Pudelskern

Rezensionsmäßig hat mich zum "5 - Floral, Amber, Sensual Musk | Rosendo Mateu - Olfactive Expressions" bisher nicht die Muse geküsst, obwohl er sich seit geraumer Weile in meinem Besitz befindet.

Vielen schon geschriebenen Gedanken kann ich mich anschließen: Der Duft entzieht sich einer Kategorisierung, er vereint verschiedene Qualitäten (würzig, süß, floral...), ohne davon irgendwas so ganz zu sein.

Faszination war das, was ich beim ersten Schnuppern spürte - auch für die seltsam stechend-chemische Note im Auftakt, die hier schon mit Gummireifen assoziiert wurde (mein Freund sagt "Schuhcreme").

Und ja, ich weiß schon was gemeint ist, aber manchmal ist es eben so, dass die seltsamsten Gerüche eine süchtigmachende Faszination ausüben. Dass manche das aber nicht in einem Parfum brauchen (ähnlich wie die Zahnarzt-Vibes im "Baccarat Rouge 540 (Eau de Parfum) | Maison Francis Kurkdjian") kann ich gut verstehen. Wer als Kind nicht gerne an Alleskleber gerochen hat, sollte das mit dem Nr. 5 vielleicht lieber lassen. ;)

Kommt man mit diesem Faszinosum zurecht, kann es aber sehr betörend weitergehen. Auf der Haut entwickelt sich bei mir eine unglaublich würzige, vanillige, unklebrige, pulverfeine, abstrakte Süße, strömend, einhüllend, schleierhaft, sinnlich, eine himmlische Aura, nicht von dieser Welt, ein goldener Engel (jetzt wird es wild) der raumgreifend seine riesigen Flügel ausbreitet, in Form einer geradezu überirdischen Sillage. Vanillig-würzig in der Nähe, weicher und floraler in der Luft, wo er sich in jeder Ecke des Raums ausbreitet. Wenn man zurück in diesen Raum kommt, trifft man sich duftmäßig sozusagen selbst - das flüchtige Hier und Jetzt wurde lebensverlängernden Maßnahmen unterzogen, so schnell werden die anderen einen nicht los.

Genau damit hab ich allerdings so meine Restzweifel, die allerdings auf alle raumfüllenden Beast-Mode-Düfte zutreffen und nicht im Speziellen auf den "5 - Floral, Amber, Sensual Musk | Rosendo Mateu - Olfactive Expressions". Man zwingt anderen einen Duft auf, dem sie selbst dann (!) nicht entgehen können, wenn sie etwas auf Abstand gehen. Als ich diesen "ich komme in den Raum zurück und rieche mich selbst"-Effekt gespürt habe, dachte ich kurz, hoffentlich können die anderen den Duft genauso gut ertragen.

Und dann fielen mir die Autoreifen und die Schuhcreme wieder ein.

Floral Amber Sensual Musk: Ich liebe ihn, dieses krasse Zeug, aber oft tragen kann ich ihn wegen seiner raumgreifenden und sehr speziellen Präsenz und seiner ungewohnten Qualitäten nicht. Der Duft will was von einem - und von allen.

Saubermoschus, witzige Frische, kuschelige süße Würze... So siehts aus in meiner kleinen Duftsammlung, wo es irgendwann Zeit für ein dunkles, geheimnisvolles Schwesterchen wurde.

"Crystal Noir (Eau de Parfum) | Versace" hat diesen Platz eingenommen und erfüllt seine Rolle sehr gut.

Der Duft hat in meiner Nase eine kühle Aura, wirkt stark und selbstbewusst durch eine tiefe, leicht sakral anmutende Würze (und das ohne Weihrauch), und gleichzeitig hat er eine dunkle, distanzierte, florale Qualität, die mit dem schwarzviolettem Flakon die passende Farbe bekommen hat. Die cremige, versöhnliche Basis sorgt dafür, dass niemand Angst bekommen muss.

Ein bisschen Gothic, ein Hauch von Trash - das hat er für mich auch. Geeignet für Clubbesuche in Schwarz, aber auch für sämtliche Situationen, in denen ich klar und unnachgiebig bleiben muss, für meine Bedürfnisse einstehen will und nicht per se gefallen möchte.

In einen Small-Talk verwickelt werden und nicht weiterkommen? Nicht mit Crystal Noir. Eine Begegnung, wer weicht aus? Nicht ich. Ein schlechter Witz, wer traut sich, nicht zu lachen? Ich mit Crystal Noir.

Nicht mein allerliebster Duft, aber einer, der nicht fehlen darf und ein gutes Beispiel dafür, dass Parfums so viel mehr können als einen einfach nur gut duften lassen.

Das Coole: genau das tut Crystal Noir aber auch. Gott sei Dank. ;)

Performance: ein paar Sprüher und man ist lange im Spiel. Auf Klamotten hält er bis zur nächsten Wäsche. Preis-Leistungsverhältnis auch deswegen sehr in Ordnung.

Es hat ein wenig gedauert, bis der relativ spontan gekaufte Twilly in die Liga meiner Herzensdüfte aufgestiegen ist. Das hat er jedoch geschafft, mit einem vehementem Charme, was auch genau sein Duftcharakter ist.

