Valrahmeh
Valrahmehs Blog
vor 7 Jahren - 02.08.2018
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Das Grauen aus der Flasche

Murielle, die Cousine meiner Mutter, hatte in den 70er Jahren einen wohlhabenden Banker aus Washington geheiratet. Sie schickte uns gerne Fotos von ihrem Domizil in Virginia, einem nachgebauten weißen Kolonialhaus mit Säulen und einer Veranda davor. In meiner Fantasie war Murielle so eine Art Melanie Wilkes, die außerhalb von Raum und Zeit auf Twelve Oaks lebte. Später habe ich sie mal kurz besucht, und nichts war so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Von Südstaatenromantik keine Spur, statt dessen Geheul, Geschrei und Türenknallen. Ihre beiden Jungs waren damals in der Pubertät, und ich fand die amerikanische Provinz grauenhaft.

Aber erst einmal hatte Tante Lalla, wie wir Kinder sie nannten, ihren Besuch bei uns im Pariser Vorort Neuilly angekündigt. Während mein Vater sich ernsthaft Gedanken machte, ob Murielle sich mit einem 20 Quadratmeter großen Gästezimmer zufrieden geben würde, nahm meine Mutter den Besuch sehr gelassen hin: "Murielle soll sich bloß nicht aufplustern. Ihre Eltern haben immer nur billigen Rotwein getrunken, so ein Fusel wäre bei meinem Vater nie auf den Tisch gekommen."

Wenn ich daran denke, dass der Besuch schon über 30 Jahre her ist, war Tante Lalla ihrer Zeit weit voraus. Als wir sie in Roissy am Flughafen abholten, konnte meine Mutter nur mit Mühe ihr Entsetzen verbergen: Murielle war rappeldürr, braun, sportlich gestählt und wirkte wie eine Mischung aus Ötzi und Usein Bolt.

Mein Bruder und ich waren maßlos enttäuscht, wir hatten uns eine feenhafte Erscheinung vorgestellt, so eine Art Grace Kelly oder Cathérine Deneuve in einem weiß glitzernden Cocktailkleid von Dior und spitzen Schuhen mit hohen Absätzen, die uns huldvoll jeweils 2 bises (Küsschen links und rechts) an die Wange hauchen würde, umhüllt von einer Wolke Rosenduft.

Statt dessen sagte sie nur "Hi, folks", gab uns ihre trockene Knochenhand und tat sehr amerikanisch. Sie fragte, ob wir ein "cab" geordert hätten, worauf meine Mutter sagte : "Nein, nur unseren Citroën. Deine Eltern hatten doch so ein lustiges, altes Citroën-Modell, das am Col de la Bonette immer den Geist aufgab, ich weiß nur nicht mehr, wie das hieß". Wir Kinder verstanden nicht, warum mein Vater sich das Lachen verbiss, aber irgendwie hielt Tante Murielle danach den Mund bis Neuilly.

In den nächsten Tagen verbrachte Tante Murielle ihre Zeit mit Joggen, was vor 30 Jahren noch reichlich unbekannt war, jedenfalls fanden die Nachbarn es komisch, dass eine dürre Frau in rosa Sportkleidung in der Mittagszeit um die Häuser hechelte. Sie sei Amerikanerin, hieß es dann entschuldigend. Außerdem aß sie nur Gemüse, weder Fleisch noch irgend etwas Tierisches, heute nennt man das vegan. Und dann passierte es.

Wir planten, am Wochenende nach Honfleur zu fahren, um bei Ebbe am Strand zu toben, Meeresfrüchte zu essen und es uns gut gehen zu lassen. Murielle schien irgendwie zu denken, dass wir etwas Vornehmes vorhätten und zog sich einen schicken blau-weißen Hosenanzug an. Außerdem hatte sie erstmals Parfum benutzt - oder etwas, das sie dafür hielt.

Mir schwappte jedenfalls auf dem Weg zum Auto ein Schwall bösartiger Schimmel-Gewürze entgegen, die so grauenhaft waren, dass ich zu husten begann. Mein kleiner Bruder schüttelte sich. Ich war so naiv anzunehmen, dass Tante Lalla das Zeug ebenfalls furchtbar fand, und sagte: "Du willst dich bestimmt noch kurz waschen wegen diesem Geruch?" Sie schaute uns irritiert an. "So kann ich nicht ins Auto steigen", ergänzte mein Bruder und schob die Unterlippe vor.

