Valrahmeh

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6 - 10 von 24
Valrahmeh vor 6 Jahren 63 19
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Duft
Ich will mein Pérubore zurück
Wenn ich als Kind krank war, gingen wir immer zu Doktor Landau. Er hatte eine kleine Praxis am Blvd de Courcelles, und man konnte von seinem Wartezimmer aus in den Parc Monceau blicken. Das fand ich immer besonders interessant, vor allem wegen der spielenden Kinder. Doch wir warteten nie lange, denn Dr. Landau war schon fast 70 und empfing nur noch Freunde und Bekannte, so dass man immer gleich dran kam. Dr. Landau stammte aus Dresden, floh 1938 vor den Nazis und beendete später sein Medizinstudium in Paris.

Sein Französisch klang seltsam, sein Deutsch auch, mein Vater sagte uns, das sei sächsisch. Während ein französischer Arzt kein Problem damit hat, seinen Patienten eine ganze Latte von Antibiotika und Paracetamol-Bömbchen aufs Rezept zu schreiben, setzte Landau immer auf die "Selbstheilungskräfte". Meine Mutter kann das Wort bis heute nicht aussprechen.
Obwohl meine Dauerkrankheit darin bestand, von Oktober bis April eine Streptokokken-Kolonie in meinen Nasennebenhöhlen zu beherbergen, brachte es Dr. Landau nicht fertig, diese lästigen Biester mit einem Antbiotikum zur Strecke zu bringen. Er verschrieb Schlammpackungen und Inhalationen. Darunter ein Mittel, das sich Pérubore nannte.

Man löste eine Sprudeltablette Pérubore in heißem Wasser auf, kriegte ein Handtuch über den Kopf und musste die Dämpfe einatmen. Pérubore duftete für mich als Kind sanft und pudrig nach einem vanilligen, exotischen Baum aus einem fernen Zauberwald der Inkas.
Ich konnte gar nicht genug davon bekommen und inhalierte das Zeug mindestens zwei Mal am Tag. Es hatte, wie auf der Packung stand, einen hohen Anteil an Perubalsam. Nicht, dass ich davon irgendetwas verstand, aber das exotische Wort Perubalsam, der cremige Vanille-Balsam-Duft und meine Mußestunden unter einem dunklen Handtuch verdichteten sich zu einer angenehm müden und weichen Kindheitserinnerung.

Ich habe mir später mal Pérubore gekauft und war entsetzt: die zart sprudelnden Tabletten wurden inzwischen durch Weichkapseln ersetzt, die ein stechendes Lavendel-Eukalyptus-Öl enthalten, grauenhaft.

Mein heißgeliebtes Pérubore schien auf immer verloren.

Bis mir kürzlich in der Parfumerie Bouteille in Cannes eine Werbedame von Atelier des Ors einen Spritzer Lune féline verpasste. Ich dachte, ich würde mit Lichtgeschwindigkeit zu Dr. Landau und meinen Inhalationen katapultiert werden.
Nur war das, was ich da roch, noch feiner, intensiver und sogar richtig elegant. Mein ohnehin schon sanftes, süßes Kinder-Perubalsam wurde durch exzellente Vanille geadelt, mit Holz und etwas Zimt abgerundet.

Ich bin längst erwachsen geworden - und mein Pérubore ist mitgewachsen und heißt jetzt Lune féline.

Es ist immer noch ein sanfter, müder, weicher Duft, der gleichzeitig aber auch etwas sehr Wertvolles und Elegantes an sich hat, was vermutlich am Holz liegt. Etwas Dunkles, Stilles, geht von ihm aus, nur sitze ich nicht mehr unterm Handtuch, sondern unterm Sternenzelt, es ist warm und kein Lüftchen regt sich. Es könnte in der stillen Villa eines französischen Plantagenbesitzers in Indochina sein, ich schaukele leise in einer Hängematte, aus dem oberen Stock weht ein leichter Duft von Opium herüber, der sich mit dem Geruch von Styrax aus dem kleinen Buddha-Altar im Erdgeschoss verbindet.

