Stanze

Nur die Harten kommen in den Garten. Jetzt hab ich mir das mit Ruhrgebietsakzent vorgestellt und nee, wenn ich das schreibe, wirds gelöscht und ich komme auf den Bannteller oder sowas.

Dort im Garten haben sie dann eine finnische Sauna. Sie sitzen da, mit großen Handtüchern in Erdfarben, und wedeln mit Kräutern herum, die sie in Saunaaufguss getaucht haben. Wer da herumsitzt? Die schönen Frauen natürlich (bella= schön, donna= Frau). Und warum sind sie schön? Das Parfum hat sie so erregt, dass sie ganz weite Pupillen bekommen haben (Möglichkeit 1). Oder aber, weil es so dunkel in der finnischen Sauna ist. Honi soit qui mal y pense („Beschämt sei, wer schlecht darüber denkt“). Das wären jetzt meine Assoziationen zu diesem immerhin ehrlichen Duft.

Da ich nicht weiß, ob jemand anders schon etwas über Rappaccinis Garten gesagt hat, sag ich jetzt halt was. Rappaccinis Tochter ist eine Erzählung von Nathaniel Hawthorne (1804-1864). Rappaccini ist Apotheker und hat einen Garten mit giftigen Pflanzen. Da sich seine Tochter um den Garten kümmert, wird sie resistent gegen die Gifte, vergiftet aber alle anderen, die sie berührt. Tragische Liebesgeschichte usw.

Belladonna ist eine Pflanze, die auf Deutsch „Schwarze Tollkirsche“ heißt. Und sie ist giftig. Bei Erwachsenen führen 10 bis 12 Beeren, bei Kindern schon 3 bis 4 Beeren, zu einer Vergiftung, die unbehandelt tödlich sein kann. Ich hab das als Teenager in einem Lexikon gelesen und sogleich ausprobiert, wie Tollkirschen schmecken. Wässrig und süß. Ich aß nur eine und ansonsten ist mir nichts passiert. Oder? Laut Hildegard von Bingen zerrütten Tollkirschen den Geist. Vielleicht schreibe ich ja deshalb jetzt auf Parfumo seltsame Parfumrezensionen. Einen besonderen Geruch habe ich an der Tollkirsche nicht bemerkt, sie hat aber auch nicht geblüht.

Was sagt denn die offizielle Webseite dazu? „Das Teufelskraut, das Rappaccini mit Geschick und Vergnügen anpflanzte. Der Legende nach kann der Geist der Pflanze die Form einer wunderschönen und tödlichen Frau annehmen. Dieser Duft soll so einer dunklen und großartigen Pflanze Tribut zollen, mit einer Duftmischung aus grünen und floralen Noten, erdig und unvergesslich.“

Es gibt bestimmt auch Saunasitzungen, die man nicht vergisst.

Dieser Duft ist nicht so weiblich wie sein Ruf und kann bestimmt auch von Männern getragen werden. Jahreszeitlich ordne ich den Duft eher in der kühleren Jahreshälfte ein. Der Duft eignet sich natürlich ganz besonders für die Verkäufer von Heimsaunen. Jeder Käufer, der das riecht, wird sich sofort an die unvergesslichen Stunden des Saunierens mit irgendwelchen wunderschönen und nicht ganz so tödlichen Personen erinnern. Aber man sollte es keineswegs tragen, wenn man zum Augenarzt geht. Der könnte sonst denken, er habe die Belladonna-Tropfen schon appliziert und generell zerrüttet werden. Man weiß ja, wie das ist.

Als mich die Zeitmaschine im Hinterzimmer der Parfümerie aus Versehen in die Zukunft versetzte, sah ich mich auch dort mit der Invasion des Bösen konfrontiert. Die Untoten versuchten die Parfümerie einzunehmen. Sie standen vor dem Schaufenster und drückten daran ihre Nasen platt. Durch einen Kärcherunfall hatte ich zufällig schon im letzten Teil (Tanz der Duftel) meine rechte Hand eingebüßt.

Irgendjemand warf mir einen Flakon Pearl zu. Ohne nachzudenken sprühte ich ihn mir auf und bereute es sofort. Ich fing gleich an zu jammern, dabei bin ich doch eigentlich der tolle Held der Geschichte. Der Filialleiter der Parfümerie, der mich sehr an Familiären Tester M erinnerte, konnte nicht verstehen, was mein Problem war. War der Duft doch fruchtig und blumig, wie die meisten Frauendüfte der letzten Jahre. Er verkündete, dass ihm der Duft gefiele. Vielleicht liegt es doch an mir, dass mir diese ölige Ladung Ambrox auf den grünen Äpfeln nicht gefällt? Hat die Zeitmaschine meine Nase beeinträchtigt oder ist das eine Kabale des mächtigen Parfümonikons? Ist das vielleicht die Heilige Handkante, die mir so zusetzt?

