20.12.2022 - 16:36 Uhr
Marieposa
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Marieposa
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42
Marga von Etzdorf
Durch den dünnen Vorhang schimmert das Licht einer Petroliumlampe. Sie hat die Fliegerjacke an den Haken an der Wand gehängt. Die Beine zittern noch leicht vom Dröhnen der Maschine während des langen Flugs. Zwölf Tage von Berlin nach Tokio. Tag für Tag. Zehn Stunden. Allein. Kein Funkgerät. Den Elementen ausgeliefert im offenen Cockpit, die Karte auf dem Schoss und das Tagebuch in Greifweite. Ein Gedichtband. Heinrich Heine vielleicht oder Eichendorff.
Doch nun ist sie angekommen und bemüht sich nach Kräften, ihn nicht zu beobachten, den entfernten, undeutlichen Schemen, der sich auf der anderen Seite der weißen Tuchbahn bewegt, die den Raum in zwei Hälften teilt. Ihre und seine.
Beinahe wäre sie bei der Landung am Boden zerschellt. Doch nun ist sie hier, in diesem mit dunkel schimmernden Holzdielen ausgekleideten Raum, in dem vier Petroleumlampen glimmen. Zwei auf ihrer, zwei auf seiner Seite. Draußen ist Wind aufgekommen und peitschte die Zweige des Orangenbaums mit den reifen Früchten gegen das Fenster.
„Möchten Sie eine Zigarette?“, erklingt seine Stimme wie aus dem Nichts. Sie nimmt dankend an und verfolgt in angespannter Stille, wie sich der vage Schemen im Näherkommen in einen immer konturierteren Schatten verwandelt.
Sie setzt an, um etwas zu sagen. Will fragen, ob sie sich nicht zusammensetzten wollten, um sich beim Reden zu sehen, doch dann verwirft sie den Gedanken wieder. Sie mag seine Stimme.
Als er das Zigarettenetui unter dem Vorhang hindurchschiebt, berühren sich ihre Hände für einen Augenblick.
**
In der Geschichte der Luftfahrt ist die Flugpionierin Marga von Etzdorf die ewige Zweite. Mit ihrem Alleinflug von Berlin nach Tokio 1931 flog sie ihren größten Erfolg ein, doch auf jeden Triumph folgte ein herber Rückschlag und sie machte sich einen Namen als Bruchpilotin. Heute wird sie unter großen Namen wie Helen Boucher, Amelia Earhart, Amy Johnson, Elly Beinhorn gar nicht mehr erwähnt und wurde weitestgehend von der Geschichte verschluckt. Sie mag sich am Ende ihres Lebens von den Nazis als Waffenschmugglerin vor den Kahn spannen lassen haben oder nicht. Vieles bleibt im Verborgenen, doch bei Interesse an der Person empfehle ich den Roman „Halbschatten“ von Uwe Timm.
Trotzdem oder genau deshalb kam mir Marga von Etzdorf als allererste in den Sinn, als ich En Avion kennenlernte. Scheinbar hat sich der geniale Ernest Daltroff für En Avion nämlich die Grundstruktur von L’Heure Bleue geborgt: Ein Akkord aus Neroli, Anis und Nelken trifft auf pudrige Iris. Doch da, wo das (hoffentlich!) unsterbliche und deutlich erfolgreichere L’Heure Bleue einfach nur schön sein will, geht En Avion überraschend einen anderen Weg. Die wohlbekannte puderzarte Blumigkeit wird hier eingehüllt in einen Mantel von weihrauchwarmem Opoponax und Pomanderorange mit einer deutlich vernehmbaren Eichenmoosnote.
Diese Kombination aus dunklen Puderblüten und warm-ledrigem Opoponax mit einem Hauch von Benzin geht weiter, als dem Guerlainklassiker einfach nur eine Lederjacke anzuziehen. Mir scheint es eher, als hätte Ernest Daltroff hier zwei völlig widersprüchliche Düfte zu einem harmonischen Ganzen zusammengeführt, ohne sie vollständig miteinander zu verweben. Wie in meiner Eingangsgeschichte scheinen sie wie durch einen dünnen Vorhang getrennt zu koexistieren und jedes Mal, wenn ich den Duft auftupfe, bin ich gespannt, welcher wohl dieses Mal den Ton angeben wird. Das ist fordernd und unglaublich spannend, mag aber auch dazu beigetragen haben, dass En Avion immer von der schönen Schwester überflügelt wurde.
Manche Klassiker sind erstaunlich modern und könnten zu absurden Preisen heute genau so irgendwo im Nischenbereich auftauchen. Bei En Avion verhält sich das ein wenig anders. Der Duft ist in seiner satten Opulenz so eindeutig nostalgisch wie auch altmodisch im besten Sinne. Für mich gab es jedenfalls keinen Zweifel, dass ich es hier mit einer alten Duftseele zu tun habe, und genau das wiederum ist vermutlich auch der Grund, warum man bei Caron entschieden hat, den Duft einzustellen.
Dass es in unserer Welt keinen Platz für diese janusköpfige Schönheit gibt, macht mich ein bisschen traurig, aber es hat keinen Sinn, Vergangenem nachzutrauern – ja, sogar Marga von Etzdorf ahnte wohl, dass sie die Bodenhaftung nicht wiedererlangen würde, als sie sich nach einer Bruchlandung in Aleppo mit nur fünfundzwanzig Jahren erschoss.