Mag sein, dass eine Katze hinter dem Gestrüpp am Ufer des Mekong hervorschaut, in deren Augen sich das Mondlicht spiegelt.
19 Antworten
Valrahmeh vor 6 Jahren 38 13
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Duft
Ausgelaufene Sonnencreme
Eigentlich wollte ich am Samstag nur die Diptyque-Kerze „Maquis“ kaufen, als mir aus meiner Lieblingsparfümerie „Guide me oh thou great redeemer“ entgegendröhnte. Schlagartig wurde mir klar: ich war in die Hochzeit von Meghan und Harry hineingeraten. Die Parfümerie-Damen hatten die Arbeit eingestellt und klebten vor einem I-Pad, das zwischen Sisley-Lippenstiften festgesteckt worden war.
Lediglich eine ältere Dame, die ich kenne, wandte sich mir zu: „Ich bin in meinem Leben öfter Princesse Grace von Monaco begegnet“, sagte sie, „das war eine andere Liga“.
Da keiner auf uns achtete, stopfte sie mir zwei Handvoll Luxusproben zu meiner Kerze hinzu, „für den Sommer“, sagte sie verschwörerisch. Und da war gleich mehrfach Sunshine Women dabei.
Das wollte ich schon immer mal probieren. Würde es mehr zu Grace oder zu Meghan passen?
Und warum löst es so viele Emotionen aus?

Zunächst einmal ist Sunshine Woman eine handwerklich hervorragend zusammengestellte Komposition, die erst im Sekundentakt, dann in längeren, exakt kalkulierten Zeitabständen, eine immer neue Drehung aufs Parkett legt. Erst harmlos zitrisch-mandelig, dann Johannisbeerig-vanillig, dann kriecht der Tabak heraus, dann verbindet sich das Ganze mit Jasmin, Patchouli zu einem Gesamtbild.
Und was soll da nun dran sein?

Ich glaube, es hängt mit den Träumen von einem unbeschwerten Leben und von der jeweiligen Vorstellung vom Urlaubsparadies zusammen. Für den Cocktail am Karibikstrand-Wind im Haar auf dem Kreuzfahrtschiff-Frauentyp ist Sunshine Woman sicherlich eine Offenbarung. Und zaubert exakt diese Leichtigkeit in den Alltag.

Ich verbringe seit meiner Kindheit die Strandtage am Cap Ferrat oder in Villefranche. Die Badegäste schmieren sich in der Hochsaison dermaßen mit Sonnenschutzmittel ein, dass sich gegen Nachmittag auf dem Meerwasser oft Schlieren bilden. Der vereinten Pampe aus Monoi-Tahiti-Öl über L´Oréal bis Lancaster auf allen Körpern in meinem Umkreis entsteigen Gerüche, die im Zusammenklang deckungsgleich sind mit Sunshine Women - um so mehr, wenn unterm Sonnenschirm noch geraucht wird. Kurzum, Sunshine Woman löst bei mir auf der Stelle Strandekel aus.

Als ich es am Wochenende im übervollen Bus in Nizza trug, umringt von meist englischen Touristen, wurde mir fast schlecht davon. Ich dachte, alle müssten es riechen, an ranzige, ausgelaufene Sonnencreme denken und sich ekeln.
Das war aber nicht so. Ist alles nur eine Vorstellung im Kopf. Wie meistens bei Parfüm. Ich denke mal, es würde Meghan besser stehen als Grace. Grace hätte es 1955 auf Jamaica aber auch tragen können. Aber wer weiß das schon.
13 Antworten
Valrahmeh vor 6 Jahren 37 10
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9
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Haltbarkeit
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Duft
Ein Sommertag für den König
Der König weilt in Marly. Er schätzt die Privatsphäre seines Pavillons, wenn er den Trubel und das Herumwuseln der Höflinge und das ständige Klagen der Edeldamen in Versailles nicht mehr ertragen kann: Sire, es zieht durchs Dach, Sire, es regnet durch die Fenster, Sire, das Kaminholz ist zu feucht...Ja, ja, Versailles ist eine Bruchbude, voller Fallstricke und Unzulänglichkeiten.
Natürlich ist der König am Wochenende in Marly nicht ganz alleine, in kleineren Pavillons drumherum darf ihn eine ausgewählte Gesellschaft begleiten. Die Edelleute haben sich fast geprügelt, um mitzukommen, sie haben blumige Betteltiraden gehalten, um einen Wochenendpavillon in der Nähe des Königs zu ergattern.

