Positron

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1 - 5 von 72
Positron vor 9 Jahren 23 5
9
Duft
Und Mama wusch
In einem Lande, wo die Menschen am Weichspülerregal mehr Zeit zu verbringen pflegen als an der Fleischertheke, kam der Tag einer neuen Verheißung. Man sollte die Essenz der Auferstehung feuchter Wäsche aus dem Bauch der Waschmaschine auch auf der Haut tragen können, dachte sich eine findige Frau. Und sie gab uns „Holle 01.“ Eine so simple wie treffliche Nachempfindung des tiefen Behagens angesichts neu hergestellter Reinlichkeit. Lauter gute Gefühle zum Aufsprühen und Nachlegen.

Das Sauberkeitsnimbus von dampfender Wäsche – er ist in unseren Assoziationen für immer mit der mütterlichen Fürsorge verblockt. „Holle 01“ spielt mit den Ausdünstungen nass-schwerer Kleidungsstücke an einer Leine. Eine Requisite dieser sorglos-sonnigen Tage, als die Mutter den Ernst des Lebens mit all ihrer Liebe erfolgreich vor uns verbarg. Wir machten den Schmutz – sie wusch ihn milde lächelnd hinfort.

Später dann, als wir den Wochendreck endlich selbst mittels Waschmaschinenknopfdruck hinfortzuschäumen pflegten, gesellte sich zur ersten Sauberkeitsglückseligkeit eine zweite: Das Hochgefühl in ein frisch bezogenes Bett zu schlüpfen. Auch diesen Glückszustand kann uns die Produzentin dieses minimalistischen Duftes durch die Nase hindurch ins Bewusstsein rufen. Das gestärkte Lagen – es verlässt uns auch nicht im Alltagskampf an diesigen Novembertagen. Es tröstet, wenn uns Omnibusse ihr Dieselabgas vor die Beine blasen. Und dank holziger Untertöne simuliert der Duft auch noch die Kommode, in der die Laken ihrer Verwendung harren.

Diese wohligen Gemeinplätze unserer Zivilisiertheit auf einen sehr bekömmlichen Nenner zuzuspitzen – das ist die Leistung, die ich der Parfumeurin mit einer 90-prozentigen Wertung vergelte. Ihre erste Schöpfung will nichts anderes verkörpern, als das Erwartbare. So naheliegend das Ergebnis der Arbeit auch scheinen mag – die Erwartungen zu erfüllen, ohne ins Kitschige zu gleiten, ist schon ein bisschen Kunst.
5 Antworten
Positron vor 11 Jahren 25 9
7
Duft
Raumspree
Wer den Geruch Berlins beschreiben wollte, müsste eins vor die Beschreibung setzen: Sich eingestehen, dass es stinkt. Dass es im Grunde genommen nur saisonmäßig duftet, nämlich zur Blütezeit, als Gutmachung für Hundsexkremente, öffentliche Pieselecken und laxe Hygiene. Nämlich jetzt, sofern Jahreszeiten sich an kalendarische Pakte hielten. Da es aber anders kam, entdeckte ich Serge Lutens „La fille de Berlin“ – und musste mich sogleich solidarisch erklären mit diesem teuren Euphemismus.

Nun ist der Geruch Berlins in der Parfumwelt bereits umschrieben worden – man denke nur an die Popart-Blümchennummer aus dem Hause Joop zum Mauerfall. Schrill, spaßig und so übermütig wie die erste Nacht nach der Einheit. Aus Lutens Werk spricht aber ein ganz ausgeschlafener Ernst, uns die Spreestadt ins limbische System zu treiben.

Ich halte mich nicht lange mit dem Minimalismus der Noten auf, der nur Rose und Pfeffer zuließ. Und ich möchte der simplen Zwietracht gar nicht erst mit fachmännischen Vokabeln beikommen, sondern mich einem Assoziationsspiel hingegeben, das die Gelungenheit dingfester beweist.

Hinter die roten Blüten sind die Dornen gesetzt. Riechbar wird die abgestandene Luft aus der hundertjährigen Umnachtung von U-Bahnschächten – wie sie uns beim Abstieg zum Bahnsteig durch die Haare bläst. Deutlich wird die Ausdünstung von Stein, wenn die Hitze in den Straßen steht. Der Staub von regenlosen Wochen. Der säuerliche Altbau-Muff von Häusern, die vier Generationen ein Zuhause gaben. Ja, selbst die chlormäßige Note der klimatisierten Luft, wie sie in unseren Doppeldecker-Bussen aus Lüftungsgittern quilt, scheint mir erahnbar. Das alles natürlich mit der Schlussfolgerung, dass es eines gewissen Muts bedarf, um diesen mit Blumenkonzentrat bekämpften Ruch spazieren zu tragen. Erst recht in dieser Stadt, wo verhältnismäßig wenige Menschen kostspieligen Düften gewogen sind. Als atmosphärisch stimmiges Raumspray, als Andenkduft für Hiergewesene, hat er immerhin zweckfremden Nutzen. Alle, die ihre Hautchemie ins Spiel bringen wollen – ich habe da eher Trägerinnen als Träger im Sinne – genießen meine Achtung.

