Turandot

Wenn der Sommer sich seinem Höhepunkt nähert und die Hitze in der Wohnung schon morgens mit heruntergelassenen Jalousien und schattenspendenden Markisen bekämpft wird, werde ich immer ein wenig melancholisch. Auslöser dafür sind untrügliche Zeichen, dass sich die im noch kahlen und nasskalten Frühjahr heiß ersehnte Zeit ihrem Ende zuneigt. Statt Vogelkonzert liefert uns die Natur nur Grillengezirpe, statt lauer Lüfte brüllt manchmal kreislaufbelastende Hitze und wenn in Gärten, auf Feldern und auch im Supermarkt die Gladiolen ihre Pracht entfalten, dann bleibt nur noch die Hoffnung auf einen schönen Altweibersommer, einen goldenen Oktober und der Wunsch, die derzeitige Hitzewelle möge sich nicht schon wieder mit beängstigenden Unwettern verabschieden.

Und doch - diese Zeit, die ich dann eben doch auch genießen kann ist eben nicht nur melancholisch, sondern sie zeigt uns Jahr für Jahr, wie kraftvoll die Natur nicht nur Unbill, sondern eben auch ihr Füllhorn an Schätzen über uns ausschüttet. Ein Gang über den Stadtmarkt, ein Spaziergang entlang von Bauerngärten, die reiche Ernte der Streuobstwiesen, die uns zeigt, was die Blütenfülle im Frühling erhoffen ließ, bringt mich jedes Jahr zum staunen. Und genau diese Kraft, diese Pracht an Farben, an Düften, an Köstlichkeiten, an Aromen die die Sonne erst möglich macht, all das finde ich in Cala Rossa, diesem so ungewöhnlichen Duft eingefangen.

Mittelmeerfeeling bedeutet eben nicht nur Thymian, Rosmarin, Basilikum und jede Menge Limoncello, sondern auch das Salz des Meere, die Aromen diverser Mineralien die die sonnenerhitzen Felsen der Küsten ausstrahlen, die eben nicht durch flachen Sandstrand verwechselbar für so viele Urlaubsregionen typisch sind. Wer nicht nur am Strand liegen möchte, sondern sich auch mal auf Schusters Rappen ins Hinterland Italiens oder Kroatiens begibt, wird wissen, was ich meine. Und genau dieses Fluidum verkörpert für mich Cala Rossa.

So kraftvoll, so aromatisch, so voller Energie ist für mich kaum ein anderes Parfum. Eigenwillig, herb, ungezügelt und doch harmonisch haben es die Parfumeure von Santa Maria Novella geschafft, den Sommer jenseits von Touristenpfaden einzufangen. Bereits in der Kopfnote wird weder Bergamotte noch Zitrisches bemüht, sondern der Reigen der mediterranen Kräuter eröffnet den Duft energetisch fast maskulin. Das bleibt auch während des Ablaufs so und klingt grünwürzig aus. Ich staune über die angegebenen Duftstoffe, denn im Grunde kennen wir doch jeden dieser einzelnen Noten. Nichts ist exotisch oder erinnert ans Chemielabor moderner Nischenparfums, und doch ist die Gesamtheit dieser Zutaten im Ergebnis ein völlig ungewöhnlicher und für mich reizvoller Duft, der mich jedesmal sehr berührt, wenn ich ihn mir gönne.

Nun genieße ich halt den Sommer so lange er dauert und mit Cala Rossa kann ich ihn mir das ganze Jahr zurückholen. Und wer mit mir diese Stimmung einfangen möchte, dem rate ich, wieder mal das Gedicht "Abseits" von Theodor Storm zu lesen. Es fasst in Reime, was Santa Maria Novella in einem Duft verewigt hat.

Die Diordüfte aus der Privée Linie, die ich zumindest per Abfüllung gerne im Sommer genieße sind Sakura oder Gris, gerne auch Rose Kabuki. Aber wirkliche Must-haves sind sie trotzdem nicht. Vielleicht weil sie sich inzwischen zu ähnlich sind und vor allem in langsam unübersichtlichen Mengen auf den Markt kommen. Nun also Eden Roc.

Ein gerne getragener Sommerduft von Dior ist für mich Escale à Portofino, der nicht nur Erfrischung, sondern auch Urlaubslaune versprüht und ich war auf einen Vergleich gespannt, soll Eden Roc schließlich auch eine Hommage an ein Feriendomizil der Reichen und Schönen sein. Das Hotel am Cap Antibes könnte sicher interessante Geschichten erzählen, denn seit 1870 sind wohl viele illustre Gäste ein und aus gegangen. In solch einem Hotel am Meer könnte ein Krimi mit Hercule Poirot spielen. Man könnte also nicht weniger als Luxus pur erwarten.

