UntermWert

UntermWert

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16 - 20 von 56
UntermWert vor 2 Jahren 40 33
8
Flakon
7
Sillage
7
Haltbarkeit
10
Duft
Während man das Abenteuer sucht und nicht merkt, dass man eigentlich etwas anderes braucht...
Dass ich den Duft vermissen würde, habe ich erst gemerkt, als ich mein Pröbchen von Cuir de Lancôme weitergegeben und im Rahmen einer Übersprungshandlung einen Fehlkauf getätigt hatte.
Es war quasi akut: während die Bestellung meines Fehlkaufs unterwegs war (ein übermütiger Abstecher in die Indolik), erfreute ich mich der mir geschickten Abfüllung und trug eben diesen 2 Tage lang intensiv und mit allem, was der Alltag momentan zu bieten hat... und es kam, wie es kommen musste: ich war von irgend etwas ordentlich genervt (nicht schwer, bei allem, was der Alltag momentan zu bieten hat) und die zuvor so sanft animalisch blinzelnden Blüten verbanden sich ungünstig mit meinem Genervtsein zu einer irreversiblen indolischen Penetranz...
Noch bevor mich meine Bestellung erreichte, war ich fertig damit.
Nun musste ein Trostduft getragen werden, ein Vertrauer mit Alleswirdgut-Funktion, einer der erdet, zurück in die eigene Mitte führt - thematisch am besten einer, der hautnah, menschelnd, leise... irgendwie so. Aber meine Suche nach einem passenden Moschusduft hatte ich ja auch gerade erst einmal wieder pausiert.

Noch während ich mich einigen meiner liebsten Düfte meiner Sammlung zuwandte, um meine Enttäuschung wegzuregulieren, erinnerte ich mich, unlängst diesen eingestellten Lancôme-Duft getestet zu haben... der war schön gewesen. Aber eben eingestellt. Sogar mit einer Ledernote... ohne, dass Leder drin ist... dafür war der wirklich ausgespochen schön gewesen... Wo ist die Probe?! Ach nee, die hab' ich ja gar nicht mehr - ich mag ja eigentlich keine Lederdüfte... Aber der hatte was gehabt... mit ganz zartem Patchouli... Ach, Patchouli wäre jetzt toll. So in anschmiegsam, nicht kalt erdig. Und außerdem ist der ein HAUTVEREDLER!
Warum hatte ich noch gleich die Probe weggegeben? Ach so ja, der ist eingestellt.
War da nicht neulich im Souk...?! Ja!

Und er war noch da!
Hat ganz geduldig auf mich gewartet!
Heute ist er bei mir eingetroffen. Und ich kann mich gar nicht satt schnuppern!
Der hat alles, was ich gerade brauche, und ich bin mir sicher, der kann noch viel mehr als trösten.


Mit ganz herzlichem Dank an die Parfuma, die ihn mir überlassen hat, und an Gaukeleya, die mal wieder genau meinen Geschmack getroffen hat - und auch diesmal musste ich erst zweimal hinschnuppern um mir klar zu werden, dass das so ist.
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Der Duft eröffnet ganz kurz frisch, um dann aus Safran, Patchouli und Blüten eine würzige und gleichzeitig butterweiche Lederillusion entstehen zu lassen, bei mir ganz sanft rauchig in der Peripherie. Schönes, sauberes, weiches Leder, mal glatt, mal samten, wie diese beliebten Hippie-Wildlederjacken, die wir in den 80ern gerne mal zur Jeans mit Loch im Knie getragen haben (also zu der Zeit, als Loch im Hosenbein noch etwas widerspenstiges, rebellisches und "alternatives" hatte)... Ebenso kann man sich aber auch ein elegant-luxuriöses Lederhandschuh-Understatement während einer Cabrio-Fahrt vorstellen.
Im Verlauf wird Cuir de Lancôme zunehmend glatter, weicher, und cremiger. Wenn man möchte, kann man ein paar Blüten herausriechen, oder einfach weiter die schöne Ledernote "hineinschnuppern". Der Duft schmiegt sich an, und die ganz milde Weissdorn-Animalik lässt ihn förmlich mit der Haut verschmelzen, ein bisschen menscheln, wobei man sich durchweg gepflegt fühlt, aber eben nicht steril-clean. Die Birke kommt bei mir nicht so stark durch, die Iris wirkt eher wurzelig und bildet zusammen mit dem Styrax eine ganz dezent süße Basis (ohne die Unterstützung von Vanille, Benzoe oder Tonka) .

