Rhiel

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1 - 5 von 11
Rhiel vor 12 Monaten 14 6
7
Sillage
8
Haltbarkeit
7
Duft
Die Katze aus dem Orchestergraben
Grundsätzlich hätte ich lieber nur ein Statement geschrieben, allerdings gibt's zu dem hier etwas mehr zu sagen.

Düfte erzeugen bei mir oft Bilder oder Erinnerungen - manchmal auch Assoziationen zu Musik. Und Civet ist für mich wie die Darbietung eines Orchesters.

Der Start ist wunderschön zitrisch - würzig mit ordentlich Pfeffer. Schon bald gesellen sich die ersten Noten aus der Basis hinzu und man merkt - das wird keine Moldau und kein Gershwin. Denn bald darauf verschwindet die Kopfnote, die ersten kräftigen Noten aus der Basis drängen hervor wie das Schlagwerk in einem Orchester, ohne richtig laut zu werden. Dazu kommt Hyazinthe und Seifigkeit wird dominant - und zwar richtig ennervierend. An diesem Punkt hat das Orchester offenbar beschlossen, Strawinskys Frühlingsopfer neu zu interpretieren und ergeht sich in Dissonanz. Doch siehe da - die Hyazinthe wird leise und eine feine Melodie mit Frangipani entwickelt sich weiterhin unterlegt von dem Schlagwerk der Basis, das nun aber recht piano die Melodie begleitet. Die letzten Piccoli aus der Kopfnote werden allmählich stumm und es wird zunehmend harmonisch.
Plötzlich: ein Paukenschlag, alles ist wieder alles laut und eine Katze rennt verschreckt über die Bühne. Balsamisch-süß und wieder leicht zitrisch ist dieses Spektakel. Zwischendurch versuchen die Blumen zu Wort zu kommen, bis allmählich die Kakophonie abebbt und die Streicher in Form der Blumen wieder eine Melodie aufnehmen. Die Melodie wird angeführt von Ylang und Vanille, nuanciert durch Kaffee und Tuberose, und zusammen mit leisem Frangipani wird der Duft ab hier richtig schön. Dieses diesmal nicht so kurze Zwischenspiel endet dann in einem Crescendo balsamischer, würziger Süße, die letztlich die Basis des Dufts und damit den letzten Teil dieser Komposition bildet. Die Katze ist übrigens auch wieder da. Sie liegt im Hintergrund und döst.

Nun: Civet ist ein moderner Chypre, der für mich nur eine leichte Animalik bietet. Insgesamt empfinde ich ihn mehr maskulin und absolut tragbar. Ich kann nachvollziehen, dass sich hier manche an altmodische Chypre-Düfte erinnert fühlen, er erreicht aber durch die vorhandenen Dissonanzen nicht deren Eleganz.
Dank an Floyd für die Testmöglichkeit.
6 Antworten
Rhiel vor 1 Jahr 18 11
6
Sillage
7
Haltbarkeit
10
Duft
Sommerferien
Leicht sonnenverbrannt stehst Du in der Küche im Haus Deiner Großeltern; die Oma macht den ersten eigenen Salat aus dem Garten; Deine Finger riechen nach den Kräutern, die Du gerade frisch gezupft hast; alle Fenster sind offen und der Duft von frischem Grün weht durchs ganze Haus; die großen Ferien haben angefangen an diesem warmen Abend scheint der Sommer unendlich.