"Deine Kinder haben etwas gegen mein Parfum", sagte sie zu meiner Mutter. Die ließ sich von ihrer Cousine nicht einschüchtern und meinte: "Das stinkt ja infernalisch. Das kann kein französisches Parfum sein. Sag bitte nicht, dass du da drüben amerikanisches Zeug benutzt?" "Das ist ein Klassiker", ärgerte sich Tante Lalla, "es heißt Youth Dew" . Wir verstanden kein Wort: Juusdjuu? Was sollte das sein? Schimmelwand mit Kardamom? Mein Vater hupte ungeduldig, und wir stiegen am Ende alle ein, weil wir ans Meer wollten.

Was soll ich sagen? Die zwei Stunden in einem schlecht belüfteten Auto mit Juusdjuu waren die Hölle, eine Art olfaktorische Hinrichtung. Das Auto roch, als hätte man es aus einem Sumpfgewässer gezogen, anschließend mit indischen Waren befüllt und dann eine Woche zum Trockenen in die Sonne gestellt.

Kurz hinter der Ausfahrt von Bonnières sur Seine musste sich mein Bruder übergeben, zum Glück konnte mein Vater rechtzeitig anhalten. Später bedauerte mein Bruder, Tante Lalla aus Rache nicht in den Kragen gekotzt zu haben. Ich kämpfte stumm mit Kopfweh und Übelkeit. Als wir in Honfleur ankamen, konnte ich nichts essen, dabei hatte ich mich so auf einen Teller Langoustines mit Mayonnaise im "L'Escale" gefreut. Mir war, als hätte man meine Sinne ausgeschaltet, ich wollte nichts schmecken, nichts riechen und nichts mehr anfassen.

Bei einer Wattwanderung legte sich schließlich die Übelkeit. Meine Mutter zischte ihrer Cousine ins Ohr: "Wenn Du dieses Zeug noch einmal benutzt, kannst Du alleine nach Hause fahren."

Mein Vater behauptete später immer, an seiner Lüftungsanlage sei etwas schimmelig gewesen, meine Mutter erwähnte ihre Cousine nicht mehr allzu oft - und mein Bruder und ich hatten einen Youth-Dew-Schock fürs Leben abbekommen. Sehr viel später habe ich mit mal ein Herz gefasst und an einem Sprühflakon-Kopf gerochen. Ich fand Youth Dew immer noch unangenehm, aber nicht mehr lebensbedrohlich. Was weiß ich, was die Lauder-Laboranten vor 30 Jahren zusammengemixt haben. Meine Mutter meinte jedenfalls, Leute, die billigen Rotwein in sich reinschütteten, verstünden auch nichts von Parfum.