Wundervoll - und warum wurde der jetzt gleich eingestellt?
Meine Bewertung ist inzwischen von 8,5 auf 10 korrigiert worden.
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zum Fehlkauf: da ich nach wie vor finde, dass dieser wunderschön ist und er für meine ungünstige Konditionierung wirklich gar nichts kann, möchte ich an dieser Stelle nicht weiter darauf eingehen, welcher Duft es war. Hat mich 2 Dinge gelehrt: auch zart daher kommende Parfums können eine ungünstige Liaison mit der eigenen Stimmung eingehen, also sollten Trageanlässe neu entdeckter Düfte mit Bedacht gewählt werden... UND: Frau UntermWert, lass das mit den Spontankäufen!
33 Antworten
UntermWert vor 2 Jahren 25 23
7
Sillage
7
Haltbarkeit
8.5
Duft
Herb-würzig-blumig-holzig-frischer, latent animalischer Auraduft mit indifferentem Moschus-Hauch
Pentalogies haben die Düfte ihrer Linie (Etudes 1.1-1.5) den verschiedenen Sinnen gewidmet.
La Vue repräsentiert den Gesichtssinn, das Sehen, und kommt mit überraschender "Unsichtbarkeit" daher - in einem monochromen Universum ohne Konturen. Das Auge als Organ des Kosmos, die Wahrnehmung friedlich und geheimnisvoll. In der Galaxie der Seele treibt die Erkenntnis quasi hindurch.*)

Man braucht eine Weile, bis man sich im leichten Flirren der Duftnoten zurecht findet... ein bisschen wie beim Sehen im Dunkeln - die Fovea Centralis, der Ort des schärfsten Sehens auf der Netzhaut kann bei Dämmerung zunehmend schlechter fokussieren. So ähnlich erlebe ich den Duft, wie permanent in der Peripherie, umhüllend, lockend, aber nie klar zu erkennen.
Nach einem frisch alerten, hellharzig-würzigen Zypressen-Wacholder-auftakt, ein wenig durch Aldehyde verstärkt, wandelt sich La Vue zu einem sanften, erdig-holzigen, gleichzeitig sauberen und verschmitzt animalischen Auraduft. Weich, hell flirrend, nicht direkt greifbar und doch präsent. Irgendwie klar und doch nicht körperlich.
Blüten, Ambrette und Moschus bleiben leicht und luftig. Hier wird man weder zugepudert noch abgeseift, obwohl die Duftnoten Potential dazu hätten, und der Costus nimmt der Komposition die unschuldige Reinheit.
Ein richtig schöner, sehr spannender, transparent-geheimnisvoller Duft. Schwer zu fassen, am ehesten würde ich ihn als herb-würzig-frische, leicht holzige, latent-animalische Aura mit indifferentem Moschus-Hauch beschreiben. Ich würde ihn eher in der wärmeren Jahreszeit tragen. Definitiv unisex.

Ich empfehle unbedingt mal auf der Internetseite der Marke zu stöbern und hoffe, ich habe in meiner rudimentären Beschreibung des fovealen Sehens jetzt keine groben Schnitzer eingebaut. Stäbchen und Zapfen habe ich mal weggelassen ;-)

Mit ganz liebem Dank an DufterMann.

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*) bruchstückhafte Anleihe aus Original-Text der Webseite von Pentalogies; ich entschuldige mich respektvoll für eventuelle Übersetzungsfehler
23 Antworten
UntermWert vor 2 Jahren 64 40
8
Flakon
7
Sillage
7
Haltbarkeit
8
Duft
Spaziergang durch Kindheitserinnerungen auf dem Land
Ein Frühlingsabend auf dem Land. Das Kind hat den ganzen Tag im Heu gelegen, den Wolken am Himmel dabei zugeschaut, wie sie sich zu Märchenfiguren formieren, und hat sich Geschichten ausgedacht. Nun ist es auf dem Heimweg. Es hat einen Wildblumenstrauß gepflückt und spaziert an Wiesen und Höfen vorbei zurück nach Haus. Der Nachbar hat seinen Zaun gestrichen, an der Ecke seines Grundstücks steht eine große Akazie und reckt dem Kind ihre blühenden Äste entgegen. Kurz vor dem Haus nimmt es seine Schuhe unter den Arm und läuft barfuß über den vermoosten Rasen in die weit geöffneten Arme seiner Mutter.
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L'Eau de Merzhin bezieht sich auf ein "vegetal poem on a dry hay bed" und erfasst olfaktorische Kindheitserinnerungen von Streifzügen durch die bretonische Landschaft. *)

