Zinni

12 Uhr mittags, ich notiere geschockt als feste Überzeugung: Hiermit verspreche ich hoch und heilig: das war mein letzter Blindbuy!
Was mich so fasziniert hatte: die Mischung vier verschiedener VetiverSorten, alles Naturöle, von einem anerkannten, ja berühmten Nischenhaus. Das fand ich doch zumindest vielversprechend – hymnischen Preisungen erlegen und etlichen Warnungen zum Trotz! Da es diesen Duft weit und breit nirgendwo auszuprobieren gibt, habe ich zugeschlagen und ihn mir bestellt.
Und nun nimmt das Drama seinen Lauf, Sie kennen das wahrscheinlich?
Ich öffne die genial schöne Verpackung, wertig, liebevoll gestaltet – der Flacon etwas altmodisch, jedoch edel! Da hat man sich wohl von der Verpackung des iPhones inspirieren lassen?
Nun kommt es zum ersten Sprüher – wissend, dass der Beginn erschreckend sein soll. Ich nehme wahr: erschlagende Opulenz! Aber auch nach 20 Minuten, nach 1 Stunde, kein Hauch von Vetiver! Modrige KellerGerüche hätte ich ja toll gefunden! Stattdessen, ich kann es nicht anders sagen, der schwüle, penetrierede Duft von Friedhofsblumen in einer zu engen, überhitzten LeichenHalle! Ja, schlimmer noch: der süßliche Geruch unter tropischer Sonne böse infizierter Wunden! So, wenn man das Heftpflaster abzieht und das Miasma eines erschreckenden Befundes aufsteigt, was in absehbarer Zeit zur Sepsis und Amputation führen wird. So riecht doch der Orient nicht! Ich war oft genug auf Basaren im Oman, in Indien – da stinkt es an manchen Ecken und Enden zwar auch gewaltig, aber in den Todeshauch mischt sich immer das Leben voller herrlicher Gewürze!
Die Aufschrift auf dem Flacon: Mumbai?? Ich kann nur sagen: Mumpitz!
Und hoffen, dass sich jemand erbarmt und mir den Duft abkauft, ein Mensch, der anders als ich genießen oder gar lieben kann, was da als Dschinn aus der Flasche steigt.
Liebe Mitmenschen, kauft nix, bevor Ihr es nicht irgendwo selbst gerochen habt! Die Erwartung ist groß, die Enttäuschung mit unter weitaus größer.
So, und jetzt gehe ich duschen und mir den Wanst schrubben.

PS: 12 Stunden später: der aufdringlich süße Verwesungsgeruch ist verschwunden und jetzt riecht das auf meinem T-Shirt unfassbar gut…Graswurzeln, Grassoden, Geheimnisse, Bali, Borneo, Sri Lanka … , diese Welten da alle… es riecht so gut, dass ich die seltsame Kreation behalten werde… und meine Bewertung deutlich nach oben korrigiere …es handelt sich denn doch um Kunst…

Wie der Zufall im Leben manchmal so spielt!? In einer Parfümerie auf Lanzarote schaute ich eigentlich nach Düften für meine liebe Frau – und wurde von einer sehr freundlichen, kompetenten jungen Dame da auch gut beraten. Was in aller Welt brachte diese aber dazu, mir ungefragt einen Duft auf den Arm zu sprühen, der mich sofort komplett begeisterte? „Ahh, this is the one“, stammelte ich – aber sie sagte: „no, this One is for You“! Nicht nur, dass alle bisher für meine Frau getesteten Düfte plötzlich banal, ja geradezu lächerlich erschienen: ich hatte mein Lebtag noch nicht so etwas Gutes, Dichtes, in sich Stimmiges gerochen! Nun muss man sagen, ich bin ein Freund herber Parfums, Patchouli, Vetiver, Holz, Pfeffer, so!, - ich liebe Encre Noir, den alten Givenchy Gentleman und den neuen Dior Homme Sport, nicht zu vergessen das mittlerweile unauffindbare (es sei denn, Opa ist verstorben und die Enkel kennen den Wert dieser Droge auf Ebay) Rochas Macassar… und fand nun gestern die Seelen all dieser Preziosen in diesem einen Duft vereint und bewahrt: Esencia Elixir von Loewe.
Loewe ist ja nun auch eine edle, alte Firma, die immer gute Zutaten verwendet – zumindest die Vintage Versionen ihres „pour homme“ Duftes sind ja auch genial! Aber dieses hier, es ist schwer, Worte zu finden! Dies ist ein mächtiges, ja, übermächtiges Elixier, das allerdings in keinerlei Hinsicht penetriert oder gar (wie ein anderes, das Elixir für Stinker) stinkt. Es findet sich hier schlicht die Erhabenheit und die Fülle! Es trägt sich wie ein Hermelin aus Rauch und tiefem Grün! Für mich ein/das absolute EXIT – Parfüm – man bräuchte eigentlich nie wieder etwas anderes, weil es mir nicht vorstellbar erscheint, dass es einmal langweilig werden könnte, diesen Duft an sich wahrzunehmen und anderen Menschen damit eine Freude zu machen. All die anderen Parfums sind ja nicht schlecht, können weiterhin dienen zur Abwechslung, wie man unter der Woche Korn und Kümmel trinkt, um dann am hohen Feiertag den 16 Jahre alten edlen Single Malt Whisky zu genießen.
Grün also, Nebelwälder, Feenwälder, bemooste HexenGründe, November und Juni zugleich – Norne, Trolle und Elfen! Noch am nächsten Tag, nach ausgiebiger Dusche, riechst du diesen Duft an deiner Haut und an deinem Hemd – aber eben ohne jegliche Aufdringlichkeit, bloß als die Spur von etwas Höherem, ja fast Heiligem.
Ich freue mich auf jeden Tag, an dem ich mit diesem Duft gehen werde und schreiten in Pracht und Herrlichkeit in meinem Hermelin aus Regenwaldrauch.

