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vor 12 Monaten - 22.11.2024
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Die Duftmetropole: Wie Grasse zur Hochburg der Parfumkunst wurde

Die Duftmetropole: Wie Grasse zur Hochburg der Parfumkunst wurde

Grasse, eingebettet in die Hügel der Provence im Hinterland der Côte d'Azur, gilt als eine der bedeutendsten Parfumstädte der Welt. Besonders zur Erntezeit erfüllt der Duft der umliegenden Rosen-, Jasmin- und Lavendelfelder die Luft. Die Altstadt von Grasse, mit ihren engen, kopfsteingepflasterten Gassen und den von Steinmauern gesäumten Häusern, trägt die Spuren einer jahrhundertealten Parfumtradition, die noch heute weltweit bewundert wird.

In diesem Artikel begeben wir uns auf eine Reise in die Vergangenheit von Grasse: Wie verwandelte sich die kleine Gemeinde von einer Hochburg der Leder- und Gerberkunst in die weltweit gefeierte Hauptstadt der Parfumkunst? Und was macht die blühenden Felder rund um Grasse so besonders?

Ein malerischer Blick durch die schmalen Gassen von Grasse
Ein malerischer Blick durch die schmalen Gassen von Grasse

Parfümiertes Leder: Der Ursprung einer duftenden Tradition

Im Mittelalter hätte wohl niemand gedacht, dass die kleine Stadt Grasse in der Provence eines Tages zur Welthauptstadt der Düfte werden würde. Damals war Grasse vor allem für seine Gerbereien bekannt. Das feine Leder der Stadt war in ganz Europa geschätzt, brachte Wohlstand und einen hervorragenden Ruf für die Qualität der Waren. Über Jahrhunderte prägte die Gerberei das Leben der Stadt und ihrer Einwohner. Doch die Lederherstellung hatte einen großen Nachteil: der starke, unangenehme Geruch des Leders. Für die Gerber war das eine tägliche Herausforderung, für die Kunden eine Zumutung - selbst die schönsten Lederwaren konnten durch den Gestank an Reiz verlieren.

Mit der Renaissance kam eine neue Mode aus Italien und Spanien nach Frankreich: parfümierte Handschuhe. Die Idee, Leder mit Duft zu veredeln, passte perfekt zu Grasse. Die Gerber der Stadt griffen die Innovation sofort auf und begannen, Handschuhe und andere Lederwaren wie Taschen, Westen oder Gürtel mit Essenzen zu parfümieren. Sie nutzten die Duftschätze der Provence - Lavendel, Jasmin, Rose, Myrte und sogar Orangenblüten - und verwandelten das einst schlichte Leder in luxuriöse und begehrte Accessoires. Damit lösten sie nicht nur das Geruchsproblem, sondern legten, ohne es zu ahnen, den Grundstein für die Parfumtradition von Grasse.

Vor allem die französische Königin Katharina von Medici, die 1533 Heinrich II. heiratete, soll bei der Verbreitung dieser Mode eine wichtige Rolle gespielt haben. Es heißt, dass sie zur Hochzeit ein Paar duftender Handschuhe geschenkt bekam und so begeistert war, dass sie diese am französischen Hof populär machte. Der Trend verbreitete sich rasch in ganz Europa und avancierte zu einem Statussymbol der Aristokratie.  

Catherine de’ Medici, Königin von Frankreich
Catherine de’ Medici, Königin von Frankreich

Der Aufstieg zur Duftmetropole

Die Erfolgsgeschichte von Grasse als Welthauptstadt der Düfte begann mit den duftenden Lederwaren, doch das war erst der Anfang. Während die Gerberei im Mittelalter und der frühen Neuzeit das wirtschaftliche Rückgrat der Stadt bildete, geriet sie nach der Französischen Revolution in Schwierigkeiten. Hohe Steuern und der freie Handel machten es den Lederproduzenten immer schwerer, konkurrenzfähig zu bleiben. Gleichzeitig öffnete sich jedoch eine neue Tür: Die Parfumherstellung begann an Bedeutung zu gewinnen.

Besonders im Bereich der Duftstoffgewinnung setzte Grasse neue Standards. Techniken wie die Enfleurage, bei der zarte Blüten in Fett eingelegt wurden, um ihre Aromen schonend zu konservieren, und die Destillation, die es ermöglichte, reine Öle aus Pflanzen zu gewinnen, wurden in der Region perfektioniert. Mit diesen Innovationen gelang es den Parfumeuren, die feinsten und empfindlichsten Düfte einzufangen und komplexe Kompositionen zu schaffen.

