11.12.2021 - 07:42 Uhr
UntermWert
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UntermWert
Top Rezension
32
Gratwanderung zwischen Verruchtheit und privater Intimität
Vor dem Spiegel der Frisierkommode sitzt eine alte Frau, gedankenverloren in bittersüßer Melancholie und Erinnerungen an die Zeit, in der sie sich dort fein gemacht hatte. Damals hatte sie von der Avon-Beraterin einen edlen Lippenstift erworben. Für gut, wenn sie ausgegangen ist, oder auf eine Feier. Vielleicht ins Theater. Sie hatte damals nur ein einziges Parfüm. Einen Veilchenduft. Der vermischte sich dann mit dem dezenten Geruch ihrer Creme und dem des Lippenstifts. Das Spiegelbild zeigt die junge Frau. In ihrem guten Kleid mit den feinen Ohrringen, glatte weiche Haut, die Lippen rosenholzfarben geschminkt. Auf dem Schoß liegen ihre butterweichen, ledernen Sommerhandschuhe.
Die Frisierkommode steht im Schlafzimmer. Ein Lächeln huscht über ihr Gesicht.
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Incarnata verdient es, dass man sich Zeit nimmt, den Duft richtig kennen zu lernen und zu erschließen. Er hat etwas altmodisches - nicht nur einen faszinierenden Verlauf, er ist auch wesentlich mehr als "pudrig-süß", wie oben in der Duftbeschreibung angegeben.
Die Assoziation mit Kosmetika altvergangener Tage kommt m.E. durch die pudrig-cremige, fast wachsige Iris (und das hier dezent damit verwobene Veilchen), aber auch durch die sehr feine Ledernote zustande. Im Auftakt riecht man kurz den typischen Lippenstift von Annodazumal, im Hintergrund Rhododendron und feine kleine lila Blüten-Sprengsel. Im Verlauf entfalten sich langsam blumige und Haut-Noten und geben dem Duft eine m.E. eher leise, diskret erotische Animalik, durch die er die unschuldige, vornehm-cleane Cremigkeit verliert. Die Basisnoten klingen wunderbar sanft-präsent aus; zu meiner Freude ist die Kombination Amber-Benzoe-Vanille (eigentlich meine Endgegner-Kombi) nicht so schwer und auch nicht zu süß. Ich vermute, durch die Ledernote scheint auch der "Skin"-Effekt zu entstehen. Incarnata erinnert mich ein wenig an Fleur de Peau (Diptyque). Ein "Haut"-Duft, der nicht einfach nur seifig, clean und frisch gewaschen wirkt, sondern auch Geschichten erzählt, ohne ins animalisch-schweißig-müffelige abzudriften. Der Duft kokettiert mit der Gratwanderung zwischen Verruchtheit (wenn man einem Bild von Varieté-Garderobe folgen will) und privater Intimität.
Zieht mal bei mir ein... und dann mal schauen, was mir die Frisierkommode erzählt.
(mit liebem Dank an Susan)
... musikalische Untermalung könnte "Thursday's Child" von David Bowie sein...
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Nachtrag 1: ich trage ihn nun seit einigen Wochen und mag den Duft jeden Tag mehr. In der kalten Jahreszeit ist die Süße sehr angenehm. Deshalb ändere ich meine Bewertung auf 10. (Winter)
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Nachtrag 2: nachdem ich ein paarmal zaghaft am Flakon geschnuppert hatte, hat Incarnata den Sommer brav im Dunklen verbracht - es wäre mir unvorstellbar gewesen, ihn bei Hitze zu tragen; gerade verändert sich das Wetter und ein zarter, frischer Hauch von Frühherbst liegt in der Luft. Ich mache einen Direktvergleich mit Vermeil (2021) , dem ich eine gewisse Ähnlichkeit zugesprochen hatte (was die Lippenstiftiris angeht): tatsächlich empfinde ich Incarnata deutlich kräftiger und irgendwie tiefgründiger, Vermeil im Verlauf pudriger und auch ein bisschen seifig. Beide sind wunderschön. Incarnata bekommt heute wieder eine 10, und ich bin sehr froh, ihn in meiner Sammlung zu haben.
Die Frisierkommode steht im Schlafzimmer. Ein Lächeln huscht über ihr Gesicht.
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Incarnata verdient es, dass man sich Zeit nimmt, den Duft richtig kennen zu lernen und zu erschließen. Er hat etwas altmodisches - nicht nur einen faszinierenden Verlauf, er ist auch wesentlich mehr als "pudrig-süß", wie oben in der Duftbeschreibung angegeben.
Die Assoziation mit Kosmetika altvergangener Tage kommt m.E. durch die pudrig-cremige, fast wachsige Iris (und das hier dezent damit verwobene Veilchen), aber auch durch die sehr feine Ledernote zustande. Im Auftakt riecht man kurz den typischen Lippenstift von Annodazumal, im Hintergrund Rhododendron und feine kleine lila Blüten-Sprengsel. Im Verlauf entfalten sich langsam blumige und Haut-Noten und geben dem Duft eine m.E. eher leise, diskret erotische Animalik, durch die er die unschuldige, vornehm-cleane Cremigkeit verliert. Die Basisnoten klingen wunderbar sanft-präsent aus; zu meiner Freude ist die Kombination Amber-Benzoe-Vanille (eigentlich meine Endgegner-Kombi) nicht so schwer und auch nicht zu süß. Ich vermute, durch die Ledernote scheint auch der "Skin"-Effekt zu entstehen. Incarnata erinnert mich ein wenig an Fleur de Peau (Diptyque). Ein "Haut"-Duft, der nicht einfach nur seifig, clean und frisch gewaschen wirkt, sondern auch Geschichten erzählt, ohne ins animalisch-schweißig-müffelige abzudriften. Der Duft kokettiert mit der Gratwanderung zwischen Verruchtheit (wenn man einem Bild von Varieté-Garderobe folgen will) und privater Intimität.
Zieht mal bei mir ein... und dann mal schauen, was mir die Frisierkommode erzählt.
(mit liebem Dank an Susan)
... musikalische Untermalung könnte "Thursday's Child" von David Bowie sein...
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Nachtrag 1: ich trage ihn nun seit einigen Wochen und mag den Duft jeden Tag mehr. In der kalten Jahreszeit ist die Süße sehr angenehm. Deshalb ändere ich meine Bewertung auf 10. (Winter)
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Nachtrag 2: nachdem ich ein paarmal zaghaft am Flakon geschnuppert hatte, hat Incarnata den Sommer brav im Dunklen verbracht - es wäre mir unvorstellbar gewesen, ihn bei Hitze zu tragen; gerade verändert sich das Wetter und ein zarter, frischer Hauch von Frühherbst liegt in der Luft. Ich mache einen Direktvergleich mit Vermeil (2021) , dem ich eine gewisse Ähnlichkeit zugesprochen hatte (was die Lippenstiftiris angeht): tatsächlich empfinde ich Incarnata deutlich kräftiger und irgendwie tiefgründiger, Vermeil im Verlauf pudriger und auch ein bisschen seifig. Beide sind wunderschön. Incarnata bekommt heute wieder eine 10, und ich bin sehr froh, ihn in meiner Sammlung zu haben.
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