Der Duft eröffnet bitter-grün-herb mit der Angelika und dem Galbanum, weckt aber auch irgendwie ganz kurz einen Eindruck von Lösungsmittel, ein wenig so, als hätte jemand seinen Gartenzaun gestrichen - ich rieche Gräser, Pflanzen und Farbe.
Dann, ganz langsam wird der Duft von geschnittenem Heu stärker und die Akazie blüht hindurch; der Duft bekommt etwas leichtes, grünes, wie ein Bad im Heu im späten Frühling. Zur Akazienblüte gesellt sich im Verlauf der Weißdorn mit süßlicher Indolik, was m.E. wunderbar passt, aber vielleicht erklärt, warum manche hier einen eher unangenehmen Geruch von feuchtem (u.U. sogar gammelndem) Heu wahrnehmen. Mir geht es zum Glück nicht so, aber nachdem ich gerade ein bisschen zum Weißdorn recherchiert habe, scheint es bei dieser Note wohl sehr auf die ganz persönliche Wahrnehmung anzukommen, ob man sie eher honiglich süß oder unangenehm, eventuell sogar müffelig erlebt. Für mich duftet es wie blühende Bäume. Auf Armlänge sind eher holzig-grasige Noten wahrnehmbar. Alles bleibt dabei eher leicht und unwuchtig. Iris, Moos und grünes Heu in der Basis geben dem Duft etwas sehr angenehm entschleunigendes. Tonkabohne nehme ich kaum wahr - bei diesem insgesamt grün-krautigen Szenario ist mir das nur recht.

L'Eau de Merzhin ist ein sehr spannender Duft, tendenziell eher für die wärmere Jahreszeit, und erinnert mich mit den grünen Heu-Noten ein bisschen an Mal Aimée - er gefällt mir aber sogar ein bisschen besser. Ich vermute, der Weißdorn ist hier das "kritische Element", bei dem man nur durch sorgsames Testen für sich herausfinden muss, ob man sich insgesamt damit wohl fühlt. Für Freunde grüner Gras- und Heunoten unbedingt einen Test wert.
Meines Erachtens wieder ein sehr gelungener Lebreton mit spannendem Verlauf und toll aufeinander abgestimmten Duftkomponenten.

(mit liebem Dank an Susan)

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*) s.auch ALzD und Internet-Seite von Anatole Lebreton
40 Antworten
UntermWert vor 2 Jahren 14 13
7
Sillage
8
Haltbarkeit
8
Duft
Unlieblich, unpudrig, ein bisschen schroff, aber trotzdem Iris
Ein Bild habe ich zu diesem Duft gerade nicht, vielleicht wieder eine Holzwerkstatt. Warm, spätsommerliches Licht fällt durch getrübte Fensterscheiben. Es ist still und etwas staubig.

Nur eine kurze Beschreibung: Iris, Zeder und Pfeffer eröffnen keck und forsch. Zusammen mit der Ledernote und dem leise aus der Basis hervor wurzelnden Eichenmoos entsteht fast schon ein "kreuzkümmeliger" Eindruck. Dieser hält sich relativ lange.In Kombination mit der Iris hier eine ungewöhnlich würzige Interpretation. Spannend. Die Rose nehme ich kaum wahr, alles bleibt zunächst trocken-würzig-holzig. Fast schon schroff. Die Vanille gibt im Verlauf zusammen mit dem Sandelholz ein wenig Süße dazu. Patchouli, Birke und Eichenmoos, ebenfalls in der Basis halten den Duft aber insgesamt krautig-würzig. Im Verlauf erinnert mich REA ein wenig an Nightscape von Ulrich Lang. Die Iris ist nicht blumig oder pudrig, gibt dem Duft aber ihren Charakter. Später dominieren bei mir die holzigen Noten und das Eichenmoos. Der Duft wird immer ruhiger, entspannter und weicher.
M.E. sehr interessant für Freund:innen von Holz- und Lederdüften, Iris sollte man grundsätzlich gegenüber aufgeschlossen sein, ich könnte mir aber auch durchaus vorstellen, dass bei anderen Träger:innen vielleicht die anderen Blüten oder sogar der Lavendel mehr in den Vordergrund kommen.
Unbedingt testenswert, auch wenn es nicht ganz mein Duft ist. Sehr ungewöhnlich und mit einem wirklich schönen Verlauf.

