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VerityChars Blog
vor 1 Jahr - 27.06.2024
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Düfte verraten und entkleiden uns

Zweifellos. Daher setzt jeder Duft ein Statement, egal wie dezent, wie unauffällig oder im Gegensatz, wie laut, wie Nische und wie lang haltbar dieses Statement ist. Man kann und wird nie und niemals den Leben entkommen, weil uns ohnehin alles was wir (nicht) machen, verraten wird. In anderen Worten, es gibt immer Konsequenzen, auch bei Nichtstun.

Mir ist aufgefallen, dass ich immer darauf geachtet hab, nur Düfte zu tragen, die MICH nicht tragen. Soweit, so gut. Passt ja sonst auch nicht, eine Frau mit Kopftuch und zum Beispiel ein Sexual Healing Egal wie sehr ich diesen wunderbaren, im Munde zergehenden Tabakleckerli mag, der passt nicht. Finde ich auch einigermaßen peinlich, diesen Namen. So sehr sich andere einreden wollen, dass man tun und lassen soll, was man will. das möchte ich nicht. Ein Leben ohne Grenzen und ohne zumindest einer eigenen Interpretation von Disziplin, so ein Leben ist für mich verschwendet. Daher überlege ich einige Sekunden lang, was ich heut tragen möchte, und jedes Mal ist es ein Background Duft, welcher nur leise die Eröffnungsmusik für meinen Auftritt spielt (meist auch nur für meine Ohren) und mich nicht in sein bubble hineinzieht, sondern sich sachte und freundschaftlich auf meine Haut legt. Nur damit fühle ich mich nicht komplett entblößt. Denn nur wenn mein Lächeln lauter als mein Duft ist, fühle ich mich stark und selbstbewusst.

Deshalb ist mir dieser Hunger so unsympathisch. Wohin damit und was will der hier? Auf einmal möchte ich im Shalimar Extrait baden, meine Finger mit Henna bemalen (wie geht denn das? muss ich lernen..machen manche Schneider um die Haut zu schützen) , so richtig g'scheid wie ein Bauer essen ( Bauer lieb ich, waren meine Großeltern), ohne aufzupassen, ob da was auf meine Bluse tropft.. aber vor allem möchte ich sooo viele Dufte kosten. Hach, ich hab so einen großen Hunger, einen Lebenshunger, meine Nase hungert.

Finde ich schon interessant, dass dieser Begriff vielen oder fast allen hier bekannt ist. Man kann sehr wohl auf Düfte hunger haben, genauso wie man gesättigt oder übersättigt sein kann. Nur, was bedeutet das alles? Waren wir früher auch so, als wir einen oder zwei Signaturdufte hatten, oder ist das erst durch die übermäßige Konsumption entstanden? Wenn das der Fall ist, ist es nicht eine Erkrankung für welche man fasten soll, um sie zu heilen? Oder muss ich jetzt meine Nase als meine neue Chefin akzeptieren und all ihren Gelüsten gehorchen? Nichts da, du bekommst heut was ich sage, und das wird der ..ja, das wird der Shalimar sein weil wir heute Hunger haben. Aber morgen, morgen hab ich dich!

Es heisst ja, dass der Mensch nur Potenzial und das Werden ist. Kurz gesagt, der Weg ist das Ziel. Wir werden, dadurch dass wir leben und tun, versuchen und scheitern. Mit der Nase wird es nicht anders sein. Dadurch, dass wir sie mehr fordern und füttern, wird sie von Patamon zu Angemon und bekommt Flügel, bekommt aber auch ein eigenes Bewusstsein und verlangt plötzlich, dass man sie pflegt und nährt. Sie kann beleidigt und auch verwöhnt sein. Gut so, aber jetzt kann ich meine Spaziergänge nicht mehr genießen. Die Straßen riechen nach Hundeurin, das Geschäft dort riecht nach Schimmel, die Nachbarn kochen heute zu viele Zwiebeln, mein neues Deo funktioniert nicht so gut und ich ging heute damit ins Fitnesstudio...

Wenn man von Haus aus ein gutes Geruchssinn hat, vielleicht sollte man hier aufpassen, um sich nicht fürs Leben zu sensibilisieren. Hier hilft nur noch FASTEN. Also muss ich jetzt einen regelmäßigen Ramadan für meine Nase einplanen. Ist ja nicht das Ende der Welt.

Und nach der Pause, nach dem Fasten, brauche ich jedes Mal wieder etwas ganz zartes a la Chance Eau Tendre Eau de Parfum . Ich muss mich einarbeiten, muss ganz vorsichtig wieder in diese Territorie treten, und sorgfältig meinen Duft wählen. Aber das ist normalerweise. Heute nicht, denn ich habe, wie gesagt, Hunger. Heute wähle ich einen, der mir mich offenbart, der mich stärkt, der noch obendrauf einen Schutzschild um mich herum bildet. Ja, auch das können Düfte. Wenn man weiß, wer man heute ist, wer man in dieser Stunde wird, so kann man sich damit stabilisieren, felsenfest machen und dann trotzdem oder gerade deshalb, liebevoll und offenherzig seinen Mitmenschen begegnen.

Mehr habe ich heute nicht zu sagen. Ich wollte euch nur kurz begegnen, meine Mitmenschen. Ich wollte einige Minuten mit euch teilen und verbringen. Und hier bin ich, gekleidet im Shalimar, mit einen Schild aus purer Lebensfreude und Menschenliebe, und wünsche euch schöne Stunden. Wer mehr erwartet hat wird jetzt von mir enttäuscht. Auch das ist normal und gehört dazu. Auch das ist schön. Ich rauche nicht, bin nicht high, ( darf ich nicht) aber gerührt schon. Ich habe heute meine Sinne verwöhnt, besonders die Nase und die Ohren. Was für ein wunderbares Erlebnis. Wie schön die Menschen sind, weil wir in der Lage sind, solch wunderbare Sachen mit unseren Händchen und Köpfchen zu schaffen, um sie dann mit anderen zu teilen. Und weil es Menschen gibt, die das nicht können, werde ich jetzt stets in Dankbarkeit und in Maßen, meinen Sinnen gutes tun.

7 Antworten
SchokolollySchokololly vor 1 Jahr
Mag deine Gedankengänge sehr. Immer interessant zu lesen. Danke fürs teilen.
ExUserExUser vor 1 Jahr
3
Vielen Dank für deine sehr gefühlvollen und persönlichen Gedanken.
Moonwalker88Moonwalker88 vor 1 Jahr
4
Interessante Gedankengänge einer aufmerksamen Beobachterin, in feinem Schreibstil verwoben.
Sehr angenehm zu lesen 😊
GingeralenaGingeralena vor 1 Jahr
2
Ich lese deine Blogeinträge so gern, ich mag deine Gedanken und wie du sie ausdrückst :).
SereqHetitSereqHetit vor 1 Jahr
2
Und wieder so ein schöner Beitrag von dir, vielen Dank 😊!
EaupinionEaupinion vor 1 Jahr
4
Dein Schreibstil spricht mich sehr an. Irgendwie poetisch, fast blumig, dann aber auch sehr direkt. Hat sich gut gelesen☺️Und hat mir einen Impuls zum Nachdenken gegeben (das mit der eigenen Interpretation von Disziplin!)
PollitaPollita vor 1 Jahr
3
Das hast Du zauberhaft geschrieben. Vielen Dank dafür 🥰

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