Nun, reich und schön bedeutet nicht zwangsläufig laut und protzig und insofern passt der Duft in eine Atmosphäre zurückhaltender Eleganz. Ich sehe mich damit nicht am Strand der Côte d'Azur sondern eher in der klimatisierten Hotelhalle, in der mir sogar der Concierge ob seiner Noblesse einen Schauer von Ehrfurcht über den Rücken schickt. Ich erinnere mich mit Schmunzeln an ein Seminarwochenende von Estee Lauder, das ich als ganz junge Verkäuferin in solch einem Hoteltempel verleben durfte.
Eden Roc versprüht also nicht fröhliche Urlaubslaune, mediterrane Fröhlichkeit, oder Lust auf einen belanglosen Flirt, sondern leider sehe ich da eher eine superexclusive Rehaklinik vor mir. Es ist elegant, sauber, ernsthaft, seriös und sicher nichts für Kassenpatienten.

Eben fand ich ein Angebot für 40ml zu 98,00Euro, aber das ist mir der Duft denn doch nicht wert. Klar, er ist auch an heißen Tagen gut tragbar, hat nach dem etwas banalen zitrischen Einstand auch eine interessante Wendung hin zu kühleren und ruhigen Komponenten, ist im Gegensatz zu Sakura oder Rose Kabuki auch gut für Herren tragbar. Aber eine echte Bereicherung der Privée-Reihe ist er denn doch nicht. Und so bleibt mir nur, abzuwarten, was als nächster pastellfarbener Diorduft die unendliche Geschichte weitererzählt.

Was bin ich froh, dass Royal Extract II so teuer ist, dass ich gar nicht erst in Versuchung komme, mir einen Flakon zu leisten. Und was bin ich froh, dass ich mir diese Abfüllung besorgt habe, denn ein allererster Test von einem winzigen Pröbchen hatte mich angefixt und mir bewiesen, dass Tierry Wasser durchaus in der Lage ist, Chpyredüfte zu kreieren und mit Galbanum umzugehen. Sollte es eine Kehrtwende im Trend der Duftnoten geben? Es machte sich schon Hoffnung breit, dass die Durststrecke für uns Galbanum- und Moosliebhaber bald zu Ende gehen könnte.

Ja, wenn ich den Duft aufsprühe bin ich begeistert, ruft er doch die Erinnerung an Klassiker wie Cabochard, N°19 oder Scherrer wach. Ich unterschreibe jedes Wort von Mörderbienes Kommentar. auf solch einen Duft hat die Welt der Chypreliebhaber gewartet. Ich bin auch nicht per se auf der Suche nach dem Haar in der Suppe, nur weil ich mir den Duft nicht leisten könnte. Ich freue mich, dass Guerlain endlich akzeptiert hat, dass es auch jenseits der Fans von Mon Guerlain oder Petit Robe noir noch Duftliebhaber gibt. Wie schön - aber gleichzeitig wie traurig, denn bereits nach relativ kurzer Zeit hat sich der Zauber wie durch Magie verflüchtigt.

Ich bin normalerweise nicht erpicht auf Düfte, die eine Haltbarkeit wie Klebstoff haben. Es stört mich auch nicht, wenn ich im Laufe des Tages immer mal wieder nachsprühen muss, im Gegenteil. Manchmal wechsle ich auch ganz gerne. Aber wenn ich von einem sehnlichst erwarteten Guerlainduft nach 2 Stunden kaum mehr was rieche, dann macht sich Enttäuschung, in diesem Fall aber auch Erleichterung breit, dass dieser königliche Extrakt dann doch nicht auf der Wunschliste gelandet ist.

Herrn Wasser möchte ich zurufen: Ja, die Richtung stimmt, bitte mehr davon und vor allem länger! Und nun gönne ich mir einen Sprühstoß Scherrer.

So wenig wie der Brechtsong - vorzugsweise von der alternden großartigen Milva gesungen - Südseefeeling heraufbeschwört, so wenig erinnert mich der Duft an die Inseln im Wind. Kraftvoll, fast derb und ein kleines bisschen ordinär, das ist der Duft aus der Werkstatt Lehmanns, und auch wenn mit exotischen Duftnoten nicht gespart wurde - es bleibt für mich ein seltsamer Beigeschmack, wirkt fast wie Karrikatur der Südsee und wenn es so gemeint ist, ist es wieder großartig.