Leider ist erst März, und es ist kalt. Der König möchte, dass Sommer sei. Alles hat auf ihn zu hören, auch die Natur. Le Nôtre stutzt schon den Park zurecht, La Quintinie das Obst und das Gemüse. Wer macht den März zum Sommer?
Ich will ein Gewächshaus, schreit der König, nicht nur eine Orangerie. Es soll darin duften. Nach Orangen! Nach Birnen! Nach Beeren! Ich will Bienengesumm und Johannisbeergelee.

Die Edelleute sind erschrocken, Jean-Baptiste de la Quintinie, directeur des jardins fruitiers et potagers des maisons royales, ist die letzte Hoffnung. Er muss nach Marly kommen, mitten in der Nacht, mit vielen Orangenbäumchen, Honiggläsern, duftendem Gelee und verhutzelten Birnen im Gepäck. Aber er hat auch ein paar frische Früchte aus seinem neuen Gewächshaus dabei.

Gold, sagt ein Kammerdiener, Gold muss dazu. Er ist doch der König!
Und so werden nachts eilig in einem Pavillon Hunderte von Orangen gepresst, Johannisbeergelee überall in kleinen Schüsselchen verteilt, Goldflitter in eine Zedenholzschüssel gelegt, Birnenkompott mit Honig gekocht. Ein Küchenjunge wedelt mit einem Handtuch und vermischt die Gerüche. Jetzt kann der König kommen.

Man verbindet ihm die Augen, solche Spiele liebt er. Und dann betritt er den Sommer- Pavillon. Eine Welle von frischem Orangensaftduft schwappt ihm entgegen, man führt ihn herum, zum Orangensaft gesellen sich zarte Honignoten, etwas Weiches umschmeichelt seine Nase, es ist Holz, es ist Wachs, es ist frisches Birnenkompott....

Als er sich die Binde von den Augen reißt, fallen kleine Goldpartikel auf ihn herab. Perfekt, sagt der König, perfekt. Ein wahrhaft königlicher Sommertag. Ich möchte den Duft in einer Flasche haben.
Sire, sagt Baptiste de la Quintinie, das wäre die Götter herausfordern. Sie können einen künstlichen Sommertag mit Goldflitter haben, wenn wir die ganze Nacht daran arbeiten. Mehr geht nicht. Vielleicht in 350 Jahren.

PS Die kleine Firma „Atelier des Ors“ hat ihren Sitz in Marly. Und den Flakon schmückt das Symbol des Sonnenkönigs, Goldflitter inklusive, auch für bürgerliche Parfüm-Junkies.
10 Antworten
Valrahmeh vor 6 Jahren 15 4
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7
Sillage
4
Haltbarkeit
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Duft
Der falsche Mann in der Teetasse
Aus vielen Düften, die Calice Becker zusammengestellt hat, kommt ein zartes Teearoma herausgeschwebt. Ich las einmal in einem Interview, dass Calice Becker von russischen Eltern abstammt und "neben einem Samowar" groß geworden ist. Und nun wollte ich mal den Tee aller Tees von der Tee-Spezialistin riechen.

Also ab zu Tanagra in Nizza. Ich hatte wohl unterschätzt, dass man selbst dort, wo wohlhabende Russinnen ihr Geld nur so auf den Tresen werfen, auch nicht alle Tage einen Kilian verkauft. Entsprechend einnehmend war die Beratung. Ich ging nach mindestens 30 Minuten mit schwirrendem Kopf, eine Wolke "Liaisons dangereuses" hinter mir herziehend und mit einer Abfüllung von Imperial Tea in der Tasche, nach Hause.

Nein, ich würde Imperial Tea nicht kaufen, das Zeug roch wie ein zu lange gezogener, aufgequollener Teebeutel, in den ein Irrer tonnenweise Jasminblüten hinein gefeuert hatte.

Zu Hause nochmal aufgesprüht - und schon war ich anderer Meinung.

Hmm, Tee. Tee. Tee.