25 Antworten
MonsieurTestMonsieurTest vor 4 Jahren
Überaus anschaulich beschrieben und großartig erzählt,
Klasse.
StanzeStanze vor 7 Jahren
Sehr schöne Geschichte, unterhaltsam geschrieben.
MokkaMokka vor 7 Jahren
Das Grauen hat also einen Namen. Es ist mir nie unter die Nase gekommen, stelle es mir aber ähnlich schlimm vor einige Rosendüfte
VerbenaVerbena vor 7 Jahren
Was für ein herrlicher Lesegenuss. Ich habe mich glänzend amüsiert. P.S. Ich habe großen Respekt vor Youth Dew, aber manchmal traue ich mich ran. :)
TroemmerTroemmer vor 7 Jahren
TOP-3 meiner Kindheit: 3) der Käseladen in der Friedrichstraße (einatmen, Nase zuhalten, vorbeirennen), 2) Das warme Gebläse vorm Rolltreppen-Eingang bei der Quelle, 1) die Mama von der Nadja. Die kettenrauchende Parfümfrau der 80er (vgl. > Frisurenmann) gibts ja zum Glück nicht mehr. Jüngere machen sich keinen Begriff, was es hiess von denen wohinkutschiert zu werden.
HasiHasi vor 7 Jahren
Sehr amüsant geschrieben! :)
SeeroseSeerose vor 7 Jahren
Oh, wie ich Euch verstehe, ich fand dieses Zeug total schrecklich, so erdrückend-bedrückend, einfach zu dolle. Sonst hat mich Parfüm früher nie interessiert, ich konnte nichts damit anfangen. Aber An die Begegnung mit Youth Dew erinnere ich mich. Und ich dachte, dass sei verdorben. Es war ein Mini, aus dem mir jemand die "Jungbrunnentropfen" auftupfte. Das heutige ist nicht mehr so schlimm, aber man hat davon ein "Trauma"
GlobomanniGlobomanni vor 7 Jahren
Nicht nur Serafina mag Youth Dew - ich auch und sogar sehr. Geschmäcker sind halt verschieden.
OhdeberlinOhdeberlin vor 7 Jahren
Ha, köstlich ! gerne gelesen ...
HappyNatureHappyNature vor 7 Jahren
Jetzt weiss ich auch, warum ich vor 30 Jahren von einer doppelzüngigen ungeliebten Kollegin diesen Duft aus den Staaten mitgebracht bekam. Sie wollte mich strafen
LimoamaniLimoamani vor 7 Jahren
Klasse! Wunderbare Geschichte
AolaniAolani vor 7 Jahren
hab mich sehr amüsiert, obwohl das damals nicht so lustig war. Deine Eltern find ich klasse - wie die mit Euch und der Cousine umgingen...schmunzel...Jugendtau-Pokal!
Ju66Ju66 vor 7 Jahren
*Lach* Das Zeugs ist aber auch wirklich „speziell“. Für mich auch heute noch unerträglich...Vielen Dank für diese amüsante Geschichte.-))
CravacheCravache vor 7 Jahren
Wunderbar geschrieben, scharfzüngig-charmant und witzig. Meine Mutter achtete damals darauf, dass meine Schwester und ich täglich ein (1) Glas ordentlichen Rotwein vorgesetzt bekamen. Und sie bestand auf eine denzent-elegante Parfumierung. Natürlich französische Parfums (Cartier, Dior, YSL) - und zu Weihnachten/Geburtstag etc. gab es sozusagen das textile Trägermaterial dazu.
AventurinAventurin vor 7 Jahren
Wie schön, wieder etwas von dir zu lesen! Vielen Dank für diesen wunderbaren kleinen Einblick in deine Kindheit.
ExUserExUser vor 7 Jahren
Ich schmeiss mich weg.....:-) u. ich mag die trockene Art Deiner Mutter.
Danke für den Lacher in meiner Pause.
SerafinaSerafina vor 7 Jahren
ich mag ja "Youth Dew" - an kalten Winterabenden. Aber für einen Ausflug mit jungen Leuten im nicht-klimatisierten Auto - ein no go!
Danke für die unterhaltsame Story!
FirstFirst vor 7 Jahren
Supergut geschrieben! Dabei finde ich Juusdjuu echt ganz gut....hatte den sogar mal, aber die neue, offensichtlich gezähmte Variante :-)
ErnoErno vor 7 Jahren
Einfach wunderbar, danke! :)
MarquisMarquis vor 7 Jahren
Hahaha...genial, ich lache noch immer Tränen. Vielen Dank für diese Geschichte. :)
ClarissaClarissa vor 7 Jahren
Was für eine herrliche Geschichte, es hat sehr viel Spaß gemacht sie zu lesen:-)))
DuftsuchtDuftsucht vor 7 Jahren
Ich habe gerade eine (wie meine Mutter anmerken würde) äußerst undamenhafte Kicherattacke...... Wundervolle Geschichte!
BlauemausBlauemaus vor 7 Jahren
*ggg* Nachdem ich mich über eine Stunde über das Video-Schneideprogramm am PC geärgert habe, ist meine Laune dank Dir wieder im normalen Bereich angelangt. Danke dafür! :)))))))
Naimie54Naimie54 vor 7 Jahren
Ich krieg mich nicht mehr ein.:))
FrauLohseFrauLohse vor 7 Jahren
Herrliche Geschichte. Ich lehne mich derweil zurück und lasse den letzten Satz auf der Zunge zergehen, während an mir gleich bestimmt Juusdjuu Anhänger vorbei laufen werden. :-)