Ein echter Sommerduft - grün, leicht und absolut unbeschwert; hier ergänzt sich Galbanum ganz hervorragend mit dem leicht warmen Cumarin des Estragons, die Blüten deuten nur einen zarten Rahmen an; ein Duft der sich selbst träumt, nie ganz wach wird und doch nie richtig schläft; ein kleiner Wermutstropfen: Haltbarkeit und Sillage haben noch Luft nach oben. Dennoch: absolut bemerkenswert!
11 Antworten
Rhiel vor 1 Jahr 11 4
Hey Ma!
Im Hochsommer, kurz nachdem die Sonne hinterm Horizont verschwunden ist, der Himmel hinter Dir opalblau und fliederfarben leuchtet und vor Dir orange glüht, ist es Zeit, das Feuer anzuzünden, sich zu den langsam züngelnden Flammen zu setzen und den Geschichten der Nachtfalter zu lauschen. Es ist vollkommen egal, wo Du bist. Die Nachtfalter kommen zum Licht der Flammen, erzählen im Vorbeiflug vom Leben als Raupe in den Bäumen und Blättern der Sträucher, den Träumen von der Ewigkeit als Puppe und den Tänzen der Nacht als ausgewachsene Falter. Und bevor sie sich an den Flammen ihre Flügel verbrennen können, sind sie wieder weg. Verschwunden in der zunehmenden Dunkelheit des vergehenden Tages, des Unterholzes, der hereinschleichenden Nacht. Und wenn es in diesen Nächten zu warm zum schlafen und zu dunkel zum wachbleiben ist, kommt die Stunde von Hashabis. Die Kopfnote süßlich würzig wie der Hanf, der nicht stark genug ist, Dich zu berauschen und Dir dennoch den Kopf verdreht. Das Herz aus Rhabarber und Gin - kühlend, herb und bitter kämpft es gegen die Hitze an. Und dann, wenn der Morgen schon die schwarze Nacht indigoblau färbt, tragen Dich die pimentierten Flügel der Nachtalter sanft ins Reich des Schlafes, wo Du durch Facettenaugen die Welt sehen kannst. Vielleicht war der Hanf doch berauschend - oder war es der Wacholder?

Ein wunderschöner Duft, der gern haltbarer und stärker sein könnte. Für mich aufgrund der herben Würzigkeit ein absoluter Hochsommerkandidat (auch für Frauen).
Soundtrack: Hey Ma von Bon Iver oder Drinking in L.A. von Bran Van 3000.

Mit Dank an Flobu
4 Antworten
Rhiel vor 1 Jahr 27 6
7
Flakon
8
Sillage
8
Haltbarkeit
8
Duft
Ja, bist etz deppert? Ein Selbstgespräch
Wenn ich mir so meine Sammlung ansehe, kann ich ausser einer gewissen Vorliebe für Tuberosenkracher, Gourmands und dem Hang zu schweren Winterdüften, nicht so recht einen roten Faden erkennen. Was bei mir aber völlig fehlt, sind fruchtige Düfte. Mag ich nicht, mochte ich noch nie besonders und werd ich auch nie.

Denkste.

Als Geschenk zu meinem Gorseland-Bunkerflakon kam unter anderem eine Probe von Cassili. Nun, PdM... gehyped und in meinen Augen eher für die jungen, modernen Frauen, die MCM-Shopper spazieren tragen und somit eindeutig nicht für mich, die am liebsten Pilze im Wald jagt oder auf Trödelmärkten nach 70er-Jahre-Prilblumen-Bettwäsche. Also weggelegt und mich erstmal über das gute Stück von Jorum Studio gefreut.

Der Vormittag des nächsten Tages:
aufgeräumt und dabei wieder das Pröbchen in die Hand genommen. Was riecht denn hier so gut? An den anderen Proben geschnüffelt, gesprüht und nein, die waren es nicht. Also wieder meiner Wege gegangen und vor mich hingewerkelt.

Der Nachmittag desselben nächsten Tages:
Nach einem ausgiebigen Bad der Wohnung und mir in diversen Putzmitteln, eine kleine Pause. Und ich testete Cassili. Genau diese Probe hatte diesen schönen, blumig-fruchtig-cremigen Duft verströmt. Ich schnüffle genauer: Johannisbeeren? Vielleicht ein Pfirsich? Rosen? Woher kommt die Cremigkeit? Eine Tonkabohne, 80er-Jahre-Barbies und ein Ich, das lange verschwunden war?! Hm. Nein, das passt doch nicht zu mir! Fruchtig, süss und fluffig statt krautig, rauchig und balsamisch?