(mit liebem Dank an Susan … ich empfehle auch unbedingt ihre Rezension zu REA)
13 Antworten
UntermWert vor 2 Jahren 32 27
9
Flakon
7
Sillage
8
Haltbarkeit
10
Duft
Gratwanderung zwischen Verruchtheit und privater Intimität
Vor dem Spiegel der Frisierkommode sitzt eine alte Frau, gedankenverloren in bittersüßer Melancholie und Erinnerungen an die Zeit, in der sie sich dort fein gemacht hatte. Damals hatte sie von der Avon-Beraterin einen edlen Lippenstift erworben. Für gut, wenn sie ausgegangen ist, oder auf eine Feier. Vielleicht ins Theater. Sie hatte damals nur ein einziges Parfüm. Einen Veilchenduft. Der vermischte sich dann mit dem dezenten Geruch ihrer Creme und dem des Lippenstifts. Das Spiegelbild zeigt die junge Frau. In ihrem guten Kleid mit den feinen Ohrringen, glatte weiche Haut, die Lippen rosenholzfarben geschminkt. Auf dem Schoß liegen ihre butterweichen, ledernen Sommerhandschuhe.
Die Frisierkommode steht im Schlafzimmer. Ein Lächeln huscht über ihr Gesicht.
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Incarnata verdient es, dass man sich Zeit nimmt, den Duft richtig kennen zu lernen und zu erschließen. Er hat etwas altmodisches - nicht nur einen faszinierenden Verlauf, er ist auch wesentlich mehr als "pudrig-süß", wie oben in der Duftbeschreibung angegeben.
Die Assoziation mit Kosmetika altvergangener Tage kommt m.E. durch die pudrig-cremige, fast wachsige Iris (und das hier dezent damit verwobene Veilchen), aber auch durch die sehr feine Ledernote zustande. Im Auftakt riecht man kurz den typischen Lippenstift von Annodazumal, im Hintergrund Rhododendron und feine kleine lila Blüten-Sprengsel. Im Verlauf entfalten sich langsam blumige und Haut-Noten und geben dem Duft eine m.E. eher leise, diskret erotische Animalik, durch die er die unschuldige, vornehm-cleane Cremigkeit verliert. Die Basisnoten klingen wunderbar sanft-präsent aus; zu meiner Freude ist die Kombination Amber-Benzoe-Vanille (eigentlich meine Endgegner-Kombi) nicht so schwer und auch nicht zu süß. Ich vermute, durch die Ledernote scheint auch der "Skin"-Effekt zu entstehen. Incarnata erinnert mich ein wenig an Fleur de Peau (Diptyque). Ein "Haut"-Duft, der nicht einfach nur seifig, clean und frisch gewaschen wirkt, sondern auch Geschichten erzählt, ohne ins animalisch-schweißig-müffelige abzudriften. Der Duft kokettiert mit der Gratwanderung zwischen Verruchtheit (wenn man einem Bild von Varieté-Garderobe folgen will) und privater Intimität.

Zieht mal bei mir ein... und dann mal schauen, was mir die Frisierkommode erzählt.

(mit liebem Dank an Susan)

... musikalische Untermalung könnte "Thursday's Child" von David Bowie sein...
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Nachtrag 1: ich trage ihn nun seit einigen Wochen und mag den Duft jeden Tag mehr. In der kalten Jahreszeit ist die Süße sehr angenehm. Deshalb ändere ich meine Bewertung auf 10. (Winter)
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Nachtrag 2: nachdem ich ein paarmal zaghaft am Flakon geschnuppert hatte, hat Incarnata den Sommer brav im Dunklen verbracht - es wäre mir unvorstellbar gewesen, ihn bei Hitze zu tragen; gerade verändert sich das Wetter und ein zarter, frischer Hauch von Frühherbst liegt in der Luft. Ich mache einen Direktvergleich mit "Vermeil (2021) | Bienaimé" , dem ich eine gewisse Ähnlichkeit zugesprochen hatte (was die Lippenstiftiris angeht): tatsächlich empfinde ich Incarnata deutlich kräftiger und irgendwie tiefgründiger, Vermeil im Verlauf pudriger und auch ein bisschen seifig. Beide sind wunderschön. Incarnata bekommt heute wieder eine 10, und ich bin sehr froh, ihn in meiner Sammlung zu haben.
27 Antworten
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