27.06.2021 - 11:54 Uhr
Profumo
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Profumo
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42
Kombination von Sex Pistols und Royal Family
Allein schon der Geruch hat mich vom Kiffen abgehalten.
Waren früher nur die ein oder andere WG von Cannabis-Schwaden durchwölkt, so manche furchtbar linke Antifa-Einrichtung natürlich auch, wabert einem dieses süßlich-grasige Odeur heute aus jedem zweiten Busch entgegen. Es ist schon erstaunlich wie viele junge Menschen (junge, noch nicht von der Spielkonsole abgenabelte Männer meist) heute kiffen.
Diese mittlerweile omnipräsenten Gras-Wolken haben mich aber nicht milder gestimmt, ganz im Gegenteil – ich mag sie heute weniger denn je.
Warum ich mich dann trotzdem für „George“ begeistern kann?
Gute Frage.
Eindeutig steht Cannabis in der Pyramide.
Wenn ich mir „George“ aufsprühe, habe ich tatsächlich eine Millisekunde das Gefühl, ich könnte einen Hauch dieses vermaledeiten Kiffer-Aromas aufgeschnappt haben, aber nein, eigentlich ist es eine Täuschung, eine Art ‚self-fulfilling prophecy’: sicher kommt mir gleich eine Joint-Wolke entgegen, und zack, da meine ich sie auch schon entdeckt zu haben. Eine Chimäre, zum Glück!
„George“ ist nämlich überhaupt kein Kiffer, aber er baut Hanf an. Nicht im großen Stil, aber ein paar Plänzchen sind’s doch. Vielleicht hat er früher mal gekifft, das mag sein, seine wilden Jahre in Londons Punk-Szene sind aber längst passé.
Warum er immer noch Hanf anbaut?
Tja, das will ich gar nicht so genau wissen. Vielleicht trocknet er ihn, um ihn anschließend zu verschenken, vielleicht mag er aber auch einfach nur seinen Geruch. Wider Erwarten muss ich nämlich zugeben: ich mag ihn auch, den Geruch.
Festgestellt habe ich das vor einigen Jahren, als ich einen neuen Duft einer von mir sehr geschätzten Marke testete: „Junky“, von Jardins d’Écrivains. Auch hier war ich zuvor skeptisch, als ich las, dass der Duft von William S. Burroughs inspiriert worden sei, und dass diese Inspiration unweigerlich die Note Hanf gebar. Der Duft roch dann aber verdammt gut, und der Hanf gab ihm eine frische grün-grasig Aura, die rein gar nichts mit der dumpfen, süßlichen Ausdampfung eines verglimmenden Joints zu tun hatte.
Wirklich nicht?
Na ja, vielleicht doch, irgendwie. Vermutlich erhalten diese frischen, dezent aromatischen, fast minzigen Facetten durch das Trocknen, bzw. Verharzen einen heuartigen, süßlichen Unterton, der beim Verbrennen zu jener allbekannten Geruchsbelästigung führt.
Glücklicherweise steht aber der Hanf bei „Junky“ noch in vollem Saft, und so ist es auch bei „George“.
„George“ dufte also augenblicklich unfassbar frisch und hellgrün, strotzend Galbanum-bitter, feucht Veilchen-ledrig, und spröde Hanf-grasig.
Yann Vasnier hat dieses Trio perfekt aufeinander abgestimmt. Es legt einen geradezu euphorischen, jubilierenden Auftakt hin. Was dann folgt, ist das erkennbare Bemühen um Beruhigung. Das strahlende Grün wird von einem klassischen Chypre-Konstrukt umhüllt, in dessen Zentrum ein florales Bouquet dem Duft Tiefe verleiht, ihn weitet. Er wird zusehends breiter, voluminöser, aber auch komplexer. Das kontrastreiche Miteinander von Blüten, Stängeln, Halmen und Blättern ist virtuos inszeniert – Yann Vasnier ist wirklich ein Meister seines Fachs!
Erdung findet die gelungene Melange auf einer gehaltvollen, nicht übermäßig dunklen Basis aus bitter-tintigem Eichenmoos (vermutlich Evernyl oder ähnliches, da kein Evernia, werder furfuracea noch prunastri als Allergen gelistet wird), warm-holzigem Patchouli und einer Spur animalisch-ledrigem Castoreum, das sich so richtig erst am Tag danach bemerkbar macht, wenn man den schönen Resten des langanhaltenden Duftes noch immer hinterher schnuppern kann.