Derweil waren die Untoten schon an der Tür zugange und wollten hereinkommen. Da bekam der Filialleiter es doch mit der Angst zu tun und riet mir, den Flakon auf meinen Armstumpf, der inzwischen nicht mehr ganz so fies und dafür nach Veilchen roch, zu stecken und damit die Untoten zu verjagen. "Ein Duft, mit dem man Tote aufwecken kann", versuchte er zu kalauern, was bei mir nicht gut ankam. "Wenn man genug sprüht, kann man die Untoten vielleicht auch anzünden", sinnierte er dann. Ich steckte mir den Flakon also auf und sprühte drauflos. Das ganze Zimmer war voll mit Pearl. Das Ambrox bildete ölige Lachen auf dem Boden. Die hereinstürmenden Untoten rutschten darauf aus, wir überwältigten sie leicht und so konnte ich wieder einmal entkommen. Wir hätten einen Brand im Laden auch gar nicht so gern gehabt.

Pearl ist wahrscheinlich eher etwas für Frauen. Die Frauen und ihr Umfeld sollten jedenfalls nicht empfindlich sein, was Ambroxan angeht. Ideal wären Leute, die den Geruch von Ambroxan als angenehm empfinden. Ambroxananosmiker wären auch okay. Ich glaube, von beidem gibt es mehr als man denkt. Immerhin ist Ambroxan ein Riechstoff, der andauernd und immer öfter eingesetzt wird. Wenn alle das so stinkig fänden wie ich, wäre das ja blöd. Und ich halte die Parfümindustrie keineswegs für blöd. Eher im Gegenteil.

Man kann Pearl im Kampf gegen das Böse einsetzen, aber auch im Kampf gegen mich oder andere Ambroxanhasser. Sonst fällt mir mal wieder nichts ein.

Aber an euch riecht das bestimmt viel besser als an mir und ihr seid auch nicht solche Memmen und jammert, wenn euch das Ambroxan die Nasenhaare zu Zöpfen bindet. Jaja, schon gut. Jedenfalls hat es Familiärem Tester M gefallen.. oder so..

Danke liebe Hasi für die Probe.

Irgendwer sagte mal, dass Überschriften keine Fragen enthalten dürften. Jede Wette, dass mich gerade diese Aussage dazu animiert, Fragen als Überschriften zu benutzen. Aber jetzt ehrlich, wer ist dieser Herr Zelmis? Ich hab dann Google bemüht und es schlug mir erst vor, dass Zelmis eine Wohnanlage in Paris ist. Dann ethymologelte es mich zu einem abseitigen getischen Gott. Die Geten selbst sind etwas abseitige Vorfahren der Rumänen. Zelmis heißt demnach „verstecken“ und dieser Zalmoxis war ein Totengott, dem Opfer dargebracht wurden. Dazu würde ja passen, dass einige Parfumos diesen Duft als sehr düster empfinden. Aber denkste.. Ich hab mal das Gedicht gegoogelt, das auf der offiziellen Webseite steht und Google erklärte mir, dass es die erste Strophe eines Gedichtbandes von Jean Dorat (1508-1588) ist. Ein abseitiger Dichter also und das Gedicht heißt Les Tourterelles de Zelmis ('Die Tauben von Zelmis).

"Der Winter hört auf, die Natur zu betrüben.
Vögel singen auf dem Grün,
und denken an neue Liebschaften.
Süße Düfte kündigen schöne Tage an.

Aus den hohen Lüften Amor mit den Flügeln schlagend
schüttelt mit seiner Fackel Funken,
rundet das Gewölbe der Wäldchen ab
für die Liebenden erheben sich tausend Baldachine.“

Usw. Usf.

Ein Liebesgedicht also. Und wir denken an Trauer, Melancholie und dergleichen. 305 Seiten lang der erste Band. Okay, jetzt werde ich auch melancholisch. Und das übersetze ich auch garantiert nicht bis zum Schluss. Also keine Angst.