Irgendwie doch elegant. Schick, irgendwie edel. Vor meinem geistigen Auge tauchten ein paar fußverstümmelte, trippelnde Dienerinnen auf, die dem „Herrn der 10 000 Jahre“ in der Verbotenen Stadt eine hauchdünne Porzellanschale reichen. Mit Tee darin, der genauso riecht. Ich wollte auch so riechen. Selten, aber irgendwie doch ab und zu. Der verhängnisvolle Haben-wollen-Reflex hatte eingesetzt.

Und nun ging es mir wie jener Sorte Frauen, die immer den falschen Mann abkriegen. Die Vernunft spricht, aber man folgt ihr nicht, obwohl man ganz genau weiß: Er ist nicht toll, er nimmt mich aus, er ist völlig überflüssig, ich mag ihn nicht mal wirklich, brauchen tu‘ ich ihn erst recht nicht.

Ich will ihn trotzdem haben.

Was soll ich sagen: Ich habe ihn gekauft. Da ich keine Lust hatte, mich erneut den Tiraden der Verkäuferin auszuliefern und ihre peinlichen Dankesbezeugungen hinzunehmen ("Ah, Madame, Sie haben einen exquisiten Geschmack" und im Geiste zu ergänzen: "Nee, habe ich nicht, Ich habe vielmehr einen Sockenschuss, für 200 Euro diese Sumpfbrühe zu kaufen") habe ich Imperial Tea übers Internet bestellt. Grauenhaft… ich weiß.

Ich habe das blöde Kästchen, das innen mit roter Polyesterseide ausgeschlagen ist mitsamt dem billigen Schlüssel, alles Talmi made in China, in die Tonne befördert.

Die Flasche hingegen ist genial, wunderschön. Das Parfüm auch. Zumindest ab und zu. Es hält nicht lange, riecht wie ein sumpfiger Teebeutel, verändert sich nicht - und ist völlig überflüssig. Aber ich finde es gut, dass es meine Sammlung schmückt. Und es ist pflegeleichter als der falsche Kerl.
4 Antworten
Valrahmeh vor 6 Jahren 24 3
5
Flakon
9
Sillage
10
Haltbarkeit
9.5
Duft
Flüssige Erinnerung
Lipstick Rose ist kein Parfum, sondern eine flüssige Erinnerung. Wer diesen Duft benutzt, möchte nicht nur einfach gut riechen, sondern eine Rückfahrkarte in die eigene Kindheit einlösen. Als Mama in einem rauschenden Abendkleid nochmal schnell ins Kinderzimmer kam, um einen Gute-Nacht-Kuss zu geben, mit dem Hinweis, "Papa und ich gehen heute Abend zu den Verdurins, Geneviève passt auf dich auf, ich habe sie angewiesen, Dir einen warmen Kamillentee zu geben." Und schon war die schöne und vornehme Mama weggehuscht, um in einem Pariser Salon ihren gesellschaftlichen Verpflichtungen nachzukommen. Und man sitzt plötzlich alleine auf dem Bett, irgendwie leer, mit einem lustlosen Kindermädchen, dass schon mal die Spesen des heutigen Abends zusammenrechnet. Und plötzlich schwebt da, hoch darüber, wie ein Kammerton, ein einzelner Duft. Nicht Mamas penetrantes "Femme", sondern etwas wachsiges, rosige, zartes... es war ihr Lippenstift, der teure, weiche, zyklamenrote Stift von Lancome, der jetzt in die Nase krabbelt. Mama ist doch nicht ganz verschwunden, ihr Lippenstiftgeruch ist geblieben und wirkt vertraut und tröstlich. Und man legt den Kopf ins weiche Kissen, denn Mama wird morgen wieder da sein, so viel Gewissheit verströmt nur ihr Lippenstift.

Ach, Lipstick Rose, Dein Geheimnis ist der Bienenwachs, der mit Rose, Veilchen, etwas Vanille und dem flüchtigen Stoff der Erinnerung zu einer Geruchspaste vermengt wurde, nostalgisch, klebrig und zuweilen auch ermüdend. Aber auf seine Art genial. Ralf Schwieger ist Chemiker, der hier zum Alchimisten wurde. Er hat flüchtige Erinnerungen an die Kindheit, oder an den ersten eigenen Lippenstift zu einem Stoff zusammengefügt, den man sich auf die Handgelenke spritzen kann. Das muss man erst einmal hinkriegen.
3 Antworten
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