Was Haltbarkeit und Projektion betrifft finde ich „George“, wie alle sieben Liebhaber, absolut tadellos: beständig und mit selbstbewusstem Standing, dabei ohne modische Neigung zu SUV-haftem Geprotze. Die Proportionen sind klassisch französisch, vergleichbar den alten Guerlains oder Carons.
Yann Vasnier hat mit diesem Duft ein, wie ich finde, überaus schönes neo-klassisches grünes Unisex-Leder-Chypre mit einem kleinen modernen Twist geschaffen, irgendwo angesiedelt zwischen „Cristalle“, „Aliage“, „Grey Flannel“ und dem schon erwähnten „Junky“.
Ein Zitate-Potpourri ist „George“ dennoch nicht, vielmehr wirkt der Duft – zumindest auf mich – völlig autark, und trotz seines Kontrastreichtums wie aus einem Guss.
Mehr als 8 Jahre hat Mme. Roitfeld mit den drei Parfümeuren ihrer Wahl (Gaurin, Guichard, Vasnier) an ihren imaginären Duft-Liebhabern gefeilt – ich finde das riecht man. Nicht nur im Falle von „George“, auch bei den anderen Lovers, die ich bisher testen konnte, vermittelt das Dufterlebnis eine erkennbare Sorgfalt und Leidenschaft für die Materie. Das spricht aber nicht nur für die Düfte an sich, ihre vermutlich ausgesuchten Rohstoffe, sondern für die gesamte Darreichung: die schlicht und edel gestaltete grau-grüne Box, die handschmeichelnden haptischen Qualitäten des schweren Flakons (der mich mit seinen Rundungen an die Halston-Flakons der 70er erinnert), der elegante, schwere Metallverschluss, der perfekt vernebelnde Sprühmechanismus und nicht zuletzt ein reduziert und geschmackvoll designtes Heftchen, das die Liebhaber im Einzelnen und in aller Kürze vorstellt.
Sie wollte etwas schaffen, dass Bestand haben werde, berichtete Roitfeld, dass sich weder dem Mainstream andiene, noch sich in irgendwelchen Nischenwinkeln um jegliche Tragbarkeit brächte, etwas, dass mit ihrem Leben, ihrer Geschichte verbunden sei, dass ihre Persönlichkeit wiederspiegle – ihre 7 Lovers. Dass mit diesen Lovers keine über die Kontinente verteilte Affären gemeint seien, erläuterte Roitfeld in einem Interview mit Papermag. Vielmehr handle es sich um Personen die sie bewundere: Orson Welles, Wong Kar-Wei, Lawrence von Arabie, alias Peter O’Toole. Daneben flossen familiäre Bezüge ein: ihre russische Herkunft mütterlicherseits, weshalb sie ihren Sohn Vladimir nannte, ein Onkel namens George, oder ihre frühe Muse Aurélien. Einzig Sebastian scheint eine rein fiktionale Figur zu sein, in der sie ihre Liebe zur europäischsten Stadt Südamerikas, zu Buenos Aires, und ihre Liebe zum Tango bündelt.
Auch auf die Qualität der Düfte legte sie großen Wert, was deren lange Entstehungszeit erkläre: sie wollte keine Schnellschüsse, alles sollte langsam reifen. Ebenso wie sie auf ihre Unabhängigkeit pochte, und Avancen seitens der Marktführer L’Oreal, Estée Lauder und LVMH eine Abfuhr erteilte, da diese weder mit den Namensgebungen (manche zu unausprechlich), der Flakongestaltung (lieber 7 verschieden, als einer für alle) noch den hochkonzentrierten teuren Inhaltstoffen (billigere Ersatzstoffe in geringerer Potenz) d’accord gingen. So entschied sie sich mithilfe ihres Sohnes Aurélien und Frederic Pignault von IFF, den ihr Tom Ford empfohlen hatte, sowie Pascal Gaurin, Yann Vasnier und Aurélien Guichard, die Sache allein, bzw. im kleinen Team durchzufechten.
„George“, so Roitfeld, sei eine Kombination von den Sex Pistols und der Royal Family, in Gestalt von George VI, bzw. des berühmten Films über ihn, „The King’s Speech“, den sie sehr mochte. Außerdem liebe sie den Namen, der in allen Sprachen so wunderbar klänge. Bekäme sie noch einen zweiten Sohn, er trüge den Namen George.
Nun gut, ob Ex-Punk, verblichener König, imaginierter Sohn – diesen Lover, der seine Liebe für grüne Chypres pflegt, sich von seiner alten Lederjacke nicht trennen kann und aus nostalgischen Gründen ein paar Hanfpflanzen hätschelt - diesen Lover kann mir Frau Roitfeld gerne überlassen!
