29.06.2021 - 08:16 Uhr
Profumo
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Profumo
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"Après l'Ondée", leicht angedreckt
Orson Welles!
Wer schmückt sich nicht gerne mit diesem Giganten der Schauspielkunst, diesem großen Regisseur und Geschichtenerzähler, dessen Hörspiel vom Krieg der Welten Carine Roitfeld mit ihrer ganzen Familie als junges Mädchen gebannt lauschte.
Allein diese Stimme!
Und sie liebt New York (wer eigentlich nicht?). Die üppigen Blumenarrangements des Carlyle-Hotels in Uptown, die aus einem Orson Welles-Film stammen könnten. „But my lover is an artist living downtown, which is a city of its own. So, it's a complex mix of two cities“, so die Französin in einem Interview.
Aha.
In ihrem Duft „Orson“ erkenne ich weder Orson Welles, noch poppt vor meinem inneren Auge das Bild eines in Downtown (noch sonstwo) lebenden Künstlers auf.
Das mit den üppigen Blumenarrangements kommt allerdings hin, obwohl auch diese nicht zwingend eine New Yorker, sondern ebenso gut irgendeine x-beliebige Hotellobby in the middle of nowhere zieren könnten.
So viel zum Marketing-Bla-Bla, aber das braucht’s halt.
Der Duft ist trotzdem gut, aber hallo!
Aurélien Guichard hat ihn komponiert, und der Mann kann bekanntlich was. Das hat er nicht nur mit sämtlichen neuen Piguet-Düften bewiesen.
Hier stellt er nun eine Blüte ins Zentrum, der man in der modernen, zeitgenössischen Parfümerie leider nicht mehr häufig begegnet: der Blüte des Weißdorns.
Meist kommt sie im Schlepptau mit Mimose und Vanilleblume (auch Heliotrop genannt) daher, hier zur Abwechslung mal mit Tuberose.
Wer jedoch glaubt, dass der berüchtigte Lautsprecher Tuberose auch hier alles, respektive den Weißdorn an die Wand duftet, liegt falsch.
Guichard hat die launische Diva dezent eingespannt. Sie akzentuiert den Weißdorn leicht, verleiht ihm einen floraleren, helleren Touch. An sich tendiert die Blüte des Dorns ja eher zu einem gedeckteren Ton, der fast ins papierartig-pudrige, hell-holzige Terrain geht (und hier auf Mimose und Heliotrop trifft). Das passt also gut. Allerdings ist die Stimmung weder luftig noch frisch, das entspricht einfach nicht dem Duftcharakter des Weißdorns. Nein, sie ist vielmehr schwül und feucht wie nach einem heftigen Regenschauer im Hochsommer. Oder wie man in Frankreich sagen würde: Après l’ondée.
Womit ich bei dem gleichnamigen Duft angelangt wäre, an den mich „Orson“ erinnert.
„Orson“ ist gewissermaßen ein modernes „Après l’Ondée“, was allerdings nicht heißen soll, dass der Guerlain-Duft auch nur ansatzweise altmodisch wäre, ganz und gar nicht. „Orson“ ist eher eine Neu-Interpretation des alten Klassikers. Eine sehr eigenständige aber, denn der Duft entwickelt sich, vom zentralen Weißdorn-Thema (vermutlich vertreten durch ein Anisaldehyd namens ‚4-methoxybenzaldehyde’) einmal abgesehen, gerade im Herzen und in der Basis völlig anders.
Hier kommen nämlich zusehends durchgreifende Indole ins Spiel. Ob sie vom Weißdorn stammen weiß ich nicht, wäre mir auch neu, da ich dessen Duft noch nie mit Indolik in Verbindung gebracht habe. Vielleicht von der Tuberose, die zwar indolische Nuancen im Gepäck hat – aber gleich so viele?
Tja, ich weiß es nicht. Vielleicht hat Guichard auch einfach ein paar Indole hinzugefügt. Geht ja heute, wo alles bis in kleinste Detail extrahiert und synthetisiert werden kann, ganz einfach.
Also, who knows.
Jedenfalls offenbart „Orson“ im Duftverlauf zusehends diese delikate Facette. Aber nicht genug damit, dass die aasigen Nuancen immer ruchbarer werden, gesellt sich auch noch eine unterschwellige Urin-Note dazu, wie sie beispielsweise im Duftspektrum des Salbeis zu finden ist. Ja ich habe sogar den Verdacht, dass auch noch ein homöopathisches Tröpfchen Animalis (oder Civetone) in die Rezeptur geflossen sein könnte – es duftet nämlich manchmal hauchzart danach.
