28.04.2022 - 05:31 Uhr
Intersport
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Caron's Feinstaub
Als 2018 bekannt wurde dass Caron erneut zu Verkauf steht, lag für einen Moment der Gedanke in der Luft: Kickstarter, crowdfunding, es gibt doch zahlreiche Caron Fans, wäre schade drum, etc. Für knapp 30 Millionen Euro sollte die Firma die Besitzer wechseln. Spätestens als ich die neuen Verpackungen und Flakons seit der Übernahme sah, wurde deutlichst an dieses unverwirklichte Hirngespinst erinnert. So schnell kann's gehen. Ein Besitzerwechsel zuvor: 1998/99 stieg die Alès Groupe, unter der Leitung von Patrick Alès bei dem historische Pariser Haus ein. Im Oktober 2000 erschien das informative Coffee-Table Buch 'Caron' von Jean-Marie Martin-Hattemberg; gute Lektüre, ein Band der vor allem den grandiosen Flakons, Puderdosen, Verpackungen und Werbesujets Respekt zollt, wenn auch die Texte zu den einzelnen Düften mitunter etwas mager sind, geht es auch immer wieder auf neue Eigentümerverhältnisse deren Strategien ein. Die letzten sieben Seiten sind komplett dem im gleichen Jahr erschienenen L'Anarchiste (2000) gewidmet. Nicht in der Form eines Essays, es scheint als ob es sich um eine erweiterte Fassung des ursprünglichen Pressematerials von L'Anarchiste rund um dessen Launch am 4 Mai 2000 im Pariser Couvent des Cordeliers handelt. Kupfer-goldene Formen auf schwarzen Grund. Alegorisch-Poetisches, Cocteau, Antonin Artaud, Disobidience. In einem knappen Vorsatz zu dieser Strecke erwähnt Martin-Hattemberg dass der Name des Duftes, L'Anarchiste, wohl ein Spitzname von Patrick Alès war, und überhaupt wird ausdrücklich auf die Synergie zwischen Alès (also quasi Namensgeber), Richard Fraysse (Parfumeur) und Serge Manseau (Flakon) hingewiesen.
Falls es denn stimmt, lediglich ein, zwei Jahre nach Übernahme der Firma, gleich einen Duft nach dem eigenen Spitznamen zu betiteln zeigt von einer recht klaren Selbstwahrnehmung als CEO, vielleicht eine Art Insider Ansage. Caron weisst auch darauf hin dass L'Anarchiste der Versuch war mit etablierten Kategorien zu brechen, nochmal so eine Ansage. L'Anarchiste, so viel ist sicher, war das erste Caron Herrenparfum, das - noch unter der Alès Groupe - eingestellt wurde. Bedauerlich, da es, in manchen Aspekten - im Caron Kontext - doch sehr eigenwillig, anders und neu war.
L'Anarchiste ist warm und kühl zugleich, konkret wie duftmalerisch. Eine bittere, leicht mentholische Minz-Zimt Kombination, weit weg jeglicher Wrigley's Spearmint oder Big Red Assoziationen, zieht sich durch die Struktur mit Ausdauer, Sandelholz und Vetiver Noten sind auch noch am ehesten greifbar; doch alles was sich in diesem Parfum abspielt, arbeitet zu einem Bestformat feinpudrigster Texturen hin. Dieser Duft ist ein Staub. Ein cleverer Verweis auf Caron's Puder Produkte? Voluminös, trocken, erfrischend, nebulös, Noten sind sichtbar, und doch fest in feinsten Nebel oder Disco Haze eingebettet, und nie wirklich greifbar.
