Den Produkten der 1887 gegründeten Firmen Claus Porto und der 1918 folgenden 'parent company' ACH. BRITO & Co. begegnet man in Portugal häufig, die allgegenwärtige Patti Seife (1929), in fast jeder noch so kleinen Mercería, Lavanda (1929) oder der Rasierwasserklassiker Musgo Real (1936) stehen vermutlich so häufig in großväterlichen Badezimmerschränken wie 4711 oder Tosca in Deutschland vor ein paar Dekaden. Als vor rund zehn Jahren eine neue Tourismus- und Gentrifizierungswelle die Strukturen von Lissabon und Porto endgültig erfasste, Läden eröffneten, die verklärt retroeske Szenarien von 'früher' stilisieren, konnte man den Eindruck bekommen, dass dieses Image vor allem aus Bordallo Pinheiro's Majolica Keramiken, Vasen aus Caldas da Rainha, Sardinenkonserven, und pittoresk verpackten ACH. BRITO Seifen besteht. Wie oft bei derartigen Realitätsverzerrungen, auch hier ein Quäntchen Wahrheit: ACH. BRITO investierte schon 1953 in eine Lithografische Werkstatt, kümmerte sich um ausgefeilte grafische Sujets bei Verpackungen und produzierte diese auch für Portweinhersteller und die nationale Tabakfirma.
Mit diesen historische Steilvorlage wurden ACH. BRITO und Claus Porto schon seit Mitte der 90'er Jahre immer wieder repositioniert, 2018 - zum 100-Jährigen, folgte ein weiteres rebranding und einer Reihe von neuen Düften 'Agua de Colonia' unter Lyn Harris und französischen Design. History repeats itself, könnte man meinen, die Einflüsse britischer Geschäftsleute und französischer höfischer Protokolle in Portugal sind zahlreich, nicht umsonst heisst eine der grossen alteingesessenen Pastelaria's in Lissabon Versailles. Dass eine bodenständige Marke wie Claus Porto nicht etwa den 'lokalen' bunten Hund Matos verpflichtet, nachvollziehbar, warum das Visuelle hingegen nicht aus einem der guten Designbüros aus Porto stammt, eher weniger.
Agua Vetiver, war das erste der bisher fünf von Lyn Harris entworfenen Parfums. Agua de Colonia vielleicht eher als Verweis auf einen insgesamt leichten Charakter, und nicht als Cologne Identität zu lesen. Der Duft, so die Gebrauchsanweisung ist von spontanen sommerlichen Wetterwechseln in der Region Alenteijo inspiriert, einer der sechs historischen 'Provinzen' Portugals, dieser weite Teil des Landes jenseits (südlich) des Tejo, ein vielgestaltiges Gebiet von der Atlantik Küste, über Hochebenen in denes es im Winter empfindlich kalt werden kann und gnadenlos heiss im Sommer. Und das alles in einem Vetiver betitelten Duft. I beg your pardon, Lyn, wieviele Flaschen köstlichen Alenteijo Wein wurden in diesem business meeting verkostet? Vetiver wird ja gerne hergenommen wenn immer es um Fernweh, Moskitoabwehr und Kolonialwaren gehen soll, Portugal ist ein Land in dem vieles verschifft wurde und wo auch viel hängen geblieben ist, aber Vetiver und Alenteijo? Sieht man mal von diesen Vorgeschichten und Vorschlägen ab, entpuppt sich Agua Vetiver schnell als das was Lyn Harris, vielleicht ausgehend durch ihre Arbeit bei Robertet, gut kann - ein delikater Duft, mit Blick auf eine Hand voll Noten mit einer Dosis effektiver Modulation und Eigenheit. Agua Vetiver fokussiert eine Süßholz - Anis - Lavendel Note, die das Vetiver umhüllt. Die Kombination Anis + Vetiver wurde von Maurice Roucel mit Kenzo Air (2003) erstmals vorgestellt, ein früher Kandidat weicher Vetivers, das auf Grund seiner kompakten Formel (sprich weniger Zutaten als vermarktete Noten), Roucel's Favorit unter den Eigenkreationen ist. Jean-Michel Duriez hat bei Yohji Homme (1999) auf einen ähnlichen Modulator gesetzt, wenn auch in einem Vetiver-freien Kontext. Andere Leichtbau Vetiver's wie Series 4: Cologne - Vettiveru/Vettiveru2 (2002/2018) oder Vétiver Tonka (2004) sind nicht zu weit weg, doch gibt sich das Vetiver in Agua Vetiver weniger fast-gourmandig als Vétiver Tonka, und weniger kardamom-nussig als Vettiveru. Der Start, ähnlich dem von Theorema Uomo (2001), ist grasig dabei realistischer, frisch gemäht und überwiegend von Galbanum gesteuert – in diesen Moment ist ein Vetiver noch nicht zu erahnen. Erscheint dieses kurz darauf, umhüllt von etwas Anis & Süßholzartigen, fast schon cremig, mit Lavendeleinschlag, minimalen Pinien Nadeln und deutlicheren Eukalyptus support, ist man auch schon im zentralen Bereich von Agua Vetiver angekommen, die weitere Entwicklungen in Richtung einer Basis fällt unspektakulärer ambriert aus, was durchaus zu der insgesamt weichen Erscheinung gut passt. Die Vetivernote ist hell, trocken, leicht süsslich und vielleicht eher Vetiveryl Acetat als ein Öl, definitiv überirdisch, von tiefgreifenden Vetiverwurzeln oder Feuchtigkeit fehlt hier jede Spur. Kein komplexes Vetiver, aber das stört in Kombination mit den anderen Komponenten auch gar nicht, das liebliche Fat Electrician (2009) kommt auch noch in den Sinn, entfernt.
Ob die Entscheidung zu Gunsten einer Eukalyptus Note, der Baumart, die erst Dank Portugal's Papierindustrie-Lobby endlos kultivierte wurde, um anschliessend bei den katastrophalen Waldbränden immer ganz vorne dabei ist, einem angelsächsischen pragmatischen Realismus entspricht? Im Alenteijo gibt es seit ein paar Jahren vermehrt Initiativen den Wuchs dieser Pflanze zu minimieren und wieder vermehrt auf endemische Arten zu setzten. Die Kombination Eukalyptus-Süßholz gleicht entfernt einer verwandte Note in der ersten Version von Body Kouros (2000) eine wichtige Rolle gespielt hat, wirkt hier dezenter, und, dank Vetiver gesteuert, auch strenger. Trotz so mancher Ungereimtheiten die Teil derartiger Narrative sind, reiht sich Agua Vetiver mühelos zu den weichen Vetiver's die zwischen 2002 - 2010 erschienen sind ein und bietet dabei ausreichend Differenz als eigene, klassische wie zeitgenössische Interpretation dieser Zutat zu sprechen. Gelungen!