Der Abend desselben nächsten Tages:
Es lässt mit keine Ruhe und er nicht nach. Er ist noch da. Genauso intensiv und strahlend. Ich lese die Duftpyramide nach, Rezensionen, ähnliche Parfums. Der Flakon pfirsichfarben und in der Herznote: eine Pflaume? Bin ich die Pflaume? Bin ich die, die im späten, goldenen Oktober dem Drang eines Splitters eines alten Ichs nachgibt und doch noch eine Früchtetäterin wird? Soll ich meinem Stil untreu werden? So kurz vorm Winter und allen seinen und meinen Gourmands? Ich war doch schon soo lange keine zwanzig mehr! Ja, bin ich denn deppert?!

Dabei ist die Frage anders gestellt viel wichtiger: warum nicht? Wenn Düfte für mich immer Erinnerungen sind - neue, alte, längst verloren geglaubte - dann passt Cassili doch sicher auch irgendwo zwischen Carduus und Confetto? Und ist das letztlich nicht auch egal? Es ist nun mal ein schöner Duft.

Mei, bin ich deppert.
6 Antworten
Rhiel vor 2 Jahren 16 3
10
Flakon
8
Sillage
9
Haltbarkeit
9.5
Duft
Liebeskummer in Flaschen
Seit Jonathan Strange & Mr.Norrell kennen wir die Farbe von Liebeskummer. Irgendwo zwischen Flieder und Greige ist die Farbe dieser Emotion wohl angesiedelt.
Memoirs of a Trespasser kam als Probe einer Profuma zu mir. Ich habe in den kleinen Plastikbeutel gerochen und mir gedacht "Oh, das ist nichts für den Sommer".

Und ich habe falsch gedacht.

Es hat mich verfolgt. Bis in meine Träume. Ich war auf Schiffen und in den ödesten Wüsten aller Erzählungen, die je auf Papier gebracht wurden- in meinen Träumen. Ich war in Mr. Norrells einmaliger Bibliothek - einem Ort, der Geschichte und Magie atmet und gleichzeitig war ich in jeder Bibliothek dieser Welt - vergangen oder erfunden.
Und wenige Tage später habe ich mich der Herausforderung gestellt: ein Sprüher auf die Armbeuge und mit dem Mut der Verdammten wollte ich mich meinem Schicksal stellen, dem Unausweichlichen die Stirn bieten und mein Urteil stoisch tragen. Wer bist Du, der mich nicht schlafen lässt?

Ja, im Sommer braucht es lange, bis es dunkel genug ist für diese unendliche Tiefe von Rauch, Holz und Vanille. Und dunkel muss es sein. Wenn man betrunken ist, kann man schneller in den tröstenden Schoß dieser Erinnerungen fliehen, sich leichter dem Vergessen ergeben und sich behender der Illusion ergeben, daß bald schon alles wieder gut ist. Es ist die Sehnsucht nach dem, was war und was hätte sein können. Das Vergehen aller Schatten in einem Augenblick gleißender Erleuchtung. Aber nur in diesem einen Augenblick, wo Schatten und Licht vom Feuer endlich vereint, ein Bild aus den abstrakten Gestalten der Düsternis heraufbeschwören. Beschwören wie Hexen und Zauberer in dunkler Nacht.

Und am nächsten Tag, ganz nüchtern; wenn das Feuer verglommen ist, nimmt Dich Vanille in den Arm. Sie fragt nicht- sie weiß. Sie tröstet Dich, ob aller vergeblicher Liebesmüh und flüstert: "Warte auf mich, wenn es dunkel wird."
Und so kam er zu mir, dieser Eindringling. Er wird lange bleiben und wir werden schweigend sitzen zwischen alten Büchern und alten Spirituosen und uns wortlos wissend zunicken, während wir langsam vergehen, wie die Glut im Feuer.
3 Antworten
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