Sieben (!) verschiedene Moschusriechstoffe sollen in L'Anarchiste's Basis verbaut sein, ein Pulver eines Pulvers eines Pulvers. Diese infinitesimale Feinstauflösung konnte ich u.a. bei Ambrette Samen Parfums seit Chanel's No.18 erahnen, nur bleibt durch den Multiplikator 7, hier alles schwerer zu greifen ist, die überwiegend sauber-pudrigen Moschusvartiationen sind weit vielstimmiger, Übergänge bleiben mysteriös, Grenzen verschwimmen, Minze, Zimt, Sandelholz, alles schwebt fata-morganös. L'Anarchiste kultiviert da eine ganz eigene interne Thermodynamik.
War der Duft nun das grosse solitäre Statement? Le 3ᵉ Homme (1985), Caron's fantastisches drittes Herrenparfum (und zeitlich eine Station vor L'Anarchiste) von Akiko Kamei und Françoise Caron hatte bereits eine endlos tiefe Moschusbasis bestens verblendet, Romeo Gigli per Uomo (1991) setzte auf eine ähnlich schillernde wie super-präsente Zimt Note, und Geranium pour Monsieur (2009) kommentiert, wenn auch in wesentlich klarer gezogenen Konturen, die Minz-Moschus Idee. Auch wenn diese Referenzpunkt ideell und zeitlich weit weg liegen, könnten sie ein grobes Koordinatennetz für L'Anarchiste sein - der Duft bleibt seine eigene Nebula. L'Anarchiste riecht dabei wie etwas schwer zu datierendes. Nichts daran würde mich auf einen Duft aus der Jahrtausendwende denken lassen, nochmal so eine Unschärfe.
Eine Zäsur aber ist Gewiss: der ursprünglich von Serge Mansau entworfenen kupferbeschichtete Flakon, auf dessen Oberfläche Fingerabdrücke dank chemischer Reaktion verewigt wurden, war Lichtjahre von den Baccarat Kristallwaren entfernt war, die so oft in der Geschichte von Caron zum Einsatz kamen. Ein Hybrid aus altertümlicher Steele, Grabstein und Feuerzeugbenzin Kanister in sonderlichen Proportionen mit einem viel zu kleinem Zerstäuberkopf obendrauf.
Im hier erwähnten Caron Buch wir auch explizit auf die Rolle Richard Fraysse's als Hausparfumeur hingewiesen - zu diesem Zeitpunkt bereits seit 1988 fix bei Caron - und wie rar so eine Konstellation sei; klar: 2000 war das noch nicht Gang und Gäbe, bei den Guerlains zeichnete sich ein Aufbruch und Durcheinander ab, die meisten anderen Häuser spielten einfach nicht in so einer historisch glamourösen Liga mit. Ich stelle mir diese Tätigkeit aber auch als eine grosse nachlassverwalterische Sisyphusarbeit vor, bei der ein back-katalog gepflegt sein mochte - und das bei einem Portfolio wie dem von Caron. Vielleicht war L'Anarchiste schon aus dieser Perspektive Fraysse's Zäsur mit vielem, wie seiner Routine als Hausparfumeur, und ein Caron Herrenduft, der bestens in die Sequenz Pour und Homme, Yatagan, Le 3ᵉ Homme, L'Anarchiste passte.
Falls es denn stimmt, lediglich ein, zwei Jahre nach Übernahme der Firma, gleich einen Duft nach dem eigenen Spitznamen zu betiteln zeigt von einer recht klaren Selbstwahrnehmung als CEO, vielleicht eine Art Insider Ansage. Caron weisst auch darauf hin dass L'Anarchiste der Versuch war mit etablierten Kategorien zu brechen, nochmal so eine Ansage. L'Anarchiste, so viel ist sicher, war das erste Caron Herrenparfum, das - noch unter der Alès Groupe - eingestellt wurde. Bedauerlich, da es, in manchen Aspekten - im Caron Kontext - doch sehr eigenwillig, anders und neu war.