Und ich möchte mit dem Hinweis schließen, dass im späten Frühling vor dem Roten Rathaus tatsächliche Rosenbüsche Blüten treiben. Und wisst ihr was? Das letzte Mal, als ich an den Blüten roch – fiepsten im Gestrüpp die Ratten.
9 Antworten
Positron vor 11 Jahren 11 3
7.5
Flakon
5
Sillage
7.5
Haltbarkeit
7
Duft
Eau de Andrier
Warum denn gleich die aquatisch-sportlichen Konkurrenzprodukte als Vergleichsgrundlage ansetzen, wo doch Daniela Andrier einen solch raffinierten roten Faden zu ihren vorigen Arbeiten im Hause Prada spann?

Luna Rossa weist für mein Empfinden tatsächlich zurück auf Amber und Infusion pour Homme. Es trägt aber etwas von den markanten Eigenheiten dieser Werke ab und setzt die seiner Zeit spektakulären pudrig-sauberen Noten in Beziehung zum Geschmack eines breiteren Publikums:

Zuoberst erwartet uns nun eine Zitrus-Lavendel-Erfrischung, gefolgt von einer sehr subtilen Neudarbietung der gewohnten - und von mir geliebten - Formel. Luna Rossa ist weniger seifig, ohne die Saubernote völlig abzulegen. Es umwölkt uns nicht mehr mit pudrigen Akkorden - bleibt dem Erbe aber in einer dezenten Dosis des Bewährten treu. Sogar Ambers sanften Wildleder-Trail wage ich gegen Ende der Entwicklung zu benennen.

Die vordergründige sportiv-ozonische Frische - geben wir es zu: sonderlich exklusiv sind die Bausteine nicht – steht in einer interessanten Spannung zur früheren Exzentrik. Sie überlagert das für Andriers Herrendüfte typisch erscheinende Duftmuster, dieses Sauber-Samtene-Weichliche. Sie fordert das Gewesene heraus, ohne es zu ersticken. Freilich darf man bei Luna Rossa nichts Revolutionäres erwarten oder etwas, das in Richtung Signature-Scent ginge. Lassen wir diesen Duft als legere Alternative gelten: zu den anderen Herren-Pradas, erst recht aber zum gleichförmigen Starterfeld der Abteilungen "Aqua" und "Sport."
3 Antworten
Positron vor 12 Jahren 7 1
6
Duft
Vintage for Men Sport
Ich fürchte, die Jeans-Jacke ist zurückgekehrt, nach mehreren zögerlichen Versuchen. Das verkünden mir die Straßen von Berlin.

Lächerlich macht sich indes, wer sie fabrikneu erwirbt. Im 80er Jahre-Vintagelook, auf den Markt geworfen vom Designer. Nein, "second hand" müssen die Fetzen sein, aus den "Trend"-Abteilungen muffiger Lädchen freigekauft von schnauzbärtigen Hipstern. Oder von Hipstressen, die Bock bekommen auf den Boyfriend-Stil. "Used look": Das ist ihr Ernst.

Und so verhält es sich auch Armani mit Eau Pour Homme. Dieser Duft ist heute für Menschen gut, die nicht zugeben möchten, dass sie sich um Moden Gedanken machen. Und deshalb auffällig unauffällig in alte Geschmacksmuster zurückverfallen. Die Jeansjacke – eine nimmertote Lebenseinstellung. Eau Pour Homme – ein rückwärtsgewandte, wiedererinnerte Art, modern zu riechen. Man muss nur seine Schrullen mögen, diese merkwürdig muffige Zitronen-Frische. Diese angestrengte Lässigkeit. Wenn ich unter den heute noch erhältlichen Vintage-Fabrikaten den "Sport-Duft" nennen müsste – dieser wäre es.

Wie sich die Reformulierung auswirkt, kann ich kaum nachvollziehen. Doch mir scheint die Komposition recht simpel: Übersprüht die bitteren Ausdünstungen eines Gebrauchtklamotten-Wühltischs mit Deo, und ihr kommt bedenklich nah heran an Armani Eau pour Homme.
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Positron vor 12 Jahren 17 4
6
Duft
Blümchensex in Überlänge.
Es gibt nur wenige Tage im Jahr, an denen ich Fleur du Mâle tragen möchte. Und an jedem dieser Tage – so wie heute – ist es nur eine einzige Stunde. Ich schrieb dies zu Beginn von Stunde zwei, weil dies gerade noch eine Empfehlung werden sollte, kein Verriss.

Was mich an den Blumen des Bösen, reizt?
Wenn der weiße Torso sie ausniest, dann verkörpert ihr Duft sehr plastisch die aufknospende Natur, Blüten in Unschuldsfarben. Und ja, ihr Vorredner: Auch schmutzige Gelüste. Gestaute Libido. Schäumendes Badewasser.

Zwischen Morgen-Toillette und zweitem Frühstück bedecken herb-grüne Maigerüche das Bonbonlutscherhafte. Da weht Benzindunst über Gänseblümchen, erst weit entfernt droht uns die Süße. Einmalig, der Auftakt! Zum Aufmerken!

Tja, und dann der lange, lange Rest. Was auch immer da so aufmuckt (Kumarin? Benzoe? Tonka?), es tötet mir den Mai. Und es ist gekommen, um zu bleiben. Bis zum Abend und dem nächsten Morgen. Fleur du Mâle bleibt 11 Stunden länger stark, als mir lieb sein kann. Doch wem der süße Epilog in Überlänge nichts ausmacht, der greife zu!
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