Den Tauben von Zelmis riecht man ihr Alter (16. Jahrhundert) nicht an. Ich rieche auch eigentlich kein Grün und wer weiß schon wie Funken riechen. Wälder und Baldachine kommen auch nicht drin vor. Vielleicht ist es eher die Erinnerung an jemanden, der das Gedicht vorgelesen hat. Eine Universitätsvorlesung mit einer schönen Kommilitonin neben sich oder einem schönen Kommilitonen. Eine verstorbene Geliebte, die einem das Gedicht als Liebesbrief schrieb in den 60er Jahren und heute ist das Papier ganz brüchig und riecht leicht nach Safran. Zwischen den brüchigen Papieren liegen getrocknete Rosenblätter und da überflutet einen die Erinnerung an den Rosenhag wo man sich traf, um irgendwelche Dinge zu treiben, die ich jetzt nicht näher ausführe. Ein bisschen Diskretion manchmal ist ja nicht schlecht.

Les Tourterelles de Zelmis riecht gleich in der Kopfnote sehr stark nach Rosengeranie. Dann wendet sich das Blatt und Safran lugt hervor. Ich fragte mich zuerst, was so metallisch riecht, bis ich auf der offiziellen Webseite nachschaute und da wurde mir einiges klar. Der leichte Wachsgeruch würde auch zu den alten Papieren passen. Vielleicht wurde der Brief mit Wachs versiegelt.

Ich finde den Duft toll, aber Oriza L. Legrand hat es mir eh total angetan. Die Firma hat natürlich mit einem Gedicht aus dem 16. Jahrhundert noch mehr bei mir gepunktet. Die wissen, wie sie mich rumkriegen.

Familiärer Tester M findet es nicht so toll. Er wartet immer auf das Erscheinen von Synthetik, wie er sagt. Was aber gar nicht passiert. Die Sillage ist zu Beginn sehr stark, geht dann aber auf Normalmaß zurück.

Man kann Les Tourterelles de Zelmis immer tragen. Das ist jetzt ein bisschen enttäuschend, gell? Man kann es tragen, wenn man ein bisschen seltsam ist und ein Anhänger des Gottes Zalmoxis. Dann sollte man aber von Menschenopfern absehen, die moderne Gesellschaft hat da nicht mehr wirklich Verständnis für. An der Uni kann man es auch tragen, zum Beispiel, wenn man französische Sprache studiert. Verliebte können es zwar tragen, aber "to love is to lose“ (’zu lieben bedeutet zu verlieren’). Es bleibt doch etwas Melancholie. Wenn man sich ganz der Freude hingeben will, dann muss man halt zu einem anderen Parfum greifen. Ich weiß auch nicht, zu welchem Parfum. Ich bin da nicht die Spezialistin.

Dank an R3mt9, die herausfand, dass Jean gar nicht der Schuldige ist an diesem Gedicht, sondern vielmehr Claude-Joseph Dorat geboren am 31. Dezember 1734 in Paris wo er auch starb am 29. April 1780. Er ist international ziemlich unbekannt im Gegensatz zu Jean, der wahrscheinlich im Grabe rotiert, weil ich ihm diesen Schund zugeordnet habe. 18. Jahrhundert ist mir auch recht, wenn mir auch 16. rechter gewesen wäre. Aber das Gedicht ist trotzdem lang. 9 Seiten ist nur der "erste Gesang". Und dazu bin ich immer noch zu faul.

Jean- hat das Motocross inzwischen aufgegeben. Manchmal geht er mit seiner kleinen Familie aber am Wochenende hin und schaut zu. Da gibt es Bratwürstchen (nein, die riecht man in Purple Oud nicht). Während seine Frau mit den Frauen der anderen Ex-Fahrer plaudert, versucht er mit den alten Kollegen zu reden. Das klappt nicht mehr so gut wie früher, denn Jean- wurde befördert. Unter der Woche trägt er nun einen Anzug. Er hat sich mit Purple Oud eingedieselt. Das gibt ihm ein bisschen mehr Sicherheit. Er riecht dann nicht ganz so arg nach gehobenem Management. Oder doch? Neeiiiiin. Riech doch mal, diese feine Rauchnote, die bestimmt vom Safran kommt oder vom Oud (oder von irgendeinem kompliziertbenamsten Riechstoff). Das ist doch wie Verbrennungsmotor! So versucht er sich Mut anzuschnüffeln und mischt sich dann unter das mit echtem Öl verschmierte Mannsvolk.

Purple Oud riecht ganz gut soweit. Für mich riecht es aber weder nach Oud noch Lila. Oud mag ich eh nicht. Der Safran kommt hier rauchig und trocken rüber. Wie eine verlassene Straße. Öl, Benzin, Rauch, Staub. Alles ist noch da, aber komischerweise ist kein Mensch unterwegs. Es ist heiß. Aber eine verdammt trockene Hitze. Als wäre Amarillo in Texas ganz plötzlich evakuiert worden. Zum Beispiel wegen einer Pandemie. Ja, nein, das ist ja nur ein Beispiel.