L'Anarchiste ist warm und kühl zugleich, konkret wie duftmalerisch. Eine bittere, leicht mentholische Minz-Zimt Kombination, weit weg jeglicher Wrigley's Spearmint oder Big Red Assoziationen, zieht sich durch die Struktur mit Ausdauer, Sandelholz und Vetiver Noten sind auch noch am ehesten greifbar; doch alles was sich in diesem Parfum abspielt, arbeitet zu einem Bestformat feinpudrigster Texturen hin. Dieser Duft ist ein Staub. Ein cleverer Verweis auf Caron's Puder Produkte? Voluminös, trocken, erfrischend, nebulös, Noten sind sichtbar, und doch fest in feinsten Nebel oder Disco Haze eingebettet, und nie wirklich greifbar.
Sieben (!) verschiedene Moschusriechstoffe sollen in L'Anarchiste's Basis verbaut sein, ein Pulver eines Pulvers eines Pulvers. Diese infinitesimale Feinstauflösung konnte ich u.a. bei Ambrette Samen Parfums seit Chanel's No.18 erahnen, nur bleibt durch den Multiplikator 7, hier alles schwerer zu greifen ist, die überwiegend sauber-pudrigen Moschusvartiationen sind weit vielstimmiger, Übergänge bleiben mysteriös, Grenzen verschwimmen, Minze, Zimt, Sandelholz, alles schwebt fata-morganös. L'Anarchiste kultiviert da eine ganz eigene interne Thermodynamik.
War der Duft nun das grosse solitäre Statement? Le 3ᵉ Homme (1985), Caron's fantastisches drittes Herrenparfum (und zeitlich eine Station vor L'Anarchiste) von Akiko Kamei und Françoise Caron hatte bereits eine endlos tiefe Moschusbasis bestens verblendet, Romeo Gigli per Uomo (1991) setzte auf eine ähnlich schillernde wie super-präsente Zimt Note, und Geranium pour Monsieur (2009) kommentiert, wenn auch in wesentlich klarer gezogenen Konturen, die Minz-Moschus Idee. Auch wenn diese Referenzpunkt ideell und zeitlich weit weg liegen, könnten sie ein grobes Koordinatennetz für L'Anarchiste sein - der Duft bleibt seine eigene Nebula. L'Anarchiste riecht dabei wie etwas schwer zu datierendes. Nichts daran würde mich auf einen Duft aus der Jahrtausendwende denken lassen, nochmal so eine Unschärfe.
Eine Zäsur aber ist Gewiss: der ursprünglich von Serge Mansau entworfenen kupferbeschichtete Flakon, auf dessen Oberfläche Fingerabdrücke dank chemischer Reaktion verewigt wurden, war Lichtjahre von den Baccarat Kristallwaren entfernt war, die so oft in der Geschichte von Caron zum Einsatz kamen. Ein Hybrid aus altertümlicher Steele, Grabstein und Feuerzeugbenzin Kanister in sonderlichen Proportionen mit einem viel zu kleinem Zerstäuberkopf obendrauf.
Im hier erwähnten Caron Buch wir auch explizit auf die Rolle Richard Fraysse's als Hausparfumeur hingewiesen - zu diesem Zeitpunkt bereits seit 1988 fix bei Caron - und wie rar so eine Konstellation sei; klar: 2000 war das noch nicht Gang und Gäbe, bei den Guerlains zeichnete sich ein Aufbruch und Durcheinander ab, die meisten anderen Häuser spielten einfach nicht in so einer historisch glamourösen Liga mit. Ich stelle mir diese Tätigkeit aber auch als eine grosse nachlassverwalterische Sisyphusarbeit vor, bei der ein back-katalog gepflegt sein mochte - und das bei einem Portfolio wie dem von Caron. Vielleicht war L'Anarchiste schon aus dieser Perspektive Fraysse's Zäsur mit vielem, wie seiner Routine als Hausparfumeur, und ein Caron Herrenduft, der bestens in die Sequenz Pour und Homme, Yatagan, Le 3ᵉ Homme, L'Anarchiste passte.
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