Anfang des 19. Jahrhunderts erhielt die Parfumindustrie in Grasse durch Napoleon Bonaparte einen entscheidenden Impuls. Er erkannte das wirtschaftliche Potenzial der Branche und förderte den gezielten Anbau von Duftblumen in der Region. Rund um Grasse entstanden zahlreiche Felder, auf denen Blumen wie Rose de Mai und Jasmin angebaut wurden. Die aromatischen Blüten wurden nach Paris transportiert, wo sie die Grundlage für luxuriöse Parfums bildeten, die vor allem von der französischen Elite begehrt waren.



Mit der Industrialisierung brach ein neues Zeitalter für die Parfumherstellung an. Bereits 1825 wurde in Grasse die Verpackungsproduktion industrialisiert – ein wichtiger Schritt, um die steigende Nachfrage nach Parfums und anderen Duftprodukten wie Seifen und Puder zu stillen. Unternehmer wie Antoine Chiris wurden zu Pionieren dieser Epoche, indem sie moderne Parfumerien gründeten, die traditionelles Handwerk mit fortschrittlicher Technologie verbanden.

Auch der Blumenanbau in der Region erblühte im wahrsten Sinne des Wortes unter den technischen Fortschritten des 19. Jahrhunderts. Ein wichtiger Schritt war der Bau des Siagne-Kanals im Jahr 1860, der die Bewässerung der Felder revolutionierte. Plötzlich war es möglich, die duftenden Schätze der Natur in größeren Mengen und mit einer nie dagewesenen gleichbleibenden Qualität zu kultivieren. 

So konnte sich Grasse nach und nach zu einem Zentrum der Parfumwelt entwickeln. Die Stadt belieferte nicht nur die lokalen Parfumeure, sondern wurde zu einem wichtigen Lieferanten für die großen Parfumhäuser in Paris und darüber hinaus. Ihr Ruf für Qualität und Präzision machte Grasse zur Welthauptstadt des Parfums - ein Titel, den die Stadt noch heute mit Stolz trägt.

Die Seele von Grasse: Die Essenzen der Provence

Grasse hat seinen weltweiten Ruf vor allem dem Anbau wertvoller Parfumpflanzen zu verdanken. Eine der bedeutendsten ist der Jasmin Grandiflorum, auch bekannt als „Jasmin à grandes fleurs“. Diese Pflanze, die im 17. Jahrhundert aus Indien eingeführt wurde, ist ein Symbol der Parfumkunst von Grasse. Ihre Blüten werden ausschließlich in den frühen Morgenstunden von Hand gepflückt, wenn sie die höchste Konzentration an ätherischen Ölen enthalten. Der süße, leicht exotische Duft macht den Jasmin Grandiflorum zu einer wichtigen Zutat in der Parfumherstellung.

Zarte Blüten, intensiver Duft: Jasmin aus Grasse in seiner natürlichen Pracht.
Zarte Blüten, intensiver Duft: Jasmin aus Grasse in seiner natürlichen Pracht.

Ebenso wichtig ist die Centifolia-Rose, die wegen ihrer zahlreichen Blütenblätter auch „Rose de Mai“ genannt wird. Ihr unverwechselbares Aroma – süß, blumig und mit einer zarten Honignote – hat Grasse weltweit berühmt gemacht. Die kurze Blütezeit im Mai macht diese Rose besonders kostbar. Auch hier erfolgt die Ernte in den frühen Morgenstunden, um die empfindlichen Duftmoleküle zu bewahren.

Die sanft geschwungenen Hügel rund um Grasse, das milde Klima und die fruchtbaren Böden bieten die perfekten Bedingungen, um Parfumpflanzen zu kultivieren. Über Generationen hinweg haben die Landwirte hier ihr Handwerk zur Perfektion gebracht und eine einzigartige Tradition des Duftanbaus etabliert. Diese Tradition lebt in zahlreichen Familienbetrieben weiter, die bis heute eng mit großen Luxusmarken zusammenarbeiten, um hochwertige Rohstoffe zu liefern. Ein Beispiel dafür ist das Familiengut Manon - Seit über vier Jahrhunderten werden dort Jasmin, Centifolia-Rosen und andere Parfumpflanzen mit großer Hingabe angebaut.

