Valrahmeh
Valrahmehs Blog
vor 6 Jahren - 26.04.2018
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Was ist Stil? Oder das Todesurteil der Anwältin


Es standen mal wieder die großen Ferien an, die in Frankreich sagenhafte neun Wochen dauern. Mein Vater fand diese Zeitspanne wie jedes Jahr unmöglich und beklagte sichanlässlich einer der üblichen Apéro-Einladungen bei unseren Nachbarn über diese "schreckliche Freizeit" für seine 16-jährige Tochter.

Unser Nachbar, Jean-Philippe, war ein erfolgreicher Anwalt mit einem großen schicken Büro in der Rue de Varenne und schlug vor, ich könne doch bei ihm "Akten abstauben, Kaffee holen und mich ein bisschen nützlich machen".

Ich fand die Idee super und rückte gleich am ersten Ferientag in weißer Bluse, grauem Faltenrock und Coco Mademoiselle bei ihm an. Ich hatte unseren Nachbarn bisher immer als umgänglichen, freundlichen Menschen erlebt, zudem war ich mit seinen beiden Töchtern befreundet.

Doch in seinem Büro kehrte Jean-Philippe den Boss raus und benahm sich seinen Angestellten gegenüber ziemlich unfreundlich und herrisch. Zu mir war er hingegen superfreundlich, was mir reichlich peinlich war.

Er teilte mich seiner rechten Hand zu, einer todschicken Anwältin um die 40 mit adligem Namen – ich glaube „de Saint Maur“, ich hab's vergessen, jedenfalls durfte ich in ihrem großen Büro sitzen und ihre Akten ordnen.

Sie trug ihre Haare hochgesteckt zu einem Knoten, aus dem dekorativ ein paar blonde Strähnen herausfielen, roch nach Joy und trug wild gemusterte Hermès-Seidenblusen zu schmalen Max-Mara-Hosen.

Sie hatte hochmütige grün-braune Augen und konnte gegenüber nervigen Klienten ziemlich ironisch sein. Sie prüfte meine literarische Bildung, wollte wissen, was ich gerade lese und erkundigte sich beiläufig nach meinen Eltern. Am Ende befand sie wohl alles für passabel und bot mir an, sie Marie-Hélène zu nennen. Wir verstanden uns gut, ich tat, was sie sagte - und sie sagte ziemlich wenig.

Und dann passierte es.

Jean-Philippe, der Boss, dampfte am Montag morgen wieder durch seine Büro-Räume, pampte seine Angestellten an und machte auch vor Marie-Hélène nicht Halt.

Er riss unvermittelt die Tür zu „unserem“ Büro auf: „Bei Ihnen sieht es immer aus wie in einem Bordell“ schrie er, „überall liegt alles herum. Machen Sie hier mal Ordnung. Das ist ja furchtbar“ und knallte die Tür wieder zu.

Mir war der Auftritt saupeinlich, denn ich war als 16-jährige Aushilfspraktikantin Zeugin geworden, wie er eine Top-Anwältin herunterputzte. Und was machte Madame de Saint Maur?

Sie verzog keine Miene. Dafür wedelte sie mit ihrer manikürten Hand in der Luft herum, drehte sich mit angeekeltem Gesicht zu mir um und sagte: „Mais qu’est ce qu’il a comme Eau de Cologne?“ („Was trägt der denn für ein Rasierwasser?“).

Wir guckten uns an - und ich sagte nach einer angemessenen Pause: „Ich werde es für Sie herausfinden.“

Natürlich hat sie nichts darauf geantwortet.

Es war kein Problem, sich über die befreundeten Töchter Zutritt ins Haus unserer Nachbarn zu verschaffen, allerdings musste ich einige List anwenden, um ins Bad zu gelangen. Da in Frankreich Toilette und Bad getrennt sind, und es keinen vernünftigen Grund für mich gab, im Bad meiner Nachbarn herumzuschnüffeln, musste ich mir schon was ausdenken. Also erfand ich etwas mit Zahnweh und Mundwasser, bat, mir etwas nehmen zu dürfen… und dann husch, husch, in den Schrank geguckt… Das Zeug hieß Mennen, wird in Frankreich hergestellt und in französischen Supermärkten verkauft.

Ich wartete am nächsten Tag erst mal ein paar Stunden ab, machte brav meine Arbeit - und erwähnte dann beiläufig: „Übrigens, ich habe mal nach dem Rasierwasser geschaut“.

Marie-Hélène tat erst, als höre sie nichts, drehte sich dann desinteressiert herum, fixierte mich mit kalten Bernsteinaugen und sagte -- nichts.

Ich machte wieder eine längere Pause und sagte dann: „Das Zeug heißt Mennen.“Pause „ Klebte noch der Preis vom Carrefour dran.“

Wieder ein paar Minuten Pause. Dann sagte Marie-Hélène eisig: „Ich weiß, dass er keinen Stil hat.“

Es war ein Todesurteil.

Wie haben diese Geschichte nie mehr erwähnt. Aber wenn Jean-Philippe wieder herumtrampelte, schauten wir uns an und dachten: „Mennen….“

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