PS Sehen Sie mir bitte meine kindliche Begeisterung nach, eigentlich bin ich ein ganz nüchterner Mensch. Aber das hier…

Dior Homme 2020 ist nicht schlecht, minimalistisch halt, eignet sich gut zum Layern für Düfte aus allen Himmelsrichtungen, aber eben auch ein wenig langweilig…
An der Sport- Version 2021 wäre ich deswegen fast vorbeigegangen… und wie schade wäre das gewesen! Meine Güte!!! Das ist einer der besten Düfte, die ich je wahrnehmen durfte. Minimalistisch noch immer, aber eine Überhöhung und Himmelfahrt des in der DNA verwandten Homme 2020, die sprachlos macht. Frische Zitrone, Holz, Elemi in einer Luftigkeit, die dich wie ein Mantel ätherisch umhüllt, unleugbar, immer spürbar, immer vorhanden, aber nie aufdringlich. Einfach herrlich und ein großes Kunstwerk… Nachdem ein paar Mal getragen, wirkte ein ansonst geschätzter Duft wie eine Ätzwolke aus der Chemietoilette auf mich… ( Jacomo intense …to say the Truth)
Unterm Strich: ich möchte diesen Duft nicht mehr missen.

Einen Wunsch habe ich: bitte, bitte nicht kaufen, es wäre schrecklich, wenn jeder Himbeertoni und Troglodyt danach riecht wie beim grauenvollen Sauvage, das in allen Gassen und Schänken penetriert und miasmiert!
Du, edler Leser, bist natürlich von meinem Wunsch ausgenommen!

Ich weiß, dass ich ein Mauerblümchen bin. Eins von den stillen Wesen im Lande. Die meisten übersehen mich, … ja warum eigentlich? Weil meine Geschwister attraktiver sind als ich? Weil die sich besser verkaufen können und lauter schreien: Hier!? Es ist mir halt peinlich, mich selbst loben und anpreisen zu sollen…das entspricht nicht meinem Charakter…

Einen gibt es, der hat mein Inneres erkannt, der mag mich so, wie ich bin. Nämlich gar nicht „süss“, dafür aber geradlinig und mit Ecken und Kanten. Ich kann auch schon mal recht derb sein, ungehobelt, wenn Sie so wollen. Aber dafür wahrhaftig und nicht verlogen. Ich würde nie vorgeben, zu sein, was ich nicht bin.

Vielleicht willst du mich ja aus dem Schatten holen und mich kennenlernen? Ich werde dich dann hoffentlich überraschen können mit meinem Inneren, das nach Zimt und Holz und Mirabelle duftet und deine Gegenwart bereichert mit Beständigkeit den lieben langen Tag.

Einen Papierstreifen nahm ich mit… und kramte ihn immer wieder aus der Manteltasche… hmmm, interessant, hmmm, ist ja besonders! Woher kenne ich das und doch wieder nicht!? Wonach riecht das eigentlich so gläsern luftklar? Muskatellersalbei mit Vetiver? Was Blumiges verbindet die beiden?
Ich genehmige mir also K, wobei mir dieses Krönchen auf dem Flakon ein bisschen peinlich erscheint… ist das noch verspielt oder schon lächerlich angeberhaft wie bei diesem Lottoheini, der durch die Bildzeitung geistert?
Nach ein paarmal Tragen, beginnt mich der schlanke luftige Duft plötzlich zu langweilen. Passt auch gar nicht zu dir „altem weißen Mann“, ist eher für, äh, na ja, Bürschchen und so. Jetzt geht mir auch auf, warum ich den zuerst toll fand und dann sehr begrenzt in seiner Einschränkung . Er hat was von meinem Allzeit-Lieblings- und Signaturduft (neben dem 74er Gentleman von Givenchy), nämlich Jil Sander man pure: den Salbei und diese gläserne Luftigkeit. Aber damit hört es dann auch schon auf. Ein kleiner, banaler, mit Fug und Recht übersehener Halbbruder von man pure. Die vielen mäßigen Rezensionen sind als gerecht anzusehen. Es ist kein schlechtes Parfum, aber das Leben ist halt auch zu kurz dafür.