Einbildung, vielleicht.
Keine Einbildung scheint zumindest die prekäre Indolik zu sein, die eine Fragrantica-Kommentatorin so beschreibt: „A bit like the smell of a homeless person, but not as repulsive.“
Repulsive?
Auf gar keinen Fall, im Gegenteil: für mich entfaltet der Duft hier einen ausgesprochen erotischen Flair, entwickelt eine unterschwellige Laszivität, augenzwinkernd mit dem Versprechen nach wollüstiger Sinnlichkeit flirtend– zeitweilig nur noch notdürftig von den Resten des Blumenbouquets kaschiert.
Ich finde das mehr als anregend, ich finde das erregend!
Dem Gott der Olfaktorik sei gedankt, dass nach all den Jahren ozonisch-cleaner Düfte, süßer Gourmands und synthetischer Woody-Ambers der ‚Skank’ wieder halbwegs salonfähig zu sein scheint!
Aller Indolik zum Trotz ist „Orson“ aber kein veritabler Stinker, keine Angst.
Ein paar Balsame, vor allem aber der nussig-vanilleartige Duft der Tonka-Bohne hegen die Lüsternheit nachhaltig ein, bevor sie völlig außer Kontrolle gerät.
Obwohl kein Fan der Bohne, muss ich zugeben, dass sie mir hier ausgesprochen gut gefällt. Sie greift das pudrig-hell-florale Weißdorn-Thema auf und führt es in einen dunkleren, holzigeren Ton, so als würde ein Eierschalen-Weiß langsam ins Beige und schließlich ins Hellbraune fließen. Hier verliert der Duft auch zunehmend seine Süße.
Was letztlich, nach vielen Stunden, auf der Haut übrigbleibt, ist ein trocken-holziges, minimal balsamisch-süßes Aroma, mit dem fernen Echo einer erotisch duftenden Blüte.
Klingt das nicht gut?
Es ist gut.
Übrigens auch absolut Unisex, jedenfalls nach meinem Eindruck.
Nach „George“ ist „Orson“ nun der zweite ‚Lover’ der bei mir Einzug hält.
Duftmäßig monogam war ich eh noch nie.
Wer schmückt sich nicht gerne mit diesem Giganten der Schauspielkunst, diesem großen Regisseur und Geschichtenerzähler, dessen Hörspiel vom Krieg der Welten Carine Roitfeld mit ihrer ganzen Familie als junges Mädchen gebannt lauschte.
Allein diese Stimme!
Und sie liebt New York (wer eigentlich nicht?). Die üppigen Blumenarrangements des Carlyle-Hotels in Uptown, die aus einem Orson Welles-Film stammen könnten. „But my lover is an artist living downtown, which is a city of its own. So, it's a complex mix of two cities“, so die Französin in einem Interview.
Aha.
In ihrem Duft „Orson“ erkenne ich weder Orson Welles, noch poppt vor meinem inneren Auge das Bild eines in Downtown (noch sonstwo) lebenden Künstlers auf.
Das mit den üppigen Blumenarrangements kommt allerdings hin, obwohl auch diese nicht zwingend eine New Yorker, sondern ebenso gut irgendeine x-beliebige Hotellobby in the middle of nowhere zieren könnten.
So viel zum Marketing-Bla-Bla, aber das braucht’s halt.
Der Duft ist trotzdem gut, aber hallo!
Aurélien Guichard hat ihn komponiert, und der Mann kann bekanntlich was. Das hat er nicht nur mit sämtlichen neuen Piguet-Düften bewiesen.
Hier stellt er nun eine Blüte ins Zentrum, der man in der modernen, zeitgenössischen Parfümerie leider nicht mehr häufig begegnet: der Blüte des Weißdorns.
Meist kommt sie im Schlepptau mit Mimose und Vanilleblume (auch Heliotrop genannt) daher, hier zur Abwechslung mal mit Tuberose.
Wer jedoch glaubt, dass der berüchtigte Lautsprecher Tuberose auch hier alles, respektive den Weißdorn an die Wand duftet, liegt falsch.