Für mich ist Purple Oud aber nicht so total der Duft. Auf der Arbeit wäre mir das zu schwierig und ich träume auch nicht von Abgasen oder so. Generell ist das eher was für Städter, da gebe ich Serenissima recht. Oder vielleicht für Leute, die gezwungenermaßen auf dem Land leben und lieber in einer Stadt wären. Ich würde freiwillig auf dem Land leben und muss mich daher mit Grünzeug eindieseln.

Ich sehe Puple Oud eher, aber nicht ausschließlich an Männern. An Jean- oder an Michael, der durch die verlassenen Straßen von Amarillo schlendert. Man kann es auch tragen, wenn man sich als Büromensch unter eine Gruppe von ölverschmierten Männern mischen möchte. Man sollte dann aber darauf achten, nicht den Armani-Gürtel umzuschnallen oder ihn zumindest unter einem karierten Hemd zu verstecken.

Der Duft ist wohl bei Frauen sogar beliebter als bei Männern. Wahrscheinlich liegt das am Lila (Purple), das ich ja nicht rieche. Wie riecht Lila eigentlich?

Kumquat reist, mit dem Eukalyptus,
In ein'm schön' Böhm'schen Bus.

Unverständlich bleiben uns die Noten,
Egal wie tief wir sie ausloten.

Auch Eukal. (der nur des Duftes wegen
mitgerochen) ist um Rat verlegen.

Doch just dieses macht uns blaß wie Schlick.
Da hilft kein Schlag in das Genick.

Und er schreibt in seine Wochenchronik:
Wieder ein Erlebnis, ohne Elektronik!

(Sehr frei nach "Das böhmische Dorf" von Christian Morgenstern.)

Auch wenn ein bestimmtes Online-Verkaufsportal "bohemian" immer mit "böhmisch" übersetzt, ist diese Übersetzung bestenfalls antiquiert. Im 19. Jahrhundert dachten die Franzosen, dass die französischen Roma im 15. Jahrhundert aus Böhmen gekommen seien. Ihr Lebensstil wurde als unkonventionell und frei romantisiert. Daher ist bohemian zwar böhmisch, aber Böhmen würden sich bestimmt wundern, wenn man sie als unkonventionelle, freiheitsliebende, französische Roma ansieht.

An dieser Stelle wies mich familiärer Tester M darauf hin, dass es aber auch wirklich Böhmischen Absinth gebe. Also Absinth aus Böhmen. Mist, und ich war gerade in Schwung gekommen. Ich hab noch nie Böhmischen Absinth getrunken und kann daher nicht sagen, ob er riecht wie Bohemian Absinthe. Böhmischer Absinth unterscheidet sich von traditionellem Absinth darin, dass kein Anis drin ist. Der Böhmische Absinth trübt nicht ein, wenn man Wasser zusetzt, daher lohnt sich das Verdünnen nicht so richtig und laut Wikipedia verdünnen viele Tschechen ihren Böhmischen Absinth gar nicht. Das erklärt, wieso Bohemian Absinthe so stark riecht, dass er das ganze Zimmer vollmüffelt.. äh duftet. Ich möchte Böhmischen Absinth keinesfalls trinken, denn ich habe schon vom Geruch von Bohemian Absinth Kopfschmerzen.

Ich dachte bei mir, dass mich die Webseite der Schwestern von Noé wohl erleuchten könne bezüglich der Bedeutung dieses Duftes und siehe da: er stellt die Verzückung der Franzosen des 19. Jahrhunderts über La Bohème ('Böhmen') dar. Also vergesst, was ich über Böhmischen Absinth gesagt habe und erinnert euch an die romantischen, unkonventionellen, freiheitsliebenden, französischen Roma des 15. Jahrhunderts. So riecht das.

Ich möchte Bohemian Absinth in keiner Jahreszeit tragen. Die Sillage ist sehr unkonventionell und freiheitsliebend. Tragen kann man das, wenn man mit einer Zeitmaschine ins 15. Jahrhundert gereist ist und dort unter Böhmen oder französischen Roma nicht auffallen möchte. Oder falls man bei einem Gelage mit Böhmischem Absinth abstinent bleiben möchte. Man riecht dann, als habe man dem Getränk heftig zugesprochen. Sehen kann man das am Glas ja angeblich nicht. Dann also Prost.