Die Centifolia-Rose in voller Blüte
Die Centifolia-Rose in voller Blüte

Auch das französische Modelabel Chanel setzt auf die Expertise der Region und arbeitet mit dem Gut Mul zusammen. Dort wird unter anderem die edle Iris Pallida angebaut. Ihr Duft liegt verborgen in den Wurzeln, die ganze sechs Jahre reifen müssen, bevor sie geerntet werden können. Die Schwertlilie gilt als einer der teuersten Rohstoffe der Branche: Für ein Kilogramm des kostbaren Duftstoffes werden sieben bis acht Tonnen Rhizome benötigt, von denen bei der Verarbeitung 85 Prozent ihres Gewichts verloren gehen.

Die Zusammenarbeit zwischen der Familie Mul und Chanel begann bereits 1921, als Coco Chanel nach Grasse reiste, um ein Parfum für ihr Modehaus zu kreieren. In Zusammenarbeit mit dem Parfumeur Ernest Beaux entstand „N°5“, ein Meilenstein in der Geschichte der Parfumerie. Bis heute wird der legendäre blumig-pudrige Damenduft mit den gleichen hochwertigen Ingredienzien hergestellt, darunter Iris, Mairose und Jasmin.

Die kostbare Iris Pallida - das blaue Gold von Grasse
Die kostbare Iris Pallida - das blaue Gold von Grasse
Chanel N°5 - Ein zeitloser Klassiker und eines der bekanntesten Parfums der Welt
Chanel N°5 - Ein zeitloser Klassiker und eines der bekanntesten Parfums der Welt

Die Herausforderungen der Moderne

Die Parfumindustrie steht heute vor großen Herausforderungen. Und auch Grasse bleibt davon nicht verschont. Die Globalisierung und der Kostendruck haben viele der einst legendären Blumenfelder der Region schrumpfen lassen. Länder wie Bulgarien, die Türkei oder Indien bieten ähnliche klimatische Voraussetzungen, aber wesentlich günstigere Produktionsbedingungen. So werden viele der wertvollen Rohstoffe, die einst die Felder von Grasse schmückten, heute anderswo angebaut und verarbeitet. 

Und doch hat Grasse es geschafft, seine besondere Stellung in der Welt der Düfte zu behaupten. Die Entwicklung synthetischer Duftstoffe im 20. Jahrhundert und der blühende Handel mit Parfumblumen vor dem Ersten Weltkrieg verliehen der Stadt den Titel der „Welthauptstadt des Parfums“ – ein Titel, der nicht nur von Tradition zeugt, sondern einen Grundstein für die heutige moderne Parfumindustrie legte. 

Während andere Länder auf industrielle Massenproduktion setzen, bleibt Grasse der Perfektion der Essenzen treu. Diese Leidenschaft zeigt sich in den Partnerschaften mit Luxusmarken wie Chanel, Dior und Hermès, die noch immer auf die hohe Qualität der Rohstoffe aus Grasse vertrauen.

Die historische Parfümerie Fragonard in Grasse – ein Symbol der Duftkunst und Tradition
Die historische Parfumerie Fragonard in Grasse – ein Symbol der Duftkunst und Tradition

Grasse als kulturelles Erbe

2018 wurde das „Know-how der Parfumherstellung in Grasse“ von der UNESCO als immaterielles Kulturerbe anerkannt. Diese Auszeichnung zeigt, wie wichtig die Stadt und ihre jahrhundertealte Handwerkskunst für die Welt der Düfte sind. Mit dieser Ehrung hofft man, die verbliebenen Felder, auf denen Jasmin, Nachthyazinthen und andere Duftpflanzen wachsen, besser zu schützen. Gleichzeitig soll sie den örtlichen Landwirten mehr Unterstützung bieten, um die Tradition des Anbaus und der Pflege dieser besonderen Pflanzen zu sichern.

Im Musée Internationale de la Parfumerie in Grasse können Besucher die Entwicklung der Parfumerie von der Antike bis zur modernen Duftkomposition erleben. Die Stadt ist zudem Heimat der angesehenen Perfumery School in Grasse, die nicht nur die Tradition der Parfumherstellung bewahrt, sondern auch handwerkliches Wissen und kreatives Können an zukünftige Generationen weitergibt.

Daher ist es nicht verwunderlich, dass Grasse Jahr für Jahr Parfumliebhaber aus der ganzen Welt anzieht, die die Tradition und den Zauber der Parfumherstellung hautnah erleben möchten.