Was für ein Glück, dass in meinem Parfumschrank nicht die Gesetze dieser Welt gelten, sondern meine eigenen. Für mich steht En Avion nämlich in keinster Weise hinter L’Heure Bleue zurück und ich werde jeden kostbaren Tropfen in all seiner berückenden Schönheit und Widersprüchlichkeit genießen.
Doch nun ist sie angekommen und bemüht sich nach Kräften, ihn nicht zu beobachten, den entfernten, undeutlichen Schemen, der sich auf der anderen Seite der weißen Tuchbahn bewegt, die den Raum in zwei Hälften teilt. Ihre und seine.
Beinahe wäre sie bei der Landung am Boden zerschellt. Doch nun ist sie hier, in diesem mit dunkel schimmernden Holzdielen ausgekleideten Raum, in dem vier Petroleumlampen glimmen. Zwei auf ihrer, zwei auf seiner Seite. Draußen ist Wind aufgekommen und peitschte die Zweige des Orangenbaums mit den reifen Früchten gegen das Fenster.
„Möchten Sie eine Zigarette?“, erklingt seine Stimme wie aus dem Nichts. Sie nimmt dankend an und verfolgt in angespannter Stille, wie sich der vage Schemen im Näherkommen in einen immer konturierteren Schatten verwandelt.
Sie setzt an, um etwas zu sagen. Will fragen, ob sie sich nicht zusammensetzten wollten, um sich beim Reden zu sehen, doch dann verwirft sie den Gedanken wieder. Sie mag seine Stimme.
Als er das Zigarettenetui unter dem Vorhang hindurchschiebt, berühren sich ihre Hände für einen Augenblick.
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In der Geschichte der Luftfahrt ist die Flugpionierin Marga von Etzdorf die ewige Zweite. Mit ihrem Alleinflug von Berlin nach Tokio 1931 flog sie ihren größten Erfolg ein, doch auf jeden Triumph folgte ein herber Rückschlag und sie machte sich einen Namen als Bruchpilotin. Heute wird sie unter großen Namen wie Helen Boucher, Amelia Earhart, Amy Johnson, Elly Beinhorn gar nicht mehr erwähnt und wurde weitestgehend von der Geschichte verschluckt. Sie mag sich am Ende ihres Lebens von den Nazis als Waffenschmugglerin vor den Kahn spannen lassen haben oder nicht. Vieles bleibt im Verborgenen, doch bei Interesse an der Person empfehle ich den Roman „Halbschatten“ von Uwe Timm.
Trotzdem oder genau deshalb kam mir Marga von Etzdorf als allererste in den Sinn, als ich En Avion kennenlernte. Scheinbar hat sich der geniale Ernest Daltroff für En Avion nämlich die Grundstruktur von L’Heure Bleue geborgt: Ein Akkord aus Neroli, Anis und Nelken trifft auf pudrige Iris. Doch da, wo das (hoffentlich!) unsterbliche und deutlich erfolgreichere L’Heure Bleue einfach nur schön sein will, geht En Avion überraschend einen anderen Weg. Die wohlbekannte puderzarte Blumigkeit wird hier eingehüllt in einen Mantel von weihrauchwarmem Opoponax und Pomanderorange mit einer deutlich vernehmbaren Eichenmoosnote.
Diese Kombination aus dunklen Puderblüten und warm-ledrigem Opoponax mit einem Hauch von Benzin geht weiter, als dem Guerlainklassiker einfach nur eine Lederjacke anzuziehen. Mir scheint es eher, als hätte Ernest Daltroff hier zwei völlig widersprüchliche Düfte zu einem harmonischen Ganzen zusammengeführt, ohne sie vollständig miteinander zu verweben. Wie in meiner Eingangsgeschichte scheinen sie wie durch einen dünnen Vorhang getrennt zu koexistieren und jedes Mal, wenn ich den Duft auftupfe, bin ich gespannt, welcher wohl dieses Mal den Ton angeben wird. Das ist fordernd und unglaublich spannend, mag aber auch dazu beigetragen haben, dass En Avion immer von der schönen Schwester überflügelt wurde.
Manche Klassiker sind erstaunlich modern und könnten zu absurden Preisen heute genau so irgendwo im Nischenbereich auftauchen. Bei En Avion verhält sich das ein wenig anders. Der Duft ist in seiner satten Opulenz so eindeutig nostalgisch wie auch altmodisch im besten Sinne. Für mich gab es jedenfalls keinen Zweifel, dass ich es hier mit einer alten Duftseele zu tun habe, und genau das wiederum ist vermutlich auch der Grund, warum man bei Caron entschieden hat, den Duft einzustellen.
Dass es in unserer Welt keinen Platz für diese janusköpfige Schönheit gibt, macht mich ein bisschen traurig, aber es hat keinen Sinn, Vergangenem nachzutrauern – ja, sogar Marga von Etzdorf ahnte wohl, dass sie die Bodenhaftung nicht wiedererlangen würde, als sie sich nach einer Bruchlandung in Aleppo mit nur fünfundzwanzig Jahren erschoss.
Was für ein Glück, dass in meinem Parfumschrank nicht die Gesetze dieser Welt gelten, sondern meine eigenen. Für mich steht En Avion nämlich in keinster Weise hinter L’Heure Bleue zurück und ich werde jeden kostbaren Tropfen in all seiner berückenden Schönheit und Widersprüchlichkeit genießen.
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