Twilly startet mit einer orangigen Ingwerschärfe, super frisch und aromatisch - für einen Damen-Designer-Duft aus meiner Sicht sehr einzigartig. Was folgt ist eine intensive Tuberose und genau die erfüllte meine Nase lange noch mit Skepsis. Steigt die etwas zu stark in den Kopf? Wirds mir hier doch zu penetrant? Von Anfang an überzeugend: die cremige Sandelholzbasis, die das übermütige Ingwer-Tuberose-Duo sanft auffängt und in den Drydown begleitet. Na gut, wenn du dabei bist, Sandelholz, lass ich mir den extrovertierten Auftakt gefallen. Du greifst ein, bevor es zu laut wird, darauf ist Verlass (muss man sich Sorgen machen, wenn man anfängt mit Duftnoten zu sprechen?).

Twilly: Belebend, aktivierend, vehement und irgendwie witzig. Erfrischend direkt und elegant dabei. Weder retro noch modern, zeitloser Duftbegleiter für jeden Tag, Signature-tauglich.

Vor 10 Jahren habe ich das schwarze EDT "For her" getragen und fand es toll. Das selbstbewusste Statement hatte zu meiner damaligen Neufindungsphase gepasst, nur gefunden hatte ich mich noch nicht.

Vielleicht ist das der Grund, warum mehrfache kürzliche Anläufe, wieder einen Zugang zum "For her" zu finden, gescheitert sind. Ich kenne diesen Duft nicht mehr, Kopf und Herz sind mir fremd geworden, genauso wie mein damaliges Ich, das sich ausprobierend auf der Suche war und den Bogen etwas überspannt hat. Was blieb, war der Gedanke an die runde, schöne Moschus-Basis, der zarte Drydown, das, was hinter den lauten Tönen übrig blieb.

Da, wo das EDT aufhört, fängt Pure Musc direkt an. Ohne Achterbahnfahrt direkt am Ziel - unaufgeregter, cleaner, ehrlicher, leiser aber sehr präsent. Der Duft ist so weiß wie sein Flakon, schnörkellose feminine Weichheit, sinnlich mit dem Eigenduft verschmelzend, ein weißes Blatt, auf dem vieles entstehen kann - und deswegen in seiner scheinbar unschuldigen, weißblütigen Cremigkeit auch nicht unsexy.

Scheint für alle Lebenslagen und rund um die Uhr geeignet zu sein. Trotz toller Nischen-Schätze vielleicht sogar der aktuell heißeste Signature-Kandidat.

For Her Pure Musc: Reduziert auf den weißblütigen Narciso-Moschus, linear, cremig, clean und präsent - hier ist alles möglich.

Bouquet de Hongrie von BDK ist in Form eines Pröbchentauschs mit meiner parfümbegeisterten Freundin zu mir gewandert, und man könnte sagen, dass ich erstmal über ihn hinweg geschnuppert bin. "Aha, ja, ganz nett, nächster Streifen, nächstes Pröbchen." Andere Düfte faszinierten und irritierten mich viel mehr, aber wenn ich in den kommenden Tagen überlegte, was für ein Elixier es heute denn zum Aufsprühen sein soll, nervte mich fast jeden Morgen die Erinnerung an den unspektakulären ungarischen Blumenstrauß, egal was für interessante Kreationen mir zwischendurch unter die Nase kamen.

Es gibt Tage, die sind einfach nichts Besonderes. Bißchen Homeoffice, bißchen Gassigehen, mal kurz zum Edeka. Auch wenn Düfte die wunderbare Eigenschaft haben, die Fantasie in andere Welten zu führen und sich selbst in andere Stimmungen zu versetzen, so kann genau das an einem stinknormalen Tag auch stören. Wenn ich genug zu tun habe und der Alltag viel von mir will, dann muss nicht auch der Duft was von mir wollen und darf einfach ein angenehmer, stiller Begleiter sein, der da ist, aber nicht nach meiner Aufmerksamkeit schreit. Bouquet de Hongrie ist genau das: Ein freundlicher, unaufgeregter, unprätentiöser Begleiter - und dabei aber für meine Nase maximal schön, moderat wahrnehmbar, gepflegt, ein bisschen fruchtig, ganz viel floral, eher cremig als frisch und nie mit der Sorge verbunden, irgendwen damit zu überfordern. Nicht langweilig, ich würde eher sagen: Ein stressfreies Einverstandensein mit dem ganz normalen Leben, die Landebahn nach kreativen Höhenflügen, ein entspanntes Nein zum "immer besonders sein wollen". It is what it is.

Ich gefalle mir ein bisschen darin, mich eher mit der "Unisex-Idee" zu identifizieren, vermeide Rosa wo es nur geht, und ach bloß nicht zu feminin, bei allem was ich mache und kaufe- und auch hier ist es witzig, wie Bouquet de Hongrie mich trotzdem Schach matt gesetzt hat, denn dieser Duft ist wirklich seeehr feminin, zeitlos, klassisch, alterslos, kein Mauerblümchen, keine Femme Fatale, keine Karrierefrau, kein Girly, sondern einfach: Frau.

Bouquet de Hongrie: Wunderschöner Duft für eine ganz normale Frau an einem ganz normalen Tag. Und so siehts eben oft aus. ;)