Bildquellen:
1. Pixabay: https://pixabay.com/de
2. Von François Clouet zugeschrieben - 1. (Hearn, Karen, ed. Dynasties: Painting in Tudor and Jacobean England 1530-1630. New York: Rizzoli, 1995. ISBN 0-8478-1940-X.)2. Victoria and Albert Museum, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=1432585
3. Victoria and Albert Museum, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=1432585
4. Leon Petrosyan: Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=52285907
5. Salicyna: Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=84817223
6. Markus Bernet: Eigenes Werk, CC BY-SA 2.5, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=1814090
arz: The photo was taken in Vilnius, Lithuania, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=1414708
7.Von Christof Halbe - Selbst fotografiert, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=655234          8. By Pamwik - Own work, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=52176149
9. 2184190407 - imantsu, iStock

Aktualisiert am 22.11.2024 - 12:22 Uhr
15 Antworten
ChrisPFChrisPF vor 12 Monaten
Super Artikel! Schön, dass es noch Häuser gibt, die traditionell Arbeiten und nachhaltige Quellen für gute Rohstoffe unterhalten und pflegen. Ich hoffe wirklich sehr, dass es zukünftig wieder mehr werden.
VelamintVelamint vor 12 Monaten
Was für ein toller und interessanter Artikel. Jetzt möchte ich unbedingt diese Stadt besuchen, ich hoffe das klappt in naher Zukunft.
TansuTansu vor 12 Monaten
War dieses Jahr zum zweiten Mal dort. Es ist ein ganz toller Ort mit viel Geschichte, die die Welt geprägt hat. Auch wenn sich einiges dort verändert hat, muss ich gestehen, dass dieses „feeling“ und der Zauber dieser besonderen Stadt gleich geblieben ist. Danke für den tollen Beitrag
RostbratwrstRostbratwrst vor 12 Monaten
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Ich war letztes Jahr im April in Grasse. Das Parfümmuseum war toll, die Stadt selbst fand ich hingegen überhaupt nicht schön. Hatte leider sehr eine Brennpunkt-Vorort Atmosphäre von Nizza. Sind nach dem Museumsbesuch schnell weiter
MumpelMumpel vor 12 Monaten
Sehr interessant geschrieben und verbildlicht.
Weckt Sehnsucht und Reiselust.
Danke dafür .
KleinerPrinzKleinerPrinz vor 12 Monaten
Oh da kommen Erinnerungen hoch. Ich war vor 20 Jahren bei Fragonard und hatte nach der Führung ziemliche Kopfschmerzen 😅
ViolettViolett vor 12 Monaten
2
Wann ist wohl die beste Zeit, dorthin zu fahren?
DuftileinDuftilein vor 12 Monaten
Herzlichen Dank für diesen Artikel. Grasse ist eine wunderbare Stadt mit einer tollen Geschichte
XyzXyzXyzXyz vor 12 Monaten
2
Ja, nice :D . Nur an einem Punkt gibts eine Winzigkeit zu mähren: Die rosa centifolia ist keine Sorte, sondern eine Rosengruppe. Unter den ALten Rosen ist sie relativ jung, wahrscheinlich aus Kreuzungen einiger anderer Rosengruppen wie rosa damascena und rosa canina hervorgegangen (sorry, mein Hobby ^^). Wäre ja mal interessant zu erfahren, warum ausgerechnet diese Rosengruppe so gut geeignet war/ist, und welche Sorten angebaut wurden. Wer mal eine kennenlernen will&einen Garten hat: Kann die Parvifolia empfehlen :D ! (Fast hätte ich noch Maitre D`Ecole geschrieben. Aber das ist keine Zentifolie ^^ Da war sie also, die nahe Grenze meines Rosenwissens XD )
ViolettViolett vor 12 Monaten
Trotzdem Danke! Sehr interessant .Habe einen Garten und liebe Rosen.😉🌹
FuliduFulidu vor 12 Monaten
Sehr interessant, danke für die Erläuterung :)
Ricco1Ricco1 vor 12 Monaten
4
War erst dieses Jahr im April dort.
Kann ich nur jedem empfehlen. ❤️😍
AbscheBoAbscheBo vor 12 Monaten
2
Ein prima Stories-Beitrag, der die große Tradition der europäischen Parfumerie beschreibt. Vielen Dank!
Zur Ergänzung der Historie verweise ich gerne auf einen relativ aktuellen Artikel in der Nez, der ebenfalls die Vergangenheit mit der Gegenwart und Zukunft verbindet.
https://mag.bynez.com/en/news/scent-money-and-ethics/
FuliduFulidu vor 12 Monaten
Da war ich mit meinen Eltern, ewig her (1994...?). Würde ich gerne mal wieder besuchen :)
PollitaPollita vor 12 Monaten
Danke für die Info. Muss da unbedingt mal wieder hin.

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