Sich bei den Parfums von Harry Lehmann an einer Pyramide entlangzuhangeln ist müßig. Und wenn ich doch ein "so ähnlich wie..." nennen soll, dann kommt mir Femme von Rochas eher in den Sinn als Sous le Vent, aber Surabaya will keines von beiden sein, sondern ist wohl eine Hommage an Seefahrt lange vor der Zeit von Containerschiffen und Kreuzfahrt für jedermann. Vielleicht aber stimmt auch das nicht und Surabaya wurde ganz einfach wegen seines romantischen Klangs als Name für den Duft ausgewählt.

Über den Auftritt der Lehmann'schen Düfte kann man geteilter Meinung sein. Ich gehöre zu den Duftliebhabern, die es durchaus genießen, sich mit einem Parfum ein Stückchen Luxus zu gönnen und vermisse deshalb die Schönheit von Flakons z.B. aus der Werkstatt eines Serge Mansau. Deshalb sehe ich es zwar positiv, dass sich wirklich jeder einen Duft von Lehmann leisten kann, aber so wie ich auch zu Bert Brecht ein zwiespältiges Verhältnis habe, fehlt mir bei den Parfums aus der Kantstr. dann doch ein wenig Kuhdamm oder noch besser Maximilianstr. in München. Da stört mich auch ein Hauch Dekadenz nicht wirklich.

Den Duft nun zu bewerten, das fällt mir schwer und ich lass es auch bleiben. Die Abfüllung werde ich behalten, denn sie erzählt mir eben eine Geschichte, und hin und wieder werde ich die mit einem Tropfen Surabaya weiterspinnen. Als Parfum für mich passt der Duft nicht. Als Beispiel für Harry Lehmanns Kreativität ist er aber großartig.

Tuberosen erlebe ich entweder wie die Trompeten von Jericho, die alle anderen Duftnoten hinwegblasen, raumfüllend und oft sogar bedrängend, oder aber, wenn die Blüte dezent verwendet wird als leises und oft wie ein ein wenig melancholisches Lächeln, in olfaktorische Schönheit exzellent umgesetzt. Es ist erstaunlich, wie sich der Charakter einer Duftnote ändert, wenn man mit der Dosierung spielt.

Hier erlebe ich die gedimmte Version und ich sehe mich fast in eine Szenerie versetzt, zu der auch L`Heure bleue passen könnte. Diffuses Zwielicht, das Umrisse zerfließen lässt, Klänge, vorzugsweise in Moll, die in leichtem Wind verwehen, Farben, die von tiefdunklem Petrol über Smaragd zu zartem Mint changieren. Das ist wunderbar und strahlt eine heilsame Ruhe aus. Ich kann mir diesen Duft nicht am Morgen auf dem Weg zur Arbeit oder für eine ausgelassene Party vorstellen. Floral Veil schafft eine traumhafte Atmosphäre für den Ausklang eines Tages, zufrieden, wenn es ein guter Tag war aber gleichwohl versöhnlich, sollte es mal nicht so sein.

Um grüne Noten nicht banal werden zu lassen und Weißblüher so einzusetzen, dass sie nicht schwül oder gar schwülstig wirken, sondern elegant und mit raffinierter Zurückhaltung, das ist für mich ein Beispiel für echte Parfumeurskunst und es tut mir leid, dass als Parfumeur nur die Duftfirma Robertet angegeben ist und der unbekannte Magier, der das Parfum geschaffen hat, ein Geheimnis bleibt. Angemessen weich klingt der Duft auch aus und ich empfinde es als besonders angenehm, dass die Basis nicht wie so oft versucht, ein neues Kapitel aufzuschlagen und den Charakter des Duftes noch einmal zu ändern. Ich mag Düfte, die beim Thema bleiben und das ist bei Floral Veil wohltuend der Fall.

Bei Düften von Grossmith überlege ich es mir schon zweimal, sie mir zuzulegen. Ich müsste erst darauf sparen und ich denke, das geht nicht nur mir so. Sie hecheln auch keinem der aktuellen Trends hinterher und ich kann mir vorstellen, dass der ein oder andere Duftliebhaber sie vielleicht sogar etwas oberflächlich betrachtet zu uninteressant findet, um so tief ins Sparschwein zu greifen. Das spiegelt sich ja auch hier wider, denn nicht nur die Habe-ich- und die Wunschliste ist bemerkenswert kurz, sondern die überschaubare Merkliste spricht auch eine deutliche Sprache. Ich finde das schade und denke, für Liebhaber beiderlei Geschlechts, die gerne eher ernsthafte florale Parfums zu schätzen wissen, sollte sich ein Test durchaus lohnen.

Meine Abfüllung werde ich jedenfalls mit Genuß zelebrieren und wer weiß....