Valrahmeh
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Ein Sommertag für den König
Der König weilt in Marly. Er schätzt die Privatsphäre seines Pavillons, wenn er den Trubel und das Herumwuseln der Höflinge und das ständige Klagen der Edeldamen in Versailles nicht mehr ertragen kann: Sire, es zieht durchs Dach, Sire, es regnet durch die Fenster, Sire, das Kaminholz ist zu feucht...Ja, ja, Versailles ist eine Bruchbude, voller Fallstricke und Unzulänglichkeiten.
Natürlich ist der König am Wochenende in Marly nicht ganz alleine, in kleineren Pavillons drumherum darf ihn eine ausgewählte Gesellschaft begleiten. Die Edelleute haben sich fast geprügelt, um mitzukommen, sie haben blumige Betteltiraden gehalten, um einen Wochenendpavillon in der Nähe des Königs zu ergattern.
Leider ist erst März, und es ist kalt. Der König möchte, dass Sommer sei. Alles hat auf ihn zu hören, auch die Natur. Le Nôtre stutzt schon den Park zurecht, La Quintinie das Obst und das Gemüse. Wer macht den März zum Sommer?
Ich will ein Gewächshaus, schreit der König, nicht nur eine Orangerie. Es soll darin duften. Nach Orangen! Nach Birnen! Nach Beeren! Ich will Bienengesumm und Johannisbeergelee.
Die Edelleute sind erschrocken, Jean-Baptiste de la Quintinie, directeur des jardins fruitiers et potagers des maisons royales, ist die letzte Hoffnung. Er muss nach Marly kommen, mitten in der Nacht, mit vielen Orangenbäumchen, Honiggläsern, duftendem Gelee und verhutzelten Birnen im Gepäck. Aber er hat auch ein paar frische Früchte aus seinem neuen Gewächshaus dabei.
Gold, sagt ein Kammerdiener, Gold muss dazu. Er ist doch der König!
Und so werden nachts eilig in einem Pavillon Hunderte von Orangen gepresst, Johannisbeergelee überall in kleinen Schüsselchen verteilt, Goldflitter in eine Zedenholzschüssel gelegt, Birnenkompott mit Honig gekocht. Ein Küchenjunge wedelt mit einem Handtuch und vermischt die Gerüche. Jetzt kann der König kommen.
Man verbindet ihm die Augen, solche Spiele liebt er. Und dann betritt er den Sommer- Pavillon. Eine Welle von frischem Orangensaftduft schwappt ihm entgegen, man führt ihn herum, zum Orangensaft gesellen sich zarte Honignoten, etwas Weiches umschmeichelt seine Nase, es ist Holz, es ist Wachs, es ist frisches Birnenkompott....
Als er sich die Binde von den Augen reißt, fallen kleine Goldpartikel auf ihn herab. Perfekt, sagt der König, perfekt. Ein wahrhaft königlicher Sommertag. Ich möchte den Duft in einer Flasche haben.
Sire, sagt Baptiste de la Quintinie, das wäre die Götter herausfordern. Sie können einen künstlichen Sommertag mit Goldflitter haben, wenn wir die ganze Nacht daran arbeiten. Mehr geht nicht. Vielleicht in 350 Jahren.
PS Die kleine Firma „Atelier des Ors“ hat ihren Sitz in Marly. Und den Flakon schmückt das Symbol des Sonnenkönigs, Goldflitter inklusive, auch für bürgerliche Parfüm-Junkies.