlich zart und transparent und klar. Wie geht so was? Ich bin völlig fasziniert von diesem verrückten, widersprüchlichen und betörenden Duft.
Vielen Dank für das Pröbchen, lieber Floyd! Aber jetzt mal raus mit der Sprache: Was für Zeug ist WIRKLICH in diesem Zerstäuber?
08.00 am
Beleuchtungsmodul für Testpflanze aktiviert. Ein Ausrichten der Blätter nach der Lichtquelle ist erkennbar. Die Blüte entfaltet sich in leichtem Kampfernebel.
09.00 am
Bedampfung mit Jasmintee zeigt erste Erfolge. Testpflanze verströmt bei steigenden Temperaturen stärkeren Duft, was sich durch den Teedampf intensivieren und gezielt herbeiführen lässt. Sortenspezifischer Gardenienduft erweitert sich um Gewürze und lockt erste Insekten an.
Es wurde Zeit, die Fenster des Gewächshauses zu öffnen, bevor es zu stark vom einzigartig klaren Duft der Pflanze, vermischt mit schwerem Jasmin, fleischigen Tuberosen und Orangenblüten, durchflutet wurde. Doch vorher nahm er noch einen gedankenverlorenen Schluck aus der Teetasse und betrachtete die Pflanze konzentriert. Ihre Blätter waren so zart, dass das Licht der künstlichen Beleuchtung sie zu durchdringen schien. Die erstaunlich robuste Reißfähigkeit wie von Rohseide hätte man ihnen nicht zugetraut. Sie entsprossen einem ledrigen Stängel, der die üppige, alabasterweiß strahlende Blüte mit größter Anmut trug. Gardenia carnivora predatorissima war sein Meisterwerk! Es gelang ihm nur widerwillig, sich von ihrem Anblick zu lösen.
10.00 am
Testpflanze erbeutet erste Insekten, die nur kurz im Lederbeutel unter der Blüte zappeln. Dort könnte eine lähmende Flüssigkeit zum Einsatz kommen, was weiterer Untersuchung bedarf. Durch das Zufügen von O2 wird die Ausscheidung des Lockstoffs multipliziert. Beregnung mit H2O wird eingeleitet.
Was nun folgte, empfand er stets als den forderndsten, zugleich aber auch den faszinierndsten Teil des Experiments. Mit einem Ächzen ließ er den Hebel umklappen, der die Sprinkleranlage steuerte. Warmer Sprühregen erfüllte das Gewächshaus und das Wunder geschah: Hinter der Verglasung drangen die bleichen Wurzen tiefer in die Erde, die Blätter begannen, sich zu regen, und fächelten ihren kühlen grünen Dunst in alle Richtungen. Der Lederstängel der Pflanze schien zu tanzen und der Blüte entstieg hauchzarter Purpurnebel, der Insektenschwärme, aber auch kleine Pelztiere und Vögel tranceartig anzog.
Aber irgendetwas war heute anders. Was war das für eine rauchige Note, die sich unter die bekannten Düfte mischte?
Erbost durchschritt er den Raum. Seinen Laboranten, die vermutlich wieder in der Nähe des geöffneten Gewächshausfensters rauchten, würde er was erzählen!
Aber da war niemand.
11.00 am
Beregnung aktiv. Temperatur sukzessive um 5°C gesteigert.
Was war das nur?
Die Hitze seiner pulsierenden Adern staute sich unter seinem Laborkittel, den der warme Sprühregen längst durchnässt hatte. In seinem Kopf dreht es sich und er konnte kaum einen klaren Gedanken fassen. Wie war er vom Fenster zurück zum Versuchsaufbau gekommen? Dieser Duft! Er sah sich fiebrig im Raum um. Da musste noch jemand sein! Er spürte eine dunkle Aura, die Anwesenheit einer fremden körperlichen Präsenz, konnte aber niemanden entdecken. Er war allein mit der Pflanze im gleißenden Licht und konnte nicht mal einen Schatten erspähen.
Und warum ertappte er seine Finger plötzlich dabei, fast zärtlich über die Seidenblätter zu streichen? Ihm stiegen Schweißperlen auf die Stirn.
01.00 pm
Unbekannter Fehler aufgetreten. Abbruch wird eingeleitet.
Abbruch? Nein! Niemals. Das Blut stieg ihm in die Wangen und er verengte die Augen zu Schlitzen. Mit zitternden Händen und einem gequälten Kichern rieb er Seifenflocken mit dem Skalpell ab. Ja, er hätte es dazu benutzen müssen, den Lederbeutel der Pflanze zu sezieren und die geheimnisvolle Flüssigkeit in ihrem Inneren zu untersuchen. Ha, das würde er schon noch tun, aber vorher wollte er es noch einmal sehen. Nur noch einmal. Wirklich!
Mit klopfendem Herzen und größter Behutsamkeit legte er eine Seifenflocke auf das unterste, leicht vorgewölbte Blütenblatt der Pflanze und beobachtete mit Befriedigung, wie sie ihre zierliche rosa Zunge hervorschnellen ließ und es verschlang. Dann stieß sie erneut eine Purpurwolke aus und mit glühendem Herzen konnte er noch ihre spitzen weißen Zähne aufschimmern sehen, bevor ihm die Sinne schwanden.
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Unterm Strich ist Nilmalee ein klassisch aufgebauter, durch und durch unsüßer Weißblüherduft mit ausgeprägten grünen Akzenten und präsenter Animalik. Das klingt schwülstig und schwer, ist es aber in keinster Weise, sondern ganz im Gegenteil erstaunlich zart und transparent und klar. Wie geht so was? Ich bin völlig fasziniert von diesem verrückten, widersprüchlichen und betörenden Duft.
Vielen Dank für das Pröbchen, lieber Floyd! Aber jetzt mal raus mit der Sprache: Was für Zeug ist WIRKLICH in diesem Zerstäuber?
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