Guichard hat die launische Diva dezent eingespannt. Sie akzentuiert den Weißdorn leicht, verleiht ihm einen floraleren, helleren Touch. An sich tendiert die Blüte des Dorns ja eher zu einem gedeckteren Ton, der fast ins papierartig-pudrige, hell-holzige Terrain geht (und hier auf Mimose und Heliotrop trifft). Das passt also gut. Allerdings ist die Stimmung weder luftig noch frisch, das entspricht einfach nicht dem Duftcharakter des Weißdorns. Nein, sie ist vielmehr schwül und feucht wie nach einem heftigen Regenschauer im Hochsommer. Oder wie man in Frankreich sagen würde: Après l’ondée.
Womit ich bei dem gleichnamigen Duft angelangt wäre, an den mich „Orson“ erinnert.
„Orson“ ist gewissermaßen ein modernes „Après l’Ondée“, was allerdings nicht heißen soll, dass der Guerlain-Duft auch nur ansatzweise altmodisch wäre, ganz und gar nicht. „Orson“ ist eher eine Neu-Interpretation des alten Klassikers. Eine sehr eigenständige aber, denn der Duft entwickelt sich, vom zentralen Weißdorn-Thema (vermutlich vertreten durch ein Anisaldehyd namens ‚4-methoxybenzaldehyde’) einmal abgesehen, gerade im Herzen und in der Basis völlig anders.
Hier kommen nämlich zusehends durchgreifende Indole ins Spiel. Ob sie vom Weißdorn stammen weiß ich nicht, wäre mir auch neu, da ich dessen Duft noch nie mit Indolik in Verbindung gebracht habe. Vielleicht von der Tuberose, die zwar indolische Nuancen im Gepäck hat – aber gleich so viele?
Tja, ich weiß es nicht. Vielleicht hat Guichard auch einfach ein paar Indole hinzugefügt. Geht ja heute, wo alles bis in kleinste Detail extrahiert und synthetisiert werden kann, ganz einfach.
Also, who knows.
Jedenfalls offenbart „Orson“ im Duftverlauf zusehends diese delikate Facette. Aber nicht genug damit, dass die aasigen Nuancen immer ruchbarer werden, gesellt sich auch noch eine unterschwellige Urin-Note dazu, wie sie beispielsweise im Duftspektrum des Salbeis zu finden ist. Ja ich habe sogar den Verdacht, dass auch noch ein homöopathisches Tröpfchen Animalis (oder Civetone) in die Rezeptur geflossen sein könnte – es duftet nämlich manchmal hauchzart danach.
Einbildung, vielleicht.
Keine Einbildung scheint zumindest die prekäre Indolik zu sein, die eine Fragrantica-Kommentatorin so beschreibt: „A bit like the smell of a homeless person, but not as repulsive.“
Repulsive?
Auf gar keinen Fall, im Gegenteil: für mich entfaltet der Duft hier einen ausgesprochen erotischen Flair, entwickelt eine unterschwellige Laszivität, augenzwinkernd mit dem Versprechen nach wollüstiger Sinnlichkeit flirtend– zeitweilig nur noch notdürftig von den Resten des Blumenbouquets kaschiert.
Ich finde das mehr als anregend, ich finde das erregend!
Dem Gott der Olfaktorik sei gedankt, dass nach all den Jahren ozonisch-cleaner Düfte, süßer Gourmands und synthetischer Woody-Ambers der ‚Skank’ wieder halbwegs salonfähig zu sein scheint!
Aller Indolik zum Trotz ist „Orson“ aber kein veritabler Stinker, keine Angst.
Ein paar Balsame, vor allem aber der nussig-vanilleartige Duft der Tonka-Bohne hegen die Lüsternheit nachhaltig ein, bevor sie völlig außer Kontrolle gerät.
Obwohl kein Fan der Bohne, muss ich zugeben, dass sie mir hier ausgesprochen gut gefällt. Sie greift das pudrig-hell-florale Weißdorn-Thema auf und führt es in einen dunkleren, holzigeren Ton, so als würde ein Eierschalen-Weiß langsam ins Beige und schließlich ins Hellbraune fließen. Hier verliert der Duft auch zunehmend seine Süße.
Was letztlich, nach vielen Stunden, auf der Haut übrigbleibt, ist ein trocken-holziges, minimal balsamisch-süßes Aroma, mit dem fernen Echo einer erotisch duftenden Blüte.
Klingt das nicht gut?
Es ist gut.
Übrigens auch absolut Unisex, jedenfalls nach meinem Eindruck.
Nach „George“ ist „Orson“ nun der zweite ‚Lover’ der bei mir Einzug hält.
Duftmäßig monogam war ich eh noch nie.
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