Waren früher nur die ein oder andere WG von Cannabis-Schwaden durchwölkt, so manche furchtbar linke Antifa-Einrichtung natürlich auch, wabert einem dieses süßlich-grasige Odeur heute aus jedem zweiten Busch entgegen. Es ist schon erstaunlich wie viele junge Menschen (junge, noch nicht von der Spielkonsole abgenabelte Männer meist) heute kiffen.
Diese mittlerweile omnipräsenten Gras-Wolken haben mich aber nicht milder gestimmt, ganz im Gegenteil – ich mag sie heute weniger denn je.
Warum ich mich dann trotzdem für „George“ begeistern kann?
Gute Frage.
Eindeutig steht Cannabis in der Pyramide.
Wenn ich mir „George“ aufsprühe, habe ich tatsächlich eine Millisekunde das Gefühl, ich könnte einen Hauch dieses vermaledeiten Kiffer-Aromas aufgeschnappt haben, aber nein, eigentlich ist es eine Täuschung, eine Art ‚self-fulfilling prophecy’: sicher kommt mir gleich eine Joint-Wolke entgegen, und zack, da meine ich sie auch schon entdeckt zu haben. Eine Chimäre, zum Glück!
„George“ ist nämlich überhaupt kein Kiffer, aber er baut Hanf an. Nicht im großen Stil, aber ein paar Plänzchen sind’s doch. Vielleicht hat er früher mal gekifft, das mag sein, seine wilden Jahre in Londons Punk-Szene sind aber längst passé.
Warum er immer noch Hanf anbaut?
Tja, das will ich gar nicht so genau wissen. Vielleicht trocknet er ihn, um ihn anschließend zu verschenken, vielleicht mag er aber auch einfach nur seinen Geruch. Wider Erwarten muss ich nämlich zugeben: ich mag ihn auch, den Geruch.
Festgestellt habe ich das vor einigen Jahren, als ich einen neuen Duft einer von mir sehr geschätzten Marke testete: „Junky“, von Jardins d’Écrivains. Auch hier war ich zuvor skeptisch, als ich las, dass der Duft von William S. Burroughs inspiriert worden sei, und dass diese Inspiration unweigerlich die Note Hanf gebar. Der Duft roch dann aber verdammt gut, und der Hanf gab ihm eine frische grün-grasig Aura, die rein gar nichts mit der dumpfen, süßlichen Ausdampfung eines verglimmenden Joints zu tun hatte.
Wirklich nicht?
Na ja, vielleicht doch, irgendwie. Vermutlich erhalten diese frischen, dezent aromatischen, fast minzigen Facetten durch das Trocknen, bzw. Verharzen einen heuartigen, süßlichen Unterton, der beim Verbrennen zu jener allbekannten Geruchsbelästigung führt.
Glücklicherweise steht aber der Hanf bei „Junky“ noch in vollem Saft, und so ist es auch bei „George“.
„George“ dufte also augenblicklich unfassbar frisch und hellgrün, strotzend Galbanum-bitter, feucht Veilchen-ledrig, und spröde Hanf-grasig.
Yann Vasnier hat dieses Trio perfekt aufeinander abgestimmt. Es legt einen geradezu euphorischen, jubilierenden Auftakt hin. Was dann folgt, ist das erkennbare Bemühen um Beruhigung. Das strahlende Grün wird von einem klassischen Chypre-Konstrukt umhüllt, in dessen Zentrum ein florales Bouquet dem Duft Tiefe verleiht, ihn weitet. Er wird zusehends breiter, voluminöser, aber auch komplexer. Das kontrastreiche Miteinander von Blüten, Stängeln, Halmen und Blättern ist virtuos inszeniert – Yann Vasnier ist wirklich ein Meister seines Fachs!
Erdung findet die gelungene Melange auf einer gehaltvollen, nicht übermäßig dunklen Basis aus bitter-tintigem Eichenmoos (vermutlich Evernyl oder ähnliches, da kein Evernia, werder furfuracea noch prunastri als Allergen gelistet wird), warm-holzigem Patchouli und einer Spur animalisch-ledrigem Castoreum, das sich so richtig erst am Tag danach bemerkbar macht, wenn man den schönen Resten des langanhaltenden Duftes noch immer hinterher schnuppern kann.
Was Haltbarkeit und Projektion betrifft finde ich „George“, wie alle sieben Liebhaber, absolut tadellos: beständig und mit selbstbewusstem Standing, dabei ohne modische Neigung zu SUV-haftem Geprotze. Die Proportionen sind klassisch französisch, vergleichbar den alten Guerlains oder Carons.
Yann Vasnier hat mit diesem Duft ein, wie ich finde, überaus schönes neo-klassisches grünes Unisex-Leder-Chypre mit einem kleinen modernen Twist geschaffen, irgendwo angesiedelt zwischen „Cristalle“, „Aliage“, „Grey Flannel“ und dem schon erwähnten „Junky“.
Ein Zitate-Potpourri ist „George“ dennoch nicht, vielmehr wirkt der Duft – zumindest auf mich – völlig autark, und trotz seines Kontrastreichtums wie aus einem Guss.
Mehr als 8 Jahre hat Mme. Roitfeld mit den drei Parfümeuren ihrer Wahl (Gaurin, Guichard, Vasnier) an ihren imaginären Duft-Liebhabern gefeilt – ich finde das riecht man. Nicht nur im Falle von „George“, auch bei den anderen Lovers, die ich bisher testen konnte, vermittelt das Dufterlebnis eine erkennbare Sorgfalt und Leidenschaft für die Materie. Das spricht aber nicht nur für die Düfte an sich, ihre vermutlich ausgesuchten Rohstoffe, sondern für die gesamte Darreichung: die schlicht und edel gestaltete grau-grüne Box, die handschmeichelnden haptischen Qualitäten des schweren Flakons (der mich mit seinen Rundungen an die Halston-Flakons der 70er erinnert), der elegante, schwere Metallverschluss, der perfekt vernebelnde Sprühmechanismus und nicht zuletzt ein reduziert und geschmackvoll designtes Heftchen, das die Liebhaber im Einzelnen und in aller Kürze vorstellt.
Sie wollte etwas schaffen, dass Bestand haben werde, berichtete Roitfeld, dass sich weder dem Mainstream andiene, noch sich in irgendwelchen Nischenwinkeln um jegliche Tragbarkeit brächte, etwas, dass mit ihrem Leben, ihrer Geschichte verbunden sei, dass ihre Persönlichkeit wiederspiegle – ihre 7 Lovers. Dass mit diesen Lovers keine über die Kontinente verteilte Affären gemeint seien, erläuterte Roitfeld in einem Interview mit Papermag. Vielmehr handle es sich um Personen die sie bewundere: Orson Welles, Wong Kar-Wei, Lawrence von Arabie, alias Peter O’Toole. Daneben flossen familiäre Bezüge ein: ihre russische Herkunft mütterlicherseits, weshalb sie ihren Sohn Vladimir nannte, ein Onkel namens George, oder ihre frühe Muse Aurélien. Einzig Sebastian scheint eine rein fiktionale Figur zu sein, in der sie ihre Liebe zur europäischsten Stadt Südamerikas, zu Buenos Aires, und ihre Liebe zum Tango bündelt.
Auch auf die Qualität der Düfte legte sie großen Wert, was deren lange Entstehungszeit erkläre: sie wollte keine Schnellschüsse, alles sollte langsam reifen. Ebenso wie sie auf ihre Unabhängigkeit pochte, und Avancen seitens der Marktführer L’Oreal, Estée Lauder und LVMH eine Abfuhr erteilte, da diese weder mit den Namensgebungen (manche zu unausprechlich), der Flakongestaltung (lieber 7 verschieden, als einer für alle) noch den hochkonzentrierten teuren Inhaltstoffen (billigere Ersatzstoffe in geringerer Potenz) d’accord gingen. So entschied sie sich mithilfe ihres Sohnes Aurélien und Frederic Pignault von IFF, den ihr Tom Ford empfohlen hatte, sowie Pascal Gaurin, Yann Vasnier und Aurélien Guichard, die Sache allein, bzw. im kleinen Team durchzufechten.
„George“, so Roitfeld, sei eine Kombination von den Sex Pistols und der Royal Family, in Gestalt von George VI, bzw. des berühmten Films über ihn, „The King’s Speech“, den sie sehr mochte. Außerdem liebe sie den Namen, der in allen Sprachen so wunderbar klänge. Bekäme sie noch einen zweiten Sohn, er trüge den Namen George.
Nun gut, ob Ex-Punk, verblichener König, imaginierter Sohn – diesen Lover, der seine Liebe für grüne Chypres pflegt, sich von seiner alten Lederjacke nicht trennen kann und aus nostalgischen Gründen ein paar Hanfpflanzen hätschelt - diesen Lover kann mir Frau